Alexander Häusler | Pro
Seit den ersten Wahlerfolgen der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) wird darüber debattiert, wo diese Partei politisch auf dem rechten Feld zu verorten sei: Ist sie rechtspopulistisch oder nationalliberal bzw. nationalkonservativ oder rechtsradikal oder gar rechtsextrem? Die Einordnung ist deshalb nicht einfach, weil es sich bei der AfD um eine Partei im Wandel, sozusagen um ein 'politisches Chamäleon' handelt: Entstanden als rechte Anti-Euro-Partei, vollzog die Partei im Laufe ihres kurzen Werdegangs einen Wandel in Richtung hin zu einer radikal rechts orientierten Anti-Establishment-Partei. Dieser Wandel hat viel mit dem innerparteilichen Führungswechsel zu tun. Schon in ihrer Gründungszeit bestand die AfD aus drei unterschiedlichen rechtsorientierten politischen Milieus: einem nationalliberalen, einem nationalkonservativen und einem radikal rechts orientierten Milieu mit offener Flanke zu rechtsextremen Strömungen.
Nach der Abwahl von Bundessprecher Bernd Lucke und dessen Gründung der erfolglosen AfD-Nachfolgepartei ALFA fokussierte sich die AfD propagandistisch stärker auf das Einwanderungsthema und positionierte sich deutlicher radikal rechts. Dies lässt sich auch anhand ihrer veränderten Positionierung im Europaparlament veranschaulichen: So war die AfD nach ihrem erfolgreichen Einzug in das Europaparlament 2014 zunächst der Fraktion der europaskeptischen Konservativen und Reformisten (ECR-Fraktion) unter Führung der britischen Tories beigetreten. Zu radikal rechten Kräften wie der französischen Front National (FN) und der österreichischen FPÖ bekundete die AfD-Parteispitze zu jener Zeit noch mehrheitlich Abstand. Dies änderte sich grundlegend nach der Abwahl von Lucke: Während die AfD-Abspaltung Alfa unter Führung von Lucke derzeit noch im Europaparlament Mitglied in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) ist, traten die verbliebenen AfD-Parlamentarier Beatrix von Storch und Marcus Pretzell ihren Weg nach Rechtsaußen an: Von Storch trat über zur rechtspopulistischen EFDD-Fraktion unter Führung der britischen UKIP und Pretzell zur radikal rechten ENF-Fraktion. Neben der FPÖ sind in der ENF-Fraktion u.a. der rechtsextreme Front National sowie die rassistische Lega Nord aus Italien aktiv. Das bedeutet: Die AfD schwenkte um von einer ursprünglich euroskeptisch/pro-atlantisch ausgerichteten Positionierung hinüber in das radikal rechte antieuropäische Lager. Führende Funktionäre beschreiben ihre Partei nun wahlweise als eine "Pegida-Partei" oder eine "fundamental-oppositionelle Bewegungspartei".
Trotz dieses Wandels ist die AfD grundsätzlich eine rechtspopulistische Partei. Auf dem Gründungsparteitag der AfD am 14. April 2013 hielt ihr früherer Bundesprecher Konrad Adam eine Rede, in der er zum Populismus Stellung bezog: "Wenn unsere Volksvertreter ihre Aufgabe darin sehen, das Volk zu entmündigen, sollten wir selbstbewusst genug sein, den Vorwurf des Populismus als Auszeichnung zu betrachten", erklärte er unter großem Zuspruch seiner Zuhörerschaft. Zwar inszenierte sich die AfD von Beginn an als einzigartige Partei in Kontrast zu den "Alt-Parteien" (im AfD-Jargon) – real stellt sie hingegen ein Konglomerat aus zumeist ehemaligen Parteigängern der CDU, CSU, FDP sowie ehemaligen Mitwirkenden aus rechtspopulistische Parteien wie dem Bund freier Bürger (BFB), der Partei Die Freiheit (DF), den Republikanern (REP) und der Schill-Partei dar. Vom BFB kopierte die AfD die Anti-Euro-Rhetorik, von der DF deren muslimfeindlichen Kampagnenstil und von den REP deren fremdenfeindlichen Populismus. Zugleich dienen der Partei erfolgreiche rechtspopulistische Parteien in unseren Nachbarländern wie die FPÖ oder die SVP als Vorbilder.
Was ist Rechtspopulismus?
Unter Rechtspopulismus ist eine spezifische Form von Inszenierung bzw. politischem Stil zu verstehen. Der konstruierte Gegensatz zwischen Volk und Elite kann als dessen "Basiserzählung" verstanden werden. Dabei wird "das Volk" als ethnisch homogenisierter Begriff für die unterschiedlichen Partikularinteressen angestammter Bevölkerungsteile in Kontrast zu der "politischen Klasse" gesetzt, welche angeblich "volksfeindliche" Ziele verfolge. Den bewusst gewählten Außenseiterstatus rechtspopulistischer Parteien (als selbstinszenierte "Anwälte des Volkes" gegen "die Elite") versinnbildlicht eine Wahlkampfparole des verstorbenen Rechtspopulisten Jörg Haider: "Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist." In leicht abgewandelter Form ging die AfD im Herbst 2016 mit dieser Parole in Niedersachsen in den Kommunalwahlkampf.
Die rechtspopulistische Ansprache beinhaltet zugleich ein Zugehörigkeitsangebot ("Wir"-Konstruktion) wie ein personalisiertes Feindbildangebot ("Die Anderen"). Als Feindbilder dienen in der rechtspopulistischen Ansprache wahlweise u.a. Zuwanderer, Asylsuchende, Muslime, emanzipatorische Bewegungen oder das sog. "Establishment". Dies bedeutet: Sowohl Parteien extrem/radikal rechten Ursprungs wie etwa der FN und die FPÖ als auch Parteien wirtschaftsliberalen und konservativen Ursprungs wie die PVV und die SVP können zur rechtspopulistischen Parteienfamilie gezählt werden, weil sie strukturähnliche Merkmale ihrer Agitation und Feindbildsetzungen aufweisen und sich politisch aufeinander beziehen. Auch Donald Trump, das neue agitatorische Vorbild für Europas Rechtspopulisten, hat mit einem solchen politischen Stil Wahlkampf betrieben.
Dies zeigt, dass die Kategorisierung "rechtspopulistisch" allein zur politischen Verortung einer Partei nicht ausreicht, denn sowohl nationalkonservative wie auch radikal rechte Parteien können sich rechtspopulistisch inszenieren. Allerdings hilft der Begriff des Rechtspopulismus zur Beschreibung und zum Verständnis verbindender Merkmale und Wirkungen unterschiedlicher rechter Parteien und Strömungen.
Bezogen auf die AfD bedeutet das: Ihre rechtspopulistische Inszenierungsform stellt die verbindende Klammer dar zwischen ihren nationalkonservativen, nationalliberalen und ihren innerparteilich immer stärker werdenden radikal rechten Strömungen. Ohne ihre rechtspopulistischen Inszenierungen sind ihre Wahlerfolge nicht zu erklären.
Oskar Niedermayer | Contra
Die AfD sollte nicht als rechtspopulistische Partei bezeichnet werden. Dafür gibt es vier Gründe: Erstens ist aus dem Begriff "rechtspopulistisch" ein inflationär gebrauchter politischer Kampfbegriff im Parteienwettbewerb geworden. So werden z.B. Horst Seehofer und die CSU wegen ihrer Haltung zum Flüchtlingsthema von einigen in die rechtspopulistische Ecke gestellt, obwohl auf sie das zentrale Element jeder Populismusdefinition – die Anti-Establishment-Orientierung, d.h. die Opposition gegen die politischen und gesellschaftlichen Eliten – gerade nicht zutrifft. Zweitens gibt es trotz unbestreitbarer Fortschritte in der theoretischen Diskussion um das Konzept des Rechtspopulismus in der Wissenschaft immer noch keine einheitliche, allgemein geteilte Auffassung darüber, welche Definitionsbestandteile zwingend zu diesem Konzept gehören. Zudem treten bei seiner Anwendung Operationalisierungsschwierigkeiten auf, d.h. Unklarheiten und Interpretationsspielräume in der Zuordnung bestimmter Parteien zu einer solchen Parteifamilie, die auch in international vergleichenden Studien zu unterschiedlichen Listen von rechtspopulistischen Parteien führen. Drittens enthalten moderne Rechtspopulismuskonzepte immer zwei Komponenten: eine ideologieunabhängige Komponente, die beschreibt, was unter Populismus zu verstehen ist, und eine ideologische Komponente, die verdeutlicht, was am Rechtspopulismus rechts ist.
Was ist Populismus?
Unter Populismus wird meist eine Anti-Establishment-Orientierung und Volkszentrierung verstanden. "Rechts" ist dieser Populismus dann, wenn die Abgrenzung gegenüber bzw. Ausgrenzung von bestimmten Gruppen, z.B. ethnischen Minderheiten oder Flüchtlingen, die als Bedrohung des Gemeinwesens empfunden werden, hinzukommt. Geht man nur nach diesem Kriterium, dann können Parteien, deren ideologische Orientierung von nationalkonservativ bis rechtsextremistisch reicht, der rechtspopulistischen Parteienfamilie zugerechnet werden, wodurch die sinnvolle Grenzziehung zwischen nicht extremistischen und extremistischen Parteien aufgehoben wird. Führt man aber ein Zusatzkriterium zur Abgrenzung von extremistischen Parteien ein, wie es diejenigen Autoren tun, die eine offene Feindschaft gegenüber dem demokratischen Staat als "Schwelle" zum Rechtsextremismus definieren, dann stellt sich die Frage, welchen Erkenntnisgewinn das Rechtspopulismuskonzept gegenüber einer nur auf die ideologische Orientierung der Parteien abstellenden Klassifizierung noch liefert. Kommt dann noch in der Diskussion ein mit unterschiedlichen Bedeutungsinhalten versehener Begriff des Rechtsradikalismus hinzu, ist die Begriffsverwirrung bei der Einordnung rechter Parteien komplett.
Viertens, und das ist der wichtigste Grund, macht die Bezeichnung "rechtspopulistisch" die Bandbreite von inhaltlichen Positionen nicht deutlich, die von der AfD und ihren Akteuren vertreten werden. Diese Bandbreite kann man nur adäquat erfassen, wenn man die AfD auf den beiden zentralen Konfliktlinien verortet, die den deutschen Parteienwettbewerb prägen: dem wirtschaftspolitischen Sozialstaatskonflikt zwischen marktfreiheitlichen, an Leistungsgerechtigkeit ausgerichteten und staatsinterventionistischen, an sozialer Gerechtigkeit im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit ausgerichteten Wertvorstellungen zur Rolle des Staates im wirtschaftlichen Wettbewerb und dem gesellschaftspolitischen Konflikt zwischen progressiv-libertären und konservativ-autoritären Wertorientierungen in Bezug auf die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Die Position der AfD im Sozialstaatskonflikt kann als marktliberal mit spezifischer sozialer Komponente gekennzeichnet werden. In ihrem Anfang Juni 2016 beschlossenen Grundsatzprogramm wird ihre wirtschaftspolitische Position mit der generellen Maxime "je mehr Wettbewerb und je geringer die Staatsquote, desto besser für alle" beschrieben. Sie vertritt aber auch eine neue Konzeption von sozialer Gerechtigkeit, die im Gegensatz zu der traditionellen, mit dem Fokus auf "unten vs. oben" in Verteilungsfragen allein auf den Sozialstaatskonflikt bezogenen Konzeption durch den Fokus auf "drinnen vs. draußen", also Einheimische vs. Flüchtlinge, die ökonomische mit der gesellschaftspolitischen Konfliktlinie verbindet.
Im gesellschaftspolitischen Bereich kann die AfD als nationalkonservative Partei mit Brücken zum Rechtsextremismus hin gekennzeichnet werden, wobei das u.a. durch rassistische und antisemitische Haltungen gekennzeichnete rechtsextremistische Einstellungsmuster den äußersten "rechten" Rand der gesellschaftspolitischen Konfliktlinie bildet. Programmatisch zeigt sich der Primat des Nationalen schon in der Präambel des Grundsatzprogramms – wir wollen "Deutsche sein und bleiben" – und setzt sich in der Position zur EU fort, die man "zu einer Wirtschafts- und Interessengemeinschaft souveräner, lose verbundener Einzelstaaten" zurückführen will. Konservative Wertvorstellungen durchziehen die gesellschaftspolitischen Positionen und werden etwa an der Law-and-Order-Orientierung im Bereich der inneren Sicherheit sowie im Familien- und Frauenbild deutlich.
Die Brücken zum Rechtsextremismus zeigen sich in den Positionen zur deutschen Kultur, Sprache und Identität, zum Islam und zur Flüchtlingspolitik, deren Tenor zum Teil als völkisch-nationalistisch und fremdenfeindlich mit rassistischen Untertönen gewertet werden kann. Verstärkt werden diese Brücken durch das Agieren von Vertretern des äußersten rechten Rands der Partei. Zu nennen sind hier z.B. Björn Höckes eindeutig als rassistisch einzustufende Äußerungen über das Fortpflanzungsverhalten von Afrikanern und Europäern, die antisemitischen Schriften des baden-württembergischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon oder die Verbindungen einiger AfD-Funktionäre zu als rechtsextremistisch eingestuften Organisationen und Gruppen wie z.B. der Identitären Bewegung.