Die Berliner Initiative "Der goldene Aluhut"
Auf Facebook postet Silberberger die neuesten Verschwörungstheorien, die sie im Internet findet, und kommentiert sie mit viel Humor und wenig Hohn. 110.000 Fans hat sie aktuell. Auch außerhalb des Internets ist sie unterwegs: An Schulen spricht sie über Fake News, jährlich vergibt sie den "Goldenen Aluhut"-Preis für Verschwörungstheorien in fünf Kategorien – Verschwörungstheorien allgemein, Politik, Medien und Blogs, Medizin und Wissenschaften sowie Esoterik – und jüngst hat sie eine abendfüllende Bühnenshow organisiert. Es ist Unterhaltung mit pädagogischem Hintergrund. Denn die wirren Geschichten sind nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht Humbug. Sie überbringen auch (rechts-)radikale Botschaften. Acht Fragen von Wiebke Schönherr an Giulia Silberberger, wie und warum "Der goldene Aluhut" aufklären will.
Frau Silberberger, manche Menschen glauben Dinge, die andere als Verschwörungstheorie bezeichnen. Was ist so schlimm, an etwas zu glauben, das anderen verrückt vorkommt?
Giulia Silberberger: Verschwörungstheorien arbeiten mit den Ängsten der Menschen. Ihren Hoffnungen, Befürchtungen, Sorgen und Bedürfnissen. Diese Theorien geben Menschen das Gefühl der Kontrolle über die Angst. Gleichzeitig wird aber auch wieder Angst vor dem System, den Konzernen, der Politik oder einem Weltkrieg oder -untergang geschürt. Im schlimmsten Fall werden Kinder mit diesen Ideologien, und eben auch mit dieser Angst, erzogen. So wird sie aufrechterhalten und weitergegeben.
Aber die Verschwörungstheorien schaden nicht nur den Menschen selbst, sondern auch der Gesellschaft. Nehmen Sie die Impfgegner. Es wird die Theorie verbreitet, dass Impfen Autismus auslöst. Das führt dazu, dass beispielsweise die Masern wieder auf dem Vormarsch sind, weil einige Menschen sich weigern, sich und ihre Kinder impfen zu lassen.
Das wichtigste Werkzeug für Ihre Aufklärungsarbeit ist die Facebook-Seite "Der goldene Aluhut". Was soll sie erreichen?
Mit ihr machen wir Leute auf die kruden Theorien aufmerksam, die im Netz lauern. Wir zeigen und benennen sie. Jeden Tag recherchiere ich im Internet nach Usern, die Verschwörungstheorien verbreiten und mit verschwörungsideologischen Inhalten kommentieren. Dann anonymisiere ich die Posts und kopiere sie auf meine "Goldene Aluhut"-Seite. Dort können sie, klar als Schwurbel benannt, von der Community gelesen und diskutiert werden.
Warum anonymisiert?
Anonymisiert gebe ich sie weiter, weil ich befürchten müsste, dass die Verfasser der Posts gestalkt werden würden. Es gibt ja auch auf der Seite, die diese Sachen nicht glauben, Radikale. Das finde ich nicht gut und möchte ich nicht fördern. Ich will die Menschen, die diese Verschwörungstheorien teilen, nicht bloßstellen. Es geht mir um Aufklärung.
Wie erkennen Sie eine Verschwörungstheorie?
Ob ein Internet-User verschwörungsgläubig ist, merkt man beispielsweise daran, welche Worte er benutzt und wie die Sätze geschrieben sind. Und daran, was die Menschen, die diese Inhalte teilen, sonst noch teilen.
Die meisten dieser Theorien zielen darauf ab, dass irgendeine Elite dahinter steht, seien es reale Gruppen, die Diskriminierungen ausgesetzt sind, z. B. Juden, oder auch vorgestellte Gruppen wie die Bilderberger, Illuminaten oder die Reptiloiden. Überhaupt kommen die Worte "die Elite" und "das System" in vielen Verschwörungstheorien vor. Es wird jemand gesucht, der ein Interesse an einem beliebigen Ereignis hat, und das wird in die höchsten Kreise weitergesponnen. Diese Theorien werden meist von ebenso kruden Subtheorien gestützt, die sehr oft Schnittmengen mit anderen Theorien bilden. So entstehen dann Gesamtkonstrukte, die viele einzelne Theorien miteinander vereinen.
Wie weit ist es von der Verschwörungstheorie zum Rechtsextremismus?
Das geht Hand in Hand. Ich würde sagen, Antisemitismus und Rechtsextremismus sind die Dächer, die über vielen Verschwörungstheorien stehen. Das neue Level, das ich dabei sehe, ist die Tatsache, dass viele Menschen, die an diesen Schwurbel glauben, sich gar nicht als rechtsgerichtet empfinden, ja in manchen Fällen sogar Anti-Rechts-Kampagnen unterstützen. Es gibt beispielsweise eine Verschwörungstheorie, die besagt, dass die Eliten die Flüchtlingskrise steuern würden, um wahlweise einen Bürgerkrieg auf europäischem Boden herbeizuführen oder das deutsche Volk auszurotten. Viele Menschen, die an diese Theorien glauben, wehren sich dagegen, als fremdenfeindlich bezeichnet zu werden. Manche bekennen sich allerdings auch klar zu ihrem rechtsradikalen Gedankengut.
Nutzen Rechtsextreme Verschwörungstheorien für ihre Zwecke?
Ja, denn mit Verschwörungstheorien kann man einen Grundstein für Radikalisierung legen. Rechtsextreme nutzen sie besonders, wenn es darum geht, die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland anzuzweifeln oder die gerade beschriebene Hetze gegen Flüchtlinge und Einwanderer zu betreiben. Desweiteren finden sich unter Anhängern und Politikern von rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien viele Anhänger von Verschwörungstheorien und antisemitischen Weltverschwörungsideologien, wie z.B. den Protokollen der Weisen von Zion.
Auf einer Impfgegnerdemonstration, die ich im September besuchte, um von ihr zu berichten, fanden sich unter den Unterstützern auch Anhänger der rechtspopulistischen Kleinpartei "Deutsche Mitte", die Parteiflyer verteilten. Parteichef Christoph Hörstel ist ein bekannter Verschwörungstheoretiker, vertritt antisemitische Ansichten und wurde während des Bundestagswahlkampfes 2017 von der verschwörungsideologischen Band "Die Bandbreite" unterstützt. "Die Bandbreite" war ebenfalls Unterstützer der besagten Impfgegnerdemonstration.
Inwieweit helfen die sozialen Netzwerke den Verschwörungstheorien sich auszubreiten?
Informationen sind durch das Internet immer und überall verfügbar und nie war es so leicht, Inhalte mit anderen zu teilen wie heute. Früher war das so: Wenn ich mich für etwas interessiert habe, musste ich bewusst auf eine bestimmte Webseite gehen, um darüber lesen zu können. Aber durch die sozialen Netzwerke kommen diese Theorien zu mir. Ich werde beispielsweise auf einen Post aufmerksam, weil ihn ein Freund von mir kommentiert hat. Ob positiv oder negativ, ist dabei egal. Er erscheint dann in meinem News-Feed.
Viele Leute, die sich von diesem Post angesprochen fühlen, verbreiten ihn ungeprüft weiter. Eine Externer Link: Studie der Columbia University bei Twitter ergab, dass 59 Prozent der User Inhalte weiterteilten, ohne sie vorher selbst gelesen zu haben. Das macht es Fake News und Verschwörungstheorien leicht, sich in den Netzwerken auszubreiten.
Werden wir die Verschwörungstheorien jemals wieder los?
Wir können sie nicht komplett verhindern. Aber wir können die Medienkompetenz stärken und uns gegen Falschmeldungen und Hassreden positionieren. Es muss uns in Fleisch und Blut übergehen, dass wir das hinterfragen, was wir im Netz lesen. Und wir können – so machen wir es beim "Goldenen Aluhut" – diese verrückten Posts klar als Schwurbel kennzeichnen und "debunken" (Englisches Wort für "entlarven, aufdecken", die Red.). Das Wort bedeutet, dass erklärt wird, was an den Theorien falsch ist, wofür es Belege gibt, und wofür nicht. Dabei hängen wir an unsere Antworten immer Quellen dran, die belegen, wieso der Schwurbel aus wissenschaftlicher Sicht nicht sein kann. Ich habe ein Team aus Physikern, Biologen, Juristen und Medizinern um mich herum, die diese Quellen suchen. Wenn wir keine belastbaren Quellen vorweisen können, dann äußern wir uns im Zweifelsfall nicht. Wir wollen ja nicht aus Versehen selbst Fake News verbreiten.