"Um sich zu verteidigen, erfanden Deutsche die Atombombe, den Nebelwerfer, die Panzerfaust, Raketen und fliegende Untertassen. Die heutige EU beruht auf Prinzipien vom vereinten Europa, die Deutsche zwischen 1939 und 1944 entwickelt hatten",
Der Autor heißt Reinhold Schulz, auch Papa Schulz genannt, geboren 1949 als Roman Assafowitsch Schulz in Syktywkar im Norden Russlands, seit 1990 wohnhaft im hessischen Gießen. Papa Schulz, seines Zeichens ein Satiriker, ist hoch produktiv. Man muss gar keine Parteiveranstaltungen von "Der Einheit" besuchen oder Nischenblätter lesen, um auf seine Texte zu stoßen. Es reicht, in einem Laden einzukaufen, der russische Lebensmittel führt, und dort eine kostenlose Werbezeitung zu nehmen, zum Beispiel die mit dem harmlosen Titel "Krugosor", Gesichtskreis. Ganz prominent zwischen Anzeigen von russischsprachigen Bestattungsunternehmern und Reiseagenturen steht Papa Schulzens Besprechung der ZDF-Sendung "Dunja Hayali" mit dem russlanddeutschen AfD-Bundestagskandidaten Waldemar Birkle. Neben dem überschwänglichen Lob an den Kandidaten finden sich im Text auch solche Passagen: "Wir haben das Gefühl, wir leben schon in Afrika. Die Moderatorin Dunja Hayali, Iranerin
Rechte Narrative gehören in russischsprachigen Medien zum Mainstream
Es liegen keine Daten vor, wie verbreitet nationalistische und fremdenfeindliche Vorstellungen unter deutschstämmigen Einwanderern aus der UdSSR sind. Obwohl sie mit 2,4 Millionen die größte Gruppe unter den 6,5 Millionen deutschen Wählern mit Migrationshintergrund darstellen, wurden sie von der soziologischen Forschung lange Zeit vernachlässigt. "Meine Professur ist die einzige, die explizit den Russlanddeutschen gewidmet ist", – sagte Prof. Janis Panagiotidis von der Universität Osnabrück gegenüber dem Autor. "Alles in allem gibt es ein krasses Missverhältnis zwischen der Größe der Zuwanderergruppe und dem akademischen Interesse. Es liegt an einer Kombination von Faktoren: nachdem die erste Panik über gewalttätige russlanddeutsche Jugendliche abebbte, flossen auch die Forschungsgelder nicht mehr. Nachhaltige Forschungsförderung ist eh der deutschen Hochschulpolitik Sache nicht, von daher sind da auch gute Ansätze einfach im Sande verlaufen, weil das Geld ausging. Und ForscherInnen, die sich gerade in den 90er Jahren sehr verdient gemacht haben mussten irgendwann auch mal was anderes machen".
Die im Juli 2017 vorgestellte Studie von Achim Goerres, Sabrina Jasmin Mayer und Dennis Spies
Sehr ausgeprägt, gar dominierend sind fremdenfeindliche Motive in den Medien, die sich an die russischsprachige Minderheit in Deutschland richten. Das Leitmotiv der Medien, die überhaupt gesellschaftliche und politische Themen anfassen, ist in der Regel Migration; sie wird generell als das dringendste Problem Deutschlands dargestellt. Selbst relativ moderate Zeitungen verbreiten ein Bild, das weitgehend mit rechten Diskursen (Überfremdung und Islamisierung, Flüchtlingskatastrophe, "illegale Einwanderung" statt Flucht, pauschalisierende Darstellung nichteuropäischer Einwanderer als Sexualtäter, Islamisten und Terrorsympathisanten etc.) übereinstimmt, auch wenn sich die Sprache im verhältnismäßig neutralen Rahmen hält.
Die Wochenzeitung "Russikij Berlin" z.B., die in den meisten Zeitungskiosks der Hauptstadt verkauft wird und als "Russkaja Germanija" überall in Deutschland
Die Deutschland-Ausgabe des russischen Massenblatts "MK"
Der Fall Lisa: Kooperation zwischen russlanddeutschen Nationalisten und russischen Medien
Wie wirksam russische Medien die Agenda rechtsradikaler Gruppen in Deutschland unterstützen können, zeigte der sogenannte Fall Lisa. Im Januar 2016 fanden in mehreren Städten der Bundesrepublik Demonstrationen von Russlanddeutschen statt, die gegen Flüchtlinge, Muslime und vermeintliche Untätigkeit der deutschen Justiz protestierten. Der Anlass war eine angebliche Entführung und Vergewaltigung durch "Südländer" des damals 13-jährigen russlanddeutschen Mädchens Lisa aus dem Berliner Bezirk Marzahn. So erklärte Lisa ihren Eltern, warum sie eines nachts nicht nach Hause gekommen war. Die Polizei befragte das Mädchen und stellte fest, dass sie die Geschichte erfunden hatte. Die Familie, die gute Kontakte in der rechten Szene haben soll, war dagegen überzeugt, dass die Polizei Verbrechen von Muslimen vertusche. Lisas Verwandte verbreiteten die Geschichte in sozialen Netzwerken, am 16. Januar sprachen sie bei einer NPD-Demonstration
Einer der Sprecher im Bericht war der Onkel des Mädchens, der AfD-Aktivist Tim Weigel (eigentlich Timofej Sagrebalow), der den Tränen nahe über „diese Biester“ schimpfte und behauptete, die Polizei habe das Mädchen zur Aussage gezwungen, sie habe es selbst gewollt und habe selbst „diese armen Männer“ verführt. Nach diesen Berichten schaltete sich als Organisator von Demonstrationen der sogenannte "Konvent der Russlanddeutschen" ein. Diese weitgehend virtuelle Vereinigung von geschätzt 20-30 meist älteren ultrarechten Männern
Bei den Ermittlungen fand die Polizei Hinweise darauf, dass Lisa schon vor dieser Episode sexuelle Kontakte zu einem volljährigen jungen Erwachsenen türkischer Abstammung hatte. Diese Kontakte waren laut Gericht zwar einvernehmlich, da Lisa aber unter 14 war und er 24, war das dennoch eine Straftat, und zwar schwerer sexuellen Missbrauch eines Kindes und das Erstellen kinderpornografischer Schriften, da der Täter Ismet S. auch Videos machte
Hüter des wahren Deutschtums
Inhaltlich steht Genosse.ru in einer Reihe mit anderen deutsch- und russischsprachigen rechtsnationalen russlanddeutschen Medien, die auf Papier oder im Internet erscheinen: "Heimat-Rodina", "Ost-West-Plattform", "Die Russlanddeutschen Konservativen" (volksdeutsche-stimme.eu). Dort stößt man auf immer dieselben Gesichter (u.A. Groth, Schulz und russlanddeutsche Aktivisten der AfD) und immer dieselben Themen: Direkte und indirekte Werbung für die AfD, kriminelle Muslime, Umvolkung und Überfremdung, Verrat der deutschen Eliten am deutschen Volk, Souveränität Deutschlands. Es gibt aber auch spezifische Motive: Das Leiden der Russlanddeutschen in der UdSSR (keiner Volksgruppe sei dort schlechter gegangen), unfaire Behandlung der Aussiedler in der Bundesrepublik und Russlanddeutsche als Bewahrer des echten Deutschtums.
"Viele Russlanddeutsche stellten sich hier in der BRD die Frage: bin (sic!) ich Russe oder Deutscher? Denn man passte nicht in die Gesellschaft, wo Kindern in der Grundschule erzählt wird, man könne sich das Geschlecht frei wählen! Man verachtete ein System, das dich für einen Barbaren hielt, weil du die Meinung vertrittst, Homosexualität gehöre nicht in die Öffentlichkeit! Man staunte, dass echter deutschen Kultur und Kultur überhaupt in den Medien kaum Beachtung geschenkt wurde! Man wunderte sich, dass traditionelle Werte beim kosmopolitischen Drang weichen, jedoch gleichzeitig fundamentaler Islamismus aus politischer Korrektheit toleriert wird! Die BRD war für Russlanddeutsche in dieser Hinsicht eine Enttäuschung. Es war nicht das Deutschland, von dem Opa und Vater in Kasachstan, am Ural, oder in Sibirien erzählt haben"
Dass das wirkliche Deutschland nicht dem idealisierten, fantastischen Bild aus Opas Erzählungen entspricht, ist freilich nicht der einzige Grund, warum es diese Autoren enttäuschte. Die meisten Russlanddeutschen waren in der UdSSR und deren Nachfolgestaaten alltäglichen Schikanen und Anfeindungen ausgesetzt, die mit der Aufhebung der staatlichen Diskriminierung keineswegs verschwunden waren. Viele von ihnen haben gehofft, in Deutschland diesem Druck endlich zu entkommen und nie wieder Nachteile als Deutsche erleben zu müssen. Umso traumatischer war die Erfahrung der Aussiedler, dass sie in der "historischen Heimat" gar nicht als Heimkehrer begrüßt, sondern als "Russen" abgestempelt und, obwohl sofort nach der Einreise eingebürgert, trotzdem als Ausländer behandelt wurden.
In rechten Kreisen erstreckt sich der Unmut darüber nicht nur auf die „unfreundliche“ Gesellschaft, sondern auch auf den "ungerechten" und "ausgrenzenden" Staat: "[Die Bezeichnung "Mensch mit Migrationshintergrund"] zielt darauf ab, die Deutschen aus Russland, Menschen, die gesetzlich als deutsche Volkszugehörige anerkannt sind, dennoch in eine Kategorie mit Ausländern bzw. mit Menschen ausländischer Herkunft zu verschieben. Mit dem Aufkommen dieses pauschalisierenden Schmähwortes wird einem klar, wie sehr man sich bestrebt sieht, die Russlanddeutschen trotz des Bundesvertriebenengesetzes, das ihre Stellung als Deutsche und dazu noch als Deutsche nach Abstammung in diesem Land sichern soll, zu Fremden zu degradieren. Damit werden jegliche Bestrebungen der Russlanddeutschen, in diesem Land anzukommen (sic!) von vornherein zu Nichte gemacht"
Das Wort "Migrant" hat im modernen russischen Sprachgebrauch den Charakter einer Beschimpfung, kaum jemand verwendet es in Russland (zumindest außerhalb des akademischen Diskurses) als einen neutralen Terminus. Das hat mit der weitgehend fremdenfeindlichen Einstellung der Gesellschaft zu tun, die sich nicht nur gegen nichteuropäische Ausländer richtet, sondern auch gegen eigene Bürger aus nichtmitteleuropäisch geprägten Regionen, vor allem aus dem Nordkaukasus. Die Medien verwenden es fast ausschließlich im negativen Kontext, oft als Synonym für "nichteuropäische Ausländer", selbst für Menschen, die gar keine Migranten oder Ausländer sind. Diese Einstellung wurzelt nicht zuletzt in der sowjetischen Nationalitätenpolitik, die zwar Völkerfreundschaft propagierte, de facto aber Blut-und-Boden-Theorien in die Praxis umsetzte
Russlanddeutsche: Vielleicht doch ein eigenständiges Volk?
Am 3. September 2017 moderierte Rempel im hessischen Bad Homburg den sogenannten "Gesamtdeutschen Kongress von Russlanddeutschen"; die Forderung an die russische Regierung wurde in die Resolution
Eine der Thesen, die in verschiedenen Reden beim Kongress vertreten wurde, lautet, Russlanddeutsche seien ein eigenständiges Volk, es habe sich im Russischen Reich aus Einwanderern aus verschiedenen west- und nordeuropäischen Ländern – von Irland bis Schweden, aber hauptsächlich aus deutschsprachigen Regionen – herausgebildet. Diese These korrespondiert sowohl mit der Idee einer weltweiten Vereinigung von Russlanddeutschen, als auch mit der Forderung, ihre Rückkehr in die historischen Siedlungsgebiete zu ermöglichen und sie dort mit Privilegien und Autonomierechten auszustatten. Diese These ist im Umfeld "Der Einheit" sehr verbreitet, Dimitri Rempel selbst machte Furore als „deutscher Politiker“ in den russischen Staatsmedien mit seiner Behauptung, eine halbe Million Russlanddeutsche wolle auf die „wieder heimgekehrte" Krim umsiedeln
Nationalsozialistisches Gedankengut bei den Russlanddeutschen in der AfD
Eine offene Glorifizierung der Nationalsozialisten betreibt die russlanddeutsche Minipartei "Arminius-Bund", die vor allem in der AfD-Hochburg Pforzheim aktiv ist
Unter den Kongressteilnehmern befanden sich zahlreiche aus der UdSSR stammende Parteimitglieder. Am 1. August gründeten sie in Pforzheim die "Interessengemeinschaft von Russlanddeutschen in der AfD", einen Körper, der keine Analogien in der deutschen Parteilandschaft hat: In allen größeren Parteien sind Russlanddeutsche mit dieser Gruppe und fünf Bundestagskandidaten nur in der AfD
Bundestagswahl 2017
Wie viele Russlanddeutsche tatsächlich die AfD unterstützen, bleibt weiterhin ungeklärt. Vor der Bundestagswahl ging Achim Goerres, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen, von 15-20% aus
Die Ergebnisse in "typischen" Stadtvierteln sind auch nur bedingt repräsentativ für die gesamte russlanddeutsche Community, weil die meisten Einwanderer aus der ex-UdSSR nicht in solchen Gegenden wohnen. Im Forschungsbericht des BAMF zu Spätaussiedlern von 2013 heißt es unter Bezug auf eine Studie von Schönwälder und Söhn
Fazit
Die rechtspopulistischen und nationalistischen Narrative, die weitgehend mit der Agenda der AfD übereinstimmen, sind in vielen, auch nicht explizit als rechtsgerichtet erkennbaren Medien vertreten, die sich an die aus der UdSSR stammende Minderheit in Deutschland wenden. Das gilt sowohl für russischsprachige, als auch für deutsch-und zweisprachige Medien und hängt nicht davon ab, ob diese ausschließlich in der Bundesrepublik gemacht werden oder Teile von russischen Medienunternehmen sind. Ein ähnliches Bild von Deutschland und Europa gehört zum Mainstream in allen staatlichen und vielen formell unabhängigen Medien aus Russland, die von den russischsprachigen Einwohnern der Bundesrepublik rezipiert werden, auch ohne dass sie diese Gruppe speziell ansprechen. Das trägt dazu bei, dass viele Vorstellungen, die in Deutschland eindeutig "in die rechte Ecke" gehören, von einem Teil der Russlanddeutschen und anderer Einwanderern aus der ex-UdSSR als gesellschaftliche Norm wahrgenommen werden und deswegen in dieser Minderheit vermutlich weiter verbreitet sind, als insgesamt in der deutschen Gesellschaft.