In welcher Zusammensetzung Familien lebten, unterlag jahrhundertelang gesellschaftlichen und religiösen Zwängen. Das Modell der Großfamilie, in der mehrere Generationen unter einem Dach lebten und sich gegenseitig versorgten und wirtschaftlich unterstützten, verlor im Zuge der Industrialisierung zunehmend an Bedeutung. Doch nie hat es in so kurzer Zeit so viele Veränderungen der Familienstrukturen gegeben wie in den sechs Jahrzehnten seit der Einführung des ersten Kindergeldes. Ob Eltern verheiratet, unverheiratet oder geschieden sind, ob sie in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, allein oder in Patchworkfamilien ihre Kinder aufziehen:
1954 dagegen, in der jungen Bundesrepublik, herrschte das Ideal der bürgerlichen Familie: Der Vater ging arbeiten, die Mutter kümmerte sich um Haushalt und Kindererziehung, und selbstverständlich waren die Eltern miteinander verheiratet. Dieses Modell hatten auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes vor Augen,
Geld ab dem dritten Kind
Die prekären Lebensumstände vieler Familien in der Nachkriegszeit ließen Forderungen nach finanziellen Beihilfen für Familien lauter werden. Das erste Kindergeld der Bundesrepublik Deutschland setzten CDU und CSU am 14. Oktober 1954 im Bundestag knapp durch – gegen die Stimmen der Abgeordneten der anderen Parteien im Bundestag. "Arbeitslose gehen leer aus", fasste der "Spiegel" vom 27. Oktober 1954 die Kritik am neuen Gesetz zusammen. Die Arbeitgeber mussten einen nach Branchen unterschiedlichen Prozentsatz an Berufsgenossenschaften abführen. Diese zahlten das Kindergeld an registrierte Arbeitnehmer aus. Damit war es de facto eine Ergänzung des Lohns. Ab Januar 1955 trat das neue Kindergeld in Kraft und wurde nur ab dem dritten Kind mit monatlich 25 DM ausgezahlt.
Ab 1961 gab es Kindergeld ab dem zweiten Kind, seit 1975 bereits ab dem ersten Kind. Seit dem Bundeskindergeldgesetz von 1964 wird das Kindergeld aus Steuermitteln finanziert. Mehrfach wurde der Satz seither erhöht. Als die sozialliberale Regierung 1981 im Zuge von Sparmaßnahmen das Kindergeld erstmalig um rund 10 DM pro Kind kürzte, wollte das Bundesfamilienministerin Antje Huber (SPD) nicht mittragen und trat Anfang 1982 zurück.
184 Euro für das erste Kind
Heute beträgt es jeweils 184 Euro im Monat für das erste und zweite Kind, 190 Euro für das dritte Kind und 215 Euro für das vierte und jedes weitere Kind. Jeden Monat zahlt die Bundesagentur für Arbeit Kindergeld für etwa 14 Millionen Kinder aus. Eltern können alternativ einen steuerlichen Kinderfreibetrag nutzen. Insgesamt gibt der Staat fast 40 Milliarden Euro pro Jahr für Kindergeld und Kinderfreibetrag aus.
Das Kindergeld von 1954 bis heute
1954: Der Bundestag verabschiedet erstmals ein Gesetz über die Zahlung von Kindergeld. Dieses wird erst ab dem dritten Kind ausgezahlt. Es wird nicht aus Steuermitteln, sondern aus Arbeitgeberbeiträgen finanziert.
1961: Ab dem zweiten Kind gibt es Kindergeld.
1964: Mit der Verabschiedung eines neuen Bundeskindergeldgesetzes wird das Kindergeld fortan ausschließlich aus Steuermitteln gezahlt.
1975: Ab dem ersten Kind gibt es Kindergeld, es beträgt 50 DM für das erste Kind.
1992: Anhebung des Kindergeldes für das erste Kind auf 70 DM.
1996: Deutliche Anhebung des Kindergeldes: für das erste und zweite Kind auf 200 DM, für das dritte Kind 300 DM, für das vierte und jedes weitere Kind 350 DM; in den Folgejahren weitere Erhöhungen.
2010: Erhöhung auf den heutigen Stand: 184 Euro für das erste und zweite Kind, 190 Euro für das dritte und 215 Euro ab dem vierten Kind.
Das Kindergeld ist eines der Geldleistungen familienpolitischer Maßnahmen, zu denen unter anderem auch der Kinderfreibetrag, das Betreuungsgeld, Ehegattensplitting, das Elterngeld oder auch die Förderung von Kitas und Nachmittagsbetreuung der Schulen gehören.
Deutschland setzt auf Geldleistungen
Kritiker bemängeln, dass in der deutschen Familienpolitik in erster Linie auf Geldleistungen direkt an die Familien gesetzt wird, anstatt die Infrastruktur wie etwa die Betreuungsangebote für Kinder auszubauen und zu verbessern, damit Eltern so die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert wird.
Trotz aller familienpolitischer Maßnahmen: Externer Link: Die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau in Deutschland liegt seit Ende der 1990er Jahre relativ konstant bei 1,4.