Die wunderbare Freundschaft begann, als sich Nana Domena, ein schwarzer Eventmanager und Moderator, der als Kind aus Ghana nach Deutschland gekommen war, Anfang Januar eine Pegida-Demo in Köln ansah. Dort traf er den Neonazi Frank Krämer, der auf Domena zuging und sich mit ihm vor laufender Kamera unterhielt. Danach begannen sie, einander online Briefe zu schreiben und verabredeten ein gemeinsames "Projekt": Sie trafen sich in einem Wald und drehten ein Video. Darin erkundigt sich Nana Domena im Anzug bei Frank Krämer im Thor-Steinar-Kapuzenpulli nach dessen "Einschätzung und Prognose, wie das weitergeht" mit Deutschland, jetzt, wo die ganzen Migranten hierher kommen und überhaupt. "Die Zeiten werden gewalttätiger", antwortet Krämer. Er beklagt, dass in Köln – gemeint ist die Silvesternacht – die Bevölkerung "wehrlos gemacht wurde", weil Hooligans und Rocker, die sie hätten schützen können, Platzverweise bekommen hätten. Er finde durchaus, dass Hilfsbereitschaft ein guter deutscher Wert sei. Aber man sehe ja, was die Deutschen als Dank für ihre Hilfsbereitschaft bekämen: Massenvergewaltigungen. Im Grunde, so Krämer, sei die Bundesregierung "die einzige verfassungswidrige Organisation" in Deutschland und der Staat in Wahrheit ohnehin nicht souverän: "Die Befehle kommen von außen", weiß er. "Wir sollen ausgerottet werden."
Frank Krämer, der nette junge Mann, ist Gitarrist der Band Stahlgewitter. Die träumt in ihren Texten davon, SS-Männer nach Kreuzberg zu schicken: "Wir brauchen sie wieder, das ist kein Witz, die Jungs in Schwarz mit dem doppelten Blitz. (…) Keine Gnade mehr für Kreuzberg, keine Gnade, eine Division, und das war's." Aber das kommt in dem Video von Nana Domena nicht vor. Da sagt Krämer, dass er gegen Gewalt sei. Außer aus Notwehr.
Wenn der Neonazi redet, nickt der schwarze Einwanderer neben ihm oft. Nana Domena betont zwar, bevor das Gespräch beginnt, dass die folgenden Ansichten in dem Video die seines Brieffreundes seien, nicht seine eigenen. Aber das stimmt höchstens halb. Die beiden eint nämlich die Sorge darum, was aus Deutschland werden soll, wenn nun die ganzen Ausländer kommen. Domena ist auch ein besorgter Bürger.
Er sagt im Video: "Wenn ich in Ghana lebe, möchte ich auch nicht, dass eine Horde Weiße kommt und mich vertreibt." Er ist ein Traum für Neonazis wie Frank Krämer, denn einen schwarzen Einwanderer kann man nicht so leicht in die rechte Ecke stellen. Die Frage, ob man mit Neonazis reden soll, beantwortet er mit einem klaren Ja - wobei er seinen Gesprächspartner nicht einmal als solchen vorstellt. Und: Er redet nicht nur mit ihm. Vor allem lässt er ihn reden.
Das Fürchterlichste an dem gemeinsamen Video von Domena und Krämer, das in den ersten beiden Monaten mehr als 80.000 Mal angesehen wurde, ist nicht einmal Domenas Rolle als Pegidaversteher. Das Fürchterlichste ist, wie es von vielen Kommentatoren gefeiert wird als Triumph des offenen Dialogs, des unvoreingenommenen Miteinander-Redens, ohne die bösen Massenmedien.
Ungefähr in der Mitte des Gesprächs im Video zollen beide einander Respekt: Der deutsche Neonazi dem schwarzen Einwanderer dafür, dass er mit ihm redet. Und der schwarze Einwanderer dem deutschen Neonazi dafür, dass er wiederum mit ihm redet. Als sei das dieselbe Frage, nur umgekehrt: Ob man mit Neonazis reden soll (zumal als Schwarzer). Und ob man mit Schwarzen reden soll (zumal als Neonazi).
Wer treuherzig und unvorbereitet in einen "Dialog" mit Neonazis tritt, hilft ihnen
Domena und Frank haben inzwischen weitere Videos produziert und Diskussionsveranstaltungen organisiert. Sie sind ein doppelte Warnung: Erstens, wie sehr man Neonazis hilft, wenn man sich so scheinbar treuherzig, ahnungslos und unvorbereitet in einen öffentlichen "Dialog" mit ihnen begibt. Wie ihre Positionen – wenn sie geschickt vorgetragen und in einer Atmosphäre des Wir-müssen-einfach-alle-mehr-miteinander-Reden nicht hinterfragt, sondern akzeptiert werden – plötzlich geradezu naheliegend wirken. Da kommt dann Rassismus unwidersprochen als eine Form von Selbstschutz daher: "Jeder muss fit sein", sagt Krämer, Kampfsport treiben, so "dass jeder in der Lage ist, sich und seine Familie zu schützen".
Die zweite Warnung ist, wie überzeugend diese Haltung, dass man doch offen mit allen reden muss - wozu natürlich auch Neonazis gehören - auf viele wirkt; gerade vor dem Hintergrund der "Lügenpresse"-Rufe, gerade als Widerspruch zu den Tabus der etablierten Medien. Domena und Krämer sprechen das dezidiert aus, in ihrem Video. Krämer sagt: "Journalisten wollen nicht, was wir hier machen, dass man offen und frei darüber redet." Und an Domena gerichtet: "Du als schwarzer Einwanderer und ich als Nationalist aus Deutschland, wir schaffen etwas, was ich mit 'Spiegel-TV' nicht schaffen würde." Er hat auch eine Erklärung dafür: "Der Journalismus muss natürlich staatsstabilisierend sein."
Dies wäre vielleicht ein Punkt gewesen, an dem Domena einen Unterschied hätte feststellen können zwischen seinem Wunsch, das Land so zu bewahren, wie es ist, und der Vision des Neonazis, ein ganz anderes Land zu erschaffen. Aber dazu hätte er nachfragen müssen, was sein Gesprächspartner denn an "Staatsstabilisierung" problematisch findet. Stattdessen sind beide sich einig in ihrer Ablehnung der Massenmedien. Dort aber wäre jemand, der davon singt, in Kreuzberg so lange morden lassen will, bis es ausländerfrei sei, natürlich kein normaler Gesprächspartner.
Journalisten müssen ihr "Nein" heute besser begründen als früher
Die Frage, ob es richtig ist, mit Neonazis zu reden, ist keine neue Frage. Und viele grundsätzliche Argumente dafür oder dagegen haben natürlich Bestand: nämlich einerseits die Gefahr, ihnen eine Bühne zu geben und ihre Positionen zu legitimieren; andererseits die Sorge, dass man sie gerade durch Tabuisierung aufwertet und es erscheinen lässt, als drückten sich Demokraten vor der Auseinandersetzung mit Neonazis, weil sie ihrer Rhetorik nichts entgegenzusetzen hätten. Aber die Umstände haben sich in den vergangenen Jahren radikal geändert – vor allem eine Tatsache: Die etablierten Medien, die professionellen Journalisten, haben ihr Monopol verloren. Jeder kann publizieren – als Blogger, auf Facebook oder Twitter. Gleichgesinnte finden sich viel leichter als früher, und Propaganda, welcher Art auch immer, findet viel leichter ein Publikum. Verschwunden ist vor allem die Möglichkeit der Medien, als Gatekeeper zu agieren: zu bestimmen, welche Informationen die breite Öffentlichkeit erreichen und welche nicht.
Das beeinträchtigt alle Strategien, die darauf abzielen, Neonazis keine Bühne zu bieten. Die etablierten Massenmedien mögen immer noch die größte Bühne bieten – aber es gibt inzwischen viele Nebenschauplätze. Die Propaganda der Neonazis muss auch nicht erkennbar aus Parteiquellen kommen, sie kann trotzdem über Internetseiten und soziale Medien viele Menschen erreichen und wirkt dann womöglich noch überzeugender – man denke in diesem Zusammenhang nur an den Erfolg von
Das Unterfangen, Neonazipropaganda keine Plattform bieten zu wollen, ist also viel schwieriger geworden als früher. Das bedeutet aber nicht, dass man sich davon verabschieden muss. Gerade wenn Nachrichten und Positionen anderswo ungefiltert zugänglich sind, ist es Aufgabe und Funktion professioneller Medien auszuwählen. Und natürlich, Tatsachen einzuordnen und zu analysieren. Dazu gehört auch, einen gesellschaftlichen Diskurs in einer Weise zu führen, der demokratischen und freiheitlichen Werten verpflichtet ist. Das kann bedeuten, bestimmte Protagonisten oder Positionen von diesem Diskurs auszuschließen.
Solche Entscheidungen sind aber in einem viel größeren Maße erklärungsbedürftig. Früher mussten Ausgrenzungsstrategien auch deshalb nicht immer begründet werden, weil sie oft gar nicht sichtbar wurden. Heute müssen Journalisten transparent machen, auf welcher Grundlage sie sich dafür entscheiden, mögliche Gesprächspartner anders zu behandeln als andere. Und sie müssen sich bewusst machen, dass solche Entscheidungen dazu führen können, dass sich ein Teil des Publikums in seinen (Vor)urteilen über die etablierten Medien bestätigt sieht.
Parteien wie die NPD, aber auch rechtspopulistische Parteien wie die AfD, beziehen einen Teil ihrer Attraktivität gerade daraus, dass sie sich als Opfer einer einseitigen, parteiischen, regierungsnahen Presse darstellen. Medien müssen klar definieren, welche Haltungen für sie indiskutabel sind, weil sie diskriminierend, menschen- oder demokratiefeindlich sind. Im Zweifel aber müssen sie häufiger als früher mit radikalen Positionen und ihren Vertretern auseinandersetzen, auch im direkten Gespräch, um nicht denen das Feld zu überlassen, die aus Naivität oder politischem Eigeninteresse rechte Propaganda ohne Einordnung oder Widerspruch weitertragen.
Das ist mühsam. Aber der Eindruck, dass man mit Vertretern der extremen Rechten deshalb nicht rede, weil man deren Rhetorik und (Schein-)Argumenten nichts entgegenzusetzen hätte, wäre verheerend.