Einleitung
An das "Ende der Geschichte" und den "Sieg" des demokratischen Systems, wie vor mehr als zwei Jahrzehnten bereits verkündet wurde,
Ideengeschichtliche Bandbreite
Der Begriff Identität ist relativ jung. Er findet zwar schon in einigen Lexika des frühen 19. Jahrhunderts bei der Erklärung von Wörtern wie Derselbe oder Einerley Verwendung
Durch die von Rene Descartes entwickelte Erkenntnistheorie erfuhr die Identitätstheorie für das neuzeitliche Verständnis eine wesentliche Prägung. Mit seiner Definition der Substanz als etwas dauerhaft Seiendes, das in jedem Ding als Träger seiner Eigenschaften fungiert, bereitet er die Grundlage einer substantiellen Identitätskonzeption. Denn daraus leitet sich ab, dass jeder Mensch zeitlebens über einen ihm inhärenten, d.h. innewohnenden Wesenskern verfügt, in dem alle Grundzüge seiner selbst verankert seien. Die äußere Erscheinungsform, das Verhalten, sei demnach immer identisch mit dem inneren Wesenskern des Menschen.
Erst ab diesem Zeitpunkt etablierte sich eine alternative Vorstellung innerhalb der Wissenschaften. Ausgehend von Sigmund Freuds Konzept der Identifizierung als psychischem Mechanismus verbreitet sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dessen Popularisierung auch die Idee einer prozesshaften Identität.
Grundsätzlich lassen sich in der ideengeschichtlichen Begriffsrekonstruktion also zwei identitätstheoretische Grundauffassungen feststellen: Substanz und Prozess. Welche von beiden Vorstellungen ist nun in unseren heutigen Gesellschaften vorzufinden?
Gegenwartsdiagnose: theoretische Konzepte von Identität
Ein prozesshaftes Verständnis der Identität scheint geeigneter zu sein, um die zeitgenössischen Gesellschaften und deren Akteure zu erklären, als es der Gegenentwurf einer substantiellen Identitätsdefinition vermag. Diese Vermutung stützen die Entwicklungen in den identitätsthematischen Forschungsbereichen der letzten Jahrzehnte. Um sich die Gründe dafür vergegenwärtigen zu können, muss zuerst einmal erläutert werden, wie Identität in einem prozesshaften Konzept konstituiert werden kann.
Wenn Identität nicht eine feste, gegebene Entität sein soll, muss sie permanent gebildet werden. Weil dabei das Umfeld als Produktionsstätte der potentiellen Identitätskategorien fungiert, in dem durch Normen, Rollenmuster, Praktiken, Gesetzlichkeiten, Sprache usw. die potentiellen Identitätskategorien überhaupt erst geformt werden,
Prozesshafte Identität wird also in der Begriffstheorie als eine temporäre, vielfältige und relative Erscheinungsform verstanden, die im Verhältnis zur situativen Umwelt, den eigenen Selbstbildern und Moralvorstellungen, den sozio-kulturellen Denkweisen und Verhaltensnormen gebildet wird. Der Vorteil eines solchen Begriffsverständnisses besteht darin, dass die zeitgenössischen komplexen und vielschichtigen gesellschaftlichen Wirklichkeiten berücksichtigt und die Vielheit an individuellen Ichformen im Einzelnen erklärt werden können. Im Zentrum der Betrachtung stehen nicht stereotype und allgemeine Erklärungsmuster, die sich an zentralen Kategorien wie Nationalität, Milieu, Geschlecht usw. orientieren. Der Blick wird auf die feingliedrige, individuelle Konstellation gerichtet. Mithilfe einer prozesshaften Identitätskonzeption kann ein verständliches Erklärungsmodell entwickelt werden, das für das Spannungsfeld individueller Selbstbestimmung und struktureller Wirkmächtigkeit in der Identitätsausbildung eine hybride Lösungsmöglichkeit bietet. Denn in einem Zeitalter, in dem der Einzelne permanent mit Entscheidungssituationen konfrontiert wird,
Identitätsvorstellungen im politischen Meinungsstreit: Analyse des rechtspopulistischen Identitätsbegriffes
Die Grundmaxime in rechtspopulistischen Identitätsvorstellungen
Der Identitätsbegriff fungiert im rechtspopulistischen Vokabular also häufig als Vermittler einer völkisch-nationalistischen Ideologie, in der eine klare und eindeutige Lebenswelt entworfen wird. In dieser Lebenswelt sind die individuellen Rollen und Aufgaben sowie der Lebenssinn eines Einzelnen fest bestimmt. Prinzipien der Homogenisierung, Exklusion und Simplifizierung werden – mitunter im Zusammenhang mit einem rassistischen Weltbild – unter dem Begriff der Identität verborgen. Als Legitimationsrekurs dient eine Vergangenheit, die als "pseudotraditionelle"
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