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Die Sprache am rechten Rand

Prof. Dr. phil. Thomas Niehr

/ 12 Minuten zu lesen

Man kann rechtspopulistische Politiker nicht nur am Inhalt ihrer Forderungen, sondern auch am konkreten Sprachgebrauch erkennen. Wodurch zeichnet sich ihre Sprache aus?

Megafon (© Public Domain, Wiki Commons)

Hinweis

Die ursprüngliche Version dieses Textes wurde am 16.01.2017 unter dem Titel "Rechtspopulistische Lexik und die Grenzen des Sagbaren" veröffentlicht und am 13.11.2024 aktualisiert.

Möchte man Rechtsextremismus bzw. -populismus und andere politische Erscheinungen analysieren, so scheint offensichtlich, dass man dies über die verwendete Sprache tun kann. Daran, wie Menschen sprechen, können wir eine Menge ablesen – bis hin zu ihren politischen Einstellungen. Kann man aber bereits an der Verwendung einzelner Wörter oder Wendungen erkennen, ob eine Äußerung rechtsextremistisch bzw. -populistisch ist? Wie sind solche Wörter oder Wendungen beschaffen? Und ist eine Kategorisierung immer eindeutig möglich?

Sprachliche Grenzen

Betrachtet man die Sprache derer, die üblicherweise dem rechten bis rechtsextremen Rand zugeordnet werden, dann fällt auf, dass diese häufig darauf angelegt ist, die Grenzen des (bislang) Sagbaren zu verschieben. Dass dies durchaus das selbsterklärte Ziel der öffentlichen Kommunikation ist, lässt sich etwa an Alexander Gauland beobachten, dem Ehrenvorsitzenden der AfD, der in der Externer Link: FAZ am Sonntag 2018 sagte: „Wir versuchen, die Grenzen des Sagbaren auszuweiten“.

Mit derartigen Stellungnahmen wird vorausgesetzt, dass es Grenzen des Sagbaren gibt. Daraus ergibt sich die Frage, wer in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen, das in seinem Grundgesetz vergleichsweise lakonisch festlegt, dass eine Zensur nicht stattfinde (vgl. GG Art. 5, 1), diese Grenzen errichten und überwachen kann. Die Antwort darauf kann sicher nur lauten: Kein einzelner kann diese Grenzen festlegen. Dennoch gibt es eine weitgehende gesellschaftliche Übereinkunft darüber, was als (mehr oder weniger) sagbar gilt, auch wenn sich diese Grenzen im Laufe der Zeit immer wieder verändern. Wer diese Übereinkunft (wissentlich oder unwissentlich) verletzt, bricht ein Tabu und muss gegebenenfalls mit Sanktionen rechnen (vgl. Niehr 2022). Dies hat beispielsweise Thilo Sarrazin erfahren, der in einem Interview mit der Zeitschrift Lettre International im Jahr 2009 abschätzig über ausländische Mitbürger:innen sprach und ihnen vorwarf, dass „ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert [werden]“. In diesem Zusammenhang fiel auch der Ausdruck „Unterschichtgeburten“. Als Sarrazin seine Provokationen ein Jahr später zu einem Buch verarbeitete („Deutschland schafft sich ab“, 2010), in dem er wiederum gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen polemisierte, führte dies zu einem Skandal, der den Autor letztlich sein Amt kostete (vgl. Niehr 2011).

Auch Boris Palmer, parteiloser Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, der mehrfach öffentlich und medienwirksam das sogenannte Interner Link: N-Wort aussprach, brach damit ein Tabu. Die heftige Kritik, der er sich danach ausgesetzt sah, versuchte er mit einem problematischen Vergleich zurückzuweisen. Man könne Menschen nicht anhand eines einzelnen Wortes beurteilen: „Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem Ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für Euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach“. Palmer spricht hier eine Frage an, die tatsächlich zentral ist: Kann man – ohne den Kontext zu berücksichtigen – vom Aussprechen eines Wortes auf die Gesinnung des Sprechers schließen? Dies dürfte in der Tat unmöglich sein, zumal eine thematisierende Verwendung – wie sie auch in diesem Artikel vorkommt – anders zu bewerten ist als der einfache und vor allem der zielgerichtete Gebrauch solch brisanter Wörter. Im Falle Externer Link: Palmers, der das N-Wort mehrfach öffentlich aussprach und dies auf Facebook damit begründete, Sprachvorschriften nicht zu akzeptieren, spricht der Kontext allerdings dafür, dass Palmers Sprachgebrauch auch durch die Lust zur Provokation bestimmt ist. Unabhängig davon ist ihm zuzustimmen, wenn er schreibt: „Kontext und Motivation komplett auszublenden ist für Kommunikation tödlich. Deshalb lehne ich das ab.“ (Ebd.)

Neben den ungeschriebenen Sagbarkeitsregeln – die z.B. in Politik und Medien von denen, die die Diskursmacht innehaben, durchaus gesetzt, aber immer auch neu verhandelt werden – gibt es auch geschriebene Gesetze, die den Sprecher:innen und Schreiber:innen bei politischen Auseinandersetzungen Grenzen aufzeigen. Diese Gesetze beziehen sich in Deutschland etwa auf die NS-Vergangenheit: Im § 130 des Strafgesetzbuches ist beispielsweise geregelt, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht gebilligt, geleugnet oder verharmlost werden dürfen, sofern dies den öffentlichen Frieden stört. Weiterhin ist es verboten, Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zu verwenden. Zu diesen Kennzeichen gehören nicht nur Fahnen oder Abzeichen (wie z.B. das Hakenkreuz oder die Flagge des sogenannten Islamischen Staates (IS), sondern auch „Parolen und Grußformeln“ (§ 86a StGB). Dadurch ist eindeutig geregelt, dass etwa die Verwendung der SA-Parole „Alles für Deutschland“ nicht unter freie Meinungsäußerung fällt. Der AfD-Politiker Björn Höcke wurde wegen der öffentlichen Verwendung dieser Parole bereits zum wiederholten Male zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt.

Jenseits dieser geschriebenen Gesetze gibt es eine große sprachliche Interner Link: Grauzone, die Extremist:innen und Populistinnen immer wieder gezielt nutzen, um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Wie dies typischerweise vonstattengeht und welche Mittel dazu verwendet werden – damit beschäftigt sich dieser Beitrag.

Lexik am rechten bis rechtsextremen Rand

Betrachtet man den Teil des Wortschatzes, den Extremist:innen zur Erzielung bestimmter Wirkungen einsetzen, dann lassen sich grob drei Kategorien unterscheiden:

Die Wörter der ersten Kategorie dienen dazu, politische Konzepte und Phänomene oder gesellschaftliche Entwicklungen, die den Rechtsextremisten als bekämpfenswert gelten, extrem negativ zu bewerten. Dies geschieht häufig durch die Verwendung historisch belasteter Vokabeln wie Umvolkung oder Lügenpresse.

Die Wörter der zweiten Kategorie sind ebenfalls historisch belastet und sollen offenbar reanimiert und gleichzeitig rehabilitiert werden. Ein typisches Beispiel ist das Wort völkisch.

In die dritte Kategorie gehören Wörter, die nicht für jeden auf Anhieb verständlich sind und einen pseudointellektuellen Hintergrund haben. Das sind Ausdrücke wie Ethnopluralismus oder Remigration, die gerne von der Interner Link: Neuen Rechten in den Diskurs eingespeist werden.

Für diese Kategorien werden im Folgenden Beispiele gegeben (für weitere Beispiele vgl. Niehr/Reissen-Kosch 2019).

Die Abwertung politischer Konzepte und Entwicklungen durch Nazi-Vokabular

Gegnerische politische Konzepte durch eine entsprechende Wortwahl abzuwerten, gehört zumInterner Link: üblichen Vorgehen in der politischen Kommunikation. So finden sich in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Beispiele, in denen sozialdemokratische Konzepte oder auch Sozialdemokraten als „Kommunismus/Kommunisten“ verunglimpft wurden. Entsprechend wurden und werden marktwirtschaftlich orientierte Positionen gerne als „neoliberal“ abgewertet. Dies alles gehört zum Streit um Worte und macht das Wesen politischer Auseinandersetzung aus (vgl. Niehr 2024). Akteure am rechten bis rechtsextremen Rand neigen nun aber immer wieder dazu, durch ihre Wortwahl gezielt Assoziationen zum Nationalsozialismus ins Spiel zu bringen, und dem Gemeinten (dem „Zeicheninhalt“) dadurch eine spezielle rechtslastige Wendung zu geben.

Umvolkung und Bevölkerungsaustausch

Wird beispielsweise im Zusammenhang mit den aktuellen Flüchtlingsbewegungen von einer Umvolkung oder einem Bevölkerungsaustausch gesprochen, so wird damit – auch wenn es vielen gar nicht bewusst sein mag – ein nationalsozialistischer Topos aktiviert. Wiewohl ähnliche Ausdrücke (Germanisierung, Volkstumswechsel, Entdeutschung; vgl. dazu Kellershohn 2016) bereits im 19. Jahrhundert kursierten, ist für den heutigen Gebrauch des Wortes Umvolkung das nationalsozialistische Konzept zentral: Denn Nationalsozialisten planten die sogenannte Umvolkung des Lebensraums in den von ihnen eroberten Ostgebieten (wie dem sogenannten Protektorat Böhmen und Mähren) aktiv (d.h. die Vertreibung der dort Ansässigen und gleichzeitige Re-Germanisierung der dort lebenden „Volksdeutschen“). Ab 1940 ist der Ausdruck „gleichbedeutend mit Eindeutschung“ (Schmitz-Berning 2007: 617). Heutzutage soll in Umkehrung der NS-Bedeutung mit der Vokabel auf eine drohende „Überfremdung“ Deutschlands hingewiesen werden. Gemeint ist also, dass die Politik der Bundesregierung dazu führe, dass „das deutsche Volk“ in der Bundesrepublik Deutschland durch zunehmende Immigrationsbewegungen Nichtdeutscher Interner Link: gegen eine ausländische Bevölkerung gezielt und planvoll ausgetauscht werde. In diesem Zusammenhang ist auch von einem „Genozid aus niedrigen Beweggründen“ (Kellershohn 2016: 289) die Rede.

Stillschweigend vorausgesetzt wird hierbei die Existenz eines ethnisch definierten Nationalstaats, der das natürliche Areal einer Nation darstellt. Dieses Konzept, nach dem also in Deutschland v.a. ethnische Deutsche zu wohnen haben bzw. nach dem Deutschland den Deutschen gehöre, ist mit der politischen und gesellschaftlichen Realität freilich nicht in Einklang zu bringen. Es widerspricht zudem dem Grundgesetz, welches Deutschsein sowohl durch Abstammung, also ethnisch, als auch Staatsbürgerschaft definiert.

Ethnosuizid

In ähnlicher Weise funktioniert die Vokabel Ethnosuizid: Hier wird davon ausgegangen, dass deutsche Politiker selbst aktiv den Untergang bzw. mindestens die kulturelle Vernichtung des ,deutschen Volkes‘ planen. Anklänge an das Wort Ethnozid (Handlungen, die auf die kulturelle Vernichtung eines Volkes durch erzwungene Assimilation hinauslaufen) und an Genozid (Völkermord) liegen auf der Hand. Durch die Ähnlichkeit der Wortbildung (Ethnosuizid/Genozid) wird zumindest implizit eine Analogie zwischen Holocaust (Genozid am jüdischen Volk) und der angeblichen Vernichtung des deutschen Volkes (,Ethnosuizid‘) konstruiert. Dass mit diesem Vergleich auch eine Verharmlosung des Holocausts einhergeht, ist ein Effekt, der zumindest billigend in Kauf genommen wird.

Islamisierung

In eine ähnliche Richtung weist der Ausdruck Interner Link: Islamisierung, wenn er zum Beispiel vonseiten rechtspopulistischer Akteur:innen in Zusammenhang mit den Flüchtlingsbewegungen nach Europa gebraucht wird: Mit diesem Ausdruck wird suggeriert, dass es eine fortschreitende aktiv betriebene Ausbreitung des Islams oder sogar des Interner Link: Islamismus in das „christliche Abendland“ gebe. Mithin wird behauptet, dass Deutschland zunehmend Opfer eines Religionskrieges werde, in dem es der Gegner darauf anlege, die zentralen christlichen Werte zugunsten islamisch-fundamentalistischer Werte zu untergraben. Dieser Prozess hängt eng mit der behaupteten „Umvolkung“ zusammen und erscheint als deren notwendige Folge. Ebenfalls wird mit diesem Ausdruck eine tolerante Sicht auf den Islam kritisiert, welche die bevorstehende Gefahr verkenne: So wird gleichzeitig „die Politik der etablierten Parteien angegriffen und ein angeblicher Werteverfall der westlich-europäischen Gesellschaften angeprangert“ (Kerst 2016: 144). Die wiederholt vorkommenden islamistischen Terrorangriffe werden genutzt, um die Schuld pauschal Politik und Medien zuzuweisen. Durch eine solche Berichterstattung wird nicht nur vor der Gefahr einer Islamisierung gewarnt, sondern gleichzeitig Misstrauen gegenüber „dem Staat“ bzw. dem „tiefen Staat“ gesät, der Islamisten gewähren lasse und das eigene Volk bewusst zu „Bürgern zweiter Klasse“ mache. Die „Umvolkung“ werde gezielt gesteuert, Geheimdienste seien daran beteiligt, die Presse lüge und wolle einreden bzw. verschweigen.

QuellentextBeispiele: Publikationen

Sucht man beispielsweise im Online-Auftritt des rechtsextremistischen (und zeitweise verbotenen) Magazins Compact nach dem Stichwort Islam, so fallen zahlreiche Schlagzeilen auf, die vor Islamisierung warnen und behaupten, dass Politik, Justiz und Medien die damit verbundenen Gefahren wider besseres Wissen verharmlosen. Einige wenige Beispiele können dies verdeutlichen:

  • „Terrorziel Europa: Islamisten und Tiefer Staat. Anschläge wie die in Paris machen klar, dass der Krieg aus dem Nahen Osten zu uns gekommen ist. Die finstersten Ausgeburten des Islamismus, unterstützt von den anglo-amerikanischen Geheimdiensten, bedrohen nicht nur Frankreich. […] Soll keiner sagen, man habe es nicht wissen können.“ (Compact 2022)

  • „Immer neue Moscheen, Koranunterricht in den Schulen, Parallelwelten in der Justiz, steigende Migrantenkriminalität – aber Politik und Medien wollen den Menschen einreden, dass es keinen Grund zur Aufregung gibt.“ (Compact 2023)

  • „Trotz unverhohlener Aufrufe zur Einführung von Kalifat und Scharia darf die salafistische Gruppe Muslim Interaktiv heute wieder im Hamburger Stadtteil St. Georg demonstrieren. Ein entsprechender Aufmarsch wurde unter Auflagen genehmigt. Schluss damit! […] Ob in Altenheimen, in Schulen, vor Gericht oder auf der Straße: Deutsche sind längst Bürger zweiter Klasse im eigenen Land. In den großen Medien wird die Inländerfeindlichkeit verschwiegen oder bagatellisiert. Ein Aufschrei ist nötig!“ (Compact 2024)

Lügenpresse

Die häufig von Rechtspopulistinnen, Rechtsextremistinnen und Verschwörungstheoretikerinnen zu hörende Vokabel Lügenpresse hat eine lange Geschichte. Auch aufgrund dieser Geschichte wurde das Wort 2015 zum Unwort des Jahres gewählt (vgl. Externer Link: https://www.unwortdesjahres.net/unwort/das-unwort-seit-1991/2010-2019/; 02.08.2014). Bereits während des 1. Weltkrieges wurde Lügenpresse verwendet und diente später insbesondere den Nationalsozialisten zur pauschalen Abqualifizierung unabhängiger Presseorgane. Insofern wurde mit dieser Vokabel keine rational begründbare Medienkritik betrieben, sondern eine pauschale Abqualifizierung mit gleichzeitiger Bedrohung ausgedrückt. Dies gilt auch für die heutige Zeit, in der der Vorwurf der Lügenpresse bzw. der Meinungsdiktatur meist mit Kommunikationsverweigerung einhergeht, mit der konsequenten Weigerung, den solcherart diffamierten Medien und ihren Vertreter:innen überhaupt eine Chance zur Rechtfertigung oder Richtigstellung zu geben.

Völkisch – die versuchte Reanimation eines Wortes

Besonders deutlich im Bereich nationalsozialistischen Gedanken- und Wortguts bewegte sich Frauke Petry 2016, seinerzeit Vorsitzende der AfD, als sie – scheinbar naiv – forderte, das Wort völkisch wieder salonfähig zu machen:

Petry erklärte weiter: „Ich benutze diesen Begriff zwar selbst nicht, aber mir missfällt, dass er ständig nur in einem negativen Kontext benutzt wird.“ Sie habe ein Problem damit, „dass es bei der Ächtung des Begriffes ‚völkisch’ nicht bleibt, sondern der negative Beigeschmack auf das Wort ‚Volk’ ausgedehnt wird“. Der Begriff „völkisch“ sei letztlich „ein zugehöriges Attribut“ zum Wort „Volk“, sagte Petry. (Externer Link: https://www.welt.de/politik/deutschland/article158049092/Petry-will-den-Begriff-voelkisch-positiv-besetzen.html; 01.08.2024)

Petrys Argumentation blendete dabei gezielt aus, dass zwar aus grammatischer Sicht das Adjektiv völkisch problemlos aus dem Substantiv Volk abgeleitet werden kann. Dabei wird jedoch ignoriert, dass es sich um eine Vokabel handelt, die historisch belastet ist, weil sie seit dem späten 19. Jahrhundert Interner Link: nationalistisch-chauvinistische Bestrebungen bezeichnet und von entsprechenden Gruppierungen teilweise auch als Fahnenwort verwendet wird. Später wird der Ausdruck auch von den Nationalsozialisten (im Sinne von: ,zum Volk als Rasse gehörend‘) verwendet. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an das berühmte nationalsozialistische Kampfblatt „Völkischer Beobachter“. Im Jahre 2007 betont Schmitz-Berning in ihrer Analyse des NS-Vokabulars, dass der Ausdruck „nur noch in historischer Verwendung“ vorkommt (Schmitz-Berning 2007: 647). Und auch in der aktuellen Ausgabe des Deutschen Universalwörterbuchs wird das Wort noch als „nationalsozialistisch“ gekennzeichnet (vgl. Duden 2023: 1985).

Dass tatsächlich in bestimmten Kontexten auch das Wort Volk politisch negativ konnotiert sein kann, dürfte ebenfalls auf das überaus häufige Vorkommen in nationalsozialistischem Sprachgebrauch zurückzuführen sein. Dort wurde Volk emphatisch überhöht und in engem Zusammenhang zur sogenannten Rasse verstanden (vgl. Schmitz-Berning 2007: 642). Bereits Victor Klemperer bemerkt in seiner Beschreibung der Lingua Tertii Imperii (Sprache des Dritten Reiches) dazu:

Zitat

„Volk“ wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwandt wie Salz beim Essen, an alles gibt man ein Prise Volk: Volksfest, Volksgenosse, Volksgemeinschaft, volksnah, volksfremd, volksentstammt… (Klemperer 1947/2007: 45)

Eine Argumentation, wie sie von Frauke Petry vorgetragen wurde, muss daher als gezielte Provokation gedeutet werden, mit der insbesondere rechtsextremistische Kreise angesprochen werden sollten.

Die Verschleierung rassistischer Positionen durch dog whistle politics

Der Ausdruck dog whistle politics (Hundepfeifen-Politik) steht für eine sprachliche Strategie, Ausdrücke und Wendungen zu gebrauchen, deren Brisanz der Allgemeinheit oft nicht bewusst wird. Ähnlich wie spezielle Hundepfeifen, die aufgrund ihrer hohen Frequenz für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind, richten sich solche Ausdrücke vornehmlich an Eingeweihte, die die dahinterstehenden politisch brisanten Konzepte kennen und befürworten.

Ethnopluralismus

Ethnopluralismus ist eine Vokabel, die nicht auf Anhieb erkennen lässt, welches Konzept diesem Ausdruck zugrunde liegt. Dies hängt insbesondere mit dem zweiten, positiv konnotierten Wortbestandteil -pluralismus zusammen. Das Deutsche Universalwörterbuch (Duden 2023: 1388) definiert Pluralismus als „vorhandene Vielfalt gleichberechtigt nebeneinander bestehender und miteinander um Einfluss, Macht konkurrierender Gruppen“. Demnach ist Pluralismus geradezu ein demokratisches Prinzip. Ethnopluralismus hingegen bezieht sich zwar auch auf eine Vielfalt, hebt dabei allerdings die Verschiedenheit der Ethnien bzw. Völker hervor. Eine wörtliche Übersetzung dieses Ausdrucks wäre etwa ,Interner Link: Völkervielfalt‘. Dieser zunächst unverdächtig anmutende Ausdruck soll nun allerdings nicht offen, sondern geschlossen verstanden werden. Das Ziel ist, vermeintlich unveränderliche Eigenschaften verschiedener Völker zu betonen, die zu erhalten seien. Deshalb müsse dafür Sorge getragen werden, dass es nicht zu einer Vermischung mit „fremden“ Eigenschaften komme, die Völker müssten „rein“ gehalten werden. Diese Reinhaltung wird zwar nicht wie im Nationalsozialismus biologistisch begründet, dennoch handelt es sich um einen ausgrenzenden Nationalismus, einen „Rassismus ohne Rassen“ (Interner Link: ebd.).

Remigration

Auch mit Remigration, das zum Externer Link: Unwort des Jahres 2023 avancierte, wird rassistisches Gedankengut zu kaschieren versucht. Die wörtliche Übersetzung dieses Ausdrucks ins Deutsche lautet ,Rückwanderung‘. Das Wort wird üblicherweise für „die Interner Link: Rückkehr von Migrantinnen und Migranten in ihr Herkunftsland bzw. an den Ausgangsort ihrer Migration“ verwendet. Politisch aufgeladen wird das Wort im Kontext extrem rechter Bewegungen. Hier steht es für die Forderung nach Zwangsausweisung oder Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund (vgl. ebd.). Deutlich wird auch hier die Kaschierstrategie, die von der Externer Link: taz bereits im Jahr 2019 auf den Punkt gebracht wurde: „,Ausländer raus‘ heißt heute ,Remigration‘“. Einer größeren Öffentlichkeit wurde die Brisanz des Wortes durch eine Recherche des Netzwerks Correctiv bekannt zu einem geheimen Treffen in Potsdam.

Innerhalb der AfD wird Remigration zum Slogan. Während der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke auf seinem Blog mit der Schlagzeile „Remigration kann Leben retten“ wirbt, sieht sich die AfD genötigt, ein Positionspapier zu verabschieden, in dem Remigration definiert wird. Hier ist davon die Rede, dass mit diesem Ausdruck lediglich „Anreize zu einer rechtsstaatlichen und gesetzeskonformen Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer in ihrer Heimat“ gemeint seien. Es wird auch betont, dass die AfD nicht zwischen deutschen Staatsangehörigen mit und ohne Migrationshintergrund“ (ebd.) unterscheide. Schließlich heißt es (ebd., Hervorheb. i. Orig.): „Die vielen gut integrierten Bürger mit Migrationshintergrund in Deutschland, welche die Chancen ergriffen haben, die unser Land bietet, leisten einen wichtigen Beitrag für unsere Wirtschaft und Gesellschaft. Sie sind uns ausdrücklich willkommen – die Politik der AfD vertritt auch ihre Interessen!“ Mit diesem Satz hält sich die Partei eine Hintertür offen: Sie unterscheidet offensichtlich zwischen gut integrierten und weniger bzw. nicht integrierten Bürger:innen, stellt aber hierfür keine Kriterien auf.

Wirkungsweise

Den hier beschriebenen Wörtern kommt ein hohes provokatives Potenzial zu. Dies hängt damit zusammen, dass die Verwendung insbesondere historisch belasteter NS-Vokabeln – auch wenn sie in etwas anderer Bedeutung verwendet werden – in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit noch immer einem Tabubruch gleichkommt. Von der (extremen) Rechten werden sie gezielt eingesetzt, um insbesondere ein rechtsextremes Publikum anzusprechen, das einer rationalen, abgewogenen Argumentation vermutlich wenig abgewinnen würde. Insofern dient die Verwendung solch belasteter Ausdrücke gleich mehreren Zwecken: Einerseits werden, wenn die ständige Wiederholung ohne Gegenrede bleibt, die Grenzen des Sagbaren verschoben, mit dem Ziel, eine Einstellungsveränderung zu erreichen. Denn, so schrieb bereits Victor Klemperer: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da“ (Klemperer 1947/2007: 26). Andererseits kann mit der Verwendung solcher Wörter mit Interner Link: Schlagwort-Status gezielt Zustimmungsbereitschaft bei einem Publikum evoziert werden, das ohnehin eher außerhalb des demokratischen Spektrums verortet werden kann.

Quellen / Literatur

Duden (2023): Deutsches Universalwörterbuch. 10. Auflage. Berlin: Dudenverlag.

Kellershohn, Helmut (2016): Umvolkung. In: Gießelmann, Bente et al. (Hrsg.): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Wochenschau Verlag: Schwalbach/Ts., S. 282–297.

Kerst, Benjamin (2016): Islamisierung. In: Gießelmann, Bente et al. (Hrsg.): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Wochenschau Verlag: Schwalbach/Ts., S. 144–161.

Klemperer, Victor: (1947/2007): LTI. Notizbuch eines Philologen. Stuttgart: Philipp Reclam.

Musolff, Andreas (2007): What role do metaphors play in racial prejudice? The function of antisemitic imagery in Hitler's Mein Kampf. In: Patterns of Prejudice 41 (1), S. 21–43.

Niehr, Thomas (2011): Politische Sprache und Sprachkritik. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes, H. 3, S. 278–288.

Niehr, Thomas (2022): Sagbarkeit. In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen. Hg. von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention. Veröffentlicht am 18.10.2022. Online unter: Externer Link: https://diskursmonitor.de/glossar/sagbarkeit.

Niehr, Thomas (2024): Semantische Kämpfe. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Sprache und Politik. [Interner Link: https://www.bpb.de/themen/parteien/sprache-und-politik/545294/semantische-kaempfe/].

Niehr, Thomas /Reissen-Kosch, Jana (2019): Volkes Stimme? Zur Sprache des Rechtspopulismus. Bonn (Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung).

Schmitz-Berning, Cornelia (2007): Vokabular des Nationalsozialismus. 2. Auflage. Berlin: de Gruyter.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Gegen das Urteil soll er Revision eingelegt haben.

  2. Der „tiefe Staat“ bzw. „deep state“ ist Teil einer Verschwörungstheorie, die besagt, dass eine vermeintliche Geheimregierung, die hinter den Kulissen der Politik in den USA stünde, die gesamte Welt steuern würden, um damit gezielt der Bevölkerung zu schaden.

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Prof. Dr. phil. Thomas Niehr ist Sprachwissenschaftler und Universitätsprofessor am Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen.