Die meisten Menschen stellen sich Rechtsextreme als Männer vor. Denn zumeist stehen rechtsextreme Gewalttaten – dargestellt als Taten von (jungen) Männern – im Fokus des öffentlichen Interesses und prägen so die Wahrnehmung des Phänomens Rechtsextremismus. Tatsächlich ergeben auch wissenschaftliche Untersuchungen, dass meist mehr Männer als Frauen bei Rechtsextremen aktiv sind. Die Attraktivität, die rechtsextremes Handeln offenkundig besonders für Männer hat, lässt Analysen zu Männlichkeit(en) in rechtsextremen Kontexten lohnend erscheinen.
Vor diesem Hintergrund überrascht, dass dieser Ansatz kaum verfolgt wird. Selten wird in der Forschung die Frage nach geschlechtsbezogenen Aspekten des Rechtsextremismus gestellt. Die wenigen Studien zu Geschlecht im Rechtsextremismus behandeln das Thema rechtsextreme Frauen oder Weiblichkeitsentwürfe und beleuchten das vielfältige Wirken von Frauen innerhalb der rechtsextremen Szene und deren Attraktivität für Frauen. Diese Forschung trug dazu bei, die verbreitete Annahme zu widerlegen, Rechtsextreme seien selbstverständlich männlich. Einerseits wirken zahlreiche Frauen auf allen Ebenen in der rechtsextremen Szene mit und werden in ihrer Gefährlichkeit oft unterschätzt, andererseits ist die höhere Präsenz von Männern nicht selbsterklärend. Gerade weil ein "männlicher Charakter" des Rechtsextremismus in der Wahrnehmung von außen wie auch in der Selbstsicht der Rechtsextremen als normal gilt, bietet sich dieser Aspekt zur Analyse an: Warum sind insbesondere Männer im Rechtsextremismus aktiv?
Krisenrhetorik und Bedrohungsszenarien als Legitimationsgrundlage rechtsextremer Ideologie
Eine Erklärung ist das Rollenangebot, das die rechtsextreme Ideologie Männern bietet. Ein "deutscher Mann" zu sein bedeutet in dieser Gedankenwelt immer, weiß und nicht-jüdisch zu sein – die rechtsextreme Ideologie orientiert sich nicht an der Staatsangehörigkeit, sondern an der Volksgemeinschaftsideologie, die auf Blutabstammung basiert. Aus einer rechtsextremen, rassistischen Perspektive ist das völkisch gedachte deutsche Volk sowohl durch "Überfremdung" bedroht, als auch wegen eines Mangels an eigenen, "rassisch reinen" deutschen Kindern. Für Rechtsextreme ist Kinderreichtum daher sowohl eine individuelle als auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Da die deutsche Nation und damit verknüpft die "Volksgemeinschaft" Kernbezugspunkt rechtsextremer Ideologie sind, fällt der Bevölkerungspolitik und der Kontrolle der Sexualität eine zentrale Rolle zu.
Legitimiert wird diese rechtsextreme Vorstellungswelt, indem Bedrohungsszenarien konstruiert werden. Zur rechtsextremen, rassistischen Denkweise gehört zum Beispiel die Bedrohung durch den "fremden Mann", der die deutsche Gesellschaft gefährdet. Dieser "fremde Mann" taucht auch in der Konstruktion des männlich gedachten "kriminellen Ausländers" auf. Indem sie demografische Entwicklungen und Prognosen sehr spezifisch auslegen, untermauern Rechtsextreme die von ihnen aufgestellten bedrohlichen Zukunftsszenarien.
Eine weitere Hypothese der Rechtsextremen lautet, wegen der Frauenemanzipation habe Männlichkeit in modernen Gesellschaften an Bedeutung verloren. Als Reaktion darauf seien die gegenläufigen Männlichkeitsentwürfe der rechtsextremen Ideologie zunehmend attraktiv – so auch eine gängige wissenschaftliche Erklärung. Es werden hierbei aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen konstatiert, die die Geschlechterverhältnisse – und somit die männliche Geschlechtsidentität – in grundsätzlicher Weise veränderten. Dabei wird behauptet, dass diese neuen und für die Männlichkeit krisenhaft anmutenden Phänomene nun erhebliche und besondere Anstrengungen verlangen. Die Geschlechterordnung scheint also unlängst instabil geworden zu sein.
Fraglich ist jedoch, ob diese Vorstellungen von Männlichkeit in der Krise einen realen Ausgangspunkt hat oder ob nicht ein Trugbild vorliegt, welches zwar real wirksam wird, weil es unter anderem in rechtsextremen Argumentationen herangezogen wird, aber den tatsächlichen gesellschaftlichen Entwicklungen nicht gerecht wird. Sicherlich war die Geschlechterordnung auch in den letzten Jahrzehnten zu keinem Zeitpunkt statisch. Anzunehmen ist, dass diese beständigen Veränderungen die Geschlechterordnung prinzipiell stören. Es fällt zudem auf, dass ähnliche Krisenrhetoriken – die Warnung vor einer "Feminisierung der Kultur" – bereits seit dem 19. Jahrhundert kursieren. Darüber hinaus scheint Männlichkeit in einer historischen Perspektive immer wieder verschiedensten Krisen ausgesetzt zu sein. Die von Rechtsextremen behaupteten Bedrohungsszenarien erscheinen dadurch ebenso zweifelhaft wie deren Ruf nach einer dringlichen Reaktion. Rechtsextreme argumentieren mit Männlichkeit und Geschlechterordnung, unabhängig davon, ob diese tatsächlich in einer schweren Krise stecken.
Ein überlegene Position für den (weißen, nicht-jüdischen) Mann
Somit behaupten Rechtsextreme, es gebe eine Bedrohungslage, und gegen diese müsse "Notwehr" geleistet werden. Konkret geht es den Rechtsextremen um den Erhalt der "deutschen Volksgemeinschaft", die wegen mangelnden Nachwuchses und der Migration "Fremder" (insbesondere fremder Männer) von Rechtsextremen als gefährdet angesehen wird. Fremde Männer werden als sexuell übergriffig dargestellt; dadurch störten sie die Fortpflanzung deutscher Männer. Durch die Abwertung fremder Männer wird die männliche, deutsche Wir-Gruppe als Trägerin gegenteiliger positiver Eigenschaften konstruiert. Fremde Männer und deutsche Männer stehen in der rechtsextremen Ideologie in einer feindlichen Auseinandersetzung um sexuelle Beziehungen und Fortpflanzung.
Während das übergriffige, bedrohliche Verhalten fremder Männer als unveränderlich erscheint und somit nach rassistischer Segregation (Ausweisung, Abschiebung, getrennte Schulklassen, etc.) verlangt wird, müssen deutsche Frauen, die die Reproduktion des deutschen Volkes leisten sollen, gemäß dieser Erwartung in die "Volksgemeinschaft" eingebunden werden. Da deutschen Frauen von Rechtsextremen der Mangel an Selbstkontrolle und Rationalität zugeschrieben wird, obliegt dem deutschen Mann die Aufgabe, deutsche Frauen zu schützen. Der Mann bewahrt die Frau so vor Dekadenz beziehungsweise vor den – auf die deutschen Frauen auch verführerisch wirkenden – Verlockungen der "Rassenschande", dem sexuellen Kontakt mit fremden Männern also.
Die Aufsicht und Kontrolle weiblicher Sexualität wird damit zur gesellschaftlichen Pflicht an der deutschen Volksgemeinschaft erhoben. Zugleich ist sie Ausdruck eines männlichen Herrschaftsanspruchs über Frauen, der unter der Etikette des "Schutzes" präsentiert wird. Diese Aufgaben erheben das männliche Individuum aus einer anonymen Bedeutungslosigkeit und verleihen seinem Handeln gesellschaftliche Relevanz und Größe im "volksgemeinschaftlichen" Rahmen. Mit dem Verweis auf das Wohl der deutschen Volksgemeinschaft werden die zu bewältigenden Aufgaben von Schutz und Kontrolle als Dienst am deutschen Volk interpretiert, und das männliche Engagement erscheint dementsprechend als selbstlos. Für den einzelnen rechtsextremen Mann ist dieses Angebot aufgrund der Aussicht auf eine machtvolle Position innerhalb des dargestellten Gedankengebäudes attraktiv: Es verspricht eine Überlegenheit gegenüber Frauen, fremden Männer etc..
Das rechtsextreme Männlichkeitsideal und seine Anforderungen
Ein solcher Einsatz für Deutschland erfordert Männer, deren Männlichkeit "richtig" im Sinne einer vermeintlich ursprünglichen Ordnung ist. Dieses Männlichkeitsideal steht an einer zentralen Stelle innerhalb der rechtsextremen Weltsicht. Als Ideal erscheint in rechtsextremen Diskursen eine deutsche, heterosexuelle Männlichkeit, in der Härte, Entschlusskraft, Eignung zum Handeln gemäß der Prinzipien Befehl und Gehorsam, Selbstaufgabe und Opferbereitschaft sowie Kampfesmut beziehungsweise Heldenhaftigkeit zum Ausdruck kommen.
Gewalt im Sinne der (potentiellen) Ausübung einer direkten körperlichen Gewalt ist Bestandteil der Konstruktion und steht entweder im Kontext des politischen Kampfes, der als ein soldatisch-kriegerischer begriffen wird, oder aber konkreter in der Abwehr von behaupteten Bedrohungen durch fremde Männer und der Regulation deutscher weiblicher Sexualität.
Die Konstruktion einer anderen Männlichkeit (wie einer fremden oder homosexuellen) dient der Herstellung einer Norm, die für den einzelnen deutschen Mann zum Bewertungsmaßstab wird – für ihn selbst, aber auch als Erwartungshaltung seines rechtsextremen Umfelds. Diese Norm tritt ihm fordernd und im Falle einer Abweichung auch feindlich gegenüber. So ist mit der Forderung nach "harter Männlichkeit" die Abwendung der zu befürchtenden ("weichen") "Verweiblichung" verknüpft.
Zu authentischen Repräsentanten einer "selbstbewussten, starken, harten, geraden und wehrhaft-soldatischen Männlichkeit" können fremde Männer nicht erhoben werden. Allein das unterstellte Vortäuschen dieser "deutschen Männlichkeit" weist den "heutigen verweichlichten deutschen Männern" aber die Richtung. In die (behauptete) Krise geraten ist der deutsche Mann durch Schwäche. Verlangt wird also eine gesellschaftliche Veränderung, mit der konträre Männlichkeitskonstruktionen einhergehen. Während von fremden Männer behauptet wird, sie seien so (ihnen also unveränderbare Eigenschaften zugeschrieben werden), ist die deutsche Männlichkeit veränderbar: sie kann auch wieder selbstbewusst, hart, wehrhaft-soldatisch werden. Deutsche Männer können so zur Zielgruppe rechtsextremer Agitation werden: sie sind grundsätzlich erreichbar und können ihr Handeln im rechtsextremen Sinn ändern.
Notwendig für die deutschen, rechtsextremen Individuen wird hierbei, dass sie "männliche Härte" immer wieder unter Beweis stellen. Auch die anti-individualistische Ausrichtung rechtsextremer Geschlechterkonstruktionen im volksgemeinschaftlichen Kontext bedeutet für deutsche Männer meist die (Selbst-)Unterwerfung unter äußere Anforderungen und ebenso oft den Verlust individueller Handlungsfreiheit, die sich, wenn überhaupt, nur gegen große Widerstände und "gegen den Strom" durchsetzen lässt. Das ist ein Schritt in die Unfreiheit, den einige offenbar gerne gehen.