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Wie steht der Islam zu anderen Religionen? | bpb.de

Wie steht der Islam zu anderen Religionen? Version mit Untertiteln

von: Hatice Schmidt Hamideh Mohagheghi Prof. Dr. Armina Omerika

Im Rahmen der Webvideo-Reihe "Begriffswelten Islam" informiert der Gesprächsfilm über das Verhältnis des Islams zu anderen Religionen.

Inhalt

Die YouTuberin Hatice Schmidt besucht in diesem Gesprächsfilm die Islamwissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi und spricht mit ihr über das Verhältnis des Islams zu anderen Religionen.

Volltextalternative

[Zu hören ist ruhige Gitarrenmusik im Hintergrund, während wir zuerst den Vorplatz des Bielefelder Bahnhofs, dann einen einfahrenden Zug und schließlich Hatice Schmidt sehen, die vor dem Bahnhofsgebäude steht und direkt in die Kamera spricht.]

Hatice: Hi Leute! Nachdem ich letzte Woche in der Schweiz mit Serdar über die Scharia gesprochen habe, mache ich mich jetzt auf den Weg nach Hannover. [Nun hören wir Hatices Stimme aus dem Off, die Musik läuft weiter leise im Hintergrund. Zu sehen ist Hatice, die eine Treppe zum Bahnsteig hinaufgeht, dann ein blaues Haltestellenschild, auf dem in weißer Schrift "Bielefeld Hbf" zu lesen ist. Folgende Filmbilder sind nun nacheinander geschnitten: Gleise, leere Sitzgelegenheiten für wartende Reisende auf dem Bahnsteig,;Hatices silberne, knöchelhohe Sneaker; eine Taube, die am Boden nach Körnen pickt; danach einen einfahrenden ICE, in den Hatice schließlich einsteigt. Nun sehen wir Bilder von Hatices Zugfahrt: ihre offene Umhängetasche auf dem Zugsitz, aus der verschiedene Gegenstände und eine Wasserflasche ragen; die vorbeiziehende Landschaft; Hatice, die aus dem Fenster schaut, auf ihrem Smartphone tippt und schließlich ihren Schal umbindet, während sie auf das Aussteigen wartet. Nun sehen wir Hatice durch die wuselige Bahnhofshalle voller Menschen gehen.]

Hatice: Dort treffe ich mich mit Hamideh Mohagheghi, um über ein Thema zu sprechen, welches nicht erst durch die Anschläge in Paris und die Geschehnisse in Hannover selbst eine wichtige Rolle spielt, sondern immer wieder im Kontext von Muslimfeindlichkeit, aber auch extremistischer Ideologien auftaucht. Wie steht der Islam zu anderen Religionen? Hat sich diese Beziehung über die Zeit geändert? Und wie kann ich als Muslime mit anderen Religionen umgehen? Diese Fragen stelle ich heute Hamideh Mohagheghi. [Zu sehen ist nun das Bahnhofsgebäude in Hannover, dann Hatice, die über Straßenbahngleise und an einem Reiterdenkmal vorbei läuft. Nach einer kurzen Einstellung, in der Hatice von hinten vor einem Fenster stehend gezeigt wird, sehen wir jetzt Hatice und Hamideh am Platz vor der Hannover Oper entlang spazieren und sich unterhalten.] Hatice: Sie ist islamische Theologin, Mitbegründerin des islamischen Frauennetzwerkes HUDA und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für komparative Theologie und Kulturwissenschaften für die islamische Theologie an der Universität Paderborn.

[Nun sehen wir Hatice wieder vor dem Fenster stehend, diesmal zur Kamera gewandt.]

Hatice: Wie steht der Islam zu anderen Religionen? [Im Bild ist jetzt Hamideh Mohagheghi, die auf einem Stuhl mit niedriger roter Lehne sitzt, im Hintergrund verschwommen zwei gerahmte Bilder an einer weißen Wand sowie eine Stehlampe, die weiches, gemütliches Licht ausstrahlt. Hamideh spricht überlegt und freundlich, mit ausdrucksstarker Gesichtsmimik.]

Hamideh Mohagheghi: Es gibt da unterschiedliche Aussagen. Für Muslime ist ja der Koran das Buch, auf das man sich bezieht. Und im Koran gibt es unterschiedliche Aussagen. Vor allem aber Aussagen darüber, mit welchen Menschen aus welchen Religionen die Muslime in der Zeit der Offenbarung des Korans gelebt haben. Und wenn man dann so die Zeit zurückdreht, der Koran ist ja im 7. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel offenbart, dann muss man schauen, mit welchen Menschengruppen die Muslime damals zu tun hatten. Und wenn es dann um Aussagen über andere Menschen im Koran geht, auf welche Menschen sich diese beziehen. Und da gibt es dann sowohl Aussagen, aus denen man herauslesen kann, dass man sehr gut mit anderen Menschen leben sollte. Es gibt aber auch Aussagen, die durchaus beschreiben, welche Konflikte und Auseinandersetzungen auch die Muslime damals hatten. Mit diesem Beispiel möchte ich sagen, dass wir die koranischen Aussagen immer je nachdem lesen müssen, zu welcher Zeit und zu welchen Menschen der Koran an erster Stelle spricht.

[Schnitt auf Hatice]

Hatice: War die Beziehung zu anderen Religionen immer gleich oder hat sie sich im Laufe der Zeit verändert? [Die Kamera zeigt jetzt wieder Hamideh, mal ist die Einstellung so gewählt, dass ihr ganzer Oberkörper zu sehen ist, mal wechselt die Einstellung in eine nähere Perspektive, die sie bis zu den Schultern zeigt.]

Hamideh Mohagheghi: Wenn man mit anderen Menschen aus unterschiedlichen Religionen oder Kulturen lebt, dann ändert sich immer etwas. Die Menschen leben ja in diesen Wechselwirkungen, die sie im alltäglichen Leben miteinander haben. Und deswegen verändert sich immer wieder etwas, wenn man im Kontakt mit anderen lebt. Wenn wir dann diese Stellen im Koran lesen, dann gibt es ja Gruppierungen, die mit Namen genannt werden. Zum Beispiel gibt es den Begriff "Ahl-ul-Kitab", die Leute der Schrift. Damit sind die Menschen gemeint, die Juden und Christen, die damals vor Ort in Mekka und Medina gelebt haben. Und dadurch, dass der Koran oder der Islam sich jetzt nicht als ganz andere Religion versteht, nimmt er auch die Elemente, die vorher in diesen Religionen bekannt waren, in sich auf. Wir haben im Koran Erzählungen über andere Propheten neben dem Propheten Mohammed. Diese Erzählungen sind sehr nah an den Bibelerzählungen. Diese Erzählungen sind im Koran auch nicht so ausführlich, weil der Koran davon ausgeht, dass die Menschen durch den Kontakt, den sie mit Christen und Juden hatten, diese Erzählungen durchaus kennen. Deswegen nennt der Koran dann nur bestimmte Stellen, die wichtig sind, die man als Vorbild nimmt, um daraus etwas zu lernen. Das heißt, der Islam verändert diese Erzählungen aus der Bibel an manchen Stellen, aber im Großen und Ganzen sind diese identisch zu dem, was man in anderen Religionen und in der Bibel findet.

[Wir sehen wieder Hatice vor dem Fenster, die die nächste Frage stellt.]

Hatice: Hat der Islam andere Religionen beeinflusst?

[Im Bild ist nun wieder Hamideh, zwischendurch immer wieder Schnitte auf Hatice, die aufmerksam zuhört und zustimmend nickt.]

Hamideh Mohagheghi: Sicherlich, im Laufe der Zeit und dadurch, dass man im Gespräch miteinander ist. Es ist klar, dass sich andere Religionen in der Anfangszeit erst mal ausgegrenzt haben. Sie wollten mit dem Islam nichts zu tun haben, weil jede Religion, die neu dazukommt, erfährt ja erst mal die Ablehnung seitens der Religionen, die vorher dagewesen sind. Deswegen finden wir zum Beispiel in den Aussagen aus dem kirchlichen Bereich aus mittelalterlicher Zeit durchaus sehr problematische Aussagen über den Propheten Mohammed und den Islam – der Islam wird als falsche Religion bezeichnet. Aber das ist praktisch der erste Schock, wenn etwas Neues dazukommt, dass man sich erst mal abgrenzt. Und nach und nach, vor allem wenn wir dann in der heutigen Zeit ankommen und fragen, was uns gegenseitig in der heutigen Zeit beeinflusst, dann würde ich sagen: Durch die Begegnung und den Dialog verändert der Islam natürlich auch die Gedanken, vor allem diese polemischen Gedanken und negativen Vorstellungen in den anderen Religionen über den Islam. Diese werden auch verändert, eben durch die Begegnung mit Muslimen. Dialog verstehe ich auf unterschiedlichen Ebenen. Dialog kann man auf der theologisch-theoretischen Ebene führen, aber auch im alltäglichen Leben. Indem man zum Beispiel darauf achtet, welche Feste mein Nachbar, der eventuell Christ, Jude oder Moslem ist, gerade feiert. Und wie muss ich dann reagieren? Muss ich überhaupt darauf reagieren? Das ist auch das Schöne, dass man heute sagt: Ja, die Feste, die da sind, müssen wir ernst nehmen, müssen wir wahrnehmen. Das heißt, wir gehen dann zu den Nachbarn, eventuell beteiligen wir uns auch an ihren Festen. Oder das Mindeste ist, dass wir zum Beispiel gratulieren. Wenn wir sehen, dass unsere christlichen Nachbarn Weihnachten feiern, dann sehe ich als eine Muslime durchaus auch, dass ich ihnen zu diesem Fest gratulieren sollte. Ich finde es wichtig, dass man sich gegenseitig bewusst wahrnimmt und dadurch die anderen Menschen wertschätzt. Und es auch akzeptiert, dass sie einfach andere Religionen und Glauben haben, die genauso wichtig für sie sind, wie für mich mein Glauben wichtig ist. Dadurch macht man das alltägliche Zusammenleben schöner und friedlicher. Diese alltägliche Ebene ist es für mich viel wichtiger, das nenne ich "Dialog des Lebens". Dass man nicht auf einer theoretischen Ebene miteinander diskutiert und sagt: Was für Bräuche und Rituale habt ihr? Wie glaubt ihr an Gott? Diese Fragen sind wichtig. Aber noch wichtiger ist, dass wir uns täglich begegnen und auch bei ganz einfachen alltäglichen Dingen in Kontakt miteinander bleiben.

[Schnitt auf Hatice]

Hatice: Und wie wirkt sich das heute auf den Alltag aus?

[Schnitt zurück auf Hamideh]

Hamideh Mohagheghi: Konkret bedeutet das für uns heute, dass wir uns unseres eigenen Glaubens bewusst sind. Dass wir auch öffentlich und selbstbewusst sagen können: Wir haben einen Glauben, der außerhalb dieses problematischen Bereichs ist, den wir heute als Realität sehen: die Anschläge, die terroristischen Aktivitäten, die im Namen des Islam geschehen. Wir können nicht einfach sagen, dass es die nicht gibt. Die gibt es. Es ist eine Herausforderung für uns Muslime, uns sowohl theologisch als auch ideologisch damit auseinanderzusetzen. Es ist aber auch ganz wichtig zu sagen: Wir sind nicht alleine auf dieser Welt. Es gibt andere Religionen und andere Menschen, auch gerade in den europäischen Ländern, in denen wir leben. Das sind keine geschlossenen Gesellschaften, in denen alle Muslime sind. Da müssen wir uns durchaus öffnen. Wir erwarten von anderen, dass sie unseren Glauben respektieren und akzeptieren. Aber genauso müssen wir uns auch gegenüber anderen verhalten. In früheren Zeiten ist es ja meistens so gewesen, dass die Gesellschaften homogen waren. Die Muslime haben unter sich gelebt, die Christen haben unter sich gelebt. Diese intensive alltägliche Form, wie wir den anderen begegnen, hat es zu früheren Zeiten nicht gegeben. Wir leben jetzt in einem Zeitalter, in dem wir anderen Religionen und Kulturen nicht nur räumlich sehr nah sind, sondern auch medial. Wir können auf einen Knopf drücken und sind auf einmal am entferntesten Ort der Welt und können sehen, wie Menschen dort leben. Diese Informationen über andere Kulturen und Religionen sind heute sehr wichtig für uns. Sie sollen aber auch nicht dahin führen, zu sagen: Ja, wir sind alle nur Menschen und alles ist eigentlich für uns egal und gleich. Ich verstehe den Dialog nicht so, sondern dass wir den anderen in alltäglichen Begegnungen kennenlernen. Auch darüber informiert werden, was denn für diese anderen Menschen wichtig ist. Woran glauben sie? Vielleicht glauben sie auch an nichts? Die Menschen, die an nichts glauben, haben ja auch ethische Werte, die menschliche Werte sind. Auf dieser Ebene können wir natürlich auch Menschen begegnen, die von sich sagen, sie haben gar keinen Glauben. Es ist wichtig, dass man auf menschlicher Ebene und auch auf Glaubensebene sieht, welche Gemeinsamkeiten es gibt. Aber für mich ist es auch ganz wichtig, die Unterschiede zu sehen und wahrzunehmen und diese dann auch mit Respekt stehenzulassen. Es ist nicht immer einfach. Das Gottesverständnis z.B., das manche Christen haben – wie verstehen sie das? Ich kann das manchmal nicht verstehen und nicht erklären. Aber ich kann sehen, dass dieser Mensch, der sich Christ nennt und diese Gottesvorstellung hat, durchaus ein Mensch mit vielen ethischen und menschlichen Werten ist. Und auf dieser Ebene kann ich mich sehr gut mit diesem Menschen treffen und mit ihm gemeinsam arbeiten. Für mich ist es wichtig, die Unterschiede zu benennen und wahrzunehmen, zu akzeptieren, zu respektieren, um einander dann auf anderer Ebene näherzukommen.

[Gezeigt wird nun eine Aufnahme aus dem Fenster hinaus durch die Äste zweier winterliche Bäume hindurch auf den Bahnhofsvorplatz, an dem in Zeitraffer grüne Straßenbahnwaggons vorbeifahren und Passanten vorbeilaufen. Dann sehen wir Hatice und Hamideh noch einmal auf dem Platz vor dem Operngebäude spazieren, zwischendurch halten sie an und unterhalten sich. Nun ist es dunkler, das Bahnhofsgebäude und die davorstehenden Bäume mit Lichterketten geschmückt. Hatice steht auf dem Bahnhofsvorplatz und spricht direkt in die Kamera.]

Hatice: Ich mach mich auch schon wieder auf den Weg nach Hause. Ich möchte mich noch mal ganz herzlich bei Hamideh bedanken, dass sie sich die Zeit für uns genommen hat. Es war wieder ein sehr sehr spannendes Thema. Und natürlich auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Wenn ihr jetzt noch Fragen zu diesem Thema habt, dann stellt das gerne in die Kommentare. Ich bedanke mich bei euch fürs Reinschalten und hoffe, dass wir uns nächste Woche wiedersehen.

[Schließlich dreht sich Hatice um und wir sehen sie von hinten in Richtung Bahnhofseingang laufen. Dann wird der Film ausgeblendet.]

Mehr Informationen

  • Redaktion: Meimberg GmbH

  • Kamera: Meimberg GmbH

  • Schnitt: Meimberg GmbH

  • Drehbuch: Meimberg GmbH

  • Musik: Meimberg GmbH

  • Ton: Meimberg GmbH

  • Sprecher: Hatice Schmidt, Hamideh Mohagheghi

  • Wissenschaftliche Beratung: Saliha Kubilay, Marie Meimberg, Prof. Dr. Armina Omerika

  • Gesprächspartner: Hamideh Mohagheghi

  • Produktion: 26.11.2015

  • Spieldauer: 13 Min.

  • hrsg. von: Bundeszentrale für politische Bildung

Lizenzhinweise

Dieser Text und Medieninhalt sind unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Hamideh Mohagheghi Prof. Dr. Armina Omerika für bpb.de

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