In einer mediatisierten Gesellschaft bedeutet gesellschaftliche Handlungsfähigkeit für die Subjekte, mediale Symbolsysteme zu entschlüsseln, sich in der Welt mit ihren mediatisierten Kommunikations- und Interaktionsstrukturen zu orientieren und ihre kommunikativen Werkzeuge souverän für die eigenen Lebensvollzüge und damit selbstbestimmt, kreativ und reflektiert zur Artikulation eigener und gesellschaftlicher Belange in Gebrauch nehmen zu können. Ziel handlungs- und ressourcenorientierter Medienpädagogik ist es, Heranwachsende und ihr erzieherisches wie pädagogisches Umfeld im kompetenten Umgang mit diesen Kommunikations- und Interaktionsstrukturen zu unterstützen, um ihre gesellschaftliche Partizipation zu stärken. Empirische Befunde verweisen regelmäßig und systematisch darauf, dass Prozesse der Medienaneignung in hohem Maße sozial strukturiert und lebensweltlich geprägt sind. Auch seit der Einführung des Begriffs Digital Divide wird insbesondere in Bezug auf die Aneignung digitaler Medien immer wieder belegt, dass durch soziokulturelle Ungleichheiten bedingte Inklusions- und Exklusionsmechanismen einen Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse darstellen, die in medialen Räumen ihre Fortsetzung finden. Vor diesem Hintergrund können mit dem Fokus auf Zielgruppen aus benachteiligten Verhältnissen folgende Thesen skizziert werden:
1. Die Rekonstruktion der Medienaneignung der Subjekte muss den Ausgangspunkt medienpädagogischer Aktivitäten und Interventionen darstellen
Die unterschiedlichen Medienaneignungsweisen der Subjekte sind Ergebnis der Wahrnehmung, Zuwendung und Verarbeitung von Medien, ihren Angeboten, Inhalten und Strukturen im Zusammenspiel mit lebensweltlichen Bedingungen, individuellen und kulturell geprägten Interessenlagen und Motivationen, dem Entwicklungsstand und den biographischen Erfahrungen. Am Beispiel des Themas Privatheit, Persönlichkeitsrechte und Datenschutz kann gezeigt werden, dass das Medienhandeln von bildungsbevorzugten und bildungsbenachteiligten Heranwachsenden sich im Ergebnis nicht unbedingt voneinander unterscheidet. Ihre Wahrnehmungen der Medienwelt und potenziellen Gefährdungen der eigenen Privatsphäre sind jedoch sehr unterschiedlich. Das pädagogische Ziel, Heranwachsenden mediale Strukturen erfahrbar und damit einer Reflexion zugänglich zu machen und zugleich ihr Orientierungs- und Strukturwissen zu erweitern, gilt zunächst milieuübergreifend. Die Wege, über die Kinder und Jugendliche verschiedener soziokultureller Herkunft erreicht werden können, müssen allerdings sehr unterschiedlich gestaltet sein. Dafür sind ihre Medienaneignungsweisen differenziert zu rekonstruieren, um eine tragfähige Grundlage für die Entwicklung medienpädagogischer Konzepte und Modelle zu erhalten, damit Heranwachsende vor dem Hintergrund ihrer Lebenslagen bestmöglich unterstützt werden können.
2. Die zunehmende Komplexität medialer Umgebungen verstärkt die Kluft zwischen ressourcenstarken und ressourcenschwachen Mitgliedern der Gesellschaft und erhöht gleichzeitig die Anforderungen an Medienkompetenz
Die immer engere Verschränkung von Teilhabemöglichkeiten an Gesellschaft mit medialen Kommunikationskanälen verstärkt die Ungleichheit zwischen den verschiedenen Sozialmilieus: Jene, die in ihren Lebenslagen über Ressourcen verfügen, sind auch potenziell die, die über mehr Ressourcen verfügen können, um sich Medien in einer souveränen Weise anzueignen. Dies ist aber gleichzeitig nicht ausschließlich ein Phänomen von sozioökonomischen und bildungsstrukturellen Unterschieden, sondern auch im Hinblick auf Unterschiede zwischen den Generationen zu diskutieren. Das gesellschaftlich handlungsfähige und gleichzeitig medienkompetente Subjekt ist vor dem Hintergrund komplexer medialer Umgebungen beständig gefordert, seine Fähigkeiten weiterzuentwickeln. In Bezug auf Medienkompetenz kommt vor allem der Dimension des Orientierungswissens große Bedeutung zu. Dazu gehört das Wissen über mediale Strukturen, ihre Funktionsmechanismen und ihren Charakter ebenso wie ein Bewusstsein darüber, wie die Artikulation eigener (kollektiver) Belange und die Arbeit an der eigenen Identität in den (teil-)öffentlichen und gleichzeitig mediatisierten Sozialräumen gelingend gestaltet werden kann. Die Spezifika komplexer medialer Umgebungen bringen aber auch mit sich, dass die Konsequenzen des eigenen Handelns nicht immer abzuschätzen sind, da z.B. der Öffentlichkeitscharakter von Online-Kommunikaten teilweise nur schwer abzusehen ist und das Online-Handeln von Dritten wiederum die eigenen Artikulationsformen verändern kann.
3. Medienpädagogische Arbeit muss stärker als bisher benachteiligende Faktoren differenzieren, um zielgruppenadäquate Ansätze zu entwickeln
„Die“ Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen aus benachteiligten Verhältnissen ist in sich sehr heterogen und die benachteiligten Verhältnisse, in denen diese Kinder und Jugendliche aufwachsen, sind zu differenzieren. Benachteiligende Faktoren sind auf verschiedenen strukturellen Ebenen zu verorten: V.a. in sozioökonomischen Strukturen, Bildungsstrukturen und den individuellen lebensweltlichen Bedingungen. Aber auch die Medien selbst sind in Bezug auf ihre Rolle in der Matrix benachteiligender Faktoren zu analysieren. Die Rahmenbedingungen der anvisierten Zielgruppe(n) für die medienpädagogische Arbeit sind daher einer detaillierten Analyse zu unterziehen, um adäquate Angebote zur Förderung von Medienkompetenz zu konzipieren. Erst mit dieser Analyse wird deutlich, welche Ressourcen und Fähigkeiten auf Seiten der Subjekte unterstützt werden müssen.
4. Nachhaltige medienpädagogische Ansätze binden das soziale Umfeld, v.a. die Peergroup, aktiv ein
Die Orientierung am direkten sozialen Umfeld erweist sich als ambivalent mit Kindern und Jugendlichen aus benachteiligten Verhältnissen: Auf der einen Seite bietet die Orientierung an den Gleichaltrigen ein Potenzial, auf der anderen Seite kann das soziale Umfeld auch einengen. Für die pädagogische Arbeit sind insbesondere die Ressourcen des sozialen Umfelds in den Blick zu nehmen: Sich untereinander Unterstützung zu geben oder Feedback zu bekommen bietet gerade für sie besonders gute Möglichkeiten, sich selbst Fähigkeiten zu erarbeiten und das eigene Wissen zu erweitern. In der pädagogischen Arbeit sind daher Methoden zu integrieren, die das Lernen Peer-to-Peer ermöglichen. Der besondere Wert von Peer-to-Peer-Ansätzen liegt darin, dass die Heranwachsenden selbst als Expertinnen und Experten zu Wort kommen, sich also als kompetent erleben können – eine Erfahrung, die für sie innerhalb des Bildungssystem kaum möglich ist. Mit einem systematischen Ausbau dieser Fähigkeiten kann also letztendlich das Ziel erreicht werden, ihre Teilhabemöglichkeiten an der sozialen Welt zu erweitern. In der Arbeit mit und über Medien liegt damit die Chance, Kompetenzen zu erwerben, die eine selbstbestimmte Lebensgestaltung befördern können.
5. Angebote zur medienerzieherischen Unterstützung müssen mit anderen Strukturen zusammenarbeiten, um mehrfachbelastete Familien zu erreichen
Familie ist der zentrale Ort, an dem die ersten Medienerfahrungen gemacht werden. Im Zuge zunehmender Mediatisierung familialer Kommunikations- und Interaktionsstrukturen ist eine medienerzieherische Begleitung von klein auf wichtiger denn je. Gerade in Familien mit Mehrfachbelastungen ist Medienerziehung meist nur ein sehr randständiges Thema, da grundsätzliche Erziehungsaufgaben bereits zu Überforderung führen. Die Erziehungspersonen sollten (nicht nur in mehrfachbelasteten Familien) aber unbedingt einbezogen werden, um eine an der Entwicklung der Kinder orientierte Medienkompetenzförderung zu verwirklichen. In der Regel werden diese Familien aber kaum über medienpädagogische Angebote erreicht. Gleichzeitig erscheinen eigenständige medienpädagogische Angebote zur medienerzieherischen Unterstützung für diese Zielgruppe nur bedingt zielführend. Gerade für mehrfachbelastete Familien sind daher Angebote und Strukturen zu etablieren, in denen mit anderen Unterstützungsstrukturen der Kinder- und Jugendhilfe zusammengearbeitet wird.