Die Grundhypothesen dieses Beitrags sind auf dieser Grundlage:
Globalisierung prägt und verändert nicht nur die Welt wie wir sie kennen, sondern auch diejenigen Bewegungen, die sich gegen sie stellen. Dies gilt auch für rechtsextreme, also inhärent nationalistische Bestrebungen.
Es besteht ein transnationales Netzwerk von Rechtsextremisten, das von einer kollektiven Identität und einer international kompatiblen Ideologie getragen wird. Die kollektive Identität ist
im Sinne von Rassezugehörigkeit die eines Weißen (bzw. „Ariers“) und
im Sinne der Kulturzugehörigkeit die eines dezidiert "abendländischen" Kulturkreises, besonders in Abgrenzung zum Islam. Die kompatiblen ideologischen Elemente sind pan-arischer Rassismus und Antisemitismus.
Zentrale, transnational agierende Aktivisten der extremistischen Rechten definieren Nationalität nicht nach Staatsangehörigkeit oder Geografie, sondern nach "Rasse". Schützens- und verteidigenswert ist nicht vordringlich der jeweilige Nationalstaat, sondern die angeblich von "Überfremdung" und "race-mixing" bedrohten Angehörigen der "weißen Rasse", die in den ihnen angestammten Nationen von einem skrupel-, traditions- und geschichtslosen "internationalen Großkapital" bedroht würden, das zumeist (offen oder verklausuliert) als jüdisch dominiert beschrieben wird. Dabei wird in Rückgriff auf alte, überkommene antisemitische oder völkische Argumentations- und Theoriemuster ein Gemisch aus wahlweise "internationaler Völkersolidarität", "Antiimperialismus" und "Ausländer raus" zusammengebraut. Dies lässt sich auch, wie man auf einem rechtsextremen Transparent lesen kann, als "Internationaler Nationaler Sozialismus" bezeichnen.
Resultat ist eine als pan-arisch bezeichnete Weltanschauung, die (anders als die NS-Ideologie Hitlerscher Prägung) nicht mehr slawophob ist, sondern Osteuropa und Russland ausdrücklich als Teil der "weißen Welt" einschließt. Russland unter Präsident Putin gilt unter Vertretern eines solch pan-arischen Weltbildes heute als Vorbild einer weitgehend noch homogen, "weißen" Nation und wird dementsprechend gern von Aktivisten besucht. Der international tätige US-Rechtsextremist David Duke, der einige Jahre in Russland lebte, denkt nach eigenen Angaben gern an diese Zeit zurück und fragt sogar, ob Russland der "Schlüssel zum weißen Überleben" sei in Zeiten einer, wie er es nennt, "rücksichtslosen und systematischen Zerstörung des europäischen Genotyps". Er behauptet: "Unsere Rasse steht vor einer weltweiten genetischen Katastrophe. Es gibt nur ein Wort, das den Vorgang beschreiben kann: Genozid."
Nur so ist es zu verstehen, wenn der Zweite Weltkrieg von einem US-amerikanischen Rechtsextremisten als "brudermordendes Desaster" bezeichnet wird, bei dem Weiße andere Weiße bekämpft hätten. Udo Voigt, vormals NPD-Bundesvorsitzender und heute Mitglied des Europäischen Parlaments für die NPD, führte schon 2003 im Einklang mit den oben beschriebenen pan-arischen und antisemitischen Denkschemata aus: "In zwei Weltkriegen sind die besten und wertvollsten Nationalisten im Kampfe gegeneinander gefallen. Diejenigen, die beide Kriege finanziert und mitverursacht haben, treiben weiterhin ihr Unwesen in den Banketagen der amerikanischen Ostküste und finanzieren weiterhin Kriege. [...] Nationalisten eint die geschichtliche Erfahrung und die gemeinsam erkannten Feinde!"
In diesem Zusammenhang spielt der Begriff "Globalismus" eine zentrale Rolle. Im rechtsextremen Kontext steht er vielfach für die Macht eines behaupteten geschichts- und gesichtslosen (gemeint ist: jüdisch dominierten) Großkapitals, für "amerikanischen Kulturimperialismus" und für ein "rassezerstörendes Trümmerfeld" beziehungsweise einen "multirassischen Genozid", der "von Washington, Wall Street und Hollywood" angeblich angestrebt wird. Besonderes Augenmerk gilt daher seit einiger Zeit der Einwanderung von Muslimen, die als "kulturfremd" grundsätzlich abgelehnt werden und denen als (von politischer Seite gefördertes) Ziel eine "Islamisierung des Abendlandes" vorgeworfen wird.
Zwischen dem Prozess der Globalisierung und dem "Globalismus" ist hier zu unterscheiden. Die "12 Thesen zum Globalismus" von der NPD-Tochterorganisation "Nationaldemokratischer Hochschulbund" aus dem Jahr 2006 arbeiten diesen Unterschied beispielhaft heraus: "Globalisierung ist der Prozeß, dessen sich die Globalisten zur Durchsetzung ihrer Ziele bedienen". Im Einzelnen wird weiter ausgeführt: "Die von den Globalisten hervorgerufenen Migrationsströme führen ebenso wie die Uniformität der Märkte, ihrer Produkte und ihrer Kommunikation, zur Zerstörung gewachsener Sprachen und Kulturen."
Der französische Rechtsextremist Pierre Krebs führt zur Erklärung die Begriffe "Rassenhumanismus" und "Transmenschismus" ein (wobei es kein Zufall sein dürfte, dass der erste einen eher positiven Klang hat und der zweite einen abwertenden): "Rassenhumanismus besagt, daß wir Rassenhumanisten – im Gegensatz zu der Verlogenheit der globalistischen und egalitaristischen Humanitäristen – uns für die Achtung, die Bewahrung und den Schutz aller Rassen auf diesem Planeten in ihrem jeweils angestammten geokulturellen Raum einsetzen. Transmenschismus steht für Rassenvermischung und Multikultur. […] Ich habe soeben dargelegt, wie unheilvoll der Egalitarismus, der Globalismus, die Marktwirtschaft, die Monotheismen sich auswirken. Diese Hydra führt einen polymorphen Krieg, der an allen denkbaren Fronten tobt."
Rechtsextremisten sehen also den Prozess der Globalisierung als planvoll gesteuerte Vernichtung von Kulturen, Traditionen und Werten (und letztlich von Nationen und Völkern) durch die oben beschriebenen "Globalisten". Als mächtige Hintermänner werden – mal offen, mal nur unterschwellig – Juden imaginiert. Im von Rechtsextremisten international verstandenen Code sind "Globalisten" auch "Ostküste", ist der "Globalismus" auch "New World Order" (NWO) und sind die in diesen "Globalisierungsplan" verwickelten Regierungen und Eliten auch "Zionist Occupied Government" (ZOG). Dass dies antisemitische Codes sind, wird zum Beispiel bei einem Blick in die "Handreichung für die öffentliche Auseinandersetzung" der NPD deutlich. Dort wird die Frage "Warum lehnt die NPD so entschieden die Globalisierung ab?" folgendermaßen beantwortet: "Es handelt sich bei der Globalisierung um das planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des Großen Geldes. Dieses hat, obwohl seinem Wesen nach jüdisch-nomadisch und ortlos, seinen politisch-militärisch beschirmten Standort vor allem an der Ostküste der USA."
Festzuhalten ist an dieser Stelle:
Rechtsextremisten sind keine Globalisierungskritiker, sondern Anti-Globalisten. Ihr Ziel ist also – anders als das vieler Globalisierungskritiker auf der politischen Linken – nicht eine andere Globalisierung, sondern gar keine.
Rechtsextremistischen Anti-Globalisten geht es – im Unterschied zu traditionellen Nationalisten oder dem historischen Nationalsozialismus – nicht primär um die Überhöhung der eigenen Nation beziehungsweise die Dominanz über andere Nationen, sondern um einen Kampf gegen die so genannte "Neue Weltordnung", der nur transnational geführt werden kann.
Rechtsextremistischen Anti-Globalisten geht es nicht nur um die Bekämpfung ökonomischer Globalisierung, sondern ganz besonders um den Kampf gegen kulturelle Globalisierung – namentlich gegen eine vermeintliche Amerikanisierung oder "Islamisierung".
Obwohl in den eigenen Ländern oft notorisch zerstritten, kristallisiert sich so etwas wie eine transnationale extremistische Rechte heraus, zugespitzt: eine pan-arische Internationale. Auf der Folie gemeinsamer Feind-Identifikation entwickelt sich eine engmaschiger werdende Infrastruktur mit regelmäßigen Veranstaltungen, festen Kommunikationsplattformen (vor allem im Internet) und einem regen Austausch von Waren und Ideen.
Nachfolgend soll am Beispiel von William Pierce aufgezeigt werden, wo die Idee der "globalisierten Anti-Globalisten" ihren Ursprung hat.
II. William Pierce: Der Gottvater der transnationalen Infrastruktur der extremistischen Rechten
"Modernism is the essential strategy of the parasite."(William Pierce)
Einer der frühesten und vehementesten Verfechter transnationaler rechtsextremistischer Kooperation war der 2002 verstorbene William Pierce. Der ehemalige Führer der US-amerikanischen Organisation "National Alliance" gilt als einer der weltweit wichtigsten und einflussreichsten Rechtsextremisten der 1980er und 1990er Jahre. Als Autor der "Turner Diaries" hat er ein Standardwerk des transnationalen Rechtsextremismus vorgelegt, welches auch als 'rechtsextremistische Bibel' bezeichnet wird.
Exemplarisch soll an dieser Stelle eine von Pierce am 6. November 1999 im Rahmen seines Radioprogramms "American Dissident Voices" gesprochene Sendung näher analysiert werden. Unter dem Titel "Fighting Together for the Future" berichtet Pierce enthusiastisch von einem Besuch in Deutschland: "Diese Woche war ich in Deutschland. Dort habe ich an einem Kongress der Jugendorganisation der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands teilgenommen, der NPD. Ich war eingeladen, auf dem Kongress zu sprechen." Um seiner amerikanischen Hörerschaft auch die ideologische Kompatibilität der NPD zu versichern, fährt Pierce süffisant fort: "Lasst euch nicht irreführen von dem Wort 'demokratisch' im Parteinamen. Das sind anständige Leute, die nichts Demokratisches an sich haben."
Der alleinige Grund für die Reise nach Deutschland sei es laut Pierce gewesen, die Kooperation mit der NPD zu festigen: "In der Tat habe ich dem NPD-Kongress in meiner Rede gesagt, dass es essenziell – nicht nur hilfreich, sondern notwendig – sei, dass echte nationale Gruppen überall ihre Zusammenarbeit über Grenzen hinweg verstärken."
Pierce geht hierbei von einer pan-arischen Ideologie aus. In einem Grußwort für das Buch "Alles Große steht im Sturm", das 1999 vom ehemaligen JN- und NPD-Bundesvorsitzenden Holger Apfel zum 35. Jahrestag der Gründung der NPD herausgegeben wurde, legt William Pierce diese ideologischen Grundlagen einer internationalen Kooperation dar:
"Nationalisten in Deutschland, in Europa oder auch in Amerika stehen einem gemeinsamen Feind aller Völker gegenüber, dem internationalen Großkapital, das allen geschichtlich gewachsenen Nationen zugunsten eines multikulturellen ‚melting pot’ den Todesstoß versetzen will. Unser Kampf gegen die Weltherrschaftsbestrebungen und den Wirtschaftsimperialismus multinationaler Konzerne wird hart und entbehrungsreich sein – doch das Ziel einer wieder zu ihren Wurzeln zurückfindenden Völkergemeinschaft wird es wert sein, diesen harten Kampf und alle damit verbundenen Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen."
Wie William Pierce in der Radioansprache weiter ausführt, sei dieser angeblichen jüdischen Verschwörung nur beizukommen, wenn "Nationalisten" sich weltweit dem globalen Feind entgegenstellen: "Damit wir Nationalisten also überall echte Stärke gewinnen – letztlich also überall überleben – können, müssen wir den internationalen Juden überwinden. Das schaffen wir nur durch eine grenzübergreifende Zusammenarbeit."
Im pan-arischen Sinne sind die Schicksale aller Arier verbunden im gemeinsamen Kampf gegen Globalisten, Juden, Überfremdung – und zu Ende gedacht im Kampf gegen die Vernichtung der weißen Rasse. Übrigens antwortete Pierce typischerweise auf die Frage nach seiner Nationalität mit: "weiß".
III. Paradoxie ist die Orthodoxie unserer Zeit
"Hitler ist die letzte Enthemmung der Moderne. Seitdem kann jeder wissen, wie bodenlos die menschliche Wirklichkeit ist. [...] Seitdem kann man aber auch ahnen, was der ‚Tod Gottes’ eigentlich bedeutet." (Rüdiger Safranski)
Die Bedingungen in Zeiten der Globalisierung sind für Rechtsextremismus günstig. Dass die Globalisierung der Entstehung beziehungsweise Verbreitung von Rechtsextremismus Vorschub leistet, kann als gesichert gelten. Globalisierungsprozesse machen vielen Menschen schlicht Angst. "So wird die Angst vor scheinbar Unbewältigbarem transportiert in Angst vor etwas, das abzuwehren nicht völlig aussichtslos ist, in Angst vor Kriminalität, vor Asozialen, vor Minderheiten und dergleichen, oder es wird – was oft auf das Gleiche hinauskommt – der Bedrohung eine Struktur unterstellt". Die Prozesse und Zumutungen der Globalisierung wirken hierbei als Humus für den (transnationalen) Rechtsextremismus.
Heute sehen sich Rechtsextremisten in westlichen Industrieländern mit nahezu identischen Herausforderungen konfrontiert. Der Feind, so wird behauptet, sei nicht national, sondern global organisiert. Dementsprechend orientieren sich mehr und mehr Rechtsextremisten hin zu einer transnationalen Vernetzung, um gegen die ihrer Meinung nach schier übermächtige (jüdische) Verschwörung anzukämpfen. So ist die Vernetzung enger geworden, haben sich Auslandskontakte intensiviert, haben sich insbesondere durch die Verbreitung des Internets die Kommunikationswege verbessert, herrschen ein permanenter Informationsaustausch und ein reger Veranstaltungstourismus. Auf diese Weise ergibt sich ein komplexes Geflecht aus Kooperationen.
Die diesem Netzwerk zugrundeliegende pan-arische Ideologie ist quasi eine moderne anti-moderne Ideologie. Geleitet von den in rechtsextremen Kreisen international bekannten "14 Words" des US-amerikanischen Rechtsterroristen David Lane ("We must secure the existence of our people and a future for white children") und der fundamentalen Gegnerschaft zur oben erwähnten, sogenannten "Zionistisch Okkupierten Regierung" (ZOG) verfügen Rechtsextremisten über einen gemeinsamen, die Vergangenheit glorifizierenden und gleichsam zukunftsweisenden Feind- und Gegenmythos, der alle sonstigen ideologischen Differenzen überlagert.
Nur so ist zu erklären, dass mittlerweile sogar die bislang verfeindeten rechtsextremen Szenen Deutschlands und Polens zusammenarbeiten und z.B. gemeinsam Konzerte organisieren. Im November 2014 erschien auf dem polnischen Internetportal nacjonalista.pl ein Interview mit dem NPD-Parteichef Frank Franz, in dem dieser zum Kampf "gegen den gemeinsamen Feind" aufrief: "Wir alle stehen vor den gleichen Problemen. Ein Blick auf die Einwanderungspolitik zeigt eine große Bedrohung für alle europäischen Länder. Es geht nicht nur um die Auflösung der nationalen Institutionen. Auf dem Spiel steht unser gesamtes kulturellen Erbes, das schon tausende Jahre besteht. So müssen alle Europäer kämpfen gegen den gemeinsamen Feind und die Bedrohung. Wer Europa sichern will muss in diesen Kampf kommen. Wir haben eine Allianz aller europäischen Nationen ins Leben zu rufen."
Transnational kooperierende Rechtsextremisten sind also keine fahnenschwenkenden Patrioten, sondern ausgesprochen systemkritische bzw. –feindliche, fundamentale Gegner von Pluralismus, parlamentarischer Demokratie und allen ihren Vertretern. Die Idee eines "ZOG" dominiert mittlerweile den rechtsextremen Diskurs und gilt durchgehend als Beschreibung für die als reine Marionetten globaler (jüdisch dominierter) Finanzinteressen angesehenen Regierungen Europas und Nordamerikas, wobei auch liberaldemokratische Institutionen, Medien und die Zivilgesellschaft als Teil gesehen werden. Oberstes Ziel ist die Erhaltung bzw. Reinhaltung der "weißen Rasse", was eine totale Ablehnung als "artfremd" bezeichneter Ein- und Zuwanderung, interpretiert als "Überfremdung", zur logischen Folge hat.
Das transnationale Netzwerk der extremen Rechten reagiert auf die Zumutungen des von ihm diagnostizierten "Globalismus", wie z.B. Einwanderung – gewendet als "Überfremdung" - oder die multikulturelle Gesellschaft – gewendet als Verlust der eigenen Identität. Darauf wird "mit einer Rehomogenisierung des Identitären und einer Reaffirmation vermeintlicher Gewissheiten begegnet". "Globalismus" ist für Rechtsextremisten ein wichtiges Kampagnenthema geworden. Als Vollstrecker des Volkswillens, dem der Globalisierungsprozess zu schnell voranschreitet, sehen sich Rechtsextremisten allemal. Dass diese Weltanschauung, wenn sie zu Ende gedacht wird, zur Anwendung von Gewalt führen muss und führt, wird leider von einer Vielzahl von Beispielen bestätigt.