Seit einigen Jahren sucht eine Gruppe saarländischer Musiker die künstlerische Auseinandersetzung mit Äußerungen von bedeutenden Politikern und Zeitzeugen. DIE REDNER verwandeln Originalreden u.a. von John F. Kennedy, Charles de Gaulle und Willy Brandt in multimediale Live-Performances aus Sprache, Musik und Bildern, um die historisch-politischen Inhalte dadurch auf eine neue (und durchaus unterhaltsame) Art ästhetisch erfahrbar zu machen. Die Gruppe versteht ihre Arbeit als künstlerischen Beitrag zu Diskussionen über Verantwortung, Demokratie und Gesellschaft und hat über ihre Bühnenshows hinaus begonnen, ein Workshop-Konzept zu entwickeln; mit dem erklärten Ziel, den Teilnehmenden durch eigenständigen kreativen Umgang mit Technik und Medien neue und kritische Sichtweisen auf aktuelle politische Themen zu erschließen. An vier Tagen im September 2011 fand in der Hochschule für Musik Saar in Saarbrücken ein solcher interdisziplinärer Workshop mit insgesamt 21 Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren statt, die aus verschiedenen weiterführenden Schulen kamen, aus einem Berufsbildungszentrum, einer Realschule sowie einem Gymnasium. Die Schülerinnen und Schüler wurden am ersten Tag unabhängig von ihrer Herkunftsschule in drei Gruppen aufgeteilt, die dann im weiteren Verlauf von jeweils einem der drei REDNER betreut wurden.
Themenwahl Afghanistan
In Vorgesprächen mit den Lehrkräften (die die Schüler lediglich begleiteten, aber nicht selbst aktiv waren an den Projekttagen) war beschlossen worden, als Grundthema des Workshops den Krieg in Afghanistan zu wählen. Die Entscheidung erwies sich als richtig. Gleich in der Startdiskussion im Plenum wurde deutlich, dass viele Jugendliche sich bereits individuell mit dem Thema auseinandergesetzt hatten. Einige hatten sogar einen ganz persönlichen Bezug durch Bekannte oder Verwandte, die in Afghanistan (gewesen) waren, wovon sichtlich bewegt berichtet wurde.
Methodensteckbrief
Kurzbeschreibung | "Kunst der Demokratie - Politik, Medien, Musik" ist ein Projekt von DIE REDNER für Jugendliche, Erwachsene, Pädagogen, und all diejenigen, die sich für politisch-ästhetische Bildung im Rahmen von Geschichte/Politik, Musik, Film und kreativem eigenen Handeln im Team interessieren. |
Ziele | Besonderes Ziel ist es, die traditionell getrennten Bereiche der politisch-historischen Bildung mit denen der ästhetisch-kulturellen zusammenzuführen. Indem politisch-historische Inhalte auch ästhetisch und damit emotional erfahrbar werden, eröffnen sich den Beteiligten neue Sichtweisen und Zugänge zu den Feldern Politik und Demokratie, Film und Kunst, Musik und Performance. |
Teilnehmerzahl | Max 30 |
Altersstufe | ab 14 Jahren |
Zeitbedarf | voller Workshop geht über 4-5 Tage |
Raum | 3 große Räume (ab 45 qm) davon einer/oder extra ein Performance-Raum |
Benötigte Ausstattung / Materialien | DIE REDNER bringen alles mit (große Ausstattung in Technik und Arbeitsmaterialien), (außer Beleuchtung, die eventuell gebraucht wird) |
Sparte / Bereich / Feld | Politik/Geschichte, Musik, Film/Video, (Neue) Medien, Rhetorik, Performance |
Workshop-Setting und Präsentation
Es gab anfangs keine verbindliche Aufgabenstellung, lediglich gut vorbereitete Arbeitsräume und viele Gelegenheiten zum Austausch. Klar war im Grunde nur, dass am letzten Tag eine halböffentliche Präsentation stattfinden sollte. Das bewährte sich, wie man im Nachhinein mit einem gewissen Staunen konstatieren kann.
Den Teilnehmenden stand eine umfangreiche technische Ausstattung zur Verfügung: Von Bühnenelementen, Lichtanlagen und Musikinstrumenten über Aufnahmetechnik, Computer mit Bild- und Klangbearbeitungsprogrammen bis hin zu einfachen Flipcharts und Stiften.
Für die Abschlusspräsentation am letzten Tag wurden die Ergebnisse der Gruppenarbeiten zu einer gemeinsamen Bühnenshow zusammen gefügt. Die Aufführung begann im Trommelkollektiv, das mit bewegenden Grooves eine Video-Collage aus Militärapparaten, Kriegsmaschinen und O-Tönen politischer Reden untermalte und die Bilder intensivierte. Im Anschluss zeigten die drei Gruppen Einblicke in ihre inhaltlich-ästhetische Auseinandersetzung mit dem Thema. Ein Schattenspiel widmete sich den traumatischen Erlebnissen eines Soldaten und wurde dafür unterlegt mit einem mehrschichtigen Soundtrack und kurzen Ausschnitten aus einem Interview mit einem jugendlichen Kriegsflüchtling aus Afghanistan, das die Gruppenmitglieder in den Tagen des Workshops geführt hatten. Eine andere Gruppe hatte ein Video produziert, in dem ein BMX-Radfahrer brennende Kerzen, die wie an einem Ort des Gedenkens und der Besinnung am Boden aufgestellt sind, ummäht und auslöscht. In allen Darbietungen spielten szenisch-körperliche Ausdrucksformen von Breakdance bis Ballett, Crumb bis Gardetanz eine wichtige Rolle. Eine Gruppe präsentierte eine Zusammenstellung von Kommentaren zum Afghanistaneinsatz aus Interviews, die mit Passanten in der Saarbrücker Innenstadt geführt worden waren, und verdeutlichte die Macht der Sprache durch eine theatralische Inszenierung und energische Eigeninterpretation einer Gaddafi-Rede.
Rolle der Künstler
Bemerkenswert war die Rolle der beteiligten Künstler im Arbeitsprozess mit den Schülerinnen und Schülern. Sie wollten zwar politisch-kulturelle Bildungsarbeit leisten, aber erklärtermaßen nicht didaktisch, sondern künstlerisch handeln, und agierten doch als Pädagogen; als "Künstlerpädagogen“ allerdings, die sich und den Jugendlichen vier Tage lang einen offenen, man könnte auch sagen künstlerisch-chaotischen, Prozess zumuteten, statt methodisch geordnete Arbeitsphasen zu planen. Die Unsicherheit, ob überhaupt irgendetwas herauskommen würde am Ende, musste lange ausgehalten werden.
Nichtsdestotrotz wurde produktorientiert gedacht. Dass eine solche Orientierung am zu erstellenden Produkt den künstlerischen Prozess auf der anderen Seite nicht zwangsläufig beeinträchtigen muss, dass die Auseinandersetzung mit komplexen und sensiblen politischen Inhalten darunter nicht unbedingt leiden muss, bringt ein Teilnehmer im Interview recht treffend auf den Punkt: "Und ich find man beschäftigt sich auch, weil man eben darüber nachdenkt, wie man was jetzt genau ausdrückt, ... viel intensiver und extremer. Und Politik heutzutage ist einfach in extrem vielen Fällen einfach nur ein Informationsüberfluss in einer Reizüberflutung, und man verliert völlig die Übersicht. Und hier fängt man ja eigentlich an sich wirklich mit den jeweiligen Punkten richtig auseinander zu setzen und sie eben dann in Kunst und sonst was auszudrücken.“
Erfolg des Projekts
Die "Kunst der Demokratie“ ist ein spannendes Workshop-Konzept irgendwo zwischen Medienerziehung, Musikvermittlung, Konzertpädagogik, Gesellschaftskunde sowie politischer und kultureller Bildung. Der Lernerfolg des beschriebenen Projekts lag bei allen Mitwirkenden. Die teilnehmenden Jugendlichen profitierten genauso wie die beteiligten Lehrer und DIE REDNER selbst. Die Zuschauer durften am Ende einer abwechslungsreichen und originellen Aufführung beiwohnen. Die Didaktiker konnten lernen, dass die Begegnung von Politik und Ästhetik nicht zur Verneblung führen muss, sondern der Aufklärung dienen kann.
(Auszug aus dem Artikel Kunst der Demokratie – Politik, Medien und Musik, in: Diskussion Musikpädagogik 54/2012)