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Antisemitismus in der BDS-Kampagne

Jakob Baier

/ 17 Minuten zu lesen

Die BDS-Kampagne ist immer wieder Gegenstand hitziger medialer und politischer Debatten. Die einen betrachten sie als ein harmloses politisches Instrument für eine gerechtere Welt, andere hingegen erkennen in ihr eine antisemitische Stoßrichtung. Was BDS genau ist, wie die Kampagne entstanden ist, was ihre Unterstützer/-innen wollen und weshalb es sich dabei um eine antisemitische Kampagne handelt, erklärt dieser Artikel.

Die vage formulierten BDS-Kernforderungen eröffnen breite Interpretationsspielräume und machen sie anschlussfähig für unterschiedliche politische antisemitische Akteure. (© picture-alliance/dpa, Paul Zinken)

Als die leitende Intendantin der Ruhrtriennale Stefanie Carp den kamerunischen Philosophen Achille Mbembe im Frühjahr 2020 als Festredner zur Eröffnung des jährlich stattfindenden Kulturfestivals einlud, formierte sich Kritik. Lorenz Deutsch, FDP-Politiker und Abgeordneter des nordrhein-westfälischen Landtages, sowie der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein, forderten Carp auf, die Einladung Mbembes als Festredner zu überdenken. Dabei verwiesen sie auf antiisraelische Äußerungen des Philosophen, dem sie außerdem eine Nähe zur Boykott-Kampagne BDS vorwarfen. BDS steht für boycott, divestment und sanctions und setzt sich für einen umfassenden Boykott Israels im Bereich von Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft ein. Unterstützer/-innen und Sympathisanten/-innen von BDS betrachten die Kampagne als politisches Instrument, mit dem die israelische Regierung zu einer Änderung ihrer Politik gegenüber den Palästinenser/innen gezwungen werden soll. Kritiker/-innen der Kampagne betonen hingegen, dass es sich bei BDS um eine antisemitische Bewegung handelt, die nicht nur auf die Ausgrenzung einzelner staatlicher Akteure, Einrichtungen oder Institutionen abziele, sondern auf eine international organisierte, umfassende Isolation des jüdischen Staates und seiner Gesellschaft als Ganzes.

Die Einladung Mbembes zur Ruhrtriennale löste eine breite Mediendebatte darüber aus, ob man dem weltweit renommierten und mit unzähligen Preisen ausgezeichneten Denker der Postcolonial Studies Unrecht tue, wenn man ihm eine Nähe zur BDS-Kampagne und damit zu antisemitischen Akteur/-innen unterstellt. Mbembe selbst wies die Vorwürfe öffentlich zurück und erklärte, dass er "keinerlei Beziehung mit BDS" (Mbembe 2020) habe. Doch nicht nur ein von ihm verfasstes Vorwort für die 2015 erschienene Publikation eines südafrikanischen BDS-Ablegers mit dem Titel "Apartheid Israel" widerlegen seine Aussage. Darin behauptete Mbmebe, die "Besatzung Palästinas" (Mbembe 2015, Übers. d. V.) sei "der größte moralische Skandal unserer Zeit" (ebd.). Der jüdische Staat Israel sei wesentlich "schlimmer" und "tödlicher" als das rassistische Apartheidregime Südafrikas und ziele auf die "schrittweise Vernichtung" (ebd.) der Palästinenser/-innen ab. Es sei daher notwendig, Israel global zu isolieren (vgl. ebd.). Dass Mbembe es nicht allein bei theoretischen Forderungen beließ, belegt ein Vorfall von Ende 2018: Gemeinsam mit anderen Wissenschaftler/-innen hatte Mbembe eine Teilnahme der renommierten Forscherin Shifra Sagy und ihres aus deutschen, israelischen und palästinensischen Kollegen/-innen bestehenden Teams an der Tagung "Anerkennung, Wiedergutmachung, Versöhnung: Licht und Schatten historischer Traumata" im südafrikanischen Stellenbosch verhindert – weil Sagy jüdische Israelin ist (vgl. Kensche 2020). So drohte er damit an der Tagung nicht teilzunehmen, solange den Forderungen von BDS-Aktivist/-innen nicht Folge geleistet würde, die im Vorfeld gegen die Teilnahme israelischer Wissenschaftler/-innen protestiert hatten. Obwohl Mbembe seine aktive Unterstützung von BDS verneinte, war seine ideologische und politische Nähe zur Kampagne nach diesem Vorfall nicht mehr von der Hand zu weisen.

Im Zuge der hitzigen Mediendebatte um Achille Mbembe rückte somit auch die antiisraelische BDS-Kampagne erneut in die Diskussion. Bereits ein Jahr zuvor hatte der Deutsche Bundestag auf Initiative der CDU/CSU, SPD, großen Teilen von Bündnis 90/Die Grünen sowie der FDP einen koalitionsübergreifenden Antrag mit dem Titel "BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen" verabschiedet und darin die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Kampagne als antisemitisch bezeichnet (vgl. Deutscher Bundestag 2019). Doch was verbirgt sich hinter den Forderungen der Kampagne? Welche Methoden wenden ihre Unterstützer/-innen an, und worauf zielen ihre Rhetorik und ihr Aktivismus ab? Und inwiefern handelt es sich dabei tatsächlich um eine Manifestation des Interner Link: israelbezogenen Antisemitismus?

Zur Beantwortung dieser Fragen gilt es den Interner Link: antizionistisch-antiisraelischen Antisemitismus genauer in den Blick zu nehmen, der als eine der virulentesten Erscheinungsformen des Interner Link: modernen Antisemitismus gilt. Ein zentraler Streitpunkt in der Auseinandersetzung mit israelbezogenen Antisemitismus ist die Frage, ab wann eine kritische Positionierung gegenüber dem jüdischen Staat als antisemitisch bezeichnet werden kann. Zur Beurteilung des Antisemitismus in antiisraelischen Äußerungen und Initiativen wird sehr häufig der sogenannte Drei-D-Test des israelischen Politikers Nathan Sharansky als Gradmesser bzw. praxistaugliche Faustregel herangezogen. Demnach ist eine Aussage dann als antisemitisch zu werten, wenn Israel in hohem Maße dämonisiert wird (Dämonisierung), wenn das Existenzrecht Israels in Frage gestellt oder gar negiert wird (Delegitimierung) und/oder wenn zur Beurteilung Israels Maßstäbe herangezogen werden, die an keinen anderen Staat angelegt werden (Doppelstandards). Obgleich es sich beim Drei-D-Test um ein weit gefasstes Beurteilungsraster handelt, eignet er sich als Orientierungsrahmen für die folgende Darstellung der Rhetorik, Programmatik und Methoden der BDS-Kampagne.

Kontinuität einer dämonisierenden Rhetorik: Die Vorgeschichte von BDS

Die Geschichte antiisraelischer Boykott-Kampagnen reicht zurück bis in die Interner Link: Gründungsphase des jüdischen Staates in den späten 1940er Jahren. Danach prägte die von der Arabischen Liga formulierte sogenannte Khartum-Resolution von 1967 über Jahrzehnte die offiziellen politischen Beziehungen der arabischen Staaten zu Israel. Die berühmten "drei Neins von Khartum" besagten: kein Frieden mit Israel, keine Anerkennung Israels und keine Verhandlungen mit Israel. Nach jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen, dem Scheitern unterschiedlicher Friedensabkommen und den darauffolgenden Terrorwellen gegen Israel (insbesondere die beiden sogenannten Intifadas von Interner Link: 1987 bis 1993 und von Interner Link: 2000 bis 2005) verschärfte sich bis Anfang 2000 sowohl die politische Gemengelage in der Konfliktregion als auch die antiisraelische Stimmung in multilateralen politischen Organisationen. Deutlich wurde dies 2001 auf der "Internationalen Konferenz gegen Rassismus" der Vereinten Nationen im südafrikanischen Durban. Die UN-Konferenz, auf der über aktuelle Formen von Interner Link: Rassismus und Möglichkeiten seiner Überwindung diskutiert werden sollte, sowie eine parallel stattfindende NGO-Konferenz wurden von antisemitischen Zwischenfällen überschattet. Unter Protest verließen die Delegationen Israels und der USA die UN-Konferenz. Die Abschlusserklärung der NGO-Konferenz dokumentierte schließlich die antiisraelischen Positionen eines großen Teils der teilnehmenden Organisationen. Darin wurde Israel mit dem Interner Link: rassistischen Apartheidsregime Südafrikas verglichen und bezichtigt, "rassistische Verbrechen" (World Forum Against Racism zit. n. Feuerherdt/Markl 2020: 57) sowie "Völkermord" (ebd.) und "ethnische Säuberungen" (ebd.) zu verüben.

Nur wenige Jahre später wurde die BDS-Kampagne mit der Veröffentlichung ihres Manifests "Palestinian Civil Society Call for BDS" (2005) offiziell ins Leben gerufen. Als Initiatoren-/innen werden eine Reihe von teils sehr unterschiedlichen palästinensischen NGOs und zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgeführt. Schon bei oberflächlicher Betrachtung des Manifests wird deutlich, dass sich darin Parallelen zur dämonisierenden Rhetorik und zu den diffamierenden Vergleichen der NGO-Abschlusserklärung in Durban finden (vgl. ebd.). So behaupten die Initiator/-innen der BDS-Kampagne in ihrer Gründungserklärung, dass der "Staat Israels größtenteils auf Land gegründet wurde, das zuvor von seinen palästinensischen BesitzerInnen ethnisch gesäubert wurde" (BDS Call 2005). Zudem prangern die BDS-Verantwortlichen darin eine angebliche "koloniale und diskriminierende Politik Israels" (ebd.) an und fordern einen umfassenden Boykott nach Vorbild "der Maßnahmen gegen Südafrika während der Apartheid" (ebd.).

Jene Argumentationen und Analogien zielen darauf ab, sowohl die Politik israelischer Regierungen gegenüber den Palästinenser/-innen als auch die bloße Existenz Israels in eine historische Kontinuität kolonialer Verbrechen zu stellen. Die falsche Behauptung, Israel sei auf 'größtenteils ethnisch gesäuberten Land' gegründet worden, wie auch der Vorwurf, Israels Politik verfolge eine dezidiert (neo)koloniale Agenda, sind zentrale Argumentationsfiguren der antiisraelischen Propaganda (vgl. Salzborn 2018: 148f.). So wird die Besetzung bestimmter Territorien nicht etwa als Folge von nicht abgeschlossenen Kriegen, sondern stets als israelische oder gar jüdische Kolonisierung beschrieben. Die expliziten und impliziten Vergleiche des demokratischen Staates Israel mit dem autoritären, rassistischen Apartheidsregime in Südafrika sowie ihre Selbstinszenierung als vermeintlich gewaltfreie Initiative im Dienst des "internationale[n] Recht[s] und den universellen Prinzipien der Menschenrechte" (ebd.) verschafft den Boykottforderungen von BDS den Anschein politischer Legitimität – und Harmlosigkeit. Das Manifest mündet in einen Appell, der an die dämonisierende Rhetorik anschließt und drei Kernforderungen umfasst, die einer Delegitimierung Israels das Wort reden.

Die Programmatik der BDS-Kampagne

(1) Vorwurf der "Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes" (BDS)

Mögen die Anliegen der BDS-Kampagne auf den ersten Blick als politisch legitim und nachvollziehbar erscheinen, offenbart sich in den Vagheiten und Implikationen ihrer drei Kernforderungen eine antisemitische Stoßrichtung. Bereits das erste Kernziel, in dem ein Ende der "Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes" (BDS Call 2005) gefordert wird, kann als Vernichtungsabsicht gegenüber Israel interpretiert werden – denn die BDS-Kampagne lässt explizit offen, um welches Territorium es sich dabei genau handelt: Fordert die BDS-Kampagne einen Rückzug Israels aus der sogenannten Westbank und/oder aus Ostjerusalem? Oder wird in einer ahistorischen, panarabischen Lesart das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan – und damit das israelische Kernland eingeschlossen – als "arabisches Land" deklariert? Und würde dies dann nicht ebenso die Auflösung des Staates Israel implizieren? Solche semantischen Uneindeutigkeiten scheinen keineswegs zufällig gewählt, sondern vielmehr Teil der Strategie von BDS zu sein. Denn durch den weiten Interpretationsspielraum der formulierten Ziele lassen sich Vertreter/-innen ganz unterschiedlicher Milieus für die antiisraelische Agenda der Kampagne gewinnen. Dass es prominenten BDS-Vertreter/-innen um eine radikale Auslegung ihrer Forderungen geht, belegen die Aussagen von Omar Barghouti, einem der führenden Köpfe von BDS. In einem Interview mit der New York Times forderte der in Katar geborene Palästinenser, der an der Universität Tel Aviv Philosophie studierte und dort nach wie vor tätig ist, ganz offen eine Auflösung des jüdischen Staates Israel (vgl. Halbfinger/Wines/Erlanger 2019).

(2) Forderung nach Gleichberechtigung arabischer Israelis

Auch die zweite Kernforderung erscheint bei oberflächlicher Betrachtung zunächst als legitimer Appell für gerechte gesellschaftliche Verhältnisse. Sie bezieht sich auf diejenigen Palästinenser/-innen, die weder in Gaza noch in der Westbank, sondern als israelische Staatsbürger im Kernland Israel leben. Interner Link: Der Staat Israel, so die zweite BDS-Forderung, sollte das "Grundrecht der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels auf völlige Gleichheit anerkenn[en]" (ebd.). Ein solches Plädoyer ist insofern irreführend, als es nahelegt, der Staat Israel würde seinen fast 1,3 Millionen palästinensischen Bürger/-innen formale, demokratische Grundrechte verweigern. Zwar ist die zunehmend polarisierte und fragmentierte israelische Gesellschaft keineswegs frei von Diskriminierung und Rassismus. Und die Polarisierungs- und Segregationsprozesse innerhalb der hochkomplexen, multiethnischen israelischen Gesellschaft, wie sie sich beispielsweise im Bildungswesen zeigen, werden durch die dauerhafte Konfliktsituation weiter verstärkt. Eine juristisch verankerte, ethnisch diskriminierende Staatsangehörigkeitsregelung existiert in Israel – anders als durch die BDS-Forderung insinuiert – jedoch nicht.

(3) Uneingeschränktes Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge und ihrer Nachkommen

Die dritte Kernforderung des BDS-Gründungsmanifest bezieht sich auf einen zentralen Streitpunkt im Interner Link: arabisch-israelischen Konflikt: die palästinensische Flüchtlingsfrage. In ihrem Appell fordert die BDS-Kampagne eine Wahrung der "Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren, wie es in der UN-Resolution 194 vereinbart wurde." (ebd.) Was als moralisch berechtigte und völkerrechtlich legitimierte Forderung erscheint, würde in seiner praktischen Umsetzung das Ende des jüdischen Staates bedeuten. Denn die Interner Link: Vereinten Nationen haben nicht nur denjenigen Palästinenser/-innen einen Flüchtlingsstatus verliehen, die Interner Link: 1948 infolge des arabischen Angriffskriegs auf den neugegründeten Staat Israel gezwungen waren, ihre Wohnorte zu verlassen, sondern auch deren Nachkommen – bis heute und darüber hinaus. Aufgrund dieser politisch einzigartigen de-facto-Vererbung des Flüchtlingsstatus ist die Zahl derjenigen, die als palästinensische Flüchtlinge gelten, um das etwa Siebenfache angewachsen und beläuft sich gegenwärtig auf fast sechs Millionen Menschen. Würde die BDS-Forderung nach einer Remigration all dieser "palästinensischen Flüchtlinge" umgesetzt, käme es zu einer dramatischen Veränderung der demographischen Mehrheitsverhältnisse innerhalb Israels: In Anbetracht von weniger als neun Millionen Einwohner/-innen Israels – davon 6,8 Millionen Jüdinnen und Juden und etwa 2 Millionen Palästinenser/-innen – würde die jüdische Bevölkerung zur Minderheit werden. Dies wiederum würde die Legitimität eines jüdischen Staates untergraben und in letzter Konsequenz das Ende eines jüdischen und zugleich demokratisch organisierten Schutzraumes für Jüdinnen und Juden weltweit bedeuten.

Die Methoden und Einflusssphären von BDS

Die diffamierende und auf eine Abschaffung Israels zielende Programmatik der BDS-Kampagne bildet die Grundlage für die aktivistischen Methoden ihrer Anhänger/-innen. Lokale Ableger des global agierenden BDS-Netzwerkes organisieren regelmäßig Protestkundgebungen, etwa in Universitäten, vor Unternehmen, die mit israelischen Firmen kooperieren, oder vor Kaufhäusern, die israelische Waren vertreiben. Eine der weltweit stattfindenden BDS-Veranstaltungen ist die jährliche "Israeli Apartheid Week". Bereits der Name der Aktionswoche impliziert eine Gleichsetzung Israels mit dem rassistischen Apartheidregime Südafrikas. In Deutschland fanden solche antiisraelischen Veranstaltungswochen in den vergangenen Jahren in Berlin und Oldenburg statt. Anders als Spanien, Großbritannien oder die USA erweist sich Deutschland für die Kampagne jedoch als schwieriges Terrain. In Deutschland erinnern BDS-Protestaktionen vor Kaufhäusern, die israelische Waren anbieten, allzu offenkundig an den sogenannten Interner Link: April-Boykott von 1933, mit dem die Interner Link: NSDAP ihre antisemitische Verfolgungs- und Interner Link: Vernichtungspolitik einleitete. Zudem engte ein frühes und entschiedenes politisches und zivilgesellschaftliches Engagement gegen BDS den Handlungsspielraum der Kampagne in der Bundesrepublik nachhaltig ein. Eine Vielzahl von Kommunen wie auch diverse Förderwerke und Studierendenparlamente verabschiedeten in den vergangenen Jahren Unvereinbarkeitsbeschlüsse, die BDS-Kooperationen und -Aktivitäten in öffentlichen Räumen proaktiv entgegenwirken.

Eine wesentlich höhere Zustimmung erfährt die Kampagne hingegen an nordamerikanischen und britischen Universitäten (vgl. Nelson 2019: 221ff.; Gansinger 2018: 411ff.). Hier sind es zum Teil namhafte Akademiker/-innen wie etwa die US-amerikanischen Gendertheoretikerinnen Judith Butler und Jasbir Puar oder auch bekannte Vertreter/-innen des akademischen Antirassismus wie der bereits erwähnte Achille Mbembe oder der ugandische Anthropologe Mahmoud Mandani, die sich öffentlichkeitswirksam mit den Zielen der BDS-Kampagne solidarisieren (vgl. Elbe 2020: 255). Und dies mit weitreichenden Folgen: Erste Studien aus den USA berichten über eine signifikante Zunahme von Belästigungen und Übergriffen auf jüdische Fakultätsmitglieder sowie jüdische Studierende und bringen dies mit den Aktivitäten von BDS-Campusgruppen in Verbindung (vgl. AMCHA Initiative 2019: 14). In Großbritannien kam es ebenso zu Angriffen auf Studierende durch Vertreter/-innen antiisraelischer Boykottgruppierungen (vgl. Times of Israel 2016). Und auch in Deutschland lassen sich mittlerweile aggressive Protestaktionen durch BDS-Aktivisten/-innen beobachten: Im Sommer 2017 wurde eine Diskussionsveranstaltung an der Humboldt-Universität Berlin von BDS-Unterstützer/-innen massiv gestört und die als Rednerin eingeladene israelische Shoah-Überlebende Dvora Weinstein niedergebrüllt (vgl. Schönball 2017).

Die wohl größte Aufmerksamkeit und Reichweite erzielt die BDS-Kampagne jedoch durch das Engagement weltweit prominenter Vertreter/-innen des Kultursektors. Hier sind es Externer Link: insbesondere populäre Musiker/-innen wie Brian Eno oder Kae Tempest, die öffentlich für die BDS-Kampagne eintreten, zu antiisraelischen Protesten aufrufen und andere Kulturschaffende dazu auffordern, sich am kulturellen Boykott gegen Israel zu beteiligen. Der britische Musiker Roger Waters tritt dabei als besonders vehementer Verfechter von BDS und als geradezu obsessiver Anti-Israel-Aktivist hervor. Diverse Äußerungen und Initiativen des ehemaligen Bassisten der Band Pink Floyd belegen die antisemitische Grundierung seines Engagements für die BDS-Kampagne. So ließ Waters vor einigen Jahren bei seinen Konzerten ein übergroßes schwarzes Ballon-Schwein über das Publikum fliegen, das unter anderem mit einem Davidstern bemalt war (vgl. Holstein 2013). Und erst im Sommer 2020 behauptete Waters in dem der palästinensischen Terrororganisation Hamas nahestehenden Nachrichtenportal Shehab, dass reiche Jüdinnen und Juden die US-Politik kontrollierten, und bediente damit das antisemitische Phantasma von jüdischen Strippenziehern in der amerikanischen Politik und Wirtschaft (vgl. Winer 2020).

Roger Waters und viele andere prominente BDS-Unterstützer/-innen begreifen ihr Engagement für die Israel-Boykott-Kampagne als Ausdruck von Humanismus, manche gar als Kampf gegen das ultimativ Böse in der Welt, das sie in Israel zu erkennen glauben. Dabei scheuen sie vor geschichtsrelativierenden Analogien zwischen dem israelischen Staat und dem Interner Link: NS-Regime nicht zurück: Sein Engagement für die BDS-Kampagne, so erklärte Waters vor wenigen Jahren in sozialen Medien, gleiche dem Kampf der Interner Link: Geschwister Scholl und deren Widerstandsgruppe Die weiße Rose gegen den Nationalsozialismus (vgl. Waters 2019). Omar Barghouti, der als BDS-Führungsfigur jede Form von jüdischer Staatlichkeit in der Region ablehnt, erklärte öffentlich, dass ihn das "rassistische" (Barghouti [2017] zit. n. Rosenfeld 2018: 59) Vorgehen Israels an "geläufige Praktiken der Nazis im Umgang mit den Juden erinnern" (ebd.) würde; auch plädierte er für eine "Euthanasie" (Barghouti 2004) des Interner Link: Zionismus. Solche Gleichsetzungen mit dem Nationalsozialismus finden sich auch in der Bildsprache der BDS-Kampagne. Anlässlich des Eurovision Song Contest 2019 in Tel Aviv wurde über die offiziellen Webseiten von BDS eine Illustration verbreitet, bei der das Logo der Musikveranstaltung mit der Unterschrift "Artwashing Apartheid", einem Stacheldraht sowie einem gebrochenen Herzen versehen wurde, dessen Bruchstelle dem Symbol der nationalsozialistischen Waffen-SS gleicht (vgl. BDS Deutschland 2018).

Mit Blick auf die historische Bedeutung Israels als Staat der Überlebenden der Shoah und seiner fortlaufenden Funktion als Schutzraum für Jüdinnen und Juden vor antisemitischen Gewalt- und Vernichtungsbedrohungen weltweit kommen solche Vergleiche mit dem Nationalsozialismus einer ultimativen Dämonisierung Israels gleich: In der geschichtsrelativierenden Behauptung, der jüdische Staat sei nichts Geringeres als ein Wiedergänger des Nationalsozialismus, steckt eine im Kern antisemitische Täter-Opfer-Umkehr. Das meist sehr lautstarke und hoch moralisierende Engagement der BDS-Aktivist/-innen vermag besonders in der Musikindustrie einen nicht zu unterschätzenden Druck auf Künstler/-innen auszuüben. Musiker/-innen wie die Band Radiohead oder Nick Cave, die sich weigern, den Forderungen der Kampagne Folge zu leisten, berichten von Mobbing und öffentlichen Diffamierungen durch BDS-Unterstützer/-innen (vgl. Rolling Stone 2017; Beaumont-Thomas 2018). 2015 wurde der amerikanisch-jüdische Reggae-Sänger Matisyahu im Vorfeld seines Auftritts beim spanischen Rototom Sunsplash Festival 2015 als einziger Musiker dazu genötigt, eine BDS-Erklärung zu unterzeichnen. Als er sich weigerte, luden ihn die Festival-Verantwortlichen kurzerhand aus. Erst nach internationalen Protesten nahm die Festivalleitung die Ausladung zurück und ließ ihn auftreten. Ihren Unmut über die Einladung ließen die BDS-Unterstützer/-innen den Musiker dann während seines Auftritts spüren: Von der Bühne aus blickte Matisyahu auf mehrere überdimensionale Palästina-Flaggen, die BDS-Aktivisten/-innen im Publikum schwenkten.

Fazit – Eine programmatisch und methodisch antisemitische Kampagne

Die Darstellung der Programmatik, Rhetorik und Methodik von BDS und ihrer Unterstützer/-innen lässt erkennen, dass es der Kampagne um weit mehr geht als um eine internationale Isolation Israels. Vielmehr zielt die Kampagne auf eine systematische Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates im politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Dabei wird der Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser/-innen stets als Kampf zwischen einem vermeintlich imperialen und kolonialen Unterdrücker gegen kolonisierte Unterdrückte interpretiert. Mit dieser Deutung des Zionismus und des Staates Israel als rassistisches, imperialistisches und (neo)koloniales Projekt wird die historische und gegenwärtige Notwendigkeit eines staatlich und demokratisch organisierten Schutzraumes für Jüdinnen und Juden vor dem weltweit grassierenden Antisemitismus in Abrede gestellt.

Die bewusst vage formulierten Kernforderungen der BDS-Kampagne eröffnen breite Interpretationsspielräume und machen sie anschlussfähig für unterschiedliche gesellschaftliche und politische Milieus. Von kirchlich geprägten Friedensaktivist/-innen über linksliberale antirassistische Akademiker/-innen bis hin zu offen israelfeindlichen, antiimperialistischen Akteur/-innen oder gar islamistischen und rechtsextremen Gruppierungen: Sie alle können sich in den BDS-Forderungen wiederfinden. Dabei ist das Engagement für die Kampagne durch eine bemerkenswerte Doppelmoral gekennzeichnet. Schließlich richtet sich die weltweit wohl bekannteste und durch unzählige prominente Fürsprecher/-innen unterstützte Boykott-Kampagne allein gegen den Staat Israel. Darüber hinaus wird Israel als weltweit einziger Staat durch die BDS-Kampagne mit dem Apartheid-Vorwurf belegt. Ungeachtet bleibt dabei die Situation der Palästinenser/-innen, die in den Anrainer-Staaten wie Interner Link: Libanon, Interner Link: Syrien oder Interner Link: Jordanien leben, und dort erheblicher Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt durch die dort herrschenden Regime ausgesetzt sind. Auch die Vernichtungsbestrebungen gegenüber Israel durch antisemitische Akteure in der Konfliktregion, wie etwa durch die terroristische Interner Link: Hamas oder die vom Interner Link: Iran orchestrierte und massiv unterstützte libanesische Interner Link: Hisbollah-Miliz, bleiben von Seiten der BDS-Anhänger/-innen unerwähnt. Wer bei seinem Engagement für BDS zudem in ein Kampagnenbündnis mit terroristischen Vereinigungen und offen antisemitisch argumentierenden Akteur/-innen tritt, misst mit zweierlei Maß. Und auch wenn BDS-Befürworter/-innen den Vorwurf des Antisemitismus weit von sich weisen: Eine Unterstützung von BDS kommt – unabhängig von der individuellen Motivation und Intention – einer Unterstützung der antisemitischen Kampagnenziele gleich. Und dies bedeutet im äußersten Fall eine Zerstörung des demokratisch organisierten, jüdischen Staates Israel.

Dennoch gelingt es der BDS-Kampagne, vor allem durch eine pseudohumanistische Rhetorik ihrer teils berühmten Fürsprecher/-innen, in Teilen der Gesellschaft positive Resonanz zu erzeugen. Insbesondere im internationalen Kultursektor (vgl. Baier 2020; Laufer 2020: 53ff.), in Teilen der Wissenschaft (vgl. Elbe 2020: 242 ff.) sowie in kirchlichen Netzwerken (vgl. Quer 2019: 321 ff.) tragen ihre Fürsprecher/-innen zu einer Normalisierung antisemitischer Positionen bei. Diese Dynamik gilt es in einer umfassenden Analyse des Antisemitismus in der BDS-Kampagne in den Blick zu nehmen. Nur so lassen sich tiefere Erkenntnisse über das Netz an Profiteuren sowie über die Wirkungszusammenhänge von bestimmten Akteuren und pressure groups gewinnen. Außerdem gilt es zu prüfen, inwiefern dabei der Interner Link: Post-Shoah-Antisemitismus – und mit ihm die Motive der Schuldabwehr und Erinnerungsverweigerung – seine Wirkung entfalten.

Beschlüsse gegen antiisraelische Boykottkampagnen, wie sie der Deutsche Bundestag, diverse Landtage, kommunale Gremien und zivilgesellschaftliche Akteure gefasst haben, zeigen, dass sich der Einfluss von antisemitischen Akteur/-innen zumindest punktuell und in bestimmten Gesellschaftsbereichen zurückdrängen lässt. Das Phänomen des israelbezogenen Antisemitismus, der in antiisraelischen Boykottforderungen seinen Ausdruck findet, ist damit jedoch nicht verschwunden. Die von der BDS-Kampagne propagierten antizionistischen Argumentationen und Diskursfiguren wie auch Interner Link: die in allen Teilen der Gesellschaft zu beobachtenden antisemitischen Ressentiments und Denkmuster, bestehen und wirken fort. Es ist zu erwarten, dass sich antiisraelische Aktivisten/-innen in Deutschland aufgrund der zu befürchtenden öffentlichen Kritik und des politischen sowie zivilgesellschaftlichen Widerstands zwar nicht mehr offen mit der BDS-Kampagne solidarisieren werden – an der dahinterstehenden Ideologie aber dürften sie festhalten und sie weiterverbreiten. Die blinden Flecken des Antisemitismus, die sich auch in antirassistischen und antikolonialen Diskursen und Bewegungen auftun, müssen daher eindeutig benannt werden. Antisemitischen Tendenzen sollte auch dann Einhalt geboten werden, wenn sie unter dem Deckmantel eines vermeintlich für Humanismus und Menschenrechte eintretenden Kampfes firmieren.

Quellen / Literatur

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur vertiefenden Lektüre sei auf die ausführliche Phänomenbeschreibung von Lars Rensmann im Dossier Antisemitismus der Bundeszentrale für politische Bildung verwiesen (vgl. Rensmann 2021).

  2. Zur Kritik an der eingeschränkten Kontextsensibilität des Drei-D-Tests vgl. Biskamp 2018: 9ff.

  3. Berichte über britische Akademiker/-innen, die in den Jahren vor der Gründung maßgeblich an der strategischen Entwicklung der Boykottkampagne beteiligt waren, nähren Zweifel an der Selbstdarstellung von BDS als rein palästinensisches Projekt (vgl. Salzborn 2018: 151). Auch die Selbstbezeichnung als "zivilgesellschaftliche" Initiative erscheint abwegig, weil zentrale Akteure der palästinensischen Gesellschaft angesichts der als notwendig empfundenen ökonomischen Beziehungen zwischen Israelis und Palästinenser/-innen ein distanziertes Verhältnis zu BDS pflegen. So wird die palästinensische Gewerkschaftsorganisation PGFTU im BDS-Manifest zwar als Gründungsorganisation erwähnt, offene Unterstützungsbekundungen für die Boykottkampagne sucht man bislang jedoch vergeblich. Der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, lehnt die Boykottforderungen der BDS-Kampagne kategorisch ab. Als unterstützende Organisationen und Gründungsmitglieder firmieren dagegen Gruppierungen wie die Hamas, der Palästinensische Islamische Jihad sowie die Popular Front for the Liberation of Palestine (PFLP) (vgl. Halbfinger/Wines/Erlanger 2019), die von der Europäischen Union als terroristische Vereinigungen eingestuft werden (vgl. Amtsblatt der Europäischen Union 2009).

  4. Zur ausführlichen Darstellung der historischen Entstehung Israels vgl. Brenner 2020: 85ff.

  5. Zur Situation der arabischen Bevölkerung in Israel vgl. Brenner 2020: 229f. und ausführlicher Sznaider 2017: 157ff.

  6. Eine ähnliche Regelung existiert bislang nur bezüglich des Flüchtlingsstaus der Sudetendeutschen und ihrer Nachkommen.

  7. Laut dem palästinensischen Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) lebt mehr als ein Drittel von ihnen in den arabischen Anrainerstaaten Libanon, Syrien und Jordanien. (vgl. UNRWA 2021)

  8. Semantische Unterschiede bzw. Abwandlungen in der deutschen Übersetzung des BDS-Manifests legen nahe, dass dies durch die Initiatoren/-innen bereits bei der Gründung von BDS antizipiert wurde. Denn anders als in allen anderen Übersetzungen wird der Begriff "colonial wall" (BDS 2005) für die israelische Sperranlage zwischen der Westbank und Israel in der deutschen Fassung lediglich mit "Mauer" (ebd.) übersetzt. Ähnlich verhält es sich mit der Bezeichnung "Jewish colonies" (ebd.), die in der deutschen Version des Manifests lediglich mit "Siedlungen" (ebd.) übersetzt wird.

  9. Der Begriff "Euthanasie" (sinngemäß "Sterbehilfe") wird insbesondere mit der systematischen Ermordung von physisch und psychisch erkrankten Menschen, Menschen mit Behinderung sowie sogenannten "Asozialen" und "Gemeinschaftsfremden" während der Zeit des Nationalsozialismus assoziiert.

  10. Dass es sich dabei keineswegs um eine zufällige Ähnlichkeit handelt, legt eine Google-Bildersuche nahe. Recherchiert man in der Online-Suchmaschine etwa Illustrationen und Zeichnungen von gebrochenen Herzen (z. B. durch die Sucheingabe "broken heart" oder "gebrochenes Herz"), so ergibt sich kein einziger Suchtreffer, der eine solche – der SS-Rune ähnliche – Bruchstelle aufweist.

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Jakob Baier ist Politikwissenschaftler und forscht an der Universität Bielefeld zum Thema Antisemitismus in der Kulturproduktion und Verschwörungsideologien in modernen Medien.