Bürgerliche Strukturen im Konflikt mit schwacher Abgrenzung zum Rechtsextremismus
Die AfD weist den für rechtspopulistische Parteien typischen Doppelcharakter einer parlamentarischen und "bewegungsorientierten" Kraft auf (Schroeder / Weßels 2019). Ohne mit ihm völlig deckungsgleich zu sein, lässt sich dieser auf das Verhältnis der beiden ideologischen Flügel abbilden. Das Nebeneinander macht einen Großteil der organisatorischen Stärke der Partei aus, birgt aber zugleich ein erhebliches Potenzial für Konflikte, die sich in der Vergangenheit etwa im Umgang mit den Pegida-Demonstrationen (2015) oder den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz (2018) und zuletzt an der Teilnahme von AfD-Mitgliedern und -Funktionären an den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen entluden.
Hinter den Auseinandersetzungen stand und steht das für rechtspopulistische oder -konservative Parteien hierzulande notorische Problem der Abgrenzung zum Rechtsextremismus. Der entsprechende Unvereinbarkeitsbeschluss in der Satzung wurde in den Parteigliederungen der AfD von Beginn an unterschiedlich gehandhabt und führte in fast allen Landesverbänden zu organisatorischen Verwerfungen und einer Dauerüberlastung der Schiedsgerichte. Im Bundesvorstand entzündete sich der Streit vor allem an den Bemühungen um einen Parteiausschluss von Björn Höcke, die auch am Widerstand von Gauland scheiterten. Das Damoklesschwert der nachrichtendienstlichen Beobachtung und "Überwachung verstärkte gerade im "bürgerlichen" Teil der Partei, der bis zu seinem Austritt 2022 von Jörg Meuthen angeführt wurde, die Sorge vor einem weiteren Reputationsverlust, wenn z.B. Beamte wegen ihrer Mitgliedschaft Sanktionen fürchten müssten.
Verschärft wurden die Organisationsprobleme durch die natürlichen Geburtswehen einer im raschen Aufbau begriffenen Partei, deren Mitglieder und Funktionäre nur zum Teil über politische Vorerfahrungen verfügten. Hinzu kommt, dass das bundesdeutsche Parteienrecht alle Parteien zu einem demokratischen Aufbau ihrer Organisation verpflichtet, diese den Teilhabeansprüchen ihrer Basis also nicht einfach ausweichen können. Für die AfD gilt das umso mehr, als sie das von ihr selbst propagierte plebiszitäre Demokratieverständnis konsequenterweise auch in der eigenen Organisation gelten lassen muss. In der erzwungenen Institutionalisierung liegt zugleich eine Erklärung, warum der AfD die für andere Vertreter des europäischen Rechtspopulismus typischen Merkmale einer "charismatischen" Partei fehlen; von ihren früheren und derzeitigen Führungsfiguren kommt allenfalls Höcke dem Bild eines charismatischen Anführers nahe.
Doppelspitzen in Partei und Fraktion
Das höchste Organ der AfD ist der einmal im Jahr stattfindende Bundesparteitag, der sich aus 600 von den Landesverbänden entsandten Delegierten und den Mitgliedern des Bundesvorstandes zusammensetzt. Als "kleiner Parteitag", der bei Bedarf einberufen werden kann, fungiert ein aus 50 Vertretern der Landesverbände sowie fünf Vorstandsmitgliedern bestehender Konvent. Der Bundesvorstand, dem die Leitung der Partei obliegt, wird vom Bundesparteitag für zwei Jahre gewählt. Ihm gehören zwei oder drei gleichberechtigte Sprecher, drei stellvertretende Sprecher, der Schatzmeister und sein Stellvertreter, der Schriftführer und weitere sechs Mitglieder an.
Stärker ausgeprägt als bei den anderen Parteien sind bei der AfD die direktdemokratischen Verfahren. Hier führt sie regelmäßig Mitgliederbefragungen zu Sachthemen und Programmen durch oder lässt Mitgliederversammlungen anstelle der Delegiertenparteitage treten. So wurden z.B. die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2021 - Alice Weidel und Tino Chrupalla - durch eine Online-Befragung bestimmt, an der knapp die Hälfte der Mitglieder teilnahmen. Mit der Doppelspitze in Partei und Fraktion weist die Bundespartei zugleich ein Organisationselement auf, das in der Bundesrepublik bisher nur von den linken Parteien - Grüne und Linke - bekannt war; es dient vorrangig dazu, den Richtungsproporz abzubilden. Das durch diese Machtstruktur bedingte Fehlen eines "strategischen Zentrums" erwies sich seit dem Einzug in den Bundestag als zunehmendes Problem. Während sich die Parteisprecher und Mitglieder des Bundesvorstandes aufgrund des Richtungsstreits gegenseitig lähmten, wuchs unter den Abgeordneten die Unzufriedenheit mit dem konzeptionslos wirkenden und wenig effizienten Agieren von Weidel und Gauland an der Fraktionsspitze.
Spannungen zwischen Bundespartei und Landesverbänden
Die personellen und Richtungskonflikte in der AfD führen immer wieder zu starken Spannungen zwischen der Bundesorganisation und den Landesverbänden (Hensel u.a. 2017: 13 ff.). Durch Austritte bzw. Ausschlüsse verlor die Partei 2019 bzw. 2020 in drei Landesparlamenten (Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein) ihren Fraktionsstatus. Auch in den meisten anderen Landesverbänden der alten Bundesrepublik sind die Vorstände und Abgeordneten oft heillos zerstritten und dadurch nur begrenzt handlungs- und sprechfähig.
Innerhalb der Partei lassen sich grob drei Strömungen unterscheiden: eine wirtschaftsliberale, eine konservative und eine nationalistisch-rechtsextreme. Letztere schloss sich bis zu dessen Auflösung im April 2020 - allerdings nur informell - im "Flügel" zusammen. Ihm konnten etwa ein Drittel der Mitglieder und Funktionäre als Unterstützer zugerechnet werden. Weitere Vereinigungen und Gruppierungen sind der Pforzheimer Kreis, die Patriotische Plattform, die Christen in der AfD und die Alternative Mitte. Dabei gibt es manche personellen Überschneidungen. So vertritt z.B. Beatrix von Storch - die wichtigste Exponentin der konservativen Strömung neben Alexander Gauland - zugleich dezidiert wirtschaftsliberale Positionen, während Gauland seinerseits ein entspanntes Verhältnis zu den Flügel-Vertretern pflegte. Dieser unterhielt wiederum Verbindungen zur Identitären Bewegung und weiteren Zirkeln der sogenannten Neuen Rechten. Die Machtverhältnisse in der AfD haben sich seit 2013 sukzessive zugunsten der radikaleren Kräfte verschoben, die inzwischen über eine Mehrheit im Bundesvorstand und unter den Parteitagsdelegierten verfügen. Dazu trägt auch die Jugendorganisation Junge Alternative (JA) bei, die ideologisch und organisatorisch rechts von der Mutterpartei steht.