Gegründet wurde der Nordatlantik-Pakt (North Atlantic Treaty Organization, NATO) im Jahr 1949 Interner Link: durch zwölf europäische und nordamerikanische Staaten. Als System kollektiver Verteidigung richtete sich das Bündnis gegen die Sowjetunion. Diese stellte mit ihren Expansionsbestrebungen insbesondere für die europäischen Staaten eine unmittelbare Bedrohung dar und trat vor dem Hintergrund des sich anbahnenden Kalten Krieges in eine direkte Konkurrenz zu den USA um die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung in der Welt.
"Keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down" – so soll ihr erster Generalsekretär Lord Hastings Ismay den Sinn und Zweck der NATO einmal Externer Link: zusammengefasst haben. Allerdings war die Bundesrepublik Deutschland – kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – nicht unter den Gründungsstaaten der NATO. Das geteilte Deutschland entwickelte sich aber bald zum zentralen Schauplatz des Ost-West-Konfliktes. Die Westalliierten stimmten schließlich 1955 der Interner Link: Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und ihrem NATO-Beitritt zu, um sie dauerhaft an die westliche Militärallianz zu binden. Als Frontstaat im Kalten Krieg war die Bundesrepublik ein Interner Link: Eckpfeiler der Bündnisverteidigung in Mitteleuropa.
Wandel zum System kollektiver Sicherheit
Spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges – durch den Wegfall des Hauptgegners Sowjetunion und die Interner Link: Auflösung des Warschauer Paktes – verlor die Verteidigungsdimension des Bündnisses an Bedeutung. Die NATO vollzog eine Transformation von einem System kollektiver Verteidigung hin zu einem System kollektiver Sicherheit. Systeme kollektiver Sicherheit wirken nicht nur nach außen, sondern auch nach innen und befrieden die Beziehungen der Mitglieder untereinander. Das zeigte sich auch schon vor 1989: So kann beispielsweise angenommen werden, dass die Interner Link: konfliktträchtige Beziehung zwischen der Türkei und Griechenland (beide Mitglieder seit 1952) durch die Mitgliedschaft in der NATO entschärft und deswegen mit politischen statt mit militärischen Mitteln ausgetragen wurde.
In den 1990er Jahren wurde der Ansatz der kollektiven Sicherheit für die Allianz zu einem bestimmenden Merkmal (auch für Deutschland) und außerdem zur Interner Link: Grundlage für die Osterweiterung der NATO. Durch den in Aussicht gestellten Beitritt bot die NATO den ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes eine attraktive Perspektive, die die Entwicklung der jungen Demokratien im ost- und mitteleuropäischen Raum in Richtung liberaler Demokratiemodelle und einer politischen Stabilisierung förderte. 1999 traten Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei, 2004 folgten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien. Damit wurde das Bündnisgebiet bis an die Grenzen der Russischen Föderation erweitert. Die Motivation der ost- und mitteleuropäischen Staaten, die für die NATO-Mitgliedschaft notwendigen kostspieligen und herausfordernden politischen und militärischen Transformationen zu vollziehen, lag wiederum in der Attraktivität des Systems der kollektiven Verteidigung gegenüber der (historisch bedingten) wahrgenommenen Bedrohung durch Russland.
Deutschland konnte in den 1990er Jahren mithilfe der NATO als System kollektiver Sicherheit seine geostrategische Position verbessern. Durch die NATO-Osterweiterung und die damit verbundene Stabilisierung Mittel- und Osteuropas wäre Deutschland im Falle eines militärischen Konfliktes nicht mehr Frontstaat, sondern nimmt nun im Herzen Europas eine relativ sichere geopolitische Position ein und ist vollständig von "Freunden" umgeben.
Die (geo-)strategischen Perspektiven und Handlungsfelder
Bis 1990 waren Abschreckung und potentielle Abwehr gegenüber der Sowjetunion die dominierende geostrategische Perspektive der NATO. Die Landesverteidigung in Europa bzw. des nordatlantischen Raumes war die Hauptaufgabe des Bündnisses. Dementsprechend waren die NATO und die Streitkräfte ihrer Mitglieder ausgerichtet.
Von 1990 bis 1999 stand das Streben nach Selbsterhaltung und der damit notwendigen Transformation der NATO als Organisation und Bündnis im Vordergrund. Um diese Aufgabe zu bewältigen, richtete die NATO in ihrem strategischen Konzept von 1991 den Fokus auch auf nicht-traditionelle Sicherheitsbedrohungen und schuf so neue Aufgabenfelder für die Allianz. Als Ausdruck eines erweiterten Sicherheitsverständnisses und im Sinne einer nicht mehr nur bedrohungs- sondern eher risikoorientierten und damit proaktiveren Sicherheitspolitik Interner Link: wurde das Aufgabenfeld der NATO auf Krisenprävention und Krisenmanagement ausgeweitet.
Mit der neuen strategischen Perspektive spielten nicht mehr nur unmittelbare bzw. territoriale Sicherheitsbedrohungen eine Rolle. Stattdessen rückten regionale und globale Entwicklungen und deren mittelbare Auswirkungen auf NATO-Mitgliedstaaten in den Mittelpunkt. Nicht-traditionelle Sicherheitsbedrohungen wie innerstaatliche Konflikte (z.B. Bürgerkriege) und transnationale Phänomene wie Terrorismus oder die Unterbindung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation) standen nun auch auf der Agenda der NATO. Diese Transformation hat die NATO als Akteurin teilweise selbst aktiv vorangetrieben, teilweise haben auch die Mitgliedstaaten die Allianz als ein geeignetes Instrument gesehen, um neue sicherheitspolitische Herausforderungen anzugehen.
Dieser strategische Perspektivwandel äußerte sich in den 1990er Jahren insbesondere in den ersten Out-of-area-Einsätzen der NATO in Bosnien und Herzegowina (IFOR) und im Kosovo (Operation Allied Force und KFOR). Wie sehr die NATO der Logik des erweiterten Sicherheitsbegriffs als handlungsleitenden Maßstab verinnerlicht hatte, zeigte sich auch daran, dass die NATO-Luftangriffe zur Beendigung des Kosovokrieges trotz fehlendem Mandat des Interner Link: UN-Sicherheitsrates und damit ohne völkerrechtliche Grundlage durchgeführt wurden. Stattdessen wurde stark auf die moralische Legitimität verwiesen, da mit dem Einsatz die anhaltenden massiven Menschenrechtsverletzungen Serbiens im Kosovo beendet werden sollten.
Gleichzeitig fungierte die NATO in den 1990er Jahren – neben der Europäischen Gemeinschaft – auch als "Sozialisierungsagentur" für die ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes, die ein Teil der westlichen Staatengemeinschaft werden wollten. Die Partnerschaftsprogramme und die Beitrittsprozesse integrierten die osteuropäischen Staaten in die NATO und dann später die Europäische Union. Hier war die strategische Perspektive eher nach innen gerichtet.
Neuausrichtung auf Auslandseinsätze
Die erfolgreiche Konsolidierung und Neuausrichtung der NATO fand ihren Ausdruck im strategischen Konzept von 1999. Mit den Interner Link: Terroranschlägen vom 11. September 2001 und der darauffolgenden erstmaligen Ausrufung des NATO-Bündnisfalls erfuhr die Out-of-area-Ausrichtung eine Entgrenzung. Wurde dieser Ansatz in den 1990er Jahren im Bündnis noch regional verstanden und auf die Peripherie des Bündnisgebiets bezogen, so wurde "out of area" in den 2000er Jahren auch global gedacht. Daraus wurde ein weltweiter Handlungsanspruch abgeleitet, wann immer die Interessen der Mitgliedstaaten durch Bedrohungen im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffs gefährdet waren.
Diese Entwicklung war jedoch auch durch teils heftige interne Auseinandersetzungen über die Ausrichtung und den Einsatz der NATO gekennzeichnet. Da die potentiellen Out-of-area-Einsätze (beispielsweise im Irak 2002/03) für die Mehrheit der Mitglieder oft eher nachrangig ("second order concerns") waren und deswegen die unmittelbare Notwendigkeit für deren Durchführung den eigenen Bevölkerungen nur schwer zu vermitteln war, konnte nicht immer ein Konsens über das gemeinsame Vorgehen hergestellt werden. Dies führte dazu, dass neben der NATO neue Kooperationsformen (z.B. die Koalition der Willigen – "coalition of the willing" – im Irakkrieg) entstanden und damit der Zusammenhalt und die Bedeutung des Bündnisses geschwächt wurden.
Afghanistan als Belastungsprobe
Der Afghanistaneinsatz sorgte für eine weitere Belastungsprobe innerhalb der NATO. Deutschland Interner Link: beteiligte sich von Beginn an am Afghanistaneinsatz, wurde aber für die eher zurückhaltende Ausgestaltung des Einsatzes und die strikten Einsatzvorbehalte ("caveats") von den Bündnispartnern kritisiert. Diese hätten negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der deutschen Truppen im Einsatz und damit auch auf das Handeln der NATO insgesamt gehabt. Das führte zu teils scharfen Diskussionen und dem Vorwurf der mangelnden Bündnissolidarität Deutschlands durch die Verbündeten.
Die 2000er Jahre waren für die NATO und insbesondere auch für Deutschland sicherheitspolitisch eine große Herausforderung, da die Neuausrichtung auf neue Bedrohungslagen eine Anpassung der militärischen Fähigkeiten erforderte. Die Streitkräfte der meisten Mitgliedstaaten waren strukturell noch auf Landes- und Bündnisverteidigung in Zentral- bzw. Osteuropa ausgerichtet. Globales Krisenmanagement erforderte jedoch eine Neukomposition der Streitkräfte, die mit großen Reformbemühungen und hohen finanziellen Belastungen einherging. Auch in Deutschland wurden Interner Link: mehrere Strukturreformen der Bundeswehr auf den Weg gebracht. So wurde die Gesamtzahl der Soldatinnen und Soldaten stetig verringert, aber dafür z.B. bei Ausrüstung und Fahrzeugen stärker das Augenmerk auf die globale Einsatzfähigkeit gelegt. Somit wurde versucht, den neuen Realitäten und Aufgaben gerecht zu werden. Trotz diverser interner Auseinandersetzungen hat die NATO auch in den 2000er Jahren nicht an Bedeutung verloren. Ganz im Gegenteil führte die NATO immer neue Operationen und Einsätze durch, an denen sich Deutschland – trotz fehlender unmittelbarer Bedrohung – beteiligte und so mit dem Bündnis solidarisch zeigte (z.B. bei Einsätzen in Mazedonien, am Horn von Afrika, in der Türkei oder im Mittelmeer). Dass Bundesregierung und Bundestag die Beteiligung an einem größeren NATO-Einsatz verweigerten, war trotz der zunehmend ablehnenden Einstellung der öffentlichen Meinung in Deutschland bislang die Ausnahme (Libyen-Einsatz 2011).
Diese Phase wurde im Externer Link: strategischen Konzept von 2010 fortgeschrieben. Mit diesem Konzept wurden die Entwicklungen in den 2000er Jahren aufgegriffen und die im Zuge der Osterweiterung hinzu gekommenen Mitgliedstaaten bei der Ausrichtung der NATO mit einbezogen. Die NATO betonte drei gleichrangige Aufgaben:
kollektive Verteidigung nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages (Bündnisfall),
politisches und militärisches Krisenmanagement und
kooperative Sicherheit mit Drittstaaten.
Krim-Annexion als Wendepunkt
Mit der völkerrechtswidrigen Interner Link: Annexion der Krim durch Russland im Frühjahr 2014 wurde erneut ein Wechsel der strategischen Ausrichtung der NATO erforderlich. Was sich bereits 2008 im Georgien-Krieg angedeutet hatte, hat sich 2014 bestätigt: Russland ist bereit, in seiner Außenpolitik und zur Durchsetzung seiner geopolitischen Interessen auch auf militärisch-aggressive Mittel zurückzugreifen, bestehende völkerrechtliche Verträge und Abkommen zu missachten und somit die europäische Friedensordnung zu untergraben.
Damit wurde seitens der NATO-Staaten im Sinne der Abschreckung eine stärkere Betonung der Territorialverteidigung in Europa notwendig, die auf den NATO-Gipfeln in Wales (2014) und Warschau (2016) beschlossen wurde. Diese Entwicklung machte die sehr ressourcenintensive und herausfordernde Umstrukturierung zu weltweit einsetzbaren Streitkräften in den 2000er Jahren ein Stück weit hinfällig. Die zuvor abgebauten Fähigkeiten wurden wieder gebraucht und mussten dementsprechend neu aufgebaut oder modernisiert werden.
Mehr Verteidigungsausgaben
Das russische Vorgehen erforderte aus Perspektive insbesondere der osteuropäischen NATO-Staaten eine Interner Link: (teilweise) Rückkehr zur Bündnisverteidigung, in der durch Abschreckung der russischen Außenpolitik Einhalt geboten werden soll. Deswegen wurde 2014 in Wales, neben konkreten Maßnahmen wie der Interner Link: Stationierung von (auch deutschen) NATO-Truppen in den baltischen Staaten ("Enhanced Forward Presence"), auch ein Ziel für die Erhöhung der Verteidigungsausgaben der einzelnen NATO-Staaten beschlossen: Jährlich sollen mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Streitkräfte ausgegeben werden. Damit soll eine wirksame Abschreckung gegenüber Russland aufrechterhalten werden.
In Deutschland wird das Zwei-Prozent-Ziel politisch kontrovers diskutiert. Obwohl der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Beschluss mitausgehandelt und bestätigt hatte, war spätestens im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017 eine Diskussion darüber ausgebrochen, ob die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und die Belastung der deutschen Staatsfinanzen verhältnismäßig sei. Mittlerweile hat sich die Debatte um das Zwei-Prozent-Ziel auch international emotionalisiert, da dieses von mancher Seite als Indikator für die Bereitschaft zur Bündnissolidarität herangezogen wird. Das äußert sich nicht zuletzt auch in den Forderungen des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump. Trump hat mehrfach mit einem Rückzug der USA gedroht, sollten die NATO-Mitgliedstaaten – allen voran Deutschland – nicht stärker zu den gemeinsamen militärischen und Rüstungsausgaben beitragen.
Perspektiven und Kontroversen
Die in diesem Text dargestellte Entwicklung der NATO ist stark aus deutscher Perspektive wiedergegeben. Nimmt man eine globale Perspektive ein, ergibt sich ein breiteres Bild an Herausforderungen und Probleme für die NATO, die die Zukunft des Bündnisses bestimmen könnten.
Eine strukturelle Herausforderung sind die mittlerweile weit auseinandergehenden Bedrohungswahrnehmungen der NATO-Staaten. Hier lässt sich ein klares Gefälle zwischen Nord- und Osteuropa auf der einen und Südeuropa auf der anderen Seite ausmachen. Insbesondere Polen und die baltischen Staaten, aber auch Deutschland, Norwegen und die NATO-Partnerstaaten Schweden und Finnland, blicken seit 2014 verstärkt in Richtung Osten und verstehen Russland als Bedrohung für die territoriale Integrität des NATO-Bündnisgebietes. Die ans Mittelmeer angrenzenden Mitgliedstaaten wie Frankreich, Spanien und Italien sehen sich eher durch Bedrohungen im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffs wie Terrorismus und Migration gefährdet. Diese unterschiedlichen Bedrohungswahrnehmungen führen zu abweichenden Prioritätssetzungen und damit einhergehenden strategischen Ausrichtungen der Streitkräfte in den einzelnen Mitgliedstaaten. Das könnte zukünftig auch zu Problemen oder Unklarheiten bei der Bündnissolidarität führen, wenn es darum geht, wo, wie und warum NATO-Streitkräfte eingesetzt werden sollen.
Auf globaler Ebene wird die Konkurrenz zwischen den USA und China die internationale Politik der kommenden Jahrzehnte prägen. Die Volksrepublik China stellt mit ihrem wirtschaftlichen und damit verbundenen politischen Aufstieg immer mehr die hegemoniale Vormachtstellung der USA in Frage. Darauf haben die USA bereits schon unter Präsident Barack Obama mit dem "Pivot to Asia" reagiert und mehr Aufmerksamkeit und Streitkräfte nach Asien verlagert. Damit ist jedoch zwangsläufig eine schrittweise Abkehr der USA von Europa verbunden. Diese Entwicklung wird sich in dem Maße verstärken, in dem Russland von den USA nur noch als eine regionale Herausforderung und nicht als globaler Akteur gesehen wird. In der Folge droht den Europäern, dass die USA sie immer weniger bei der Bewältigung ihrer regionalen Sicherheitsherausforderungen unterstützen können bzw. wollen.
Das bleibt in Europa nicht unbemerkt. Längst läuft eine politische Debatte, ob und wie die europäischen Staaten militärisch eigenständiger werden können, um auch ohne oder nur mit wenig Unterstützung der USA sicherheitspolitisch handlungsfähig zu sein. Inwieweit eine eigene europäische Armee eine sinnvolle Alternative oder Ergänzung zur NATO darstellen könnte oder ob es auf eine Interner Link: engere Zusammenarbeit der nationalen Streitkräfte im Rahmen europäischer Institutionen hinausläuft, ist bislang offen. In einer Situation, in der eine neue Konkurrenzsituation zwischen dem liberal-demokratischen Westen und autokratischen Akteuren wie China und Russland absehbar ist, könnten die NATO sowie der Partner USA jedoch weiterhin das Mittel der Wahl bleiben, um europäische Sicherheitsinteressen regional und global zu gewährleisten.