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Chemtrails und Reptiloide

Leonie Feuerbach

/ 3 Minuten zu lesen

Laut der Chemtrail-Theorie sollen mächtige Persönlichkeiten über die Kondensstreifen von Flugzeugen Chemikalien versprühen, um so die Bevölkerung zu manipulieren. Warum glauben Menschen daran?

"Rea 51": Homeshopping auf wahrewelle (© Turbokultur/bpb)

Eigentlich ist es ganz simpel: Kondensstreifen sind Wolken, die hinter Flugzeugen durch Wasserdampf und Abgase entstehen. Je nachdem, wie viel Bewegung in der Luft ist, wie hoch die Flugzeuge fliegen, ob das Flugzeug sinkt oder steigt, alt oder neu ist, sehen die Kondensstreifen verschieden aus. Ganz ohne Chemikalien. Schon 2011 schrieb das Umweltbundesamt: "Für ein Einbringen von Aluminiumverbindungen in die Atmosphäre und die Bildung so genannter Chemtrails gibt es keinerlei wissenschaftliche Belege." Wer wie Moderator Kai von unserem fiktiven Homeshopping-Sender aber denkt, im Besitz der echten Wahrheit zu sein, ist überzeugt: Kondensstreifen, die ungewöhnlich geformt sind oder sich besonders lange in der Luft halten, sind in Wirklichkeit Chemtrails, also mit Chemikalien versetzte Kondensstreifen (auf Englisch "contrails", kurz für "condensation trails"). Versprüht werden diese Gifte laut Theorie im Auftrag der "Elite" – also beispielsweise Geschäftsleute, Angela Merkel oder die Queen. Besonders oft werden auch die USA verdächtigt. Die versprühten Gifte sollten, so die Theorie weiter, eigentlich den Klimawandel bremsen, hätten aber ungewollte Folgen. Teils heißt es auch, sie seien in der Lage, die Gedanken der Menschen zu steuern. Oder dass sie die Menschen langsam vergiften – Anhängerinnen und Anhänger der Chemtrail-Theorie sind sich da nicht ganz einig. Welches Interesse Merkel oder die Queen daran haben könnten, die Menschheit zu vernichten, erklärt die Theorie nicht. Dass Menschen dennoch an sie glauben, hat verschiedene Gründe: Manche erklären sich damit Unwetter und Naturkatastrophen, andere ihre Erkrankungen wie etwa wiederkehrende starke Kopfschmerzen. Helfen sollen zum Beispiel sogenannte Cloudbuster. Das sind Gebilde aus Kupferrohren, die angeblich Schadstoffe aus der Atmosphäre in den Boden ableiten können. Manche "Chemmies" glauben auch, dass eine Kopfbedeckung aus Aluminium-Folie sie vor den giftigen Stoffen in der Luft schützen kann - zumindest wird ihnen das oft unterstellt. Das geht auf eine Science-Fiction-Geschichte zurück, in welcher der Protagonist durch das Tragen eines Aluhuts Telepathie abwehren kann.

Nicht nur wegen des Aluhuts, der zum Synonym für Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker geworden ist, werden Chemtrail-Gläubige oft belächelt. Während zum Beispiel Reichsbürgerinnen und Reichsbürger als rechtsextrem und potenziell gefährlich gelten, werden "Chemmies" oft als harmlose naturverbundene Spinnerinnen und Spinner abgetan. Tatsächlich aber gibt es auch in der Chemtrailszene Verbindungen zum Rechtsextremismus. Über diese Theorie haben rechtsradikale Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker versucht, die Umwelt- und Friedensbewegung an die rechte Szene zu binden. Wie erfolgreich das war, zeigten die sogenannten Friedensdemos montags vor dem Reichstag in Berlin, wo Reichsbürgerinnen und Reichsbürger gemeinsam mit Chemtrail-Anhängerinnen und -Anhängern protestieren.

Eine gewisse Nähe zu Rechtsextremismus und Antisemitismus ist auch der Verschwörungstheorie von den Reptiloiden zu Eigen. Das sollen Reptilienwesen sein, die eine menschliche Gestalt annehmen können, satanische Feste feiern, Kinder missbrauchen – und wie im antisemitischen Mythos der "jüdischen Weltverschwörung" nach der Weltherrschaft streben. Dass ihnen das schon gelungen ist, glauben laut einer Umfrage immerhin vier Prozent aller Amerikanerinnen und Amerikaner. Warum nur? Letztlich ist es ähnlich wie bei den Chemtrails: Leute entwerfen eine alternative Erklärung für etwas, das sie nicht verstehen. Im Falle der Reptiloiden und vieler anderer Verschwörungstheorien ist das, wie Gesellschaft und Politik funktionieren. Dass in komplexen sozialen Systemen Leute agieren, die ähnlich sozialisiert wurden, sich aber nicht absprechen und dass auch ungeplante Dinge geschehen: Das können sich viele nicht vorstellen, erklärt der Experte Michael Butter von der Universität Tübingen. Stattdessen gehen sie davon aus, dass kleine Gruppen von Mächtigen ihren Willen gezielt in die Tat umsetzen. Je nach Verschwörungstheorie können das Freimaurer oder Echsenwesen sein. Meistens sind es aber die USA – oder die Jüdinnen und Juden. An diesem alten Narrativ ändern auch neuere Verschwörungstheorien nichts.

Fussnoten

Leonie Feuerbach ist Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.), derzeit beim Magazin. Zuvor war sie freie Mitarbeiterin bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) und volontierte bei der F.A.Z.