Ökonomisches Wissen gewinnt nicht erst seit der Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenkrise für die politische Bildung sowie für die Bearbeitung der gesellschaftlichen Schlüsselprobleme an Bedeutung. Ohne ökonomische Zusammenhänge erkennen und reflektieren zu können, dürfte es als Arbeitnehmer/-in, Konsument/-in, Sparer/-in und Staatsbürger/-in schwer fallen, sich in Politik und Gesellschaft zu orientieren und erfolgreich einzubringen. Ökonomisches Lernen im Kontext politischer Bildung will Bürgerinnen und Bürger daher mit Urteils-, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeiten ausstatten, mit denen sie ökonomisch geprägte Lebenssituationen bewältigen können.
Politik und Ökonomie
Politik und Ökonomie sind wechselseitig aufeinander bezogen. Viele politische Probleme und Konflikte beinhalten eine ökonomische Dimension – umgekehrt ist ökonomisches Handeln in einen Ordnungsrahmen eingebunden, über den politisch verhandelt und entschieden wird (vgl. fortfolgend Kruber 2007). So hängt die Gestaltungsfähigkeit der Politik vom ökonomischen Wohlstand ab, ebenso beeinflussen Wachstum und Beschäftigung die politischen Orientierungen und Wahlentscheidungen der Bürgerinnen und Bürger. Der Staat wiederum greift in wirtschaftliche Prozesse ein, um nicht-erwünschte Ergebnisse ökonomischen Handelns politisch zu korrigieren, z.B. in Bezug auf Umverteilung oder Umweltpolitik. Diese Überschneidungen spiegeln sich nicht zuletzt in den Gegenständen und Aufgabenbereichen wider, mit denen Politik sowie Wirtschaft befasst sind, wie etwa Finanzen oder Steuern. Politische Eingriffe müssen ökonomische Zusammenhänge beachten, wenn sie ihre Ziele erreichen wollen. Dabei handelt es sich um die ordnungspolitische Dimension der Wirtschaftspolitik. Politik und Ökonomie lassen sich auch durch ihre je eigene Perspektivität – also den jeweiligen "Zugriff" – unterscheiden. Sehr vereinfachend formuliert strebt Politik danach, in einer Gesellschaft allgemeingültige Entscheidungen und deren Legitimation herbeizuführen und durchzusetzen. Ökonomisches Handeln dagegen zielt auf den effizienten Einsatz knapper Ressourcen, um tendenziell unendliche Bedürfnisse zu befriedigen. Dies umfasst die Frage, was mit welchen Mitteln produziert werden soll und wie die Verteilung von Gütern und Dienstleistungen durch institutionelle Arrangements (Märkte) gesteuert werden kann. Dabei treten Informations-, Entscheidungs- und Interaktionsprobleme auf, die ökonomischen Analysen zugänglich gemacht werden können.
BeispielArbeitslosigkeit politisch und ökonomisch betrachtet
Ein gesellschaftliches Phänomen wie Arbeitslosigkeit kann u.a. soziologisch, politisch oder auch ökonomisch betrachtet werden. Vielleicht wird sich ein Politologe für die Organisation von Mehrheiten und Durchsetzung einer allgemeinverbindlichen Entscheidung über Vorschriften zur Arbeitsmarktregulierung interessieren, während sich die Ökonomin eher für die Untersuchung der Folgen dieser ordnungspolitischen Entscheidung am Arbeitsmarkt entscheidet – sie könnte die Anreizwirkungen der institutionellen Regulierung auf Unternehmen und Arbeitslose analysieren. Dies verdeutlicht, dass sich die "Eigenlogiken" von Politikwissenschaft und Ökonomik nicht in den Gegenstandsbereichen, sondern vielmehr in ihren spezifischen Perspektiven auf gesellschaftliche Phänomene und Problemstellungen aufzeigen lassen, Gemeinsamkeiten und Überschneidungen keineswegs ausgeschlossen. Dabei bedienen sie sich des vielfältigen Inventars sozialwissenschaftlicher Methoden.
Zugänge zum ökonomischen Lernen
Allgemein kann Didaktik als Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens bezeichnet werden. Eine fachspezifische Didaktik wie die Politikdidaktik oder die Wirtschaftsdidaktik bezieht sich auf domänenbezogene (ein bestimmtes Wissensgebiet betreffende) Lehr- und Lernprozesse und Denk- und Analysefiguren ihrer Bezugsdisziplinen. Es lassen sich verschiedene fachdidaktische Ansätze unterscheiden, die jeweils unterschiedliche Zugänge und Blickwinkel auf Problemgegenstände von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft eröffnen. Die folgenden Ansätze werden an der Schnittstelle von Politik und Wirtschaft diskutiert.
1. Die Bewältigung von ökonomisch geprägten Lebenssituationen
Sogenannte "situative" Zugänge setzen an den lebensweltlichen Bedingungen von Menschen an. Sie wollen zu reflektiertem ökonomischem Handeln qualifizieren. Dazu ermitteln sie relevante Lebenssituationen, für deren Bewältigung wirtschaftliches Wissen benötigt wird (vgl. fortfolgend z.B. Steinmann 1997). "Ökonomisch geprägte Lebenssituationen" treten dort auf, wo Einkommen entsteht (Arbeit, Produktion) und verteilt wird (Güter und ihre Verteilung). Es gibt eine Vielzahl an Lebenssituationen, die ökonomisch geprägt sind – von der Berufswahl über alltägliche Konsumentscheidungen bis zur Altersvorsorge. Diese individuelle Perspektive ökonomischen Handelns wird jedoch erweitert: Neben der Entwicklung von Mündigkeit und Handlungsfähigkeit geht es um die Veränderbarkeit und Gestaltungsfähigkeit der gesellschaftliche Verhältnisse. Daher impliziert dieser Ansatz die Verknüpfung individueller Lebens- und Entscheidungssituationen mit ihren gesellschaftlichen und politischen Bedingungen und Konsequenzen.
Beispiel"Ein T-Shirt für nur ein paar Euro?"
Der Megatrend "Globalisierung" stiftet vielfältige Anknüpfungspunkte für die Gestaltung lebensnah orientierter Lehr- und Lernsituationen z.B. mit Blick auf unsere Rolle als Verbraucher und Konsumenten. Ökonomische, politische und ökologische Konflikt- und Problemsituationen, die mit der globalen Produktion und Konsumtion von Gütern einhergehen, können im Alltag von Jugendlichen als Konsumenten aufgezeigt werden. Warum muss ich als Verbraucher/-in für ein T-Shirt nur ein paar Euro ausgeben? Oder: Warum können die Unternehmen so günstig produzieren? Welche Produktionsbedingungen herrschen in den exportierenden Ländern? Was hat das mit dem Schlagwort Globalisierung zu tun? Welche dieser globalen Entwicklungen kann ich in meiner alltäglichen Handlungs- und Entscheidungspraxis als Konsument aktiv beeinflussen? Auf diese Weise können Themen und Fragestellungen aus der Sicht der Lernenden entwickelt und deren lebenssituative und globale Bedeutung miteinander in Beziehung gesetzt werden (vgl. z.B. Lutter 2012).
2. Denkfiguren der ökonomischen Handlungs- und Verhaltenstheorie
Theorien über das Handeln und Verhalten von Menschen sind zunächst ein universelles Instrument, mit dem das individuelle Handeln analysiert werden kann. Mit Hilfe der ökonomischen Verhaltenstheorie werden gesellschaftliche Schlüsselprobleme, die durch soziale Dilemmata gekennzeichnet sind, untersucht (vgl. Krol 2008, S. 15ff). Soziale Dilemmata liegen vor, wenn der Einzelne durch seine Entscheidungen und sein Handeln zwar individuelle Vorteile erwirbt, zugleich aber der Allgemeinheit schadet, beispielsweise, wenn das Allgemeingut Umwelt durch "kostenlose" Nutzung Einzelner geschädigt – also "ausgebeutet" wird. Werden die Handlungsbedingungen entsprechend gestaltet – etwa umweltschädigende Handlungen durch eine "Ökosteuer" zum Schutz der Umwelt verteuert – kann eine Anreizstruktur entstehen, die eine "Ausbeutung" von kollektiven Gütern durch Übernutzung vermeidet. Die ökonomische Verhaltenstheorie liefert einen Beitrag zur Analyse moderner gesellschaftlicher Krisen. Dabei setzt sie auf Verhaltensanreize statt auf Appelle an die Moral des Einzelnen (Umweltbewusstsein). Sie kann durch Alltagsexperimente für die politische Bildung nutzbar gemacht werden (vgl. bspw. Schlösser u.a. 2009).
Beispiel"Holzwirtschaft im Weltenwald"
Mithilfe eines Planspiels zur Holzwirtschaft erlernen Jugendliche, wie die Gestaltung von Institutionen – z.B. die Formulierung einer Verfassung – zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen kann (vgl. Klee/Neuhof 2012): Schülerinnen und Schüler simulieren innerhalb eines Unterrichtsexperiments als Mitglieder von Holzfällerclans, welche Probleme und Konflikte durch die Übernutzung von Waldflächen entstehen. Sie entwickeln und verabschieden eine "Timbermens-Constitution" (Holzfäller-Verfassung), die die Nutzung von Waldflächen verbindlich regelt. Ziel ist es zu zeigen, wie ein ökonomisches und ökologisches Problem durch geeignete politisch gesetzte Institutionen – hier eine Verfassung – geregelt werden kann.
3. Stoffkategorien wirtschaftspolitischen Lernens – der kategoriale Zugang zum ökonomischen Lernen
Kategoriale Zugänge stehen in der bildungstheoretischen Tradition von Wolfgang Klafki, der in den 1960er-Jahren erstmals eine Theorie der kategorialen Bildung formulierte. Sie filtern aus den jeweiligen Wissenschaftsgebieten – im Falle ökonomischen Lernens vorwiegend aus der Wirtschaftswissenschaft – verallgemeinerbare Bildungsinhalte heraus. Klaus-Peter Kruber generiert aus der Volkswirtschaftslehre relevante (Stoff-) Kategorien der Wirtschaft: Knappheit, Nutzen-Kosten Überlegungen und Entscheidungen unter Risikobedingungen, Arbeitsteilung und Spezialisierung, Marktkoordination und Organisation, Wirtschaftskreisläufe, Interdependenzen und Zielkonflikte, Gleichgewicht – Instabilität – Strukturwandel, materielle und soziale Ungleichheit, ökologische Probleme, Staatsinterventionen, Interessenkonflikte, Wertbezug und soziale Gerechtigkeit, Wirtschaftsordnung, Gestaltung und Legitimierung (Kruber 2008). Diese Kategorien strukturieren die spezifisch fachliche Sichtweise, sie wollen das Typische, Elementare und Prinzipielle eines Gegenstands erfassen und aufzeigen. Sie werden durch didaktische Leitfragen ergänzt, die die Bedeutung des Stoffes für Bildung verdeutlichen sollen. Dabei spielen sowohl politische als auch ethische Aspekte wirtschaftlicher Fragestellungen eine Rolle.
BeispielKategoriale Analyse internationaler Wirtschaftsbeziehungen
Der kategoriale Zugang soll mit einem Beispiel anschaulich gemacht werden. Die verwendeten Kategorien sind kursiv geschrieben: "Am Thema Außenwirtschaft werden ökonomische Kreislaufbeziehungen und damit verbundene Interdependenzen (gegenseitige Abhängigkeiten) deutlich, wenn z.B. politische Unruhen in Nahost über steigende Preise zu Beschäftigungseinbrüchen in Deutschland und anderswo führen. Die davon ausgehenden Wirkungen berühren die Interessen von Betroffenen (Unternehmer, Arbeitnehmer, Bauern, Regierungen usw.); sie sind mit Zielkonflikten auf nationaler und internationaler Ebene verbunden und führen zu politischen Reaktionen (Lobbyismus, Protektionismus, Handelskrieg). Umweltschädigung und unakzeptable Sozialstandards (Kinderarbeit) führen zu ethischen Fragen" (Kruber 2013, 51; Hervorhebung A.L.). Mit Hilfe der verwendeten Kategorien werden wirtschaftliche Phänomene didaktisch "sortiert", um die fachlichen Bedingungen und die ökonomisch-politischen Lernchancen zu klären. Kategorien stellen ein Hilfsmittel für die Planung und die unterrichtliche Bearbeitung der Lerngegenstände gleichermaßen dar.
4. Unterschiedliche Wissensformen zusammenführen – der integrative Zugang sozialwissenschaftlichen Lernens
Sozialwissenschaftliche Zugänge integrieren ökonomisches Lernen in das Spektrum der sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Sie zielen auf die Befähigung zu selbst bestimmter individueller Lebensgestaltung, aber auch auf eine verantwortungsvolle Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse (Hedtke 2011, 69). Dieser Zugang steht dem lebenssituativen Konzept nahe. Je nach Lern- und Problemgegenstand werden aber verschiedene Wissensformen der sozialwissenschaftlichen Bezugswissenschaften zur Analyse und Bearbeitung herangezogen, beispielsweise ökonomische und soziologische Perspektiven. Dabei geht es um ein umfassendes Konzept der Einbettung ökonomischer Bildung in die Perspektivenvielfalt der sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Hedtke plädiert in diesem Zusammenhang für die Formel "gemeinsam und unterschieden" (ebd.). Disziplinäre Eigenheiten und ihre spezifischen Herangehensweisen können so herausgearbeitet werden. Im Vordergrund steht die Förderung des Umgangs mit multiperspektivischen Denkweisen als genuin sozialwissenschaftliche Kompetenz.
BeispielUnterschiedliche Denkweisen von Kaufhandlungen reflektieren
"Sie [Kaufhandlungen; A. L.] erscheinen in ganz unterschiedlichem Licht, wenn man sie beispielsweise in drei grundsätzlichen Alternativen beschreibt. In einer Blickrichtung sieht man Kaufhandlungen oder Konsum als Ergebnis, das aus mehr oder weniger rationalen, individuellen und freien, d.h. nicht von außen gesteuerten Wahlentscheidungen im privaten Haushalt hervorgeht (Haushaltsökonomik). In einer anderen Perspektive betrachtet man sie als gezielt von außen beeinflusste oder sogar herbeigeführte Handlungen, die anbietenden Unternehmen durch Instrumente der Produktgestaltung und zielgruppengenaue Werbestrategien mehr oder weniger steuern (Marketingwissenschaft). Eine dritte Sicht konzentriert sich auf die jeweilige gruppenspezifische Konsumkultur, mit der man sich identifiziert und deren Normen und Moden man bewusst oder unbewusst imitiert, um sich als zugehörig auszuweisen (Konsumsoziologie)" (Hedtke 2006, 9).
Unterrichtsmethoden in der Wirtschafts- und Politikdidaktik
Während die skizzierten Zugänge einen eigenen Beitrag für die Elementarisierung ökonomischer Perspektiven in der politischen Bildung leisten, bietet darüber hinaus die Vielfalt an methodischen Verfahren der ökonomischen Bildung Möglichkeiten für die Umsetzung im Unterricht (vgl. zu den Methoden bspw. Retzmann 2007, 2011). Integrationsfördernd ist die Vielfalt gemeinsamer Methoden ökonomischer und politischer Bildung, wie Planspiele, Projekte und Fallstudien. Darüber hinaus gibt es spezifische Verfahren und Erkenntnisweisen, wie z. B. Praxiskontakte, Betriebspraktika oder Nutzwertanalysen, die vorrangig zur Bearbeitung von ökonomischen Problemstellungen oder Erfahrungsbereichen entwickelt wurden.