Anfänge der Jugendbildung
Die ersten Anfänge der politischen Jugendbildung datieren weiter zurück und liegen bereits im 19. Jahrhundert. Vor allem christliche Jünglingsvereine, nationale und militärische Vereinigungen sowie sportliche Organisationen wie z. B. der Turnerbund machten damals zweckorientierte Bildungsangebote. Mit den Preußischen Pflegeerlassen – der erste aus dem Jahr 1901 – begann im 20. Jahrhundert mit der staatlichen Jugendpolitik und -pflege eine neue Organisation des Freizeit- und Bildungsbereiches für die junge Generation. Mit der sich herausbildenden Jugendphase und Freizeit sollten zunächst den "schulentlassenen Jugendlichen", nun öffentlich geregelt und gefördert, von freien und öffentlichen Trägern jugendpflegerische und bildende Angebote gemacht werden. Die Angebote bezogen sich zunächst nur auf die "männliche Jugend", dann mit dem Erlass von 1913 auch auf die "weibliche Jugend". Grundlegendes nationales Ziel der Bildungsangebote in der Kaiserzeit war, die Jugend im Dienste des Vaterlandes politisch zu schulen. Gefördert wurden nur Träger, die politisch angepasst waren und auf dem Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung standen (Naudascher 1990).
In der Weimarer Republik wurde mit dem im Jahr 1922 verabschiedeten und 1924 in Kraft getretenen Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) auch die außerschulische Jugendbildung geregelt. Sie war Teil der Jugendpflege und die Angebote der vielfältigen freien und öffentlichen Träger richteten sich an "alle Jugendlichen", die nach dem Gesetz ein "Recht auf Förderung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit" hatten (Naudascher 1990, S. 61). Parallel dazu entstand Jugendforschung als eigenes Feld mit pädagogischen, psychologischen und soziologischen Ansätzen und Studien (Dudek 1990, von Bühler 1990). Diese lieferten Erkenntnisse über die Jugendphase und begründeten gegenüber Politik und Gesellschaft den Bedarf nach einem eigenständigen außerschulischen Lern- und Bildungsfeld. Das Trägerspektrum und die Angebote reichten von einer autoritären national-politischen Erziehung bis hin zu subjektorientierten, selbstorganisierten Lernformen in der bündischen Jugend und der Arbeiterjugend.
In der NS-Zeit wurde die Hitlerjugend (HJ) alleiniger Träger der außerschulischen Erziehung. Die Trägerstruktur der Weimarer Republik wurde 1933 verboten, zerschlagen und aufgelöst. Dies galt vor allem für die Organisationen der Arbeiterjugend, liberale und jüdische Verbände; andere Gruppierungen lösten sich selbst auf oder wurden – wie z. B. die Evangelische Jugend oder Teile der bündischen Jugend – in die HJ integriert. Die hierarchisch und nach dem "Führer-Prinzip" straff organisierte HJ sowie deren formierende Erziehung der Jugend zielten auf ideologische Integration in den NS-Staat und körperliche "Ertüchtigung".
Politische Bildung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Jugendpolitische Entscheidungen waren und sind ein politischer und gesellschaftlicher Kompromiss der jeweiligen Zeit, flankiert von den öffentlichen Jugenddebatten und den Jugendberichten der Bundesregierung, in denen die "Lebenslage Jugend" dargelegt und auch die Bildungsbedeutung von Jugendarbeit wiederholt begründet wurde. So können für die Geschichte ab 1945 mehrere Phasen unterschieden werden.
Aufbau und Konsolidierung
Die politische Jugendbildung lag in den Nachkriegsjahren ab 1945 zunächst in der Zuständigkeit der westlichen Alliierten (vor allem den US-amerikanischen und britischen Besatzungsbehörden) und ging von deren Re-Education-Programm aus. In den Angeboten der German Youth Activities (GYA) hatte das "Lernen und Einüben von Demokratie" einen zentralen Stellenwert. Mit dem Lizenzierungsverfahren der Alliierten und der Gründung der Bundesrepublik etablierten sich die öffentlichen und freien Träger der Jugendarbeit. Zu deren Aktivitäten gehörten in den 1950er-Jahren neben Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit auch politische Bildungsangebote, die aber weitgehend noch einer traditionellen Lernkultur verpflichtet waren. Anbieter waren vor allem die im Deutschen Bundesjugendring (DBJR) zusammengeschlossenen Jugendverbände, die kommunale Jugendpflege und die Häuser der Offenen Tür sowie Jugendbildungsstätten in staatlicher und freier Trägerschaft (vgl. Krafeld 1994).
Mit dem § 5 Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) von 1953 und der Novellierung 1961, der Finanzierung durch den Bundesjugendplan (BJP) als jugendpolitischem Instrument des Bundes ab 1950 sowie den Landesjugendplänen wurde die staatliche Förderung der Jugendarbeit und -bildung auf Bundes- und Länderebene geregelt. In § 5, Abs. 1 JWG aus dem Jahr 1961 gehörte es zu den Aufgaben des Jugendamtes "Freizeithilfen, politische Bildung und internationale Begegnung" anzuregen und zu fördern; und die Schwerpunkte des BJP lagen in der "staatspolitischen Erziehung der Jugend" und der "internationalen Jugendarbeit" sowie der Behandlung aktueller politischer Fragen und Themen. Dabei war im BJP und in den Landesjugendplänen die "Förderung der politischen Bildung von Anbeginn an ein angestrebtes Ziel und Förderschwerpunkt" (Lüers 1979, S. 63) Seit Mitte der 1950er-Jahre wurde der BJP "mehr und mehr zu einem Fond zur Unterstützung der bildungspolitischen Ansätze der Jugendarbeit umgewandelt" (ebd., S. 65). Angeregt wurde die Forderung nach Ausbau und verstärkter Förderung politischer Ansätze durch den BJP vor allem durch die antisemitischen Vorfälle und Schmierwellen in den Jahren 1959/60, dann auch durch die Wahlerfolge der NPD bei den Landtagswahlen in den 1960er-Jahren.
Aufbruch und Etablierung
Mit den jugendlichen Protestbewegungen in den 1960er- und 1970er-Jahren, der Zeit der Bildungsreformen und des Bildungsoptimismus, folgte mit dem Ausbau des Sozial- und Bildungswesens auch die Verabschiedung von Jugendbildungsgesetzen in fast allen Bundesländern. Diese sicherten die politische Jugendbildung und waren mit einer breiten Professionalisierung – jetzt gab es Jugendbildungsreferenten/-innen und pädagogische Mitarbeiter/-innen - und der Förderung von Veranstaltungen von freien und kommunalen Trägern verbunden. Gleichzeitig regelten zahlreiche Freistellungsgesetze (z. B. Bildungsurlaub) die Teilnahme an Veranstaltungen. Auch die kommunale Jugendpflege weitete in dieser Zeit in zahlreichen Landkreisen und Großstädten ihre Bildungsangebote aus. Der BJP wurde mit einem inhaltlichen Schwerpunkt "Politische Bildung" ausgestattet.
Derart durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen gestärkt, wurden nun freie und öffentliche Trägerstrukturen ausgebaut. Eine vielfältig organisierte und öffentlich finanzierte politische Jugendbildung entstand. Kreative Lernkulturen hielten Einzug, die sich an Produktivität, Demokratie und Partizipation orientierten. Neue theoretische Begründungen und Konzeptüberlegungen betonten Leitmotive wie Mündigkeit, Aufklärung, Kritik und Emanzipation. Die Entwicklung ging hin zu einem handlungsorientierten, "kritisch-engagierten und zugleich kulturell-humanistischen Bildungsverständnis" (Lüers 1979, S. 102). Vielfach handelte die politische Jugendbildung in den 1970er- und 1980er-Jahren verbunden mit den sozialen Bewegungen, wie der Umwelt- oder Friedensbewegung, und trug so dazu bei, die Demokratie weiter zu entwickeln. Sowohl im politischen als auch im pädagogischen Sinne dienten Bedürfnis- und Interessenorientierung, Subjekt- und Erfahrungsorientierung ("aus Erfahrungen lernen") und Demokratisierung der Gesellschaft, Selbstbestimmung und Mitwirkung dazu, Konzepte zu begründen und Orientierung zu geben. Die weitere Entwicklung kann bis in die 1980er-Jahre als eine kreative und das Feld differenzierende Aufbruchszeit charakterisiert werden und zu den Leitmotiven zählten "selbsttätige[s] Lernen, Projektlernen und Handlungsorientierung" (Schröder 2013, S. 174).
Stagnation und Abbau
Vor dem Hintergrund ökonomisch-sozialer Wandlungsprozesse und neuer Problemlagen von Jugendlichen (u. a. Arbeitslosigkeit) veränderten sich die Prioritäten in der staatlichen Förderungspolitik bereits in den 1980er-Jahren. Die Förderung der politischen Jugendbildung stagnierte, wurde teilweise abgebaut und zahlreiche Einrichtungen (Bildungsstätten) wurden geschlossen. Schon Ende der 1970er-Jahre gab es für die politische Bildung vergleichsweise geringe Zuwachsraten. Dieser Trend hält gegenüber Steigerungen in anderen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe bis heute an und kann als "Fortsetzung einer Art "schleichenden" Bedeutungsverlustes [bezogen auf die Förderung, d. V.] für die Kinder- und Jugendarbeit insgesamt charakterisiert werden" (Schilling 2013, S. 5).
Die politische Jugendbildung erhielt 1990 mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) und dann der Einbindung in das achte Sozialgesetzbuch (SGB VIII) einen neuen gesetzlichen Rahmen, und politische Bildung wurde ein Bildungsaspekt. Im Kinder- und Jugendplan (KJP) des Bundes bleibt die politische Bildung weiterhin ein Förderschwerpunkt.
QuellentextSozialgesetzbuch VIII, § 11 Jugendarbeit
(1) Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.
(2) Jugendarbeit wird angeboten von Verbänden, Gruppen und Initiativen der Jugend, von anderen Trägern der Jugendarbeit und den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe. Sie umfasst für Mitglieder bestimmte Angebote, die offene Jugendarbeit und gemeinwesenorientierte Angebote.
(3) Zu den Schwerpunkten der Jugendarbeit gehören:
außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung,
Jugendarbeit in Sport, Spiel und Geselligkeit,
arbeitswelt-, schul- und familienbezogene Jugendarbeit,
internationale Jugendarbeit,
Kinder- und Jugenderholung,
Jugendberatung.
(4) Angebote der Jugendarbeit können auch Personen, die das 27. Lebensjahr vollendet haben, in angemessenem Umfang einbeziehen
Quelle: Externer Link: http://www.gesetze-im-internet.de (abgerufen am 30.09.2014)
Vor dem Hintergrund rechtsextremer Orientierungen in Teilen der jungen Generation, niedriger Wahlbeteiligung und den Herausforderungen der Migrationsgesellschaft bekam die politische Jugendbildung seit Mitte der 1990er-Jahre im Rahmen zahlreicher – zeitlich befristeter und immer wieder modifizierter – Bundesprogramme eine neue bildungs- und demokratiepolitische Bedeutung. Konzeptionell wurden nun vor allem Demokratiebildung, sozialräumliche Konzepte, Subjekt- und Lebensweltorientierung, Aufklärung, politische Mündigkeit und Partizipation akzentuiert (vgl. Böhnisch/Münchmeier 1990, Scherr 1997, Hafeneger 2008, 2013).
Markt und Konkurrenz
Seit den 1990er-Jahren wird auch die politische Jugendbildung mit neuen Herausforderungen konfrontiert, die ihre Bedeutung und "Marktfähigkeit" auf den Prüfstand stellen. Zum einen konkurrieren Angebote der politischen Jugendbildung immer mehr mit Unterhaltungs- und Konsumangeboten. Zum anderen dominieren ökonomisches und betriebswirtschaftliches Denken zunehmend die Debatten im gesamten Bildungs- und Sozialbereich, und dies vor dem Hintergrund schwindender finanzieller Gestaltungsspielräume von Bund, Ländern und Kommunen (Schröder et. al. 2004, S. 6). Der Dienstleistungs- und Wettbewerbsgedanke, die Frage nach der Nützlichkeit, die Diskussion über Privatisierungen im gesamten Weiterbildungsbereich fordern die Träger heraus, ihre Angebotsformen, Zugänge zu Zielgruppen und ihre gesellschaftliche wie auch biografische Bedeutung neu zu klären. Dabei gibt eine erste Evaluationsstudie (ebd.) breite Einblicke in die Wirklichkeiten der politischen Jugendbildung. Deutlich wird der Zusammenhang von Persönlichkeitsentwicklung und politischer Bildung sowie deren Daueraufgabe "Wissen zu vermitteln, Urteilsbildung zu ermöglichen und zur Mitwirkung anzuregen" (ebd., S. 190).
Politische Jugendbildung in der DDR
Die schulische politische Jugendbildung in der DDR war von dem Unterrichtsfach "Staatsbürgerkunde" geprägt, und in der Freizeit hatten die "Jungen Pioniere" und die "Freie Deutsche Jugend" (FDJ) den alleinigen Auftrag und Anspruch, die junge Generation zu erziehen und zu bilden. Die FDJ wurde 1946 gegründet und war im Rahmen der Jugendgesetzgebung der DDR die allein zuständige staatliche Jugendorganisation für die außerschulische Jugenderziehung. Sie wurde "zum wichtigsten jugendpolitischen Instrument der SED entwickelt" (Hoffmann 1981, S. 37) und war die Parteijugend und Nachwuchsorganisation der SED. Ihr Vorsitzender gehörte dem Zentralkomitee (ZK) der SED an. Die "neue Jugendarbeit" stand zunächst im Zeichen des Antifaschismus und des Neuaufbaus. Dabei war von Anfang an ihr Hauptziel, die Jugend ideologisch umzuerziehen und zur Mitarbeit zu gewinnen (vgl. Herz 1965, Klein 1968). Die Erziehungs- und Bildungs-/ bzw. Schulungsarbeit waren politisch-ideologisch ausgerichtet und dienten der Entwicklung der "sozialistischen Persönlichkeit" im Rahmen einer "einheitlichen und zentralistischen Lenkung und Kontrolle" der Jugend (vgl. Hoffmann 1981).
Arbeitseinsätze, Freizeitbeschäftigungen, Schulungen, Treffen, Fahrten und Zeltlager, Begegnungen mit den Jugendorganisationen der "Bruderstaaten", Kulturarbeit, Aufmärsche und Demonstrationen, Einfluss in Schule, Betrieb und gesellschaftlichen Organisationen prägten weitgehend das Leben der FDJ auf allen Ebenen, vom Wohnbezirk bis zur nationalen Ebene. Formulierungen wie "Aufbau des Sozialismus", "kommunistische Erziehung", "Dienst der Gemeinschaft" und "antifaschistisch-demokratische Ordnung" zeigen die theoretische und praktische Formierungsrichtung der FDJ im Sinne der Parteidoktrin der SED. Die FDJ half der SED die Jugend zu kontrollieren, politisch-ideologisch zu binden und ihre inhaltlichen Zielvorstellungen, ihr Sozialisations- und Herrschaftssystem durchzusetzen.