Am Wahltag finden sich die allermeisten Wählerinnen und Wähler in den Wahllokalen ein und geben ihre Stimme ab. Bei der kommenden Bundestagswahl könnte dieses demokratische Ritual etwas anders aussehen: Aller Voraussicht nach werden noch mehr Menschen als in den zurückliegenden Jahren vorab per Brief wählen. Zum Vergleich: Zur Bundestagswahl 2017 wählten 28,6 Prozent, also rund 13 Millionen Bürgerinnen und Bürger, per Brief. Bei den Landtagswahlen Anfang dieses Jahres verdoppelte sich der Briefwahlanteil im Vergleich zu den letzten Landtagswahlen gar auf 51,5 Prozent in Baden-Württemberg und 66,5 Prozent in Rheinland-Pfalz. Den Wählerinnen und Wählern könnte es unsicher erscheinen, in Zeiten der Corona-Pandemie am Wahltag in die Wahllokale zu gehen. Die Briefwahl kann Abhilfe schaffen: Je mehr Leute per Brief wählen, desto geringer ist der Andrang auf die Wahllokale und desto unwahrscheinlicher ist eine Ausbreitung der Pandemie. Für Andere ist es aber auch einfach bequemer, vorab per Post als am Tag der Wahl im Wahllokal zu wählen. Es gibt viele Gründe, warum sich jemand entscheidet, per Brief zu wählen und alle sind sie zulässig.
Welche Möglichkeiten eröffnet die Briefwahl?
Die Möglichkeit, an Briefwahlen teilzunehmen, wurde 1956 für Personen eingeführt, die am Wahltag nicht ins Wahllokal gehen können, weil sie zum Beispiel krank sind oder sich im Urlaub befinden. Bis 2008 musste man den Briefwahlantrag begründen. Seitdem können alle Wahlberechtigten den sogenannten Wahlschein beantragen. Wer das tut, hat im Übrigen gleich zwei weitere Möglichkeiten der Stimmabgabe. Zum einen kann mit den Briefwahlunterlagen inklusive Wahlschein im Vorfeld der Bundestagswahl auch an Orten gewählt werden, die von der Gemeinde extra dafür eingerichtet wurden. Meist gibt es dafür ein Wahllokal im Rathaus oder in einem anderen öffentlichen Verwaltungsgebäude. Zum anderen können Wählerinnen und Wähler, die es zeitlich nicht geschafft haben, die Briefwahlunterlagen rechtzeitig wegzuschicken, auch am Wahltag selbst noch wählen. Dafür muss lediglich der Wahlschein in einem Wahllokal im Wahlkreis vorgezeigt werden. Das ist selbstverständlich nur möglich, wenn die Briefwahlunterlagen nicht schon vorher abgeschickt wurden.
Was spricht gegen eine Wahl per Brief?
Zwar ist man mit der Nutzung der Briefwahl flexibel, sie ist aber auch umstritten. Mitunter wird sie als unsicher empfunden. Wahr ist, dass die Briefwahl zusätzliche Fehlerquellen schafft: Die Wahlunterlagen müssen beantragt, verschickt, ausgefüllt und wieder zurückgeschickt werden. Dabei können den beteiligten Personen Fehler unterlaufen. Da Post und Verwaltung allerdings auf jahrzehntelange Erfahrung mit Briefwahlen zurückblicken, treten hier selten Probleme auf. Wer per Brief wählen will, muss daher keine Bedenken haben. Wichtig ist lediglich, rechtzeitig den Antrag zu stellen. Bei der Bundestagswahl 2021 ist die Beantragung ab dem 3. August möglich. Es gibt kaum Fälle, in denen die Unterlagen nicht rechtzeitig bei den Wahlberechtigten ankommen. Bei der Rücksendung der ausgefüllten Unterlagen ist es in Deutschland aktuell leider noch nicht möglich, wie bei einem Paketdienst nachzuverfolgen, ob der Stimmzettel wohlbehalten im Wahllokal angekommen ist.
Natürlich müssen Briefwählerinnen und Briefwähler bedenken, dass sie ihre Stimme vor dem eigentlichen Wahltag abgeben. Es kann daher sein, dass neue Informationen bekannt werden, die eventuell zu einer anderen Wahlentscheidung geführt hätten. Bei den diesjährigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wählten über die Hälfte der Wählerinnen und Wähler per Brief. Dadurch gaben sie ihre Stimme ab, bevor bekannt wurde, dass CDU-Politiker, unter anderem aus Baden-Württemberg, moralisch fragwürdige Maskengeschäfte vermittelt hatten. Diese Information hatten die Wählerinnen und Wähler am Wahltag, aber nicht die Briefwählerinnen und Briefwähler. Denn: Eine Rücknahme der Briefwahlunterlagen ist nicht möglich. Darüber hinaus verändert ein hoher Anteil an Briefwählerinnen und Briefwählern das Wahlkampfgeschehen. Wenn immer mehr Menschen per Brief wählen, hat dies Folgen für die Parteien: Anstatt einen Wahlkampf zu führen, der auf den Wahltag als großes Finale ausgerichtet ist, müssen Parteien zunehmend berücksichtigen, dass ein immer größerer Teil der Bürgerinnen und Bürger ihre Wahlentscheidung bereits einen Monat vorher trifft. Der klassische Wahlkampfendspurt mit eng getakteten Veranstaltungen und großem finanziellen Aufwand durch die Parteien dürfte bei weiter ansteigendem Briefwahlanteil abflauen. Hinzu kommt, dass das Ritual des Wählens, früher stereotyp auch oft noch verbunden mit guter Kleidung und einem Sonntagsspaziergang mit der gesamten Familie, so verschwinden könnte. Der Wahlsonntag als Hochfest der Demokratie würde sich in eine Reihe von vielen regulären Tagen einreihen, an denen Menschen zusätzlich ihre Stimme abgeben.
Aufgrund der Tatsache, dass die Stimmzettel nicht im Wahllokal angekreuzt werden, kann auch das Wahlgeheimnis nicht garantiert werden. Es obliegt jedem selbst, dafür zu sorgen, dass der Stimmzettel unbeobachtet ausgefüllt wird. Das entspricht allerdings nicht unbedingt der Lebensrealität vieler Briefwählerinnen und Briefwähler, die ihre Wahlentscheidung am Küchentisch mit Familie und Freunden diskutieren. Während nichts dagegen einzuwenden ist, dass über die Wahlentscheidung debattiert wird, ist es dennoch wichtig, dass die Stimmabgabe geheim stattfindet. Andernfalls bietet die Briefwahl die Möglichkeit für Stimmenkauf oder andere unlautere Beeinflussungsversuche. So könnte eine Person einer anderen Person Geld dafür anbieten, dass Stimmen an eine bestimmte Partei, Kandidatin oder einen bestimmten Kandidaten abgegeben werden. Ob die Stimmabgabe wie gewünscht erfolgte, könnte im Falle nicht-geheimer Wahlen kontrolliert werden. Anders ist es hingegen im Wahllokal, wo das Wahlgeheimnis aufgrund der Wahlkabine sichergestellt ist.
Die Tatsache, dass man bei der Briefwahl ein Stück weit die Kontrolle darüber abgibt, dass der eigene Stimmzettel auch tatsächlich den Weg in die Urne findet, gibt seit Jahren Anlass zu allerlei Mythen und Falschmeldungen rund um die Sicherheit des Wählens per Brief. Ein solcher Vorwurf lautet zum Beispiel, es sei möglich, per Brief und an der Urne zu wählen und so zweimal abzustimmen. Allerdings wird jeder, der die Briefwahl beantragt hat, im Wählerregister markiert. Im Wahllokal erhalten Briefwählerinnen und Briefwähler daher keinen Stimmzettel, es sei denn, sie bringen den der Briefwahlunterlagen beiliegenden Wahlschein mit. Dieser ist der Beweis dafür, dass man noch nicht per Brief gewählt hat. Ein weiterer Vorwurf, den auch der ehemalige US-Präsident Donald Trump bediente, lautet, dass auch Tote an der Wahl teilnehmen würden. Sicherlich kann es in Einzelfällen vorkommen, dass jemand per Brief abstimmt und vor der Wahl verstirbt. In diesem Fall wird der Stimmzettel trotzdem gezählt. Dass allerdings die Namen Toter genutzt würden, um die Briefwahl zu beantragen, ist abwegig. Anders als beispielsweise in den USA wird das Wählerregister in Deutschland aus den aktuellen Daten der Einwohnermeldeämter erstellt. Die Daten sind daher auf dem neuesten Stand.
Es ist allerdings möglich, die Briefwahl für bis zu vier Personen in Stellvertretung zu beantragen. Diese Regel soll Menschen, die von Angehörigen oder Freunden betreut werden, ermöglichen, an der Wahl teilzunehmen, auch wenn sie sich nicht selbst um die Beantragung kümmern können. Dies könnte ausgenutzt werden, um die Briefwahl mehrfach für andere Personen zu beantragen. Für eine solche Mehrfach-Beantragung sind jedoch eidesstattliche Einverständniserklärungen notwendig. Insofern macht sich jeder, der dieses Instrument ausnutzt, der Wahlfälschung schuldig und kann mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Außerdem muss die eigene Adresse hinterlegt werden. Insofern liefert man den Strafverfolgungsbehörden seine Kontaktdaten direkt mit. Ein leichtes und lukratives Verbrechen sieht anders aus. 2014 wurde ein größerer Skandal bei der Kommunalwahl in Stendal (Sachsen-Anhalt) aufgedeckt. Ein Kandidat hatte mit Unterstützerinnen und Unterstützern massenhaft Briefwahlunterlagen in Vertretung abgeholt und ausgefüllt. Der Fall wurde nach der Wahl bekannt, weswegen die Wahl wiederholt wurde. Auf Bundesebene ist seit der Wiedervereinigung kein entsprechender Betrugsversuch bekannt.
Warum kann man nicht online abstimmen?
Wäre es denn nicht viel einfacher, online abzustimmen? Vom heimischen PC, Tablet oder sogar Smartphone aus zu wählen, klingt nach einer natürlichen Weiterentwicklung der Briefwahl. Staaten wie Estland haben bereits seit Jahren das sogenannte e-voting etabliert. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2009, dass auch beim Einsatz von elektronischen Wahltechniken (damals Wahlcomputer im Wahllokal) sichergestellt sein muss, dass die Stimmen theoretisch im Nachgang durch jede und jeden überprüft werden können. Stimmzettel in Papierform lassen sich bei Bedarf neu auszählen. Das wäre beim e-voting schwierig. So wird befürchtet, dass Online-Wahlen nicht sicher genug seien, auch, weil sie drohen, zum Ziel von Hackerangriffen zu werden. Deshalb müssen noch einige Hürden genommen werden, bevor Online-Wahlen Realität werden könnten.
Noch Zweifel? Einfach selbst mit auszählen!
Wer trotz aller Sicherheitsvorkehrungen an der Richtigkeit der Wahlergebnisse (auch jenen der Briefwahl) zweifelt, kann in jedem Wahllokal der Stimmzettelauszählung beiwohnen und prüfen, ob alles ordnungsgemäß abläuft. Oder man registriert sich als Wahlhelferin oder Wahlhelfer und zählt selbst die Stimmen mit aus. Tatkräftige Unterstützung wird händeringend gesucht und man bekommt für die Arbeit auch eine kleine Aufwandsentschädigung. Um sich als Wahlhelferin oder Wahlhelfer registrieren zu lassen, kontaktiert man am besten die eigene Gemeindebehörde und erkundigt sich, ob Bedarf besteht.