in deutscher Sprache // ab 10. Klasse
Am Anfang steht die Schrift. Noch bevor sich der ins Dunkle getauchte Bühnenraum aufhellt und von She She Pop und dem „Chor der lokalen Delegierten“ in einer fahnenschwingenden Prozession betreten wird, fordern Textzeilen das Publikum auf, das Wort zu ergreifen. Es entspinnt sich ein vom Teleprompter gesteuerter Dialog unterschiedlicher Sprechchöre: Neben der Gesamtgruppe artikulieren sich kleinere Einheiten – der „Chor der nicht abgesicherten Mütter“ oder auch der „Chor der Erb:innen“. In Rede und Gegenrede entsteht im Wechselspiel mit den Delegierten auf der Bühne ein kollektiver Monolog, der danach fragt, wie sich Besitz und Eigentum in der Gesellschaft verteilen. Wie strukturiert Vermögen soziale Ungleichheit? Und welche Rolle spielen dabei Erbschaften?
Noch nie wurde in Deutschland so viel Geld an Nachgeborene weitergereicht wie heute. Aber es gilt als ungehörig, darüber zu reden. She She Pop brechen das Schweigen und nehmen Besitzverhältnisse, auch die eigenen, kritisch in den Blick. Wem gehört eine Eigentumswohnung? Und für wen werden die explodierenden Mieten zum existenziellen Problem? Wie summieren sich Vermögen und zu erwartende Erbschaften unter denen, die im Theater sitzen? Eigentum verpflichtet, heißt es im Grundgesetz, Artikel 14, Absatz 2. Aber was machen Besitz und Wohlstand mit denen, die darüber verfügen können? Wie weit reichen Solidarität und Empathie, wenn Geld im Spiel ist?
Die aufgeworfenen Fragen zielen, so die Auffassung der Jury, mitten ins Herz der Themen, mit denen sich die 10. Ausgabe von Politik im Freien Theater beschäftigte. Der konzeptuell äußerst kohärente Abend geht der zunehmenden Spaltung des Bürgertums nach und zeigt in Fabeln, Liedern oder auch theatertheoretischen Kommentaren die Unterschiede zwischen Haben und Nichthaben auf. Inspiriert von Bertolt Brechts Lehrstücken umkreist „Oratorium“ den Zusammenhang von Privateigentum, bürgerlicher Öffentlichkeit und demokratischer Partizipation auf so unterhaltsame wie (selbst-)ironische Art und Weise. An jedem Spielort wird die Produktion an die lokalen Gegebenheiten angepasst. Die ungleiche Verteilung ökonomischer Ressourcen wird so in der jeweiligen Stadtgesellschaft sichtbar bzw. für die Dauer der Vorstellung hörbar. Utopien der Umverteilung werden allerdings keine entworfen – denken und handeln muss das Publikum schon selbst.
Von und mit: Sebastian Bark, Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Ilia Papatheodorou, Berit Stumpf sowie dem Chor der lokalen Delegierten
Bühne: Sandra Fox
Kostüme: Lea Søvsø
Musik: Max Knoth
Künstlerische Mitarbeit: Ruschka Steininger
Technische Leitung, Lichtdesign: Sven Nichterlein
Produktionsleitung: Anne Brammen
Produktion: She She Pop
In Koproduktion mit: HAU Hebbel am Ufer, Festival Theaterformen, Münchner Kammerspiele, Schauspiel Stuttgart, Kaserne Basel, Schauspiel Leipzig, Kampnagel Hamburg, Künstlerhaus Mousonturm, FFT Düsseldorf, Konfrontacje Teatralne Festival Lublin und ACT Independent Theater Festival
Gefördert durch: die Kulturstiftung des Bundes und die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa
Spielstätte:
Schauburg
Vorstellungstermine:
Fr., 9. November 2018, 19.30 Uhr
Sa., 10. November 2018, 19.30 Uhr
Publikumsgespräche:
Kuratiert von: Dramaturgische Gesellschaft
9. November 2018:
Mit: Prof. Dr. Daniel Loick (Philosoph, Universität Erfurt), Julia Friedrichs (Journalistin) und She She Pop
Moderation: Christa Hohmann (Pathos München)
10. November 2018:
Mit: Florian Diekmann (Journalist) und She She Pop
Moderation: Georg Kasch (nachtkritik)