Sucht man online Begriffe wie "Neonazis" oder "rechtsextrem", gehören zu den ersten Ergebnissen zahlreiche Bilder von Glatzköpfen mit Hakenkreuz-Tätowierungen oder Bomberjacken tragende Männer, am besten noch mit Baseballschläger über der Schulter. Mit der Realität jugendkultureller Symbolik und Kleidungsstile hat dies indes wenig zu tun. Glatzkopf, Bomberjacke und Springerstiefel sind vielmehr Medienklischees, die einen Stand rechtsextremer Lebenswelt zeigen, welcher seit fast 20 Jahren so nur noch selten anzutreffen ist, nämlich bei neonazistischen Skinheads. Sie entstammen in Deutschland vor allem den 1980er Jahren, als mit der Übernahme des britischen Rechtsrocks in Deutschland eine neue Jugendkultur entstand, die die Szene bis zur Jahrtausendwende prägte.
In den 1980er und 1990er Jahren gab es nur zwei relevante jugendkulturelle Strömungen in der rechtsextremen Szene: Skinheads überwiegend aus der Rechtrockszene und völkische Jugendliche, die über ihre Eltern zur Wiking-Jugend gelangten und an Fahrten und Lagern im HJ-Stil teilnahmen.
Rund um rechtsextreme Musik entwickelte sich eine Symbolwelt, die vor allem dem jugendkulturellen Rechtsextremismus einen identitätsstiftenden Rahmen bot. Burkhard Schröder ließ in seinem 1997 erschienen Buch "Im Griff der rechten Szene. Ostdeutsche Städte in Angst" einen Jugendlichen aus dem sächsischen Wurzen zu Wort kommen, der die damalige Situation beschreibt: "Ich bin durch Bennewitz gefahren und war erschrocken. Da war keiner älter als 16, und die kamen alle einzeln, nicht in der Horde: nur Faschos. […] Springer und Bomberjacke an, Aufnäher drauf, das Gauabzeichen. Das sagt eigentlich alles. […] Es ist total normal, so zu sein."
Rund zwanzig Jahre später haben sich die Inhalte rechtsextremer Lebenswelten kaum geändert, sehr wohl aber ihre Erscheinungsformen und Symbole aktualisiert. Nach wie vor bleiben (Volks)Gemeinschaft, Männlichkeit und Kampf die zentralen Inszenierungsformen der Szene und der Nationalsozialismus ist immer noch in weiten Teilen Ankerpunkt der Symbolwelt. Ergänzt wird dieser Kern durch aktuelle politische Bezüge. Die gemeinsamen Symbole jedoch sind zentral, um eine eigene subkulturelle Identität zu bilden. Sie schaffen nicht nur ein Gemeinschaftsgefühl, sondern grenzen auch nach außen ab. Wandlungen der Symbolwelt zeigen, dass die rechtsextremen Jugendkulturen sich verändern und (ästhetisch) modernisieren – was für eine Jugendkultur unumgänglich ist. Zum einen werden die nachwachsenden Generationen junger Rechtsextremer in anderen gesellschaftlichen und politischen Kontexten geprägt. Zum anderen muss die Szene sich insgesamt den Entwicklungen der Jugendkulturen anpassen, die sie umgeben, um für Jugendliche weiter attraktiv zu bleiben. Das haben auch die Funktionäre der rechtsextremen Szene verstanden: In einem Leitfaden der "Autonomen Nationalisten" wurde die Öffnung der rechtsextremen Szene zur Nachwuchsgewinnung auf den Punkt gebracht: "Ob du Hip-Hopper, Rapper oder sonst irgendwas [bist], ob du Glatze oder lange Haare hast: Völlig egal! – Hauptsache du bist gegen das herrschende System!"
Alte Ideologie in neuem Chic
Ein Blick auf die Demonstrations- und Konzertteilnehmer der rechtsextremen Szene zeigt auch 72 Jahre nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands, dass die Bezüge zum historischen Nationalsozialismus weiterhin präsent sind. Auf den T-Shirts finden sich Namen von Bands wie Landser, der Reichsadler und die "Schwarze Sonne", ein okkultes Zeichen, welches der SS zugeordnet wird
Die Bezüge zum Nationalsozialismus finden sich aber auch weitaus deutlicher als nur in Form von militärischen Bezügen. Dabei versuchen die rechtsextremen Produzenten, ihrer Klientel das Bekenntnis zur nationalsozialistischen Ideologie zu ermöglichen, ohne dabei den Rahmen der Legalität zu verlassen – und bedienen sich häufig bei den Symbolen und Grafiken anderer Subkulturen. Besonders das kopierte Logo der Rap-Gruppe Run-D.M.C. sorgte zuletzt für Aufsehen
Gerade auf Demonstrationen und Großkonzerten sind diese Modetrends der rechtsextremen Szene anzutreffen. Denn neben den Zeichen und Symbolen der Szene konstituiert sich deren kollektive Identität durch subkulturelle Praktiken. Der gemeinsame Besuch von Konzerten oder Demonstrationen ist gerade für jugendliche Rechtsextreme ein wichtiger Teil ihrer Aktivitäten, die Anreise zu den meist geheim organisierten Konzerten oder öffentlich als rechtsextrem eingeordneten Demonstrationen machen den Reiz aus. Besonders die Einbindung von Musik bei der Nachwuchsgewinnung ist seit Jahren fester Bestandteil der Strategie rechtsextremer Funktionäre. Die "Schulhof-CD" der NPD war dabei nur das bekannteste Beispiel.
Vor allem seit den 1990er Jahren konnte so ein Rechtsrock-Markt entstehen. Seit den beginnenden 2000er Jahren wurde diese Entwicklung dann auch durch die Entstehung eigener Kleidungsmarken ergänzt. "Thor Steinar" kam dabei eine Art Vorreiterrolle zu. Mittlerweile gibt es zahlreiche Kleidungsmarken und Versände, die die Szene mit CDs, Klamotten oder Band-Merchandise versorgen und damit Millionen Euro umsetzen
Vom "Autonomen Nationalisten" zum #Nipster und den "Antikapitalistischen Kollektiven"
Einer der wichtigsten stilistischen Modernisierungsschübe der rechtsextremen Szene war mit dem Auftreten der "Autonomen Nationalisten" (AN) Anfang der 2000er Jahre verbunden. Im Stil linksradikaler Gruppen kleideten sich Neonazis plötzlich wie der "Schwarze Block" und traten politisch für einen völkischen Antikapitalismus ein: Turnschuhe statt Springerstiefeln prägten das Bild bei Aufmärschen
Wenige Jahre später waren erneut Übernahmen aktueller jugendkultureller Stile durch die rechtsextreme Szene zu beobachten. Im Januar 2014 tauchte beim rechtsextremen "Trauermarsch" in Magdeburg ein junger Neonazi mit Vollbart, Piercings und Jutebeutel mit der Aufschrift "Bitte nicht schubsen, ich habe einen Joghurt im Beutel" auf. Das Bild schaffte es bis in das Rolling-Stone-Magazine, der "Nipster" war geboren
Im gleichen Zuge entwickelte sich seit 2015 eine neue Netzwerkstruktur, die "Antikapitalistischen Kollektive". Sie verstehen sich als Plattform zur Vernetzung bundesweiter rechtsextremer Gruppen unter einem gemeinsamen Dach. Im Kern zählt die Gruppierung knapp 50 Personen, schafft es aber durch ihr modernes und militantes Auftreten, eine deutlich höhere Zahl Personen bei Demonstrationen zu mobilisieren. Seit 2015 führte dies bundesweit zur Rückkehr eines rechtsextremen "Schwarzen Blocks" bei Demonstrationen in der gesamten Bundesrepublik: Schwarze Kleidung, Sonnenbrille und "Hammer und Schwert" als Symbole sind die Erkennungszeichen dieser Entwicklung. "Hammer und Schwert" wurden vor allem vom Strasser-Flügel der NSDAP
Auf lokaler Ebene beanspruchen diese Neonazi-Gruppen oft auch die räumliche Dominanz, auch, in dem sie in "ihren" Vierteln ihre Symbolik verbreiten, zum Beispiel mit Aufklebern mit Slogans wie "NS AREA" oder "Bonzenviertel abwerten" oder riesigen Graffitis mit dem Schriftzug "Nazi-Kiez". Ihr aggressives Auftreten ist in vielen Fällen verbunden mit Übergriffen auf links-alternative Jugendliche. Attraktiv ist dabei vor allem die Mischung aus aktuellen jugendkulturellen Praktiken und dem Reiz des Verbotenen. Die Hürden für den Einstieg in die Szene sind damit geringer, ihre Anschlussfähigkeit größer. Den Soundtrack dieses Neonazismus produzieren rechtsextreme Rapper wie "Makss Damage" oder "Mic Revolt". Hinter den Namen verbergen sich mit Julian Fritsch ("Makss Damage") und Michael Zeise ("Mic Revolt") langjährig aktive Neonazis. Offener Rassismus, Neonazismus und teils deutliche Gewaltaufrufe sind Teil des eigenen Selbstverständnisses.
Vom Stadion auf die Straße: "Hooligans gegen Salafisten" (Hogesa)
Im Oktober 2014 trat mit den "Hooligans gegen Salafisten" (Hogesa) eine der neuen rechtsextremen Protestaktionen rund um das Themenfeld Asyl und islamistischer Terrorismus öffentlich bundesweit in Erscheinung. Zu einigen Kundgebungen in den Monaten zuvor waren lediglich einige hundert Teilnehmer angereist, was kaum zu mehr als lokaler Aufmerksamkeit geführt hatte. Am 26. Oktober in Köln allerdings setzte sich ein Demonstrationszug mit rund 4.000 Hooligans und Neonazis in Bewegung. Den Soundtrack der neuen Bewegung lieferte die rechtsextreme Hooligan-Band "Kategorie C" mit dem gleichnamigen Lied "Hooligans gegen Salafisten". Auch eines der Fronttransparente an diesem Tag trug die Aufschrift "Kategorie C", den Fachbegriff der Polizei für gewaltsuchende Fußballfans. Viele Teilnehmer hatten eigens angefertigte T-Shirts an, auf denen "Gemeinsam sind wir stark" zu lesen war. Die Rückseite zeigte fünf Vermummte, gerahmt von der Aufschrift "Die Familie hält zusammen – Hogesa für Deutschland". Die Begriffe "Gemeinschaft" in Kombination mit Gewalt sind zentral für Hogesa, sie ziehen Fußballfans aus Hooligan-Gruppen an, die jahrelang behauptet hatten, sie seien unpolitisch. Rechtsextreme Vorfälle in Stadien sind seit Jahrzehnten bekannt und immer wieder Grund für öffentliche Empörung
Den Organisatoren von "Hogesa" gelang es am 26. Oktober 2014 in Köln, jenes Potenzial an rechtsextremen Hooligans gemeinsam mit Neonazis und zahlreichen jugendlichen Teilnehmern auf die Straße zu bringen für den "Kampf" gegen Salafisten und radikale Muslime. Die anwesenden Hooligans trugen palettenweise Bier zum Versammlungsort, was die ohnehin schon aggressive Stimmung weiter anheizte. Kurz nach Beginn der Demonstration schlug Aggression in Gewalt um, nur wenige Meter nach dem Start geriet die Situation völlig außer Kontrolle und es kam zu heftigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Hogesa-Teilnehmern. Die Ausschreitungen von Köln wurden in der rechtsextremen Szene keineswegs negativ gewertet. Im Gegenteil: Die Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden als Heldengeschichte zelebriert, nach außen inszenierten sich die Hogesa-Macher als Opfer staatlicher Gewalt. Zwei weitere Demonstrationszüge im November 2014 in Hannover und im Oktober 2015 in Köln wurden den Hooligans untersagt und jeweils nur Kundgebungen gestattet. Der deutliche Einbruch der Teilnehmerzahlen und interne Streitigkeiten sorgten letztendlich für das Ende der Bewegung, von der vor allem die Symbolik überlebt hat und bei zahlreichen Demonstrationen im Pegida-Umfeld oder auf klassischen Neonazi-Demonstrationen weiter anzutreffen ist. Anfang 2015 waren es vor allem die Proteste von Legida, dem Leipziger Pegida-Ableger, der von Hooligans in weiten Teilen dominiert wurde. Im Kontext der aufbrechenden Proteste am rechten Rand war Hogesa eine Einfallstür in das rechtsextreme Hooliganmilieu. Nach 2014 waren besonders bei Protesten im Umfeld von Pegida und AfD Hooligans kaum wegzudenken und immer wieder auch an Übergriffen auf Gegendemonstranten beteiligt. Hogesa war vor allem für die Mischszene aus Hooligans und organisierten Neonazis ein Aktivierungsschub. Eben jenes Milieu war es dann auch, welches im Januar 2016 randalierend durch den alternativen Stadtteil Leipzig Connewitz zog. Rund 250 Hooligans und Neonazis verwüsteten einen ganzen Straßenzug.
Von Sparta nach Berlin – Die "Identitäre Bewegung"
Seit 2012 existiert in Deutschland ein Ableger der "Identitären Bewegung" (IB), deren Vorläufer in Frankreich Anfang der 2000er-Jahre gegründet wurden. Seit 2014 ist die IB in Deutschland ein eingetragener Verein und zählt laut Bundesverfassungsschutzbericht 2016 rund 300 Mitglieder
Die ersten Aktionen der IB in Deutschland blieben weitestgehend unbeachtet und hatten höchstens regionale Ausstrahlung. Erst die Besetzung des Brandenburger Tors im August 2016 verschaffte der IB bundesweite Aufmerksamkeit. Die Inszenierung der Aktion war professionell arrangiert und die Gestaltung modern. Dabei hat die IB verstanden, dass die Dokumentation der eigenen Aktion deutlich wichtiger ist als die Aktion selbst. Mit dem Video der Besetzung erreichte die Gruppe zehntausende Menschen online.
Zahlreiche Aktivisten der IB stammen aus dem klassischen Neonazi-Spektrum, so zum Beispiel der Gründer der IB in Deutschland, Nils Altmieks. Vor seinem Engagement bei der IB war Altmieks bei der "Heimattreuen deutschen Jugend" (HDJ) aktiv. Diese wurde 2009 unter anderem wegen der "Heranbildung einer neonazistischen Elite" vom Bundesinnenminister verboten
Völkische Jugendbünde
Neben den aktuellen Entwicklungen rechtsextremer Jugendkulturen bestehen seit den 1950er Jahren zahlreiche völkische und neonazistische Jugendgruppen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, bereits Kinder in ihrer Ideologie zu erziehen. Eine der wichtigsten Organisationen war die 1952 gegründete "Wiking-Jugend" (WJ), die 1994 verboten wurde. In den mehr als 40 Jahren ihrer Existenz sollen gut 15.000 Kinder und Jugendliche die WJ durchlaufen haben. Aus ihren Reihen stammen zahlreiche bekannte Neonazi-Kader wie Udo Pastörs, Frank Rennicke oder Thorsten Heise
Trotz des Verbotes der WJ 1994 und auch der "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) 2009 gibt es immer noch verschiedene völkische Jugendgruppen, die auch weiterhin derartige Lager und Fahrten organisieren und so auch und offensichtlich die Aktivitäten der HDJ fortsetzen
Fazit
Die rechtsextreme Szene in Deutschland ist immer vielfältiger geworden. Dies lässt sich auch an der Vielzahl von Symbolen ablesen. Trotz der zahlreichen Übernahmen aus Sub- und Popkultur sind die Inhalte in zentralen Punkten unverändert. Die Modernisierung des Erscheinungsbildes geht keineswegs mit einer Entschärfung der rechtsextremen Ideologie einher. Vielmehr zeigt sich, dass durch das Nachwachsen von rechtsextremen Jugendgruppen auch neue jugendkulturelle Elemente Eingang in die Szene finden. Damit werden aktuelle jugendkulturelle Trends mit rechtsextremer Ideologie kombiniert. Spätestens mit der Öffnung Anfang der 2000er Jahre sind diese Tendenzen immer vielfältiger geworden. Gleichzeitig ist die Szene auf diese Modernisierung angewiesen, um Nachwuchs zu rekrutieren und nicht den Anschluss an den Mainstream zu verlieren. Damit werden rechtsextreme Jugendkulturen auch zum Einstieg für Jugendliche in die rechtsextreme Szene.