Wie steht die "Alternative für Deutschland" (AfD) zum Antisemitismus? Auf diese Frage gibt es mehrere Antworten. Von der früheren Bundesvorsitzenden Frauke Petry ist die Aussage überliefert, die Partei sei ein politischer Garant jüdischen Lebens. Ganz anders lautet die Einschätzung des Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus des Deutschen Bundestages: Die AfD habe, heißt in seinem im April 2017 vorgelegten Bericht, "mit Abstand das größte Antisemitismus-Problem", zumindest von den im Bericht behandelten Parteien im Bundestag und in den Landtagen
Es besteht demnach ein Gegensatz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung. Auflösen lässt er sich, wenn man die Kontexte und Motive von Wortmeldungen aus der AfD genauer betrachtet. Dabei wird deutlich, dass die Partei einen instrumentellen Bezug zum Thema hat: Antisemitismus wird primär bei Flüchtlingen und Muslimen gesehen. Antisemitismus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft und in der eigenen Partei hingegen nimmt man kaum zur Kenntnis. Dies wäre aber durchaus notwendig, ist die kurze Geschichte der Partei doch von einschlägigen Skandalen geprägt. Gleichwohl bedarf es auch dazu einer differenzierten Betrachtung.
Verschiebung des Antisemitismus-Problems auf muslimische Flüchtlinge
Am Beginn soll die bereits erwähnte Petry-Aussage stehen. Formuliert hat sie Petry in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt. Den Anlass dazu lieferten Aussagen von Ronald Lauder, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses. Er hatte die AfD zuvor in einem Interview mit der Welt als eine "Schande für Deutschland" bezeichnet – und die Hoffnung formuliert, dass sie "bald von der politischen Bühne verschwindet"
Mehrere hochrangige Funktionsträger jüdischer Organisationen kritisierten diese Stellungnahme. So erklärte beispielsweise Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde München und Oberbayern: Die AfD stehe vielmehr für "Holocaustrelativierung oder gar -leugnung sowie offene Nähe zur Neonaziszene". Für jüdische Menschen sei die Partei "nicht wählbar". Und weiter kommentierte sie: "Es ist an Dreistigkeit und Verlogenheit kaum zu übertreffen, wie die AfD die berechtigten Sorgen jüdischer Menschen vor Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland für ihre Zwecke missbraucht"
Die Petry-Aussage ist bei weitem nicht die einzige, in der deutlich wird, dass die AfD Judenfeindschaft unter Muslimen oder Flüchtlingen instrumentalisiert. Der Co-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen erklärte einmal auf Nachfrage eines Spiegel-Journalisten: "Die AfD ist dezidiert israelfreundlich, Antisemitismus liegt uns fern, wir hatten sogar zwei jüdische Landtagskandidaten in Baden-Württemberg. Wenn jüdisches Leben heutzutage bedroht ist, dann doch eher durch radikalisierte Moslems"
Diese Einstellung deckt sich mit den Positionen, die viele als rechtspopulistisch geltende Parteien in Europa eingenommen haben. Von der "Freiheitlichen Partei Österreichs" (FPÖ) bis zum französischen "Front National" gibt man sich pro-israelisch und pro-jüdisch – was im öffentlichen Diskurs strategische Vorteile bringt: Weil Antisemitismus (bisher) ein Kernmerkmal des Rechtsextremismus ist, wird ein pro-jüdisches Auftreten im Allgemeinen als Beleg für einen Abstand zum Rechtsextremismus verstanden. Aus einer solchen Position kann dann einfacher gegen Migranten und Muslime agiert werden. Der Antisemitismus wird bei Menschen mit Migrationshintergrund verortet – und so von Protagonisten in den eigenen Reihen abgelenkt.
Gedeon, Hohmann und andere: Inkonsequenter Umgang mit Antisemitismus in der AfD
Dabei findet sich Antisemitismus sehr wohl auch in der AfD selbst: Mit einer gewissen Kontinuität kam es zu einschlägigen Skandalen. Sie bewegten sich meist im kommunalen Raum, gelegentlich aber auch auf Länderebene. Dafür stehen für den erstgenannten Bereich etwa Peter Ziemann, Jan-Ulrich Weiß"oder Gunnar Baumgart. Die genannten AfD-Funktionäre hatten bei verschiedenen Gelegenheiten judenfeindliche Statements von sich gegeben, etwa – mit zustimmenden Worten – auf einen holocaust-leugnenden Text auf einem antisemitischen Blog verlinkt.
Besonders bekannt wurde die Debatte um Wolfgang Gedeon im Jahr 2016. Der Landtagsabgeordnete aus Baden-Württemberg hatte, bevor er sich in der Partei engagierte, mehrere Bücher veröffentlicht. Bereits ein Blick in deren Inhaltsverzeichnis macht deutlich, dass er offenbar Anhänger antisemitischer Verschwörungsideologien ist. Seinen Büchern zufolge hielt Gedeon den "talmudistischen Ghetto-Juden" für den inneren "Feind des christlichen Abendlandes". Die
Nachdem daraufhin die Co-Bundesvorsitzende Frauke Petry intervenierte, schied Gedeon schließlich "freiwillig" aus der AfD-Rest-Fraktion aus. Meuthen erklärte dennoch, dass sich an der Abspaltung der Gruppe um ihn nichts ändern werde, weil sich die verbliebenen Abgeordneten der ursprünglichen AfD-Fraktion zu Gedeon bekannt hatten. Dennoch dauerte es nur wenige Monate, bis es zu einer Wiedervereinigung der beiden Fraktionen kam. Meuthen und seine Anhänger arbeiteten fortan wieder mit Parteifreunden zusammen, die sich hinter ein AfD-Mitglied mit antisemitischen Verschwörungsvorstellungen gestellt hatten. Meuthens Kehrtwende macht deutlich, dass ihm eigene Machtansprüche in einer größeren Fraktion und der Gesamtpartei wichtiger als eine klare Trennung waren, und sie steht nicht für Glaubwürdigkeit hinsichtlich einer klaren Distanzierung von Judenfeindschaft.
In dieses Muster passt der Umgang mit einer anderen skandalbelasteten Person: Im Jahr 2003 hatte der damalige hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann auf einer Versammlung in seinem Wahlkreis eine vielbeachtete Rede gehalten, in der genaue Betrachter kaum verhüllten Antisemitismus sahen
Keine antisemitische Partei, aber eine Partei mit großem Antisemitismus-Problem
Doch wie positioniert sich die AfD offiziell zum Antisemitismus? Im Parteiprogramm spielt das Thema keine direkte Rolle, weder hinsichtlich eines Bekenntnisses noch einer Distanzierung. Ein konkreter Bezug zum „Jüdischen“ kommt nur an einer einzigen Stelle vor. Bei dessen Beachtung und Einschätzung muss die Aufmerksamkeit auf eine vorherige Passage gelenkt werden. In der Präambel des Parteiprogramms heißt es, die Partei wolle "unsere abendländische christliche Kultur" (S. 6) erhalten. Sieben Kapitel später geht es dann um den "Islam im Spannungsverhältnis zu unserer Werteordnung". Hier will die AfD einer "islamischen Glaubenspraxis" entgegentreten, "die sich gegen … die jüdisch-christlichen und humanistischen Grundlagen unserer Kultur richtet" (S. 48). Auf das "Jüdische" wird also genau in dem Moment Bezug genommen, in dem es um eine Frontstellung gegen den Islam geht. Auch dies lässt auf eine instrumentelle Einstellung zur Judenfeindschaft schließen – warum sonst wird das Jüdische neben dem Christlichen in der Präambel bei der Formulierung des Selbstverständnisses nicht erwähnt?
Ein indirekter Bezug zum Judentum erscheint erst wieder in den Unterkapiteln "Tiere sind fühlende Wesen" und "Schächten". Dort bekennt man sich zunächst zu einer tierschützerischen Grundhaltung und formuliert dann folgende Position: "Nach dem Vorbild von gesetzlichen Regelungen, die schon in … europäischen Ländern gelten, lehnt die AfD Schächten (betäubungsloses Töten bzw. Schlachten) von Tieren ab. Es ist mit dem Staatsziel Tierschutz nicht vereinbar und muss ohne Ausnahme verboten sein" (S. 86f.). Wichtig ist hier die Formulierung "ohne Ausnahme", denn damit geht die Partei über die geltende Rechtslage hinaus: In Deutschland ist zwar das Schächten laut Tierschutzgesetz nicht erlaubt, gleichwohl bestehen Ausnahmegenehmigungen für die jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften. Die AfD-Forderungen können eine Reaktion auf die hierzulande uneindeutige und von Tierschützern häufig kritisierte Regelung zum Schächten sein – oder aber eine antisemitische und muslimenfeindliche Haltung dokumentieren. Es spricht aus meiner Sicht vieles dafür, dass hier Letzteres im Gewand von Ersterem vorgetragen wird.
In der Gesamtschau finden sich zahlreiche Belege, die für die Einschätzung des Unabhängigen Expertenkreises
Literatur:
Grigat, Stephan (Hrsg.): AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder, Baden-Baden 2017.
Pfahl-Traughber, Armin: Die AfD und der Antisemitismus. Eine Analyse zu Positionen, Skandalen und Verhaltensweisen, in: Schüler-Springorum, Stefanie (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bd. 25, Berlin 2016, S. 271-297.
Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, Bundestags-Drucksache18/11970 vom 7. April 2017 – Externer Link: online verfügbar