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"Verfemte Musik" - Projektarbeit in Schwerin | Kulturelle Bildung | bpb.de

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"Verfemte Musik" - Projektarbeit in Schwerin

Volker Ahmels

/ 6 Minuten zu lesen

Musik von Komponisten, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, steht im Mittelpunkt der Projektreihe "Verfemte Musik“ in Schwerin. Zahlreiche internationale Kooperationen, Wettbewerbe und das Festival verbinden sehr engagiert musikalische und historisch-politische Bildung.

Schülerinnen und Schüler aus Schwerin arbeiten zum Thema "Warschauer Ghetto". (© Reinhard Klawitter)

Wie alles begann

Im Jahr 1996 wurde im Rahmen der Musikschularbeit des Konservatoriums Schwerin ein Projekt gesucht, an dem möglichst viele Kinder teilnehmen sollten. Das Leitungsteam stieß so während der Recherche auf ein durch die Jeunesses Musicales Deutschland initiertes Jugendprojekt, nämlich die Kinderoper "Brundibár“ des Komponisten Hans Krasa. Insgesamt wurde die Inzenierung mehrmals in Schwerin, später dann in Dänemark und im Jahr 1997 in Israel aufgeführt. An diesem Musikschulprojekt waren ca. 70 Kinder und Jugendliche beteiligt.

Während der Einstudierungsphase wurde schnell erkannt, dass neben der Musikaufführung eines verfemten, also von den Nationalsozialisten geächteten, verfolgten oder ermordeten, Komponisten ein enormes Potenzial für die Aufarbeitung der deutschen, europäischen und nicht zuletzt der Geschichte des Staates Israel bestand. Der Komponist Hans Krása (1899-1944) wurde von Prag nach Interner Link: Theresienstadt verschleppt und später gemeinsam mit vielen weiteren bedeutenden Musikern nach Auschwitz deportiert, wo er im Oktober 1944 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurde. Dieser Tatsache geschuldet wurde ein Weg gesucht, pädagogische und künstlerische Ideen zu verbinden und neben moralischen und ethischen Aspekten zusätzlich auch historisch-didaktische Ansätze in der Vermittlung musikalischer Werte mit einzubeziehen. Allgemeinbildende Schulen wurden in die Projektarbeit eingebunden. Die Schaffung von Ausstellungen im Begleitprogramm, Besuche von Zeitzeugen in Schulen und vielfältige Öffentlichkeitsarbeit wurde dann Basis für spätere Projekte in der Thematik Verfemte Musik, die bis heute durchgeführt werden.

Es entstanden Kontakte zu Überlebenden des Holocaust aus Deutschland und Israel, die dann später zu öffentlichen Veranstaltungen nach Schwerin eingeladen wurden. Es gelang, Fernsehteams zur Dokumentation von Aufführungen zu bewegen und bei der Konzertreise nach Israel wertvolle Bild- und Tondokumente zu schaffen, die heute noch für Bildungszwecke oder bei Gedenkveranstaltungen gezeigt werden und die auch im Internet zugänglich sind .

Weiterentwicklung des Projektes

Seit der Aufführung der Kinderoper in Israel entwickelte sich ein intensiver Kontakt zur Gedenkstätte Beit Theresienstadt im Kibbuz Girat Chaim Ichud in Israel. Weitere Organisationen in Theresienstadt und Deutschland wurden Partner des Konservatoriums Schwerin und des Landesverbands Jeunesses Musicales Mecklenburg-Vorpommern als zukünftig durchführende Trägerorganisation.

Unter dem Titel “History, Music & Remembrance“ wurden zwischen 1999 und 2003 unter Leitung von Volker Ahmels, Prof. Dr. David Bloch († 2010) und Anita Tarsi Meisterkurse in Israel mit Überlebenden des Holocaust als Dozenten veranstaltet, zunächst auf bilateraler Basis mit jungen deutschen und israelischen Musikern und später mit internationalen jungen Künstlern.

Diese Form der Meisterkurse war sicherlich weltweit einmalig. Der Lerneffekt und die Motivation wurden durch die aktive künstlerische Gestaltung und durch die Aufführung von Musikwerken verfemter Komponisten geprägt. Gerade durch die künstlerische Vermittlung der Zeitzeugen wurde die Begegnung mit den ihnen authentisch und weichenstellend für die weitere Entwicklung der jungen Musiker.

Prominente Politiker und Botschafter übernahmen die Schirmherrschaft dieser Projekte, wie z.B. SE Avi Primor und SE Rudolf Dressler.

In unvergesslicher Erinnerung bleibt die Gestaltung der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3.10.2001 in der Residenz des damaligen Deutschen Botschafters Rudolf Dressler, bei der Deutsche und Israelis gemeinsam die Nationalhymnen beider Länder sangen und musizierten, was aufgrund der Geschichte beider Länder alles andere als selbstverständlich war. Auch für die eingeladenen Zeitzeugen war dieser Versöhnungsakt ein einmaliges Erlebnis. Der anwesende Shimon Peres zeugte großen Respekt vor dieser gemeinsamen Projektarbeit. Der künstlerische, pädagogische und historische Ansatz führte schließlich zu der Schaffung des Festivals Verfemte Musik in Schwerin, das seit dem Jahr 2001 in der Landeshauptstadt Schwerin veranstaltet wird, seit 2002 im 2-jährigen Rhythmus.

Das Festival Verfemte Musik in Schwerin

Anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus für den 27.1.2001 entstand die Idee, ein Musik-Festival zu veranstalten. Es wurde die erste Kooperation des Landesverbandes Jeunesses Musicales Mecklenburg-Vorpommern mit dem Konservatorium Schwerin und der Akademie für politische Bildung unter der Leitung von Dr. Wolfgang Donner. Die musikalisch-künstlerische Ausgangssituation bestand darin, dass nur Musikwerke von Komponisten erklingen sollten, die durch die Nationalsozialisten verfolgt wurden. Die Erfahrungen mit den Meisterkursen in Israel hatten gezeigt, dass die Vorbereitung von kammermusikalischen Werken von Komponisten wie Viktor Ullmann oder Pavel Haas extrem aufwändig waren. Daher sollte ein Interpretationswettbewerb zusätzliche Motivation schaffen. Dabei wurden Zeitzeugen in die Jurys berufen, die das KZ Theresienstadt oder das Vernichtungslager Auschwitz überlebt haben, u.a. der Violinprofessor Paul Kling († 2005) oder die Pianistin Edith Kraus (geb. 1913).

Bei den Wettbewerben wurden für das Rahmenprogramm Themenschwerpunkte gesetzt, wie zum Beispiel die Schülerausstellung "Warschauer Ghetto“, die von mehr als 1200 Gästen besucht wurde. Die überwältigende Anerkennung führte zu einer Übersetzung der Ausstellung ins Englische. Die überarbeitete Version wurde 2007 im Museum of Tolerance in Los Angeles durch die Schüler/-innen des Gymnasiums Fridericianum präsentiert, im Rahmen einer Konzerttournee der Wettbewerbs-Preisträger/-innen. Etwa 10.000 Besucher/-innen sahen die Ausstellung in Los Angeles.

Im Rahmen des Projektes "Verfemte Musik“ 2008 wurden die Lebenswege deutschsprachiger Künstler ins kalifornische Exil in einer Ausstellung erarbeitet. Inhaltlicher Schwerpunkt war der weltberühmte Pianist und Pädagoge Artur Schnabel, dessen Kompositionen bis heute nahezu unbekannt sind. Trotz seiner internationalen Anerkennung und seiner Einbindung in das Deutsche Kulturleben verließ er 1933 Deutschland und emigrierte später in die USA.

Das Festival und der Wettbewerb Verfemte Musik fanden im Jahr 2010 unter der Schirmherrschaft der Oberbürgermeisterin von Schwerin, Angelika Gramkow und des Stadtpräsidenten von Oświęcim (Auschwitz), Janusz Marszalek statt. Im Mittelpunkt der Aktivitäten des Festivals stand das Leben und Werk des polnisch-französischen Komponisten und Pianisten Alexandre Tansman, der auf Grund des Krieges und der Judenverfolgung 1941 in die USA fliehen musste. Dank der Recherchearbeit des Landesverbands sind viele Informationen über sein Schicksal erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Diese Rechercheergebnisse führten dazu, dass eine 6. Klasse des Schweriner Gymnasiums Fridericianum mit ihrer Lehrerin und einer Theaterpädagogin ein Theaterstück über die Flucht der Familie Tansman ins Exil erarbeitete und aufführte. Darüber hinaus konzipierten und erstellten Studierende der Hochschule für Musik und Theater Rostock eine Ausstellung zum Leben und Werk von Alexandre Tansman mit etlichen Originaldokumenten und Hörstationen.

Die Projekte im Rahmen von "Verfemte Musik“ waren stets geprägt durch die aktive Teilnahme von Zeitzeugen aus Europa, Israel, den USA und Kanada . Weitere Bestandteile des Festivals "Verfemte Musik“ sind durch Zeitzeugen und Historiker gestaltete Vorträge und zahlreiche Sonderkonzerte. Seit 2001 tritt der international anerkannte Jazzmusiker und Auschwitzüberlebende Coco Schumann auf. Weiterhin waren Prof. Dr. Barbara Zeisl Schoenberg (Los Angeles), Schwiegertochter von Arnold Schönberg und Dr. Gottfried H. Wagner (Mailand), Urenkel von Richard Wagner zu Gast. Charlie Chaplins Sohn Michael hielt einen beeindruckenden Vortrag über den Film "Der große Diktator“. Der Sohn des italienischen Komponisten Aldo Finzi besuchte einen Konzert- und Gesprächsabend, der seinem Vater gewidmet war, der in seinem Heimatland wegen seiner jüdischen Herkunft verfolgt wurde.

Etablierung der Aktivitäten im Bundesland Mecklenburg- Vorpommern

Im Jahr 2008 wurde in Rostock an der Hochschule für Musik und Theater das Zentrum für Verfemte Musik unter der Leitung von Volker Ahmels eingerichtet, das in Kooperation mit Schulen, dem Bildungsministerium und dem Landesverband Jeunesses Musicales Mecklenburg-Vorpommern sowie weiteren Partnerinstitutionen in Europa wie dem Verein exilarte in Wien (Prof. Dr. Gerold Gruber) Lehrveranstaltungen, Konzerte, Fortbildungen und Forschungsarbeit durchführt.

Eine mittlerweile beachtliche Sammlung von Noten und Videodokumenten ist in Schwerin beheimatet. Diese soll jungen Künstlern/-innen, Lehrkräften und Wissenschaftlern/-innen Möglichkeiten zur Entdeckung und Hilfestellung bei der Recherche unbekannter Musikwerke geben.

Volker Ahmels ist Pianist und Direktor des Konservatoriums Schwerin. Er führt den internationalen Wettbewerb „Verfemte Musik“ in Schwerin durch. Seit 2008 ist er zudem Projektleiter des Zentrums Verfemte Musik an der Hochschule für Musik und Theater Rostock.