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Die Forderung nach freien, geheimen und demokratischen Wahlen gehörte zum Forderungskatalog jeder DDR-Oppositionsgruppe. In der DDR gab es nur so genannte Einheitslistenwahlen. Die Wähler hatten nur die Möglichkeit, eine Liste mit Namen zu wählen, wobei das Wort "wählen" in diesem Fall eine euphemistische Umschreibung für "bestätigen" ist. In den Wahlräumen stand oft gar keine Wahlkabine, weil bereits das Betreten einer Wahlkabine als subversiv oder "staatsfeindlich" angesehen wurde. Diejenigen, die gegen den Listenvorschlag stimmen wollten, mussten alle Namen durchstreichen und zwar einzeln. Niemand wusste eigentlich genau, wie ein Wahlzettel aussehen musste, der gegen den Vorschlag gerichtet war. Es kam vor, dass auf dem Wahlzettel handschriftlich stand "Nieder mit den Kommunisten", die Stimme aber für den Vorschlag gezählt wurde, weil die Namen nicht durchgestrichen worden waren. Im Prinzip war es ohnehin völlig egal, was man mit dem Wahlzettel tat, weil seit den ersten Wahlen in der DDR 1950 alle Wahlergebnisse von der SED gefälscht wurden. Ihr Problem dabei war, dass sie sich keine Steigerungsmöglichkeiten gelassen hatte, weil die Wahlen immer mit einem Ergebnis von 99,... Prozent für den Vorschlag ausfielen. Hätte die DDR noch etwas länger existiert, so spöttelten manche, so wären bei den Wahlen irgendwann über 100 Prozent für den Vorschlag "ausgezählt" worden.
In der DDR gab es aber dennoch bei der so genannten Wahl immer eine Wahlalternative: Hingehen oder Fernbleiben. Um sich gegenseitig Mut zu machen, gab es in den 1980er Jahren sehr vereinzelt sogar "Wahlpartys", die am Abend vor dem Wahltag begannen. Zutritt hatten nur solche Personen, die ihre Wahlbenachrichtigungskarte, die zum Wählen berechtigte, als Eintrittskarte abgaben. Punkt Mitternacht wurde ein Wahlfeuer entzündet, das sich aus den Wahlbenachrichtigungskarten der versammelten "Spaßgesellschaft" speiste.
Die Opposition unternahm in den 1980er Jahren mehrfach den Versuch, den systematischen Wahlbetrug aufzudecken. Zunächst erklärten viele öffentlich, dass sie nicht wählen gehen würden. Sodann deckten Oppositionelle den offiziellen Wahlbetrug auf, indem sie die öffentliche Auszählung in den Wahllokalen beobachteten, mitzählten und mit den veröffentlichten Ergebnissen verglichen. Anschließend machten sie ihre Ergebnisse mittels Samisdat und westlichen Medien der Öffentlichkeit zugänglich. Das Resultat wunderte zwar niemand wirklich, aber die Glaubwürdigkeit des Systems wurde dadurch ein weiteres Mal beweiskräftig erschüttert. Die Krise spitzte sich immer weiter zu. (Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk)
Quelle: Dieser Beitrag ist Teil der DVD-Edition "Kontraste - Auf den Spuren einer Diktatur".
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Schnitt: Ursula Kaumann
Produktion: 24.04.1989
Spieldauer: 8 Min.
hrsg. von: Bundeszentrale für politische Bildung und RBB
Verfügbar bis: 31.12.2035
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