Woran lässt sich die Relevanz eines gesellschaftspolitischen Themas festmachen? Zum einen wohl am Ausmaß des öffentlichen Interesses, zum zweiten an der Kontroversität des Gegenstands und drittens vor allem an den Folgewirkungen der Angelegenheit für das Gemeinwesen. Gilt dieser Maßstab für die Fragen nach der demokratischen Gesinnung und daraus folgend nach dem Umgang mit der Partei Alternative für Deutschland (AfD), liegt der Stellenwert der Problematik auf der Hand: Kaum ein innenpolitisches Thema erfährt derzeit eine solche politische, mediale und wissenschaftliche Aufmerksamkeit, erhitzt derart die Gemüter, umfasst so weit auseinanderliegende Standpunkte und hat so weitreichende Konsequenzen für den politischen Wettbewerb und das Selbstverständnis der Bundesrepublik wie die Frage: Wie hält es die AfD eigentlich mit der Demokratie?
Die Einschätzungen hierzu könnten nicht verschiedener sein. So erklärte beispielsweise der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Sächsischen Landtag, Valentin Lippmann: "Dass die AfD eine Partei der Rassisten und Verfassungsfeinde ist, die auch vor der Forderung nach Menschenrechtsverletzungen nicht zurückschrecken, ist nichts Neues. Bezeichnend ist, in welch unverhohlener Dreistigkeit dies mittlerweile stattfindet." Die AfD sieht dies naturgemäß anders. So antworten die Bundesvorsitzenden Alexander Gauland und Jörg Meuthen im Presseportal der Partei vom 11. September 2018 auf die Anfrage von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, die AfD solle ihr Verhältnis zum Rechtsextremismus klären: "Die AfD steht uneingeschränkt zum Grundgesetz und verteidigt die freiheitlich-demokratische Grundordnung ebenso wie das Gewaltmonopol des Staates. Die AfD distanziert sich seit jeher und in aller Klarheit von jeglicher Form des Extremismus, sei dieser links, rechts oder religiös motiviert."
Die Gegensätzlichkeit der Auffassungen von Grünen und AfD mag auf der Hand liegen, handelt es sich doch um die Hauptkonkurrenten in der politischen Konfliktkonstellation um Zuwanderung und Fragen nationaler Identität. Doch selbst innerhalb der Unionsparteien gibt es grundverschiedene Positionen zur AfD, beispielsweise zwischen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ("hat mit einer normalen demokratischen Partei nichts zu tun") und Innenminister Horst Seehofer, der im Sommer 2018 urteilte: "Derzeit liegen die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Partei [durch den Verfassungsschutz] als Ganzes für mich nicht vor". Zu ähnlich unterschiedlichen Einschätzungen kommen die verschiedenen Landesämter für Verfassungsschutz. Nun ließe sich einwenden: Disput ist weder eine Seltenheit im politischen Wettbewerb noch eine Krisenerscheinung der Demokratie, sind doch Streit und Konflikt ebenso Grundelemente der pluralistischen Willensbildung wie Kompromiss und Konsens. Doch so einfach ist es nicht. Denn die Anerkennung von Kontroversität und die Wahrung politischer Neutralität enden, wo die Demokratie in Frage gestellt wird. Für die Politik gilt: Mit Demokraten müssen Dialog, Verhandlungen, im Zweifelsfall auch Koalitionen möglich sein; mit (Rechts-)Extremisten verbietet sich all dies. Die Medien haben den Pluralismus des Meinungsspektrums widerzuspiegeln – nicht aber Positionen jenseits der demokratischen Grundnorm zu veröffentlichen. Lehrer und Polizisten sind zu weltanschaulicher Neutralität verpflichtet – doch gegenüber extremistischen Auffassungen und Handlungen ist eindeutig Stellung zu beziehen: erstgenannte, indem Grenzverletzungen im Unterricht klar aufzuzeigen sind; letztgenannte in Form konsequenten Vollzugshandelns, wenn Straftaten wie Volksverhetzung und Propagandadelikte begangen werden.
Bleibt der demokratische oder rechtsextremistische Charakter indes ungeklärt, besteht folgende doppelte Gefahr fort – gerade mit Blick auf die Rechtsextremismusprävention: Wer zu lasch urteilt, wertet weichgespülte Rechtsextremisten auf. Wer umgekehrt zu scharf urteilt, schließt so möglicherweise demokratische, kritikwürdige, aber eben nicht verfassungsfeindliche Positionen aus dem politischen Wettbewerb aus.
Was ist (Rechts-)Extremismus, und warum fällt die Abgrenzung zur Demokratie häufig schwer?
Wenn zu klären sein soll, ob es sich bei der AfD um eine rechtsextreme Partei handelt, muss zunächst bestimmt werden, was unter Extremismus und Rechtsextremismus zu verstehen ist. Der Theorie nach ist dies plausibel: Extremismus gilt als Oberbegriff für verschiedenartige Phänomene, die auf die Abschaffung des demokratischen Verfassungsstaates zielen. Die Ausprägung des Rechtsextremismus umfasst diejenigen Strömungen, die die universelle menschliche Freiheit und Gleichheit in Frage stellen, weshalb auch von einer "Ideologie der Ungleichheit" (Wilhelm Heitmeyer) gesprochen wird. Obwohl je nach Erkenntnisinteresse und Theorietradition unterschiedliche Aspekte zur Definition herangezogen werden sowie zwischen rechtsextremen Einstellungen, Weltanschauungen und Handlungen zu unterscheiden ist, lassen sich folgende Kernelemente des Rechtsextremismus aus dem Gros der wissenschaftlichen Literatur ableiten: 1) Autoritarismus bzw. die Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur; 2) Ethnozentrismus und Antipluralismus; 3) Fremdenfeindlichkeit und Rassismus 4) Antisemitismus und Sozialdarwinismus sowie 5) Revisionismus.
In der Praxis fällt die Abgrenzung zwischen Demokratie und (Rechts-)Extremismus mitunter schwer. Warum sich das Wesen mancher Bestrebungen nicht eindeutig bestimmen lässt, hat verschiedene Gründe. Hierfür ist erstens der Bedeutungsverlust der klassischen extremistischen Ideologien zu nennen. Gerade Parteien, die nicht nur die "Szene" mobilisieren wollen, sondern auf die breite Unterstützung der Bevölkerung zielen, grenzen sich bewusst von den diskreditierten Ideen des Nationalsozialismus/Faschismus ab. Daraus resultiert zweitens eine gewachsene interne Heterogenität, sind doch gerade die erfolgreichen Parteien keine straff ideologisierten Kaderorganisationen, sondern Sammlungsparteien mit extremen und gemäßigten Flügeln. Drittens wenden Extremisten Legalitätstaktiken an. Sie verschleiern ihre wahren Absichten, um Popularität über das eigene Milieu hinaus zu gewinnen oder um staatlicher Repression zu entgehen. Viertens ist die Wandlungsfähigkeit einer Organisation zu berücksichtigen – über einen bestimmten Zeitraum hinweg kann sich das rechtsextreme Potenzial abschwächen, aber auch steigern. Und fünftens bleibt das rechtsextreme Ziel – wie die angestrebten Gesellschaftsmodelle in der Zukunft tatsächlich aussähen –gegenwärtig nicht empirisch erfahr- bzw. messbar. Folglich lässt sich nur vermuten, ob eine bestimmte antidemokratische Erscheinung, wenn sie heute die Machtmittel besäße, tatsächlich "ernst macht".
Wie lässt sich das Abgrenzungsproblem lösen – und wie nicht?
Wegen der internen Heterogenität lässt sich der demokratische oder rechtsextreme Charakter der AfD wie auch der vieler anderer Parteien in Europa nicht eindeutig bestimmen, siehe der französische Rassemblement National, die italienische Lega und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ). Sie befinden sich quasi in einer Grauzone zwischen Demokratie und Rechtsextremismus. Um die schwierige Einordnung solcher Formationen zu umschiffen, hat sich in Politik, Medien und Wissenschaft die Verwendung des (Rechts-)Populismusbegriffs etabliert: nicht eindeutig rechtsextrem, aber auch nicht einwandfrei demokratisch. Populismus gilt einerseits als Stilmittel der Politik, das sich "in der Gier nach Zustimmung von Seiten des Volkes demagogischer Parolen bedient, dem Volke nach dem Mund redet, an Instinkte appelliert und einfache Lösungen propagiert". Andererseits wird dem Populismus ein eigenständiger inhaltlicher Kern zugeschrieben – nämlich der Antagonismus von Volk und Elite. Demnach beanspruchen Populisten für sich, die Verteidiger des "wahren Volkswillens" zu sein, der in seiner Form als Rechtspopulismus in einer exklusiven nationalen Identität Ausdruck findet.
Mag die Definition von Populismus als Politikstil überzeugen (wie die politische Konkurrenz denunziert oder Wahlkampf geführt wird), so verschärft die Vorstellung vom Rechtspopulismus als "Rechtsextremismus-light-Variante" die zentrale Abgrenzungsfrage. Denn beide Begriffe liegen auf unterschiedlichen analytischen Ebenen. Rechtspopulismus kann in demokratischer und extremistischer Ausprägung auftreten. Somit verwischt die Abgrenzung zwischen Demokratie und Rechtsextremismus, wird doch durch die Sammelbezeichnung des Rechtspopulismus die entscheidende Frage nach der Verfassungsmäßigkeit nicht beantwortet. Stattdessen wächst die Beliebigkeit und Vielfalt der Interpretationen, was als rechtspopulistisch zu gelten hat, wenn die harten Kriterien rechtsextremistisch oder demokratisch unberücksichtigt bleiben. Nicht anders verhält es sich bei Verwendung der Sammelkategorie "Radikale Rechte", die Flügelgruppierungen ohne Klärung ihres Verhältnisses zur Demokratie summiert. Doch auch hier verschwindet die Abgrenzungsproblematik nicht, denn bei der Verwendung des Terminus Radikalismus ist ebenso zu definieren, wo eine radikal rechte Position anfängt bzw. aufhört, um Diffamierung nicht Tür und Tor zu öffnen.
Wie lässt sich das Abgrenzungsproblem stattdessen lösen? An der Grundunterscheidung Demokratie oder (Rechts-)Extremismus führt zunächst kein Weg vorbei. Zugleich erscheint es mit Blick auf die Unterschiede zwischen beispielsweise AfD und NPD sinnvoll, danach zu fragen, wie stark der Rechtsextremismus ausgeprägt ist. Die Binärlogik der Extremismustheorie (ja oder nein) lässt sich so mit der Messung unterschiedlicher rechtsextremer Intensität (mehr oder weniger) verbinden.
Zur folgenden Überprüfung des Rechtsextremismus sind drei Dimensionen zu berücksichtigen. Erstens ist die AfD hinsichtlich der rechtsextremen Kernelemente zu untersuchen: 1) Autoritarismus bzw. die Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur; 2) Ethnozentrismus und Antipluralismus; 3) Fremdenfeindlichkeit und Rassismus 4) Antisemitismus und Sozialdarwinismus sowie 5) Revisionismus. Lassen sich solche Faktoren innerhalb der Partei nachweisen, stellt sich zweitens die Frage, welchen Stellenwert diese innerhalb der AfD haben. Entscheidend ist, ob es sich um eine geächtete Außenseiterposition handelt oder eine Ansicht der Parteispitze, eine geduldete Minderheitenposition oder um die Mehrheitsmeinung. Drittens muss geklärt werden, wie die AfD mit anderen antidemokratischen Strömungen umgeht. Ist sie willens und in der Lage, sich von offen rechtsextremen Kräften wie der NPD, den "Szenen" und politisch motivierten Gewalttätern abzugrenzen?
Demokratie oder Rechtsextremismus – Wo steht die AfD?
Ideologisch-programmatische Positionen
Offene Forderungen, die Demokratie in Deutschland abzuschaffen und stattdessen ein autoritäres politisches System zu errichten, lassen sich in den offiziellen Parteidokumenten nicht nachweisen. Jedoch werden in Reden, Medienbeiträgen, Interviews sowie der Kommunikation in den sozialen Netzwerken von einzelnen Mitgliedern immer wieder unverhohlene Drohungen ausgesprochen. So erklärte der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke bei seiner Dresdner Rede am 17. Januar 2017: "Die AfD ist die letzte evolutionäre, sie ist die letzte friedliche Chance für unser Vaterland." Im Umkehrschluss bedeutet dies nichts anderes als die Forderung nach einer gewaltsamen Revolution, die als Widerstandshandlung legitimiert wird, sollte es der AfD nicht gelingen, "diesen Staat, den wir erhalten wollen, vor den verbrauchten politischen Alteliten zu schützen, die ihn nur missbrauchen, um ihn abzuschaffen." In einem Gesprächsband von 2018 gibt sich Höcke – anders als es der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland tut – nicht einmal mehr die Mühe, seine Diktaturvorstellungen zu chiffrieren: "Existenzbedrohende Krisen erfordern außergewöhnliches Handeln. [...] Aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, daß wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen." Noch weiter geht der AfD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Büroleiter Höckes, Jürgen Pohl, der ein angebliches Gedicht von Theodor Körner zitiert, das seit den 1990er Jahren in der neonationalsozialistischen Szene kursiert: "Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten. [...] Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten, dann richtet das Volk. Dann gnade euch Gott!" Die Thüringer AfD äußert zu Pohls Auftritt auf der Landeswahlversammlung am 18. Februar 2017, dass "dessen bewegende Rede sicher noch vielen Anwesenden im Gedächtnis bleiben wird". In der Erfurter Resolution des rechtsgerichteten Flügels innerhalb der AfD wird die Partei als "Widerstandsbewegung" definiert, worin der Politikwissenschaftler Jürgen P. Lang nichts anderes als eine Kampfansage an die freiheitlich demokratische Grundordnung sieht. Der Autoritarismus bei Höcke zeige sich zudem darin, dass individuelle Freiheit für ihn kein Grundwert der Demokratie sei, sondern eine Bedrohung der "sozialen Gesellschaft".
Die Fundamentalkritik am demokratischen System Deutschlands geht mit einem dezidierten ethnozentrischen Antipluralismus einher. Für große Teile der Parteiführung und -basis bedeutet Demokratie nicht Interessenvielfalt und Minderheitenschutz, sondern sie vertreten ein identitätstheoretisches Gesellschaftsverständnis, das von einer weitgehenden Interessenhomogenität ausgeht. Demnach existiert nur ein einheitlicher Volkswille, der im Wesentlichen auf der Vorstellung ethnischer Homogenität beruht. Wer sich gegen solche Positionen wendet, wird als "Volksverräter" geschmäht und als nicht dem Volk zugehörig ausgegrenzt. Zwei Beispiele unter vielen: In der Erfurter Resolution heißt es, die AfD versteht sich "als Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte (Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit), [...] als Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands." Noch deutlicher macht Markus Frohnmaier, Bundesvorsitzender der Jungen Alternative von 2015 bis 2018 und vor seinem Einzug in den Bundestag 2017 Sprecher von Alice Weidel, sein Volksverständnis: "Ich sage diesen linken Gesinnungsterroristen, diesem Parteienfilz ganz klar: Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht – denn wir sind das Volk, liebe Freunde."
Der Instrumentalisierung des Leitmotivs der Friedlichen Revolution 1989/90 "Wir sind das Volk" – damals ein Ausdruck gegen die Willkürherrschaft der SED-Diktatur – ist entgegenzuhalten: Nein, die AfD ist eben nicht Das Volk. Sie ist ein beträchtlicher Teil davon, aber bei weitem nicht die Mehrheit. Und selbst wenn die AfD die Mehrheitsmeinung vertreten würde, müssten grundlegende Rechte und Interessen der Minderheiten geschützt bleiben: das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Religionsausübung, auf Besitz, Unversehrtheit usw. Alles andere liefe auf die Errichtung einer Diktatur mit Privilegien für jene hinaus, die sich dem von der AfD definierten Volksbegriff zugehörig fühlen. Dass indes große Bevölkerungsteile andere Ansichten bei Fragen zur nationalen Identität und Zugehörigkeit haben als die AfD, ignorieren oder verurteilen manche Vertreter der Partei. Wer die "Altparteien" unterstützt, ist entweder Nutznießer des korrupten Systems oder zu dumm, den Verrat am Vaterland zu durchschauen – in beiden Fällen jedoch unwürdig, dem "wahren" deutschen Volk anzugehören.
Grundsätzlich ist die Frage, wie ein Staat mit Ausländern und Zuwanderern umgeht, keine von Extremismus und Demokratie, ebenso wie strenge Visaregeln oder eine rigorose Flüchtlingspolitik kein Ausdruck eines autoritären Systems sind (z. B. Australien, Italien). Die Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit der AfD jedoch kommt teilweise als unverhohlener Rassismus daher. Abfällige, chauvinistische Äußerungen über Menschen nicht-deutscher Herkunft, Ethnie und Religion sind Legion. Der AfD-Rassismus begrenzt sich zudem nicht auf Ausländer, sondern richtet sich auch gegen deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund – vor allem, wenn diese einen muslimischen Hintergrund haben. Ihnen die gleichen Rechte, ihre Religionsfreiheit, ihre Existenz in Deutschland abzusprechen, läuft auf die Ablehnung der fundamentalen menschlichen Gleichheit hinaus.
Wie rechtfertigt die AfD ihren Rassismus und ihre Fremdenfeindlichkeit? Sie spricht – ähnlich der NPD – von der "Vernichtung des Deutschen Volkes", von der "Umvolkung", vom "großen Austausch" und dem "Volkstod". Das deutsche Volk wird als Schicksalsgemeinschaft verstanden, das durch die Förderung von Zuwanderung und einer multikulturellen Gesellschaft vor dem Aussterben stehe. Dieses Szenario rechtfertigt zahlreichen und namhaften AfD-Politikern sämtliche rhetorischen Mittel. So bezeichnet der Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz Flüchtlinge als "Invasoren" und "Migrassoren" sowie den früheren US-Präsident Obama als "Quotenneger". Gauland sprach davon, die Integrationsbeauftrage Aydan Özoguz nach Anatolien "entsorgen" zu wollen. Besonderen Aufruhr erzeugte die von AfD-Anhängern umjubelte Aschermittwochsrede des damaligen AfD-Chefs von Sachsen-Anhalt André Poggenburg im Februar 2018 (der im Januar 2019 nach massivem internen Druck aus der Partei ausgetreten ist). Er bezeichnete Deutschtürken als "Kümmelhändler" und "vaterlandsloses Gesindel": "Diese Kameltreiber sollen sich dorthin scheren, wo sie hingehören, weit, weit, weit hinter den Bosporus, zu ihren Lehmhütten und Vielweibern. Hier haben sie nichts zu suchen und zu melden." Die ausländerfeindlichen Aussagen haben zwei zentrale Botschaften: Erstens seien aus Afrika und dem Nahen Osten stammende Menschen kulturell unterentwickelt und kriminell, weswegen zweitens das deutsche Volk in seiner Existenz elementar bedroht werde.
Antisemitismus und Sozialdarwinismus sind innerhalb der AfD dagegen keine verbreiteten Positionen. So fallen auch die Rechercheergebnisse der Wochenzeitung Die Zeit über den "latenten Antisemitismus" der Partei und des ZDF-Politmagazins Frontal eher knapp aus. Verwiesen wird zuvörderst auf den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der jedoch in der AfD selbst hochumstritten ist. Laut einem Gutachten des Dresdner Politikwissenschaftlers Werner Patzelt verbreite Gedeon zwar keinen Judenhass, keinen biologisch-rassistischen Antisemitismus und leugne nicht den Holocaust, wohl aber vertrete er einen israelkritischen Antizionismus bzw. Antijudaismus: "[...] der lässt sich aber nicht vom Antisemitismus trennen". Für Björn Höcke stellen Christentum und Judentum "einen Antagonismus dar", der diese Aussage jedoch nicht als Kritik am Judentum verstanden wissen will, sondern der Versuch sei, der Verwässerung jüdischer und christlicher Identität entgegenzuwirken.
Auch beim Antisemitismus ähnelt die AfD-Haltung der vieler Rechtsextremisten in Europa : Die Distanzierung vom Antisemitismus und die Bezugnahme auf eine christlich-jüdische Kultur dienen als Frontstellung gegen den Islam und die Muslime. Nicht zuletzt die am 7. Oktober 2018 gegründete Vereinigung "Juden in der AfD" richtet sich nach deren Selbstverständnis gegen "die unkontrollierte Masseneinwanderung junger Männer aus dem islamischen Kulturkreis" und eine "durch die islamische Ideologie bedingte[n], antisemitische[n] Sozialisation". Auch die sozialdarwinistische Ideologie des Nationalsozialismus von der Überlegenheit der weißen Rasse und der germanischen Völker gegenüber minderwertigen "Untermenschen" lässt sich der AfD nicht nachweisen. Analog zu den Entwicklungen in anderen europäischen Staaten werden Rassismus und Ausländerfeindlichkeit heute überwiegend nicht offen biologisch, sondern kulturell begründet. Euphemistisch ist von "Ethnopluralismus" die Rede – maßgeblich geprägt durch den französischen Rechtsintellektuellen Alain de Benoist –, wonach jeder "Ethnie" oder "Rasse" ihr Existenzrecht gebilligt wird, jedoch strikt getrennt nach den traditionellen Herkunftsräumen, um die Reinheit der verschiedenen Völker zu sichern. So macht z. B. Höcke die nationale Identität an Kultur und Geschichte, nicht am "Deutschen Blut" fest: "Wir, das deutsche Volk, sind eben nicht verpflichtet, unsere materielle und kulturelle Substanz [...] im eigenen Land auf Dauer einer fremdbestimmten Migrantenmehrheit zu opfern."
Im Widerspruch zur Abgrenzung von Antisemitismus und Sozialdarwinismus der AfD stehen zahlreiche Beispiele der Verharmlosung des Nationalsozialismus. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Jens Maier spricht in der Diktion der NPD vom "Schuldkult", der Parteivorsitzende Gauland bezeichnet die zwölf Jahre des Nationalsozialismus als "Vogelschiss der Geschichte", Höcke nennt das Holocaustmahnmal in Berlin "Denkmal der Schande" und "dämliche Erinnerungspolitik" und fordert "eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad". Was die AfD nicht sagt: Was wäre denn die Alternative zur hiesigen Erinnerungskultur? Vergessen im besseren Fall, das Gedenken an die "Heldentaten" von Wehrmacht und SS im schlimmeren Fall? Zumal die Behauptung einer verengten Geschichtsbetrachtung auf die Zeit des Dritten Reiches schlicht unzutreffend ist: Deutschland, das Land der Dichter und Denker, der Wissenschaft, des Wirtschaftswunders im Westen und der friedlichen Revolution im Osten – es gibt zahlreiche positive Referenzpunkte der deutschen Geschichte. Aber: Die Verbrechen des Nationalsozialismus zählen ebenso dazu wie der von Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg und der einmalige Zivilisationsbruch eines industriell geplanten und durchgeführten Massenmordes an Millionen Juden. Der deutsche "Schicksalstag" des 9. Novembers bringt all diese Ambivalenzen zum Ausdruck: die Ausrufung der Novemberrevolution 1919 und der Mauerfall 1989 im positiven Sinne; der Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 und die Reichspogromnacht 1938 im Negativen. Das ist die Realität deutscher Erinnerungskultur.
Stellenwert rechtsextremer Positionen in der AfD
Die Frage nach der Größenordnung rechtsextremer Positionen in der AfD zeigt ein ambivalentes Bild. Einerseits ist die Mehrheit der Parteibasis als auch der Parlamentarier als demokratisch einzustufen. Nach Recherchen der ARD gehört allerdings etwa ein Viertel bis ein Drittel der Mitglieder den in Teilen rechtsextremen parteiinternen Gruppen Der Flügel und Patriotische Plattform an. Gleiches gilt für Einordnungen der Bundestagsabgeordneten (etwa 20 von 93). Auch im 14-köpfigen Parteivorstand zählt die Mehrheit zum demokratischen Lager. Zugleich ist der Flügel in der Parteispitze mit Frank Pasemann (Bundesschatzmeister) und Andreas Kalbitz (AfD-Chef in Brandenburg) präsent. Dass die rechtsextremen Vertreter zwar nicht das Machtzentrum dominieren, aber mehr sind als nur Hinterbänkler, zeigt sich auch mit Blick auf die Landesverbände – vor allem im Osten Deutschlands. Die Vorsitzenden der Landesverbände Brandenburg (Kalbitz), Thüringen (Höcke), Sachsen (Jörg Urban) und Sachsen-Anhalt (bis Anfang 2018 Poggenburg, seitdem Martin Reichardt und an der Fraktionsspitze Oliver Kirchner) gehören allesamt dem völkisch-nationalen Flügel der AfD an, teilweise sind sie Mitunterzeichner der Erfurter Resolution. Zugleich suchen die Bundesparteivorsitzenden Gauland und Jörg Meuthen den Schulterschluss mit den Hardlinern, wie deren Teilnahme am Jahrestreffen des Flügels, dem Kyffhäusertreffen in Thüringen 2018, zeigt.
Im Umgang mit offen rechtsextremen Positionen folgt die AfD keiner klaren Linie: Zwar wurde Poggenburg nach seiner Aschermittwochsrede der Rücktritt nahegelegt, jedoch vertreten seine Nachfolger im Wesentlichen die gleichen Positionen. Auch kam es nicht zu den Parteiausschlüssen der umstrittenen Mitglieder Höcke, Maier und Gedeon (auch wenn die AfD im letztgenannten Fall einen neuen Versuch unternimmt) – im Gegenteil: Höcke ist Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Thüringen im Herbst 2019. Wenn eine Distanzierung erfolgt, dann ist diese meist nicht inhaltlich, sondern taktisch motiviert. So sollen die Patriotische Plattform und die Junge Alternative aufgelöst werden, um eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu verhindern, nicht weil man sie für verfassungsfeindlich hält. So sagt der Landtagsabgeordnete aus Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, die Patriotische Plattform sei gegründet worden, um sich gegen die gemäßigten Strömungen von Bernd Lucke und Frauke Petry zu positionieren. Dieses Ziel sei längst erreicht: "Wir können alles, was wir sagen und tun wollen, auch auf allen Ebenen der AfD sagen und tun." Um den AfD-Kurs finden nicht zuletzt massive innerparteiliche Auseinandersetzungen statt. Das zeigte sich zunächst im Machtkampf um Parteigründer Bernd Lucke 2015, der die Entwicklung von einer eurokritischen zu einer zuwanderungsfeindlichen Partei nicht mitmachen wollte und im Machtkampf unterlag. Gleiches geschah nach der Bundestagwahl 2017 mit Frauke Petry, wobei die Auseinandersetzung hier weniger eine inhaltliche als vielmehr eine machttaktische war. Verließen mit Lucke, Petry und deren Gefolgsleuten eher gemäßigte Kräfte die Partei, räumte mit dem Austritt Poggenburgs Anfang 2019 ein Hardliner das Feld. In der Gründungserklärung seiner neuen Partei Aufbruch deutscher Patrioten (AdP) heißt es, dass sich die AfD "zu schnell dem Establishment annäherte". Das Konfliktpotenzial belegen ferner stark zerrüttete Landesverbände (Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen) und die Aussagen mancher ehemaliger AfD-Politiker. Hier ist jedoch häufig unklar, ob die Austritte tatsächlich als Zeichen des Protests gegen den Kurs der Partei oder eher als Folge persönlicher Konflikte und unerfüllter Karriereambitionen zu bewerten sind. Fest steht: Die AfD prägt ein massiver interner Richtungsstreit: Völkisch-nationale Kreise bezeichnen gemäßigte Positionen als "Scheinalternative", während die Alternative Mitte fordert, die "AfD sollte Höcke endlich in hohem Bogen aus der Partei werfen".
Umgang mit offen rechtsextremen Kräften
Auch im Verhältnis zu eindeutig rechtsextremen Kräften offenbart die AfD keine klare Linie. So existiert einerseits eine 13-seitige Liste von Organisationen, für die eine offizielle Unvereinbarkeit mit der AfD-Mitgliedschaft gilt. Hierzu zählen Parteien wie die NPD und Die Rechte, Reichsbürger- und Kameradschaftsszene, die meisten GIDA- und Pro-Bewegungen sowie die Identitäre Bewegung (IB). Gleiches galt seit Beginn der Demonstrationen 2015 auch für PEGIDA, allerdings wurde der Beschluss im Mai 2018 aufgehoben, was von Anhängern des Flügels ausdrücklich gelobt wurde. Ob die Annäherung ein Indiz für den Rechtsextremismus der AfD ist, wird kontrovers bewertet, sind doch Partei und Bewegung bei Fragen zu Migration und Integration aus ähnlichem Holz geschnitzt und der Charakter von PEGIDA ebenso umstritten wie der der AfD. Die Distanz war ohnehin weniger inhaltlicher Natur, sondern vielmehr der Versuch der AfD, sich vom kleinkriminellen Milieu um die Person Lutz Bachmann abzugrenzen.
Anderseits liegen gewichtige Anhaltspunkte für eine Zusammenarbeit der AfD mit rechtsextremen Personen und Organisationen vor. Dokumentiert sind große Schnittmengen zur IB, deren Anhänger als Mitarbeiter bei der AfD beschäftigt sind, die Räumlichkeiten und Infrastruktur der Partei nutzen und als Referenten bei AfD-Veranstaltungen auftreten. Ähnliches gilt für ehemalige Mitglieder in Burschenschaften, der NPD-Nachwuchsorganisation Junge Nationalisten und der Kameradschaftsszene, die in der Partei aktiv sind. Zwar ist jedem Menschen ein politischer Wandlungsprozess zuzugestehen und es gilt eben nicht die verbreitete Meinung "einmal Nazi – immer Nazi". Jedoch fehlt bei vielen AfD-Mitgliedern mit rechtsextremer Vorgeschichte eine klare Distanzierung von der Vergangenheit. Bei eigenen Veranstaltungen oder in der internen Kommunikation zeigen zahlreiche Belege ein vielfach unverändertes Denken oder, dass manche Positionen aus strategischen Gründen abgemildert werden – es sich um bloße Lippenbekenntnisse zum demokratischen Verfassungsstaat handelt.
Wenn sich bei Demonstrationen der AfD auch offen rechtsextreme Personen versammeln, verweist die Partei darauf, dass sie nichts dafür könne, wenn solche Kräfte teilnähmen. Das ist jedoch allenfalls die halbe Wahrheit. Denn teilweise forciert die AfD die Zusammenarbeit selbst, wie der Schulterschluss nach dem tödlichen Messerangriff in Chemnitz mit der hiesigen Pro-Bewegung während des gemeinsamen "Trauermarsches" am 31. August 2018 zeigt. So spricht der Pro-Vorsitzende Martin Kohlmann von einem "Systemwechsel", von "Selbstverteidigung gegen Ausländer" und unterhält aktive Kontakte zur rechtsextremen Szene. Laut sächsischem Verfassungsschutz sei Pro Chemnitz "tief in der rechtsextremen Szene vernetzt" und es lägen Verhaltensweisen vor, "die wesentliche Schutzgüter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekämpfen." Sich mit solchen Formationen gemein zu machen, widerspricht nicht nur den eigenen Unvereinbarkeitsregeln, sondern auch dem Selbstanspruch, eine Partei der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu sein.
Fazit – Ist die AfD rechtsextrem und welche Schlüsse folgen daraus?
Jenseits aller berechtigten Kritik und unabhängig von der inhaltlichen und personellen Heterogenität – es handelt sich bei der Alternative für Deutschland meiner Einschätzung nach mehrheitlich um eine demokratische Partei. Das gilt für Wähler, Basis und Führung gleichermaßen. Vor allem ist die Partei keine neonationalsozialistische, keine "Nazi-Partei", da sowohl die Zurückweisung des Antisemitismus als auch der Rassenlehre der Nationalsozialisten umfassend und glaubhaft erfolgt. Zugleich und im Widerspruch dazu steht eine Reihe verharmlosender Aussagen zum NS-Regime, ebenso gibt es zahlreiche Belege für rassistische und antipluralistische Positionen. Zudem sind es keine isolierten Außenseiterpositionen, sondern bis in die Parteispitze hinein verankerte oder zumindest geduldete Auffassungen. Mit dem Verweis darauf, als neue Volkspartei unterschiedliche Strömungen integrieren zu wollen, wird das Dasein rechtsextremer Haltungen verteidigt – dies sei bei anderen Parteien mit verschiedenen Flügeln nicht anders. Dabei wird jedoch der wesentliche Unterschied zur demokratischen Konkurrenz unterschlagen: dass sich ein Teil der AfD außerhalb des demokratischen Meinungsspektrums bewegt. Solange die Gesamtpartei keine eindeutige Distanzierung von derartigen Positionen und ihren Vertretern vornimmt, ist sie als "weiche" rechtsextreme Partei zu charakterisieren.
Die Folge: Da der Rechtsextremismus in der AfD nicht vollständig isoliert ist, ist die Einbindung im politischen Wettbewerb in Form von Koalitionen aus demokratietheoretischer Sicht problematisch. Umgekehrt sollte nicht jede Position der AfD per se als rechtsextrem zurückgewiesen werden, sondern geprüft werden, ob sie demokratisch ist. Sonst würde es die Ablehnung des politischen Systems unter AfD-Anhängern nur noch vergrößern, die Vorurteile der Ausgrenzung bestätigen und die gesellschaftliche Polarisierung verstärken. Darum ist im Umgang mit der Partei und ihren Sympathisanten zu differenzieren: Die glaubhaft demokratischen Kräfte sollten durch Dialogangebote in den Willensbildungsprozess einbezogen werden, was erstens den Ausgrenzungsvorwurf widerlegen würde und zweitens manche verhärtete Front lösen könnte. Den rechtsextremen Bestrebungen in der AfD ist dagegen in aller Klarheit die Unvereinbarkeit solcher Auffassungen mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung entgegenzuhalten. Und solange hat auch die politische Bildung – unabhängig von weltanschaulicher Neutralität – auf rechtsextremistische Grenzüberschreitungen hinzuweisen. Eine "normale" Partei kann die AfD nur sein, wenn sie Farbe zur Demokratie bekennt und ihre Doppelstrategie von bürgerlicher Protestpartei hier und rechtsextremer Antisystempartei da aufgibt.