Als die leitende Intendantin der Ruhrtriennale Stefanie Carp den kamerunischen Philosophen Achille Mbembe im Frühjahr 2020 als Festredner zur Eröffnung des jährlich stattfindenden Kulturfestivals einlud, formierte sich Kritik. Lorenz Deutsch, FDP-Politiker und Abgeordneter des nordrhein-westfälischen Landtages, sowie der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein, forderten Carp auf, die Einladung Mbembes als Festredner zu überdenken. Dabei verwiesen sie auf antiisraelische Äußerungen des Philosophen, dem sie außerdem eine Nähe zur Boykott-Kampagne BDS vorwarfen. BDS steht für boycott, divestment und sanctions und setzt sich für einen umfassenden Boykott Israels im Bereich von Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft ein. Unterstützer/-innen und Sympathisanten/-innen von BDS betrachten die Kampagne als politisches Instrument, mit dem die israelische Regierung zu einer Änderung ihrer Politik gegenüber den Palästinenser/innen gezwungen werden soll. Kritiker/-innen der Kampagne betonen hingegen, dass es sich bei BDS um eine antisemitische Bewegung handelt, die nicht nur auf die Ausgrenzung einzelner staatlicher Akteure, Einrichtungen oder Institutionen abziele, sondern auf eine international organisierte, umfassende Isolation des jüdischen Staates und seiner Gesellschaft als Ganzes.
Die Einladung Mbembes zur Ruhrtriennale löste eine breite Mediendebatte darüber aus, ob man dem weltweit renommierten und mit unzähligen Preisen ausgezeichneten Denker der Postcolonial Studies Unrecht tue, wenn man ihm eine Nähe zur BDS-Kampagne und damit zu antisemitischen Akteur/-innen unterstellt. Mbembe selbst wies die Vorwürfe öffentlich zurück und erklärte, dass er "keinerlei Beziehung mit BDS" (Mbembe 2020) habe. Doch nicht nur ein von ihm verfasstes Vorwort für die 2015 erschienene Publikation eines südafrikanischen BDS-Ablegers mit dem Titel "Apartheid Israel" widerlegen seine Aussage. Darin behauptete Mbmebe, die "Besatzung Palästinas" (Mbembe 2015, Übers. d. V.) sei "der größte moralische Skandal unserer Zeit" (ebd.). Der jüdische Staat Israel sei wesentlich "schlimmer" und "tödlicher" als das rassistische Apartheidregime Südafrikas und ziele auf die "schrittweise Vernichtung" (ebd.) der Palästinenser/-innen ab. Es sei daher notwendig, Israel global zu isolieren (vgl. ebd.). Dass Mbembe es nicht allein bei theoretischen Forderungen beließ, belegt ein Vorfall von Ende 2018: Gemeinsam mit anderen Wissenschaftler/-innen hatte Mbembe eine Teilnahme der renommierten Forscherin Shifra Sagy und ihres aus deutschen, israelischen und palästinensischen Kollegen/-innen bestehenden Teams an der Tagung "Anerkennung, Wiedergutmachung, Versöhnung: Licht und Schatten historischer Traumata" im südafrikanischen Stellenbosch verhindert – weil Sagy jüdische Israelin ist (vgl. Kensche 2020). So drohte er damit an der Tagung nicht teilzunehmen, solange den Forderungen von BDS-Aktivist/-innen nicht Folge geleistet würde, die im Vorfeld gegen die Teilnahme israelischer Wissenschaftler/-innen protestiert hatten. Obwohl Mbembe seine aktive Unterstützung von BDS verneinte, war seine ideologische und politische Nähe zur Kampagne nach diesem Vorfall nicht mehr von der Hand zu weisen.
Im Zuge der hitzigen Mediendebatte um Achille Mbembe rückte somit auch die antiisraelische BDS-Kampagne erneut in die Diskussion. Bereits ein Jahr zuvor hatte der Deutsche Bundestag auf Initiative der CDU/CSU, SPD, großen Teilen von Bündnis 90/Die Grünen sowie der FDP einen koalitionsübergreifenden Antrag mit dem Titel "BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen" verabschiedet und darin die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Kampagne als antisemitisch bezeichnet (vgl. Deutscher Bundestag 2019). Doch was verbirgt sich hinter den Forderungen der Kampagne? Welche Methoden wenden ihre Unterstützer/-innen an, und worauf zielen ihre Rhetorik und ihr Aktivismus ab? Und inwiefern handelt es sich dabei tatsächlich um eine Manifestation des
Zur Beantwortung dieser Fragen gilt es den
Kontinuität einer dämonisierenden Rhetorik: Die Vorgeschichte von BDS
Die Geschichte antiisraelischer Boykott-Kampagnen reicht zurück bis in die
Nur wenige Jahre später wurde die BDS-Kampagne mit der Veröffentlichung ihres Manifests "Palestinian Civil Society Call for BDS" (2005) offiziell ins Leben gerufen. Als Initiatoren-/innen werden eine Reihe von teils sehr unterschiedlichen palästinensischen NGOs und zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgeführt.
Jene Argumentationen und Analogien zielen darauf ab, sowohl die Politik israelischer Regierungen gegenüber den Palästinenser/-innen als auch die bloße Existenz Israels in eine historische Kontinuität kolonialer Verbrechen zu stellen. Die falsche Behauptung, Israel sei auf 'größtenteils ethnisch gesäuberten Land' gegründet worden,
Die Programmatik der BDS-Kampagne
(1) Vorwurf der "Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes" (BDS)
Mögen die Anliegen der BDS-Kampagne auf den ersten Blick als politisch legitim und nachvollziehbar erscheinen, offenbart sich in den Vagheiten und Implikationen ihrer drei Kernforderungen eine antisemitische Stoßrichtung. Bereits das erste Kernziel, in dem ein Ende der "Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes" (BDS Call 2005) gefordert wird, kann als Vernichtungsabsicht gegenüber Israel interpretiert werden – denn die BDS-Kampagne lässt explizit offen, um welches Territorium es sich dabei genau handelt: Fordert die BDS-Kampagne einen Rückzug Israels aus der sogenannten Westbank und/oder aus Ostjerusalem? Oder wird in einer ahistorischen, panarabischen Lesart das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan – und damit das israelische Kernland eingeschlossen – als "arabisches Land" deklariert? Und würde dies dann nicht ebenso die Auflösung des Staates Israel implizieren? Solche semantischen Uneindeutigkeiten scheinen keineswegs zufällig gewählt, sondern vielmehr Teil der Strategie von BDS zu sein. Denn durch den weiten Interpretationsspielraum der formulierten Ziele lassen sich Vertreter/-innen ganz unterschiedlicher Milieus für die antiisraelische Agenda der Kampagne gewinnen. Dass es prominenten BDS-Vertreter/-innen um eine radikale Auslegung ihrer Forderungen geht, belegen die Aussagen von Omar Barghouti, einem der führenden Köpfe von BDS. In einem Interview mit der New York Times forderte der in Katar geborene Palästinenser, der an der Universität Tel Aviv Philosophie studierte und dort nach wie vor tätig ist, ganz offen eine Auflösung des jüdischen Staates Israel (vgl. Halbfinger/Wines/Erlanger 2019).
(2) Forderung nach Gleichberechtigung arabischer Israelis
Auch die zweite Kernforderung erscheint bei oberflächlicher Betrachtung zunächst als legitimer Appell für gerechte gesellschaftliche Verhältnisse. Sie bezieht sich auf diejenigen Palästinenser/-innen, die weder in Gaza noch in der Westbank, sondern als israelische Staatsbürger im Kernland Israel leben.
(3) Uneingeschränktes Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge und ihrer Nachkommen
Die dritte Kernforderung des BDS-Gründungsmanifest bezieht sich auf einen zentralen Streitpunkt im
Die Methoden und Einflusssphären von BDS
Die diffamierende und auf eine Abschaffung Israels zielende Programmatik der BDS-Kampagne bildet die Grundlage für die aktivistischen Methoden ihrer Anhänger/-innen. Lokale Ableger des global agierenden BDS-Netzwerkes organisieren regelmäßig Protestkundgebungen, etwa in Universitäten, vor Unternehmen, die mit israelischen Firmen kooperieren, oder vor Kaufhäusern, die israelische Waren vertreiben. Eine der weltweit stattfindenden BDS-Veranstaltungen ist die jährliche "Israeli Apartheid Week". Bereits der Name der Aktionswoche impliziert eine Gleichsetzung Israels mit dem rassistischen Apartheidregime Südafrikas. In Deutschland fanden solche antiisraelischen Veranstaltungswochen in den vergangenen Jahren in Berlin und Oldenburg statt. Anders als Spanien, Großbritannien oder die USA erweist sich Deutschland für die Kampagne jedoch als schwieriges Terrain.
Eine wesentlich höhere Zustimmung erfährt die Kampagne hingegen an nordamerikanischen und britischen Universitäten (vgl. Nelson 2019: 221ff.; Gansinger 2018: 411ff.). Hier sind es zum Teil namhafte Akademiker/-innen wie etwa die US-amerikanischen Gendertheoretikerinnen Judith Butler und Jasbir Puar oder auch bekannte Vertreter/-innen des akademischen Antirassismus wie der bereits erwähnte Achille Mbembe oder der ugandische Anthropologe Mahmoud Mandani, die sich öffentlichkeitswirksam mit den Zielen der BDS-Kampagne solidarisieren (vgl. Elbe 2020: 255). Und dies mit weitreichenden Folgen: Erste Studien aus den USA berichten über eine signifikante Zunahme von Belästigungen und Übergriffen auf jüdische Fakultätsmitglieder sowie jüdische Studierende und bringen dies mit den Aktivitäten von BDS-Campusgruppen in Verbindung (vgl. AMCHA Initiative 2019: 14). In Großbritannien kam es ebenso zu Angriffen auf Studierende durch Vertreter/-innen antiisraelischer Boykottgruppierungen (vgl. Times of Israel 2016). Und auch in Deutschland lassen sich mittlerweile aggressive Protestaktionen durch BDS-Aktivisten/-innen beobachten: Im Sommer 2017 wurde eine Diskussionsveranstaltung an der Humboldt-Universität Berlin von BDS-Unterstützer/-innen massiv gestört und die als Rednerin eingeladene israelische Shoah-Überlebende Dvora Weinstein niedergebrüllt (vgl. Schönball 2017).
Die wohl größte Aufmerksamkeit und Reichweite erzielt die BDS-Kampagne jedoch durch das Engagement weltweit prominenter Vertreter/-innen des Kultursektors. Hier sind es Externer Link: insbesondere populäre Musiker/-innen wie Brian Eno oder Kae Tempest, die öffentlich für die BDS-Kampagne eintreten, zu antiisraelischen Protesten aufrufen und andere Kulturschaffende dazu auffordern, sich am kulturellen Boykott gegen Israel zu beteiligen. Der britische Musiker Roger Waters tritt dabei als besonders vehementer Verfechter von BDS und als geradezu obsessiver Anti-Israel-Aktivist hervor. Diverse Äußerungen und Initiativen des ehemaligen Bassisten der Band Pink Floyd belegen die antisemitische Grundierung seines Engagements für die BDS-Kampagne. So ließ Waters vor einigen Jahren bei seinen Konzerten ein übergroßes schwarzes Ballon-Schwein über das Publikum fliegen, das unter anderem mit einem Davidstern bemalt war (vgl. Holstein 2013). Und erst im Sommer 2020 behauptete Waters in dem der palästinensischen Terrororganisation Hamas nahestehenden Nachrichtenportal Shehab, dass reiche Jüdinnen und Juden die US-Politik kontrollierten, und bediente damit das antisemitische Phantasma von jüdischen Strippenziehern in der amerikanischen Politik und Wirtschaft (vgl. Winer 2020).
Roger Waters und viele andere prominente BDS-Unterstützer/-innen begreifen ihr Engagement für die Israel-Boykott-Kampagne als Ausdruck von Humanismus, manche gar als Kampf gegen das ultimativ Böse in der Welt, das sie in Israel zu erkennen glauben. Dabei scheuen sie vor geschichtsrelativierenden Analogien zwischen dem israelischen Staat und dem
Mit Blick auf die historische Bedeutung Israels als Staat der Überlebenden der Shoah und seiner fortlaufenden Funktion als Schutzraum für Jüdinnen und Juden vor antisemitischen Gewalt- und Vernichtungsbedrohungen weltweit kommen solche Vergleiche mit dem Nationalsozialismus einer ultimativen Dämonisierung Israels gleich: In der geschichtsrelativierenden Behauptung, der jüdische Staat sei nichts Geringeres als ein Wiedergänger des Nationalsozialismus, steckt eine im Kern antisemitische Täter-Opfer-Umkehr. Das meist sehr lautstarke und hoch moralisierende Engagement der BDS-Aktivist/-innen vermag besonders in der Musikindustrie einen nicht zu unterschätzenden Druck auf Künstler/-innen auszuüben. Musiker/-innen wie die Band Radiohead oder Nick Cave, die sich weigern, den Forderungen der Kampagne Folge zu leisten, berichten von Mobbing und öffentlichen Diffamierungen durch BDS-Unterstützer/-innen (vgl. Rolling Stone 2017; Beaumont-Thomas 2018). 2015 wurde der amerikanisch-jüdische Reggae-Sänger Matisyahu im Vorfeld seines Auftritts beim spanischen Rototom Sunsplash Festival 2015 als einziger Musiker dazu genötigt, eine BDS-Erklärung zu unterzeichnen. Als er sich weigerte, luden ihn die Festival-Verantwortlichen kurzerhand aus. Erst nach internationalen Protesten nahm die Festivalleitung die Ausladung zurück und ließ ihn auftreten. Ihren Unmut über die Einladung ließen die BDS-Unterstützer/-innen den Musiker dann während seines Auftritts spüren: Von der Bühne aus blickte Matisyahu auf mehrere überdimensionale Palästina-Flaggen, die BDS-Aktivisten/-innen im Publikum schwenkten.
Fazit – Eine programmatisch und methodisch antisemitische Kampagne
Die Darstellung der Programmatik, Rhetorik und Methodik von BDS und ihrer Unterstützer/-innen lässt erkennen, dass es der Kampagne um weit mehr geht als um eine internationale Isolation Israels. Vielmehr zielt die Kampagne auf eine systematische Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates im politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Dabei wird der Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser/-innen stets als Kampf zwischen einem vermeintlich imperialen und kolonialen Unterdrücker gegen kolonisierte Unterdrückte interpretiert. Mit dieser Deutung des Zionismus und des Staates Israel als rassistisches, imperialistisches und (neo)koloniales Projekt wird die historische und gegenwärtige Notwendigkeit eines staatlich und demokratisch organisierten Schutzraumes für Jüdinnen und Juden vor dem weltweit grassierenden Antisemitismus in Abrede gestellt.
Die bewusst vage formulierten Kernforderungen der BDS-Kampagne eröffnen breite Interpretationsspielräume und machen sie anschlussfähig für unterschiedliche gesellschaftliche und politische Milieus. Von kirchlich geprägten Friedensaktivist/-innen über linksliberale antirassistische Akademiker/-innen bis hin zu offen israelfeindlichen, antiimperialistischen Akteur/-innen oder gar islamistischen und rechtsextremen Gruppierungen: Sie alle können sich in den BDS-Forderungen wiederfinden. Dabei ist das Engagement für die Kampagne durch eine bemerkenswerte Doppelmoral gekennzeichnet. Schließlich richtet sich die weltweit wohl bekannteste und durch unzählige prominente Fürsprecher/-innen unterstützte Boykott-Kampagne allein gegen den Staat Israel. Darüber hinaus wird Israel als weltweit einziger Staat durch die BDS-Kampagne mit dem Apartheid-Vorwurf belegt. Ungeachtet bleibt dabei die Situation der Palästinenser/-innen, die in den Anrainer-Staaten wie
Dennoch gelingt es der BDS-Kampagne, vor allem durch eine pseudohumanistische Rhetorik ihrer teils berühmten Fürsprecher/-innen, in Teilen der Gesellschaft positive Resonanz zu erzeugen. Insbesondere im internationalen Kultursektor (vgl. Baier 2020; Laufer 2020: 53ff.), in Teilen der Wissenschaft (vgl. Elbe 2020: 242 ff.) sowie in kirchlichen Netzwerken (vgl. Quer 2019: 321 ff.) tragen ihre Fürsprecher/-innen zu einer Normalisierung antisemitischer Positionen bei. Diese Dynamik gilt es in einer umfassenden Analyse des Antisemitismus in der BDS-Kampagne in den Blick zu nehmen. Nur so lassen sich tiefere Erkenntnisse über das Netz an Profiteuren sowie über die Wirkungszusammenhänge von bestimmten Akteuren und pressure groups gewinnen. Außerdem gilt es zu prüfen, inwiefern dabei der
Beschlüsse gegen antiisraelische Boykottkampagnen, wie sie der Deutsche Bundestag, diverse Landtage, kommunale Gremien und zivilgesellschaftliche Akteure gefasst haben, zeigen, dass sich der Einfluss von antisemitischen Akteur/-innen zumindest punktuell und in bestimmten Gesellschaftsbereichen zurückdrängen lässt. Das Phänomen des israelbezogenen Antisemitismus, der in antiisraelischen Boykottforderungen seinen Ausdruck findet, ist damit jedoch nicht verschwunden. Die von der BDS-Kampagne propagierten antizionistischen Argumentationen und Diskursfiguren wie auch