Am 26. September 2021 ist Bundestagswahl. Grundsätzlich sind mehr als 60 Millionen Deutsche über 18 Jahre wahlberechtigt. Alle Wahlberechtigten erhalten rechtzeitig vor der Wahl eine Benachrichtigung mit Informationen zum Wahltag sowie Ort und Öffnungszeiten des zuständigen Wahllokals. Um sicherzustellen, dass alle Stimmberechtigten diese Informationen erhalten, werden sie – nach wie vor − nicht digital per E-Mail, sondern analog per Post verschickt. Das Vorlegen der Benachrichtigung im Wahllokal ist nicht zwingend: Wer sie versehentlich entsorgt oder schlichtweg verlegt hat, braucht einzig seinen Personalausweis oder Reisepass, um am Wahltag den Stimmzettel zu erhalten.
Wen kann ich wählen?
Welche Personen gewählt werden können, hängt vom Wohnort ab. Deutschland ist aktuell in 299 Wahlkreise eingeteilt. In jedem Wahlkreis können die Wählerinnen und Wähler mit ihrer "Erststimme" (auch "Wahlkreisstimme" genannt) eine Person direkt in den Bundestag wählen. Mit der "Zweitstimme" wählen die Bürgerinnen und Bürger eine Partei, deren Kandidatinnen und Kandidaten im Vorfeld auf einer Landesliste zusammengestellt wurden. Landeslisten können von Parteien in allen 16 Bundesländern aufgestellt werden. Die ersten fünf Kandidatinnen und Kandidaten einer Landesliste werden namentlich im sogenannten Listenkopf auf dem Wahlzettel erwähnt. Manchmal wird der Name eines Wahlkreiskandidaten oder einer Wahlkreiskandidatin auch im Listenkopf genannt und erscheint somit doppelt auf dem Wahlschein. Der Grund hierfür ist, dass viele Kandidatinnen und Kandidaten versuchen, sowohl über ihren Wahlkreis, als auch über die Landesliste in den Bundestag einzuziehen. Man spricht in diesen Fällen von einer Doppelkandidatur.
Theoretisch kann jede und jeder für den Deutschen Bundestag kandidieren, die oder der am Wahltag die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, das 18. Lebensjahr vollendet hat und der oder dem nicht das Wahlrecht entzogen wurde. Um eine realistische Chance auf ein Mandat zu haben, sollte man zudem für eine Partei antreten. So können Landeslisten ausschließlich von Parteien aufgestellt werden. In den Wahlkreisen können auch parteiunabhängige Bewerberinnen und Bewerber antreten. Bislang gelang es allerdings nur drei unabhängigen Kandidaten in den Bundestag einzuziehen − und zwar nur bei der allerersten Bundestagswahl im Jahr 1949. Vor diesem Hintergrund wird mit Blick auf die Kandidatenaufstellung zu Recht vom Quasi-Monopol der Parteien gesprochen.
Der Grund, warum die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nicht eine, sondern zwei Stimmen haben, liegt im Wahlsystem begründet: der personalisierten Verhältniswahl. Die Bezeichnung wirkt zunächst sehr kompliziert, sie trifft aber den Kern der dahintersteckenden Idee. So gibt es zwei grundlegende Verfahren, um Wählerstimmen in Parlamentsmandate zu verwandeln.
Das Mehrheitswahlrecht und das Verhältniswahlrecht
Wird das Mehrheitswahlrecht angewendet, gewinnt die Kandidatin oder der Kandidat das Mandat, die oder der am meisten Stimmen auf sich vereint. Alle anderen Kandidatinnen und Kandidaten gehen leer aus, egal wie knapp sie der Gewinnerin oder dem Gewinner unterlagen. Es gilt das Prinzip: alles oder nichts. Dieses Verfahren gilt zum Beispiel bei den Parlamentswahlen in Großbritannien. Eine spezielle Form ist die "absolute Mehrheitswahl", bei der nur gewinnt, wer mehr als die Hälfte aller Stimmen erhält. Da dies bei einer Vielzahl an Bewerberinnen und Bewerbern oft nicht gelingt, schließt sich zumeist ein zweiter Wahlgang an, bei dem die einfache Stimmenmehrheit über die Mandatsvergabe entscheidet. Dieses Prinzip gilt zum Beispiel bei den französischen Parlamentswahlen. Durch das Mehrheitswahlrecht werden klare politische Verhältnisse geschaffen, da kleinere Parteien kaum Chancen haben, in das Parlament einzuziehen. Deutliche Mehrheiten lassen das Parlament handlungsfähiger und die Regierung stabiler werden.
Beim Verhältniswahlrecht fällt keine Stimme weg. Anders als beim Mehrheitswahlrecht werden nicht Personen gewählt, sondern vorrangig Parteilisten. Die Wahlergebnisse der Parteien werden möglichst im gleichen Verhältnis in Parlamentsmandate umgewandelt. Allerdings kann diese Vorgehensweise dazu führen, dass viele Parteien im Parlament vertreten sind. Schwierige Mehrheits- und Koalitionsbildungen können die Folge sein. Aus diesem Grund gilt in Ländern, wo dieses Wahlrecht vorherrscht, zumeist eine Sperrklausel, die Parteien überwinden müssen, um bei der Mandatsvergabe berücksichtigt zu werden. Für die Parteien, die an dieser Hürde scheitern, ist es besonders bitter. Die anderen profitieren: Eine Partei, die zum Beispiel zehn Prozent der Zweitstimmen erhalten hat, würde dadurch etwas mehr als zehn Prozent der Mandate erhalten.
Aus zwei mach eins: die personalisierte Verhältniswahl
Das Wahlrecht in Deutschland ist eine Kombination aus dem Mehrheitswahlrecht und dem Verhältniswahlrecht. Interner Link: Hat eine Partei die Sperrklausel von fünf Prozent der Wählerstimmen erreicht, wird auf Basis der Zweitstimmen im möglichst gleichen Verhältnis berechnet, wie viele Parlamentsmandate ihr zustehen. Die Verhältniswahl wird deshalb als "personalisiert" bezeichnet, weil die Wählerinnen und Wähler mit ihrer Erststimme einen Teil der Kandidatinnen und Kandidaten direkt in den Bundestag wählen. Die gewählten Direktkandidatinnen und Direktkandidaten (Interner Link: im Video "Clan der 'Direktis'" genannt) werden bei der Mandatsvergabe zuerst berücksichtigt. Für die Vergabe der Mandate wird in einem ersten Schritt ermittelt, wie viele Parlamentssitze einem Bundesland zustehen. In einem zweiten Schritt werden die Sitze auf die einzelnen Parteien verteilt. Wenn nun einer Partei in einem Bundesland nach ihrem Ergebnis an Zweitstimmen zum Beispiel zehn Plätze im Bundestag zustehen und sie hat dort vier Direktmandate geholt, werden die Direktmandate zuerst vergeben. Folglich können noch sechs Kandidatinnen und Kandidaten der Landesliste (im Video "Clan der 'Landies'" genannt) in den Bundestag einziehen. In der Praxis ist es etwas komplizierter als im Video, da – wie im Text schon erwähnt – auch Doppelkandidaturen möglich sind, so dass "Direktis" gleichzeitig auch "Landies" sein können. Natürlich ziehen sie in diesem Fall nicht doppelt in den Bundestag ein. Sie erhalten ihr Direktmandat und ihr Listenplatzmandat wird an die nachfolgende Listenkandidatin oder den nachfolgenden Listenkandidaten weitergegeben. So kommt es zum Beispiel vor, dass acht Listenplätze einer Partei zum Zuge kommen, obwohl nur sechs Kandidatinnen und Kandidaten tatsächlich über die Liste in das Parlament einziehen und zwei über den Wahlkreis.
Von Überhang- und Ausgleichsmandaten
Die personalisierte Verhältniswahl wurde erstmals in Deutschland eingeführt. Abwandlungen von ihr gibt es zum Beispiel auch in den Wahlsystemen von Schottland, Wales und Neuseeland. Die Kombination aus dem Mehrheits- und Verhältniswahlrecht führt mitunter zu Herausforderungen. Zum Beispiel können "Überhangmandate" entstehen. Die Bezeichnung meint, dass es zu einem "Überhang", also zu einer Vergrößerung des Parlamentes, kommt. Dies geschieht, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate über die Erststimmen erhält, als ihr Sitze im Bundestag gemäß der dort erzielten Anzahl an Zweitstimmen zustehen. Gewinnt zum Beispiel eine Partei in einem Bundesland 15 Wahlkreismandate und hat nach den Zweitstimmen nur zehn Parlamentssitze zu vergeben, kann sie dennoch 15 Abgeordnete in das Parlament entsenden. Die gesetzlich festgelegte Mitgliederzahl des Bundestags von 598 erhöht sich in diesem Fall um fünf.
Die Vergabe von Überhangmandaten hat zur Folge, dass einige Parteien nicht mehr gemäß ihrem Zweitstimmenanteil im Parlament vertreten sind. Um Parteien ohne Überhangmandate nicht zu benachteiligen, werden seit der Bundestagswahl 2013 Ausgleichsmandate vergeben. Diese Regelung hat bereits zu einer deutlichen Erhöhung der Sitzzahl des Bundestages geführt, die nach der Bundestagswahl 2017 auf 709 anstieg. Damit die Anzahl der Bundestagsmitglieder bei künftigen Wahlen nicht noch weiter ansteigt und das Parlament weiterhin arbeitsfähig bleibt, wurde das Wahlrecht für die Bundestagswahl 2021 verändert. Zum Beispiel wurde festgelegt, dass drei Überhangmandate für eine Partei nicht durch Ausgleichsmandate kompensiert werden müssen. Für die Bundestagswahl 2025 sind tiefgreifendere Reformmaßnahmen vorgesehen, denen ein langer und zäher Aushandlungsprozess vorausging. Schließlich möchte sich keine Partei bei der Vergabe von Bundestagsmandaten benachteiligt sehen, was die Kompromissfindung deutlich erschwerte und letztlich auch verzögerte.
Änderungen am Wahlrecht betreffen uns alle, denn es geht darum, die Stimmen der Wählerinnen und Wähler so gut und fair wie möglich in Parlamentsmandate zu übertragen. Allerdings nützt das ausgeklügeltste Wahlrecht nichts, wenn niemand wählen geht. Je mehr Menschen am Wahltag ihre Stimmen abgeben, desto eher kann der Wille aller Wahlberechtigten in der Parlamentszusammensetzung gespiegelt werden. Deshalb ist es so wichtig, dass möglichst viele Menschen von ihrem Recht auf Mitbestimmung Gebrauch machen und am Wahltag darüber abstimmen, von wem sie künftig im Bundestag vertreten werden möchten.