Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland | Rechtsextremismus | bpb.de

Rechtsextremismus Was ist Rechtsextremismus? Rassismus Was ist eigentlich Rassismus? Rassen? Gibt's doch gar nicht! Warum ist es so schwer, von Rassismus zu sprechen? Alltagsrassismus Rassentheorien und Rassismus in Asien im 19. und 20. Jahrhundert Infografik Rassismus Verschwörungstheorien Jüdische Weltverschwörung, UFOs und das NSU-Phantom Die Reichsideologie Die Protokolle der Weisen von Zion Debatte: Extremismustheorie Der Extremismusbegriff Kritische Anmerkungen zum Extremismuskonzept Weiterführende Literatur Ideologie Rechtsextreme Einstellungen Zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland Was denkt die NPD? Rechtsextremismus: die internationale Debatte Intellektueller Rechtsextremismus Muslimfeindlichkeit Islamfeindlichkeit, Islamophobie, Islamkritik Interview Hafez Muslimfeindlichkeit als rechtsextremes Einfallstor Virtuelle Kreuzritter Konkurrenz der Leidtragenden Quellentext: Islamfeindlichkeit und Antisemitismus ähneln einander Antisemitismus Antisemitismus heute Interview mit Marina Chernivsky Antisemitismuskritische Bildungsarbeit Die AfD und der Antisemitismus Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland Ungezählte Opfer Ursachen und Prävention des Rechtsextremismus Wie organisieren sich Rechtsextreme? Internationale Netzwerke Die Eurasierbewegung und die Neue Rechte Die APF: Europas rechtsextremer Rand Rechtsextreme US-Szene Wie Russland den rechten Rand in Europa inspiriert Globalisierte Anti-Globalisten Die Identitären Neonazis in Russland Hammerskins Kampfsport, Runen, Rassenhass Rechtsextremistische Parteien in Europa Rechtsextremismus in Russland (Miss-)Erfolge der „Identitären“ NPD Mehr als 50 Jahre rechtsextrem Das Parteiprogramm der NPD Frauen in der NPD Radikal besorgte Bürger Wer wählt eigentlich rechtsextrem? NPD-Taktiken Das Potenzial der NPD NPD-Verbot und Parteienfinanzierung Autonome Nationalisten Turnschuhe statt Springerstiefel "Dortmund ist unsere Stadt" Aussteigerinterview Webtalk: Autonome Nationalisten Rechtsextreme Parteien in Europa Rechtsextreme Akteure in Deutschland Rechtsextreme Szenen und Medien Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft Interview mit Eberhard Seibel Heimatliebe, Nationalstolz und Rassismus Graue Wölfe Nationalismus und Autoritarismus auf Türkisch Antisemitismus bei Muslimen Russlanddeutsche GMF bei Polnischstämmigen Debatte: "Deutschenfeindlichkeit" Jugendkulturen Runen gestern, heute, morgen Jugendkulturen im Wandel Codes der rechtsextremen Szene Interview mit Christoph Schulze Tipps für Jugendeinrichtungen Burschenschaften Kameradschaften Neonazis hinter weißen Masken Kameradschaften im Visier Einführung Jugendkultur Kampfsport Was liest der rechte Rand? Geschichte der rechtsextremen Presse Gegenöffentlichkeit von rechtsaußen Der rechte Rand: Verlage Der rechte Rand: Publikationen Audio-Slideshow Männer Männliche Überlegenheitsvorstellungen Homosexualität Rechtsextreme Männerbilder Soldatische Männlichkeit Burschenschafter Autoritär-rechte Männlichkeiten Musik Die neonazistische Musik-Szene Neue Töne von Rechtsaußen Rechtsrock für's Vaterland Rechtsrock: Millionen mit Hass Verklausulierte Volksverhetzung Interview mit David Begrich Elf rechte Bands im Überblick Frauen Auf die sanfte Tour Feminismus von rechts Rechte Aktivistinnen Frauen in der NPD Rechtsradikale Frauen Rechtsextrem orientierte Frauen und Mädchen Frauen im rechtsextremen Spektrum Aussteigerinnen Nazis im Netz Roots Germania Rechtsextremismus im Internet Das braune Netz Neonazis im Web 2.0 Zocken am rechten Rand TikTok und Rechtsextremismus Das Internet als rechtsextreme Erfolgsgeschichte? Rechtsextremismus und Presse Interview mit Ulrich Wolf Der NSU und die Medienberichterstattung Umgang mit Leserkommentaren Ein kurzer Ratgeber für Journalisten Krimi gegen Rechts Tonangebende rechtsextreme Printmedien Wenn Neonazis Kinder kriegen Die nächste Generation Hass Umgang mit Kindern von Neonazis Eine Mutter und ihre Kinder steigen aus "Mein Kampf" "Wir wollen den Zünder ausbauen" Helfen Gesetze gegen "Mein Kampf"? Gemeinfrei: "Mein Kampf" Hitlers "Mein Kampf" – ein unterschätztes Buch Rechtsextreme Kampagnen-Themen "Gender" und "Genderwahn" Ökologie Grüne Braune Wie grün waren die Nazis? Interview mit Elisabeth Siebert Debatte: Kommunale Flüchtlingspolitik Nach Köln Flüchtlingsunterkünfte Interview mit Oliver Malchow Was kommunale Flüchtlingspolitik leisten kann – und muss Deutsche Asylpolitik, europäischer Kontext Wer erhält welches Asyl? "Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, aber …" – Ein Faktencheck Anstoß in der Kreisklasse Handlungsspielraum der Kommunen Meinung: Die Probleme waren schon vor den Flüchtlingen da Meinung: Kommunale Flüchtlingspolitik aus der Sicht des Bundes Meinung: Probleme und Lösungswege in der kommunalen Flüchtlingspolitik Meinung: Flüchtlingsarbeit in den Kommunen – Eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft TwitterChat: Kommunale Flüchtlingspolitik Fußball Judenhass im Fußball Film: Rechtsextremismus und Diskriminierung in deutschen Fußballstadien Interaktiver Webtalk: Über den rechten Flügel – Neonazis und Fußball Fußball und Rechtsextremismus Interaktive Grafik: Rechtsextreme Vorfälle in Fußballstadien Angriff von rechtsaußen Rechtsextreme BVB-Fans Audio-Interview: Martin Endemann über Rassismus im deutschen Fußball Audio: Ronny Blaschke über rechte Fangesänge im Stadion Vereine und Verbände Extrem rechte Fußballfans und die Nationalmannschaft des DFB Die Erzählung vom ‘großen Austausch’ Krisen, Unsicherheit und (extrem) rechte Einstellungen Grauzonen Die "Neue Rechte" Interview mit Maren Brandenburger Der rechte Rand des politischen Systems der Bundesrepublik Die völkische Bewegung Die Junge Freiheit Das Institut für Staatspolitik Völkische Jugendbünde Die "Neue Rechte" in der Bundesrepublik Querdenken und Verschwörungserzählungen in Zeiten der Pandemie Rechtsextreme Esoterik Rechtsextreme Diskursstrategien Rechtsextreme Gewalt Rechtsextreme Gewalt Angriff auf die Lokalpolitik Rechtsterrorismus Der Einzeltäter im Terrorismus Der Weg zum NSU-Urteil NSU-Verfahren Storify des Chats zu #3JahreNSUprozess Der Anschlag auf Henriette Reker Video: Die migrantische Community und der NSU Der NSU-Untersuchungsausschuss Protokolle NSU-Ausschuss Chat: NSU-Untersuchungsausschuss Interaktive Grafik: Die Taten des NSU Der NSU Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) Die rechtsextreme Szene und der NSU Der Rechtsterrorismus im Verborgenen Chronik des Rechtsterrorismus Rechtsterrorismus in Europa PMK – Methoden und Debatten PMK – Statistiken Opfergruppen und Feindbilder Wo Demokraten gefährlich leben Die Geschichte des Orazio Giamblanco Wohnungslose Menschen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Was ist Sozialdarwinismus? Wer sind die Opfer? Ausstieg Warum und wie aussteigen? Debatte über echten Ausstieg Interview mit Aussteiger Rochow Pädagogische Arbeitsfelder Netzwerke in Norddeutschland Gewalt gegen Geflüchtete Unvollständige Erinnerung Umgang mit Rechtsextremismus Debatte: Soll man mit Neonazis reden? Toralf Staud: Soll man mit Neonazis reden? Cornelius Weiss: Argumentieren auf allen Ebenen Grit Hanneforth: keine Nazis auf Veranstaltungen Stefan Niggemeier: Ablehnung begründen Andreas Hechler: Entscheidend ist der Kontext Klaus-Peter Hufer: Argumente wirken Simone Rafael: Rassismus widersprechen Initiativen und Zivilgesellschaft Debatte: Was tun bei einem rechtsextremen Aufmarsch? Der rechtsextreme "Kampf um die Straße" Wolfgang Thierse: Wir müssen den öffentlichen Raum gegen die Besetzung durch Rechtsextreme verteidigen Hans-Ernst Böttcher: Man muss nur das Recht anwenden … wollen! Anna Spangenberg: Erfolgreich rechtsextreme Aufmärsche verhindern Herbert Trimbach: Versammlungsfreiheit ist ein Menschenrecht Politische Konzepte Wie sag ich Dass Auschwitz sich nie wiederhole... Denkanstöße aus dem Kanzleramt Bildung, Bildung, Bildung NPD trockenlegen? Wie kann Aussteigern geholfen werden? Interview MVP Forderungen von Projekten an die Politik HDJ-Verbot Strategien im Umgang mit der NPD in Parlamenten Noch mehr Vorschläge Schule Hakenkreuze an der Tafel Interview Reinhard Koch Analyse Albert Scherr Aufsatz Scherr / Schäuble Schülerzeitung Martinshorn Neonazis auf SchülerVZ Studie Uni-Seminar Was können Schülerinnen und Schüler tun? Antidemokratische Positionen und Einstellungen in Schulen Strategien Offener Brief an einen Oberbürgermeister Wie man Hakenkreuze kreativ entschärfen kann Gewalt vermeiden, aber wie? Parolen parieren! Was tun als Opfer rechter Gewalt? Engagement – lohnt das denn? Guter Rat, wenn Nazis stören Rezepte gegen Rechtsextremismus Argumente gegen rechte Vorurteile Vom Hass verabschieden Marke gegen Rechtsextremismus Und Du? Podcasts und Audios Glossar und FAQs Videos und Bilderstrecken Angaben zur Redaktion

Zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland

Prof. Dr. Richard Stöss

/ 7 Minuten zu lesen

Wie hat sich der Rechtsextremismus nach 1945 entwickelt? Richard Stöss erkennt in seinem geschichtlichen Abriss vier markante Phasen.

Neonazis marschieren am 2. August 2014 mit Fahnen, Transparenten und Trommeln durch die Innenstadt von Bad Nenndorf (Niedersachsen). (© picture-alliance/dpa)

Der Wandel des bundesdeutschen Rechtsextremismus kommt besonders deutlich bei der Betrachtung seiner Wahlgeschichte zum Ausdruck. Wahlergebnisse bilden zwar nicht den einzigen Indikator für den Erfolg des Rechtsextremismus und schon gar nicht für das Gefährdungspotenzial, das von ihm ausgeht. Aber Wahlen sind ein wichtiger Hinweis auf seine Resonanz in der Bevölkerung, zumal der Rechtsextremismus hierzulande besonders auf Wahlen fixiert ist und seine Kampagnen darauf ausrichtet. Die Entwicklung des überwiegend parteiförmig organisierten Rechtsextremismus lässt sich also in vier Phasen einteilen.

1945-1961

Der Rechtsextremismus profitierte zunächst in gewissem Umfang von den tief greifenden ökonomischen, sozialen und politischen Nachkriegsproblemen, insbesondere von der Teilung Deutschlands und den Vertreibungen aus den ehemaligen Ostgebieten. Bei der Bundestagswahl 1949 erzielten extrem rechte Parteien insgesamt vier Prozent der Stimmen (18 Mandate). Die 1952 verbotene Sozialistische Reichspartei (SRP) brachte es 1951 in Niedersachsen auf 11 Prozent (16 Mandate) und in Bremen auf acht Prozent (8 Mandate). In Süddeutschland verbündeten sich Rechtsextremisten mit Vertriebenengruppen und konnten so 1950 einige Vertreter in die Landtage von Bayern und Württemberg-Baden entsenden. Aber die Integrationskraft des politischen und wirtschaftlichen Systems der Bundesrepublik wuchs rasch ("Wirtschaftswunder") und entzog dem Rechtsextremismus weithin die soziale Basis. Wahlerfolge waren nur der Deutschen Reichspartei (DRP) in Niedersachsen (1955: 6 Mandate) und in Rheinland-Pfalz (1959: 1 Mandat) beschieden. Die (von den Verfassungsschutzämtern mitgeteilte) Anzahl der organisierten Rechtsextremisten sank von 76.000 (1954) auf 21.000 (1964).

1962-82

Anfang der sechziger Jahre setzten innerhalb des mittlerweile bedeutungslosen und zersplitterten rechtsextremen Lagers Sammlungsbemühungen ein, die 1964 zur Gründung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) führten. Das Ende des "CDU-Staats", die Bildung einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD Ende 1966 und die erste größere Wirtschaftskrise 1966/67 begünstigten den Aufstieg der NPD, die zwischen 1966 und 1968 in sieben Landesparlamente (insgesamt 61 Landtagsmandate) einzog und 1969 mit 4,3 Prozent nur knapp den Sprung in den Bundestag verfehlte. Das entscheidende Resultat der Bundestagswahl 1969 war die Bildung der sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP unter Bundeskanzler Willy Brandt.

Die erstmalig in die Opposition verwiesenen Unionsparteien vollzogen nun einen politischen Rechtsruck. Indem sie mehr oder weniger vehement gegen die neue Ostpolitik der Bundesregierung und deren gesellschaftspolitische Reformpläne kämpften, gruben sie der NPD das Wasser ab. Diese geriet nach der Bundestagswahl in eine tiefe innere Krise: Ein aktionistischer Flügel befürwortete und praktizierte illegale Methoden und bildete den Ausgangspunkt für die Mitte der 1970er Jahre entstehenden neonazistischen Kampfgruppen, die sich auch terroristischer Methoden bedienten: Zum Beispiel die Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS), die Volkssozialistische Bewegung Deutschlands (VSBD), die Deutschen Aktionsgruppen (DA) und die Wehrsportgruppe (WSG) Hoffmann.

Ein eher linker, von Intellektuellen dominierter Flügel arbeitete an der geistigen Erneuerung der theoretischen Grundlagen des Rechtsextremismus. Daraus erwuchsen 1974 verschiedene nationalrevolutionäre Gruppierungen, die sich teilweise auch im Rahmen der Ökologiebewegung engagierten. Schließlich verselbständigten sich auch jene nationalkonservativen Kräfte, die eine Kooperation mit den rechten Flügeln von CDU und CSU gegen die Reformpolitik der sozialliberalen Koalition anstrebten. So entstand 1971 beispielsweise die Deutsche Volksunion (DVU).

Charakteristisch für die 1970er Jahre war die starke Fragmentierung des Rechtsextremismus bei gleichzeitigem Anwachsen neonazistischer Gewaltbereitschaft und Militanz. Die Mitgliederzahlen des organisierten Rechtsextremismus wuchsen nach amtlichen Angaben zunächst bis 1967 auf 39.000 an, sanken dann aber kontinuierlich auf den bisherigen Tiefststand von 17.000 im Jahr 1979.

1983-90

Die dritte Entwicklungsphase des Rechtsextremismus setzte Anfang/Mitte der achtziger Jahre ein, und wieder waren es Momente eines gesellschaftlich-politischen Umbruchs, die seinen Auftrieb beförderten. Anders als früher handelte es sich nun aber um Faktoren, die mehr oder weniger in allen westeuropäischen Staaten wirksam waren (und weiterhin sind), womit dieser "neue" Rechtsextremismus zu einem europäischen Phänomen wurde. Sozialer Wandel, technologische Modernisierung, geringes Wirtschaftswachstum, hohe Massenarbeitslosigkeit, Beschneidung der Sozialausgaben, die politischen und sozialen Umwälzungen in Osteuropa, das Abschmelzen des Ost-West-Gegensatzes, Migrationsbewegungen und Asylproblematik sind nur einige Stichworte, die den Problemhaushalt aller westeuropäischen Staaten prägen. Hinzu kommt der Bedeutungsverlust der Nationalstaaten angesichts der wirtschaftlichen und politischen Globalisierung.

Unter dem Druck der veränderten Verhältnisse zerbrach im Oktober 1982 die sozialliberale Koalition. Als die neue Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP das marode DDR-Regime mit einem Milliardenkredit unterstützte, gründeten neokonservative Kreise im Umfeld der Unionsparteien Ende 1983 die Partei Die Republikaner (REP). Nach einer längeren Anlaufzeit nahmen sie 1989 die Fünf-Prozent-Hürde 1989 gleich zweimal mit Leichtigkeit: In Berlin (West) fielen ihnen mit 7,5 Prozent der Stimmen elf und bei der Europawahl mit 7,1 Prozent sechs Mandate zu. Der Auftrieb des Rechtsextremismus machte sich auch dadurch bemerkbar, dass die organisierte Mitgliederschaft bis 1989 auf 50.000 Personen anwuchs.

Seit 1990

Die deutsche Einheit leitete die vierte Entwicklungsphase ein. Dieser gesamtdeutsche Rechtsextremismus soll nun etwas ausführlicher dargestellt werden.

Das Fundament des ostdeutschen Rechtsextremismus wurde in der "antifaschistischen" DDR gelegt. Der Staatssozialismus beförderte die Entstehung autoritärer, nationalistischer und fremdenfeindlicher Orientierungen. Mit der wachsenden Unzufriedenheit mit den Arbeits- und Lebensbedingungen in den 1980er Jahren entwickelten sich auch rechtsextreme Protestbewegungen, die sich zu subkulturellen Milieus verdichteten. Da öffentlicher Protest in einem Polizeistaat große Risikobereitschaft voraussetzt, zeichneten sich die Fußballfans und Skinheads in der DDR durch enorme Gewalttätigkeit und Brutalität aus. Mit dem Fall der Mauer schwoll der Jugendprotest an, die Milieus breiteten sich weiter aus und neonazistische Gruppierungen fanden regen Zuspruch bei jungen Leuten.

Zwischen 1991 und 1994 erlebte die Bundesrepublik insgesamt ein Anschwellen der rassistischen Gewalt in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß, wobei die Hälfte der Gewalttaten in Ostdeutschland verübt wurde. Nicht selten fanden die teilweise pogromartigen Aktionen gegen Ausländer und Asylbewerber den Beifall von Anwohnern oder Passanten, was darauf hindeutete, dass die gewaltbereiten Subkulturen gerade in Ostdeutschland in ein latent rechtsextremes Umfeld eingelagert sind. Die Entstehung der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), der unter anderem zehn Morde und mehrere Raubüberfälle zur Last gelegt werden, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Ihre Mitglieder hatten sich zunächst in der "Kameradschaft Jena" radikalisiert, die auch als Sektion Jena des Thüringer Heimatschutzes (THS) auftrat. 1998 tauchten sie dann mit der Motivation "Taten statt Worte" in den Untergrund ab.

Der parteiförmige Rechtsextremismus im Westen witterte in den neuen Ländern ein attraktives Rekrutierungsfeld und begann gleich nach dem Mauerfall, in der zusammenbrechenden DDR Mitglieder und Wähler zu gewinnen. NPD und Republikaner stießen bei Wahlen zunächst jedoch auf wenig Resonanz, die DVU begann vergleichsweise spät mit dem Parteiaufbau und nahm überhaupt erst seit 1998 an Wahlen in Ostdeutschland teil. Mit Blick auf den Organisationsgrad, die Wählerresonanz und die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen lag das Schwergewicht des Rechtsextremismus bis Mitte der 1990er Jahre im Westen. Die DVU erzielte in Bremen 1991 sechs Mandate (6,2%) und in Schleswig-Holstein 1992 ebenfalls sechs Mandate (6,3%), und die Republikaner überwanden in Baden-Württemberg 1992 und 1996 mit jeweils rund zehn Prozent (zunächst 14, dann 15 Parlamentssitze) die Sperrklausel. Erst seit 1998 erreichten die Westparteien im Osten angesichts der großen Unzufriedenheit mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Systemwechsels und dem Zustand der inneren Einheit Wahlerfolge. In Sachsen-Anhalt brachte es die DVU 1998 mit 12,9 Prozent auf 16 Mandate, und in Brandenburg rückte sie 1999 mit fünf und 2004 mit sechs Abgeordneten in den Landtag ein.

Die NPD, die kleinste und radikalste unter den drei rechtsextremen Parteien, bemühte sich gezielt um einen systematischen Organisationsaufbau, propagierte einen "nationalen Sozialismus", vernetzte sich mit neonazistischen Kameradschaften (darunter auch mit dem THS) und suchte den Kontakt zu den vielfältigen Subkulturen. Unterm Strich profitierte die NPD augenscheinlich von einer Reihe von Organisationsverboten gegen neonazistische Gruppen Mitte der 1990er Jahre: Diese hatten einerseits dazu geführt, dass die Szene sich in den erwähnten „Kameradschaften“ organisierte (eher losen Gruppen, die wegen fehlender vereinsrechtlicher Strukturen schwer bis gar nicht für staatliche Verbote greifbar sind); viele von diesen band die NPD in der Folgezeit als Vorfeldorganisationen an sich. Andererseits hatte die NPD selbst einen Mitgliederzuwachs erlebt, etliche (häufig erfahrene) Kader der verbotenen Neonazi-Gruppen fanden dort ein neues Betätigungsfeld und verliehen der Partei einen unverkennbaren Schub.

In Folge ihrer Präsenz vor Ort und ihrer Arbeit mit Jugendlichen wurde die NPD bald zum organisatorischen Zentrum des ostdeutschen Rechtsextremismus. Bei Wahlen machte sich das erstmalig 2004 in Sachsen bezahlt, wo sie im Zeichen der massenhaften Proteste gegen die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung (Hartz IV) mit 9,2 Prozent 12 Mandate gewann. Zwei Jahre später zog sie auch in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ein (7,3%, 6 Sitze). Damit war der Zenit ihrer Entwicklung aber auch schon überschritten. Ihre Wahlergebnisse sind seither rückläufig. 2009 bzw. 2011 schaffte sie zwar den Wiedereinzug in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, allerdings mit nur noch acht bzw. fünf Abgeordneten. Bei den Wahlen im September 2014 scheiterte sie dann in Sachsen, wenn auch knapp, an der Fünf-Prozent-Hürde. Zudem ist die Partei durch heftige Fraktionskämpfe und brisante Finanzaffären stark geschwächt. 2011 wurde der langjährige und durchaus erfolgreiche Bundesvorsitzende Udo Voigt von Holger Apfel abgelöst (Voigt nimmt seit Mai 2014 das einzige NPD-Mandat im Europaparlament wahr). Und Ende 2013 musste auch sein Nachfolger im Bundesvorsitz, der damalige sächsische Fraktionsvorsitzende Holger Apfel, zurücktreten. Er hat die NPD mittlerweile verlassen. Die innerparteilichen Krisen führten auch zu Mitgliederverlusten. Der Rückgang von 7.200 (2007) auf 5.500 (2013) Personen konnte auch nicht durch die Fusion der NPD mit den Überresten der ausgezehrten DVU im Jahr 2010 aufgehalten werden.

Fazit

Der organisierte Rechtsextremismus befindet sich derzeit in einem desolaten Zustand. Betrug das von den Verfassungsschutzämtern mitgeteilte Potenzial 1993 64.500 Personen, waren es 2013 nur noch 21.700. Von den einst mitgliederstarken rechtsextremen Parteien existiert nur noch die dezimierte NPD. Die DVU ist eingeschlafen, und die Republikaner, die offiziell nicht mehr als rechtsextrem gelten, führen nur noch ein Schattendasein. Kleinere Parteien, wie etwa "Die Rechte" oder die "Bürgerbewegung pro NRW", haben bislang keinerlei Entwicklungschancen.

Am rechten Rand des deutschen Parteiensystems scheint die mehrheitlich nationalkonservative Alternative für Deutschland (AfD), die auf die Betonung nationaler, ethnischer und kultureller Identität im Rahmen eines innenpolitisch eher autoritär und wirtschaftspolitisch eher neoliberal verfassten Systems setzt, den Löwenanteil des rechtsextremen Wählerpotenzials zu absorbieren. Auch der subkulturell geprägte Rechtsextremismus und die neonazistischen Organisationen verlieren an Zulauf. Allerdings ist die Militanz innerhalb der verschiedenen Szenen nach wie vor sehr groß, was auch in dem hohen Niveau an dem Rechtsextremismus zuzuordnenden Straf- bzw. Gewalttaten zum Ausdruck gelangt. Gelegenheitsstrukturen für einen Terrorismus von rechts sind also durchaus gegeben. Trotz der erheblich abgeschmolzenen Mitgliederzahlen rechtsextremer Parteien ist das vom Rechtsextremismus ausgehende Gefährdungspotenzial, wie sich an den weiterhin hohen Zahlen rechtsextremer Gewalttagen zeigt, nach wie vor beträchtlich.

Geb. 1944, studierte Politische Wissenschaft und ist seit 2004 außerplanmäßiger Professor an der FU Berlin. Forschungsschwerpunkte: Parteiensystem der Bundesrepublik, Deutschland, Rechtsextremismus, Politische Einstellungen, Wahlverhalten, Konfliktstruktur der deutschen Gesellschaft.