Zeit ist ein Alltagsbegriff, aber auch ein wissenschaftlicher Terminus. Dabei ist der Begriff der Zeit konkret und abstrakt zugleich, wie das klassisch gewordene Zitat von Augustinus unterstreicht: „Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht“. Im fachwissenschaftlichen und fachpolitischen Diskurs scheint Zeit in den letzten Jahrzehnten langsam, aber stetig an Bedeutung zu gewinnen. Einerseits wird die Bedeutung von Zeit für Lebenswelt, Gesellschaft, Politik und Demokratie in Bezugswissenschaften der politischen Bildung, wie etwa der Pädagogik, der Soziologie oder Politikwissenschaft, herausgearbeitet (vgl. Elias 1984; Nassehi 2008). Andererseits ist – neben diesen Grundlagendiskursen – ein Nischendiskurs zu zeitlichen Herausforderungen wie Zeitdruck und Zeitknappheit, zeitlichen Konzepten und Theorien wie Zeitwohlstand, Zeitpolitik, Ökologie der Zeit oder Beschleunigung im Kontext von Lebenswelt, Gesellschaft, Politik, Demokratie und Bildung zu erkennen. Dieser hat sich seit den 1990er und 2000er Jahren, beispielsweise im Kontext des Tutzinger Projekts "Ökologie der Zeit" und der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik e.V., intensiviert (vgl. Held/Geißler 1993; DGfZP 2005; Rosa 2005; ZPM 2013). Dabei ist das Thema Zeit auch für die politische Bildung anschlussfähig, wenn fachwissenschaftliche und fachdidaktische Ansätze miteinander verknüpft werden (vgl. Görtler 2016).
Zeit in der Didaktik der politischen Bildung
In der Didaktik der politischen Bildung stellt Zeit ein Nischenthema dar. In der Politikdidaktik finden sich einige wenige Ansätze, die sich auf fachwissenschaftliche Zeitdiskurse beziehen (vgl. Heuwinkel 2006; Reheis 2009; Görtler 2012) und aufzeigen wollen, wie die Zeitlichkeit von Politik und Demokratie zum Gegenstand des politischen Lernens gemacht werden kann. Dabei wird argumentiert, dass die zeitliche Erweiterung der didaktischen Perspektive gewinnbringend ist, um politisches Urteilen und Handeln über die Einsicht der Zeitlichkeit von Politik und Demokratie als Prozess im Sinne der Veränderbarkeit der Strukturen zu fördern.
Einen anderen Zugang der Politikdidaktik zur Zeitlichkeit von Politik, Gesellschaft und Demokratie bietet ein konzeptueller Ansatz, der sich an den Vorstellungen der Lernenden orientiert. So werden sowohl im Modell „Konzepte der Politik“ - beispielsweise im Basiskonzept „Entscheidung“ (Weißeno u. a. 2010, S.98-160) - als auch im Modell „Konzepte der politischen Bildung“ der Autorengruppe Fachdidaktik - beispielsweise im Basiskonzept „Wandel“ (Autorengruppe 2011, S. 163-171) - Bezüge zur Zeitlichkeit hergestellt. Neben den genannten Perspektiven wird Zeit in der Didaktik der politischen Bildung in der Regel im Zusammenhang mit dem Lernen aus der Vergangenheit diskutiert, beispielsweise im Kontext des historisch-politischen Lernens, oder mit dem Lernen für die Zukunft verbunden, beispielsweise im Kontext des didaktischen Prinzips der Zukunftsorientierung (vgl. Sander 2014).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in der Didaktik der politischen Bildung Verbindungen zu den Zeitdiskursen in den Bezugswissenschaften hergestellt werden, die Ausformulierung einer Zeittheorie oder Zeitdidaktik in der politischen Bildung aber ein Desiderat bleibt.
Politik und Zeit
In der Politikwissenschaft wird die Bedeutung von Zeit in unterschiedlichen Kontexten untersucht. Das Begriffsfeld um die politische Zeit beschreibt die zeitliche Dimension der Politik, die es noch näher zu bestimmen gilt (vgl. Straßheim/Ulbricht 2015). So werden etwa im Diskurs um die Politikzeit die Zeitstrukturen der Politik beleuchtet. Dazu gehören unter anderem die Zeit politischer Prozesse, beispielsweise die Zeit des Entscheidens (vgl. Ebner 2000), die Zeit politischer Systeme, etwa in parlamentarischen oder präsidentiellen Regierungssystemen (vgl. Riescher 1994) oder die Zeit politischer Institutionen, zum Beispiel die Eigenzeiten von Parlamenten (vgl. Dreischer/Patzelt 2009). Darauf bezogen wird Zeit unter anderem als Ressource, Macht- und Konfliktfaktor oder Herrschaftsinstrument der Politik verhandelt. Im Diskurs um die Zeitpolitik wiederum wird die Zeit als Politikfeld betrachtet, beispielsweise als Gegenstand in Gesetzgebungsverfahren oder in verabschiedeten Gesetzen, welche die Zeitordnung der Gesellschaft formen. Mit diesem Gegenstandsbereich beschäftigt sich auch der Ansatz der Zeitpolitik, wie er in der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik e.V. (DGfZP) (weiter-)entwickelt wurde. Der Ansatz wurde auf unterschiedliche Disziplinen, wie etwa die Politikwissenschaft (vgl. Weichert 2011), aber auch in den politischen Diskurs übertragen, etwa in die Diskurse um die Arbeitszeitpolitik (vgl. Oschmiansky 2020) oder die Familienzeitpolitik (vgl. Bertram/Deuflhard 2014). Zeitpolitik nach den Vorstellungen der DGfZP fördert eine bewusste Gestaltung der Zeitstrukturen in Politik und Gesellschaft sowie Zeitkompetenz, Zeitsouveränität, Zeitwohlstand und weitere Zeitkonzepte (vgl. DGfZP 2005).
Im Diskurs um die Demokratiezeit, der sowohl Elemente des Diskurses um Politikzeit als auch um Zeitpolitik aufgreift, werden die Zeitstrukturen der Demokratie untersucht, die im Vergleich zu den Zeitstrukturen anderer Staats- und Regierungsformen einen eigenen zeitlichen Charakter aufweisen. So ist Demokratie einerseits Herrschaft und Macht auf Zeit, garantiert durch Gewaltenteilung, Amts- und Legislaturperioden usw. Andererseits braucht die Demokratie Zeit, weil während der Meinungs- und Willensbildung sowie der Entscheidungsfindung unterschiedliche Akteurinnen und Akteure zur Geltung kommen, wie etwa Exekutive, Legislative, Judikative, Medien, aber auch Bürgerinnen und Bürger. Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise die Bedeutung von Zeit für die Demokratie von Interesse. Zum anderen wird auch die Interaktion der Demokratie mit anderen Systemen, wie etwa der Ökonomie oder den Medien bedeutsam, beispielsweise mit Blick auf die unterschiedlichen Geschwindigkeiten oder die Frage, wer wen unter Zeitdruck setzen kann (vgl. Korte 2014; Mückenberger 2014).
Bildung und Zeit
In den Bildungswissenschaften wird die Bedeutung von Zeit ebenfalls in unterschiedlichen Kontexten untersucht, wie etwa Bildung in der Zeit, Zeit der Bildung, Zeit in der Bildung (vgl. Schmidt-Lauff 2012; Schönbächler et al. 2010; de Haan 1996). So wird Zeit als „Prinzip der Pädagogik“, „pädagogischer Grundbegriff“ und „pädagogisches Grundproblem“ (Lüders 1995, S 18), „höchstens akzidentiell bedeutsam", „spezifisch bedeutsam" und „substanziell und grundsätzlich bedeutsam" für die Pädagogik verhandelt (Schmidt-Lauff 2012, S. 16 f.). Vor diesem Hintergrund wird beispielsweise die Bildungszeit diskutiert. Das Bild von der Zeit als Prozess, veranschaulicht in Veränderung und Wandel, ist Grundlage von Zeitdiskursen in Erziehungswissenschaften und der Pädagogik. Vor diesem Hintergrund wird Bildung als zeitlicher Prozess verstanden, in dem sich der Erwerb von Wissen, die Entwicklung von Kompetenzen, die Veränderung des Selbst- und Weltverhältnisses durch (Selbst-)Reflexion, Erfahrung, Sinnbildung oder Transformation vollzieht. Dabei spielt nicht nur die Dauer (z.B. kurz oder lang, verkürzt oder verlängert) von Bildungsprozessen eine Rolle, sondern auch deren Geschwindigkeit (z.B. schnell oder langsam, beschleunigt oder verzögert). Bildung kann dann auch als Verzögerung im Sinne einer Ermöglichung zur Vergegenwärtigung und Kritik an den Strukturen als Voraussetzung einer Veränderung verstanden werden (vgl. Dörpinghaus/Uphoff 2012).
Beschleunigung von Politik, Demokratie und Bildung
Wieder ein andere Perspektive, die in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften eingenommen wird und sich dabei mit den Diskursen um Politik und Zeit sowie Demokratie und Zeit, aber auch Bildung und Zeit vermischt, prägt den Diskurs um die sog. Beschleunigung der Gesellschaft und ihrer Teilsysteme, wie etwa dem Politik- oder Bildungssystem. Einen Referenzpunkt stellt die Gesellschaftsdiagnose von Hartmut Rosa (2005) als „Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne" dar, wobei drei Dimensionen der Beschleunigung, nämlich die „technische Beschleunigung", „Beschleunigung des sozialen Wandels" und „Steigerung des Lebenstempos", die sich in einem Beschleunigungskreislauf gegenseitig antreiben, unterschieden werden. Diese Beschleunigung, so die These weiter, führe unter anderem zu einer situativen Politik, die auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiere, anstatt die Gesellschaft zu gestalten. Im Kontext des Beschleunigungsdiskurses werden unter anderem die Beschleunigung der Politik (vgl. Eberling 1996), aber auch der Demokratie (vgl. Korte 2012) und der (politischen) Bildung (vgl. Görtler/Reheis 2012) mit Blick auf die zeitlichen Folgen für Mensch und Welt diskutiert.
Fazit
Zeit ist für die politische Bildung, genauso wie für die Politik, Demokratie und Bildung, von Bedeutung – nicht zuletzt, weil alle genannten Sphären Zeit brauchen und ihre eigene(n) Zeit(en) haben. Nichtsdestotrotz ist Zeit in der politischen Bildung ein Nischenthema. In den Bezugswissenschaften – insbesondere der Politikwissenschaft und Soziologie, aber auch der Pädagogik – gibt es Zeitdiskurse, die für die Didaktik der politischen Bildung anschlussfähig sind. So kann erstens die Zeitlichkeit von Politik und Demokratie für die politische Bildung fruchtbar gemacht werden und zweitens die politische Bildung selbst in ihrer Zeitlichkeit betrachtet werden. Die Beschleunigung von Politik, Demokratie und (politischer) Bildung stellt dabei eine eigene Problemstellung dar, insbesondere mit Blick auf die Folgen dieses Phänomens.