Entstehung und Entwicklung
Die Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen / FREIE WÄHLER wurden - damals noch ohne den Namenszusatz "FREIE WÄHLER" - im Januar 2008 gegründet. Damit erfolgte die Gründung der politischen Vereinigung nur wenige Monate vor den im September desselben Jahres stattfindenden Kreistagswahlen in Brandenburg, bei denen sich die BVB erstmals um politische Ämter beworben hat. Als wesentliche Initiatoren gilt eine Gruppe von Kreistagsmitgliedern des Landkreises Barnim. Neben Péter Vida, dem aktuellen Parteivorsitzenden, zählten auch Günther Spangenberg und Johannes Mader von der Kreistagsfraktion "Grüne/Freie Wähler" sowie Dirk Weßlau und Thomas Strese von der Fraktion "Die Unabhängigen" zu den Gründungsmitglieder. Organisatorisch handelt es sich bei den Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen um einen Zusammenschluss mehrerer unabhängiger kommunaler Wählervereinigungen und Bürgerinitiativen aus ganz unterschiedlichen Gemeinden und Landkreisen. Bereits bei der ersten Wahlteilnahme, den Kreistagswahlen im September 2008, hatte man es geschafft, mehr als 50 solcher kommunalen Wählergruppen zu einer Listenvereinigung mit dem Namen "BVB/50 Plus" zusammenzuführen (Oeltzen 2018: 189). Dabei leitete sich der Name 50Plus jedoch nicht von der Anzahl der unter einem Schirm gebrachten Gruppierungen, sondern von der rechtspopulistischen Kleinpartei "50Plus Das Generationen-Bündnis" ab. Von den insgesamt 251 Kandidatinnen und Kandidaten, die für die Vereinigung in 11 der 14 Landkreise sowie drei der vier kreisfreien Städte antraten, schafften am Wahltag 14 den Einzug in Kommunalparlamente, wobei die Listenvereinigung in der Summe einen Stimmenanteil von 1,7 Prozent erreichte (Metzner 2008).
Nachdem die Partei 50Plus kurze Zeit später Auflösungserscheinungen zeigte und das mit ihr eingegangene Bündnis aufgekündigt wurde, trat man zu der nur ein Jahr später stattfindenden Landtagswahl erneut mit einer Listenvereinigung an, die nun aber gemeinsam mit der Partei FREIE WÄHLER Brandenburg gebildet wurde. Unter dem Namen "Zusammen für Brandenburg - Freie Wähler" schickte man neben einer Landesliste Direktkandidaten in allen Wahlkreisen des Bundeslandes ins Rennen, scheiterte mit 1,7 Prozent der Zweitstimmen jedoch recht deutlich an der Fünfprozenthürde. Weil die Vereinigung aber bei einer Landtagswahl mehr als 1 Prozent der Stimmen erreicht hatte, beantragte sie Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Mit Verweis auf die Konstruktion als Listenvereinigung, die im Sinne des Parteiengesetzes (PartG) nicht mit einer Partei gleichgesetzt werden könne, wies die Bundestagsverwaltung den Antrag jedoch zurück. Diese Auffassung wurde schließlich auch vom Verwaltungsgericht Berlin bestätigt, das nach einer Klage der Vereinigung über den Fall entscheiden musste (Naumann 2012: 105f.). Daraufhin entschloss man sich im Jahr 2011 den Namen der Vereinigung offiziell in "BVB / FREIE WÄHLER" umzuändern und auch bei den im Jahr 2014 anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen unter diesem Namen anzutreten. Es ist allerdings zu beachten, dass es sich dabei nicht um einen formalen Zusammenschluss mit den FREIEN WÄHLERN Brandenburg handelt, sondern sich deren Mitglieder lediglich in der BVB / FREIE WÄHLER beteiligen (Oeltzen 2018: 190).
Bei den gleichzeitig mit den Europawahlen stattfindenden Kommunalwahlen im Mai 2014 konnte die Vereinigung ihren landesweiten Stimmenanteil im Vergleich zum vorherigen Wahlzyklus um 1,6 Prozentpunkte auf 3,6 Prozent verbessern. Damit konnte auch die Anzahl der kommunalen Parlamentsmandate auf insgesamt 33 erhöht werden (Landeswahlleiter Brandenburg 2020a). Dieser positive Trend sollte auch bei der im Herbst stattfindenden Landtagswahl anhalten, bei welcher die Partei neben einer Landesliste mit Direktkandidaten in 43 der 44 Wahlkreise antrat. Mit 26.317 Stimmen (2,7 Prozent der Zweitstimmen) verbesserte man das Wahlergebnis im Vergleich zum Jahr 2009 nicht nur um 1,0 Prozent, sondern wurde gleichzeitig auch zur stärksten Kraft unterhalb der Fünfprozenthürde (Landeswahlleiter 2020b). Dass man, obwohl man Letztere nicht überwand, letztlich dennoch mit drei Mandaten in den Brandenburger Landtag einzog, hatte zwei Ursachen. Erstens schaffte es Christoph Schulze, der von 2004 bis 2009 als parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion fungierte und nach 2013 den BVB / FREIE WÄHLER beigetreten war, in seinem Wahlkreis Teltow-Fläming III mit 27 Prozent der Stimmen das Direktmandat zu gewinnen. Und zweitens sieht das brandenburgische Landeswahlgesetz (BbgLWahlG) in §3 (1) vor, dass bei der Sitzverteilung nur Parteien berücksichtigt werden, die mehr als 5 Prozent der Zweitstimmen oder "mindestens in einem Wahlkreis einen Sitz errungen haben" (Grundmandatsklausel). Somit zogen neben Schulze, dem Spitzenkandidaten, auch Iris Schülzke und der Landesvorsitzende Péter Vida in den Landtag ein. Allerdings sollte sich die dreiköpfige parlamentarische Gruppe nach einem Streit um nicht gezahlte Mitgliedsbeiträge im Jahr 2017 auflösen und nur Vida sein Mandat weiter im Namen der BVB / FREIE Wähler ausüben (Riedel 2017).
Zu den Kommunalwahlen 2019 erhöhte sich die Anzahl der unter dem Dach der BVB / FREIE WÄHLER organisierten Wählergruppen noch einmal deutlich auf 140. Mit insgesamt 760 Kreistags- und 1.000 Gemeindekandidaten stellte die Vereinigung die drittgrößte Kandidatenliste und rangierte damit noch vor der Partei DIE LINKE (Kaufmann 2019). Mit 6,3 Prozent der Stimmen (+2,4 Prozentpunkte) erzielte der Zusammenschluss sein bis dato bestes Ergebnis bei Kommunalwahlen und ist seither in allen Kreistagen in Fraktionsstärke vertreten (Metzner 2019). Gleichermaßen erfolgreich sollte die Partei schließlich auch bei der im September desselben Jahres abgehaltenen Landtagswahl abschneiden. Als wesentlicher Grundstein für den späteren Wahlerfolg erwies sich die von den BVB / FREIE Wähler im Oktober 2018 initiierte "Volksinitiative zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge". Nachdem die Initiatoren in nur wenigen Wochen mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt hatten, setzte sich der Erfolg der Initiative auch im Landtag fort, indem die rot-rote-Regierungskoalition die Anwohnerbeiträge für Straßensanierungskosten rückwirkend zum 1. Januar 2019 abschaffte (Kaufmann 2019). Beflügelt von diesem Erfolg, erzielte die Vereinigung bei der im Herbst stattfindenden Landtagswahl in Person des Vorsitzenden Vida erneut ein Direktmandat (Wahlkreis Barnim II) und konnte darüber hinaus mit exakt 5,0 Prozent der Zweitstimmen ihr bis dato bestes Ergebnis bei Landtagswahlen erzielen (Landeswahlleiter 2020c). Somit zogen neben Vida vier weitere Mandatsträger (Ilona Nicklisch, Matthias Stefke, Chrisine Wernicke und Philip Zeschmann) in den Landtag ein.
Unter dem Dachverband der regionalen Vereinigung BVB / FREIE WÄHLER sind momentan (Stand: 05/2022) insgesamt rund 130 unterschiedliche Wählergruppen und Bürgerinitiativen organisiert - darunter beispielsweise die "Allianz Lawitzer Bürger" (ALB), das "Bürgerbündnis Schwielowsee", die "Freie Wähler Schönefeld", die "Initiative Menschen in Not - Niemegk" oder die "Wählergemeinschaft gegen Fluglärm Teltow" (BVB / FREIE WÄHLER 2022a). Obwohl die BVB / FREIE WÄHLER in ihrem Logo das gelbe Sonnenzeichen der FREIEN WÄHLER tragen, sind sie nicht Mitglied der Bundesvereinigung FREIE WÄHLER, sondern kooperieren nur mit dieser (Oeltzen 2018: 191).
Wählerschaft, Mitglieder- und Organisationsstruktur
Bislang liegen nur wenige Erkenntnisse zur Wählerschaft der BVB / FREIEN WÄHLER vor, es ist jedoch - wie bei anderen Vereinigungen der FREIEN WÄHLER - davon auszugehen, dass die Partei mit Blick auf die Sozialstruktur über eine sehr heterogene Wählerschaft verfügt. So zeigt sich in Wählerwanderungsanalysen der Landtagswahl 2019, dass die Vereinigung aus praktisch allen politischen Lagern Wähler mobilisieren sowie neu dazu gewinnen konnte und nur an die Alternative für Deutschland (AfD) Stimmen verloren hatte. Die größten Zuwächse erzielte die Partei unter Nichtwählern sowie Personen, die bei der Landtagswahl 2014 noch für die CDU oder DIE LINKE gestimmt hatten (Tagesschau 2019a). Hinsichtlich der Altersstruktur lässt sich beobachten, dass die Vereinigung bei Wählern im Alten von 16-25 Jahren den geringsten Zuspruch und bei denjenigen zwischen 35-44 Jahren den höchsten Zuspruch erfährt, wobei sich der Wähleranteil ab 45 Jahren kontinuierlich verringert (Arriagada 2020: 34). Frauen haben den BVB / FREIE WÄHLER häufiger ihre Stimmen gegeben als Männer, jedoch ist der geschlechterspezifische Unterschied nur gering (Arriagada 2020: 34). Im Vergleich zu anderen Parteien spielte bei der Landtagswahl 2019 die langfristige Parteibindung für die Wahlentscheidung bei Wählern der BVB / FREIE WÄHLER die geringste (4 Prozent), dafür aber die Programmatik der Partei eine übergeordnete Rolle (76 Prozent, nur höher bei B90/Grüne) (Tagesschau 2019b).
Als ähnlich heterogen wie die Wählerschaft, erweist sich auch die Mitgliederstruktur der Vereinigung. So handelt es sich bei Mitgliedern, die über Mandate auf der kommunalen oder Landesebene verfügen, in zahlreichen Fällen um ehemalige Mitglieder ganz unterschiedlicher Parteien. Beispielsweise gehörten drei der fünf Landtagsabgeordneten vor ihrem Parteieintritt der CDU (Vida, Stefke) beziehungsweise der SPD (Zeschmann) an und einige der Spitzenkandidaten bei den Kommunalwahlen im Jahr 2019 verfügten ehemals über eine Mitgliedschaft bei B90/Die Grünen oder in anderen unabhängigen Wählergemeinschaften (Haase 2019). Seit ihrer Gründung im Jahr 2008 verzeichnet die Partei einen kontinuierlichen Mitgliederzuwachs. In jüngster Zeit entwickelte sich die Mitgliederzahl ab 2018 von 747 (Ende 2018) über 780 (Februar 2019) und 801 (Januar 2020) auf nunmehr 813 Mitglieder (Juli 2020) (Berliner Morgenpost 2020). Nachdem die Parteimitgliederzahl zwischen 2014 (702) und 2017 (696 Mitglieder) zuvor lange Zeit enorm stabil gewesen ist, kann der Mitgliederzuwachs seitdem auch durch die kontinuierlichen Wahlerfolge begründet werden.
Der organisatorische Aufbau der BVB / FREIE WÄHLER folgt nicht demjenigen klassischer Parteien. Zwar gibt es einen üblichen Landesvorstand, der aus einem Vorsitzenden (Péter Vida), dessen Stellvertreterinnen und Stellvertretern (Ilona Nicklisch, Bernd Albers und Heiko Selka) sowie einem Schatzmeister (Jürgen Kurth), die allesamt von einer Landesdelegiertenversammlung gewählt werden, besteht, doch folgt die Struktur unterhalb der Vorstandsebene einer anderen organisatorischen Ausdifferenzierung. Diese beruht im Wesentlichen auf dem basisdemokratischen Selbstverständnis der Vereinigung, in welchem betont wird, dass "die Mitglieder vor Ort [...] den Kurs des Landesverbandes [bestimmen], der per Mehrheitsentscheid auf den jährlich stattfindenden Zentralversammlungen festgelegt wird" (BVB / FREIE WÄHLER 2022b). Darüber hinaus liegt die Entscheidungen über lokale Themen bei den lokalen Wählergruppen, da sie "durch ihr Wissen vor Ort besser einschätzen [können], welche Lösungen zu treffen sind" (BVB / FREIE WÄHLER 2022b). Um diesen Anspruch gerecht zu werden, wurde die Zusammenarbeit der unterschiedlichen kommunalen Wählergruppen und Bürgerinitiativen in einem aus acht Mitgliedern bestehenden Regionalrat koordiniert, ehe man dazu überging, die Koordination den jeweiligen Kreissprechern zu übertragen. Auf einen Beschluss des Landesvorstandes im Jahr 2010 wurde des Weiteren ein Landesbeirat gegründet, dem aktuell (Stand 09/2020) 17 landespolitische Sprecher und Beauftragte mit Zuständigkeiten für unterschiedliche Politikfelder beziehungsweise Fragestellungen angehören und der für die inhaltliche Arbeit der BVB / FREIE WÄHLER verantwortlich ist (Oeltzen 2018: 191). Weil die BVB / FREIE WÄHLER keine Mitgliedsbeiträge erheben, wird die Finanzierung der Vereinigung im Wesentlichen mit Hilfe von Spenden, staatlichen Mitteln sowie Mandatsträgerbeiträgen gedeckt. Bislang verfügt der Zusammenschluss über keine Jugendorganisation, wie beispielsweise die "Jungen Freien Wähler" (JFW), die der Bundesvereinigung FREIE WÄHLER angegliedert sind.
Programmatik
Wie Zusammenschlüsse der FREIEN WÄHLER in anderen Bundesländern sowie die Bundesvereinigung verstehen sich auch die Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen / FREIE WÄHLER als "Anti-Parteien-Partei" (Oeltzen 2018: 191), die anders als klassische Parteien über keinerlei festgelegten ideologischen Überbau verfügt (Garbe 2019). Anstelle übergeordneter Ideologien fordert die Partei immer wieder die Notwendigkeit einer stärkeren Sachorientierung, die der Parteivorsitzende Péter Vida in einem Interview unter der Forderung "Logisch statt Ideologisch" zusammenfasste (BVB / FREIE WÄHLER 2017). In diesem Sinne ist auch das im Wahlprogramm vielerorts artikulierte Gebot der Benutzung des gesunden Menschenverstandes zu verstehen.
Neben einem ausführlichen Wahlprogramm für die Brandenburger Landtagswahl des Jahres 2019 sind die grundlegenden programmatischen Positionen auf der aktuellen Internetseite der BVB / FREIE WÄHLER unter dem Punkt "Unsere Ziele", der dem Charakter eines Grundsatzprogrammes entspricht, zu finden. Durch beide Dokumente ziehen sich mehrere programmatische rote Fäden, die immer wieder eine Stärkung der (direktdemokratischen) Bürgerbeteiligung durch u.a. Volksinitiativen, eine Förderung der Kommunen und deren Selbstverwaltung, die Stärkung ländlicher Regionen sowie einen Abbau bürokratischer Hürden betonen. Im Zuge der Landtagswahl 2019 hat die Partei ein ausdifferenziertes und insgesamt neun klassische Politikfelder umfassendes Wahlprogramm vorgelegt. Im Politikfeld Arbeit und Soziales wird für die Stärkung des Ehrenamtes, eine bessere Unterstützung von Vereinen sowie die Bestandssicherung der Freiwilligen Feuerwehren geworben. Neben der Sicherung des Verbleibs einheimischer Fachkräfte wird zudem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert. Kitaplätze sollen nach Meinung der BVB / FREIE WÄHLER beitragsfrei bleiben. Bildungspolitisch strebt die Vereinigung eine bundesweite Vereinheitlichung an.
Mit Blick auf das Thema Migration wird für eine bessere Unterstützung von Menschen mit Migrationshintergrund, eine schnellere Eingliederung anerkannter Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt sowie das Wahlrecht für Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Brandenburg haben, geworben. Im Bereich der Gesundheitspolitik sollen bessere Anreize für junge Ärzte geschaffen werden, sich in Brandenburg niederzulassen. Darüber hinaus müsse die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen sichergestellt werden, was mit einer zusätzlichen Ausbildung von medizinischen und therapeutischen Personal Hand in Hand geht.
Infrastrukturpolitisch müsse der öffentliche Nahverkehr weiter gestärkt werden und Mobilität kostengünstig und nachhaltig sein. Auf dem Feld der Wirtschaftspolitik setzt sich die Vereinigung u.a. für eine mittelstandsfreundliche Politik und die Ansiedlung von Technologie- und IT-orientierten Unternehmen ein. Energiepolitisch streben die BVB / FREIE WÄHLER eine gesteigerte Energieeffizienz, einen Ausbaustopp für Windkrafträder sowie eine Förderung von Photovoltaik an. Im Bereich Innere Sicherheit tritt die Vereinigung für eine bessere Ausstattung von Polizei und Justiz sowie eine Abkehr vom Trend der Zentralisierung von Polizeirevieren ein.