Herr Loh, Sie sind Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte und arbeiten in Ihrem Unterricht viel mit Popkultur. Warum?
Ich arbeite viel mit Raptexten, -songs und -videos, weil Hip-Hop mit seinen zentralen Elementen "Education and Entertainment“ eine klassische Dialogkultur ist. Hip-Hop hat didaktisch eine organische Anatomie für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen - vor allem im Rahmen von projektorientierter Arbeit (Workshops, Seminare), aber auch im normalen Schulunterricht. Man kann Raptexte bekannter Rapper z.B. wie Lyrik oder Prosa im Deutschunterricht behandeln, als Quelle im Geschichtsunterricht oder als Ausdruck jugendlicher urbaner Lebenskultur im Englisch- oder Politikunterricht. Trotzdem sollte man Hip-Hop didaktisch nicht überbewerten, wenn es darum geht, Schüler/-innen zu motivieren. Sicher, Hip-Hop ist eine große Jugendkultur, trotzdem gibt es in jeder Klasse erfahrungsgemäß nur wenige Schüler/-innen, die echte Fans sind. Es gibt einige weitere, die sind neugierig und einen großen Rest, der kaum Interesse zeigt oder Rap mit seiner sehr selbstbewussten, manchmal aggressiven Attitüde richtig uncool findet und ganz andere Musik hört.
Schulklassen sind Zwangsverbände. Deshalb kann es immer nach hinten losgehen, wenn man Schüler/-innen mit einer bestimmten Musikrichtung oder Jugendkultur begeistern will. Man sollte deshalb mit Bedacht die passenden Kontexte wählen. Entlang von Raptexten die Geschichte der Migration in der BRD zu behandeln, ist zum Beispiel ein lohnender Ansatz.
Nach welchen Kriterien suchen Sie die Stücke aus?
Ich gehe intuitiv vor und habe inzwischen ein Repertoire, auf das ich immer wieder zurückgreife. Wichtig ist, dass man aus dem Genre das Beste herausgreift (Storytelling, autobiographische Texte, Battle usw.). Immer wieder benutzte ich "Kapitel Eins“ von Torch, weil dieses Stück wortgewaltig und künstlerisch klug erzählt, wie man seine eigene Geschichte schreibt und sich in einer Kultur in der Zeit verortet. Auch "Schlüsselkind“ von Cora E. oder "Nichtsnutz“ von den Massiven Tönen funktionieren sehr gut in der Schule. Gute biographische und selbstreflexive Texte wirken auf Jugendliche sehr motivierend.
Lassen Sie die Schüler/-innen auch selbst aktiv werden, Stücke schreiben oder gar aufnehmen?
Raptexte zu verfassen und dann auch noch in einem kleinen Studio aufzunehmen, macht viel Spaß und ist für die Schüler/-innen eine Erfahrung, die weit über das reine Texteschreiben und das Rappen hinaus geht. Im Tonstudio kommen sie mit Technik in Berührung und lernen Produktionsabläufe kennen. Es ist sinnvoll, alle Jugendlichen einer Gruppe am Texteschreiben, Rappen und Aufnehmen zu beteiligen - auch wenn es vielleicht nur vier Zeilen sind. Ich ermutige die Schüler/-innen z.B., sich mit wenigen Worten vorzustellen oder - wenn es eine kleinere Gruppe ist - ihre Erfahrungen in einem Rap zu verarbeiten. Manchmal geht es um bestimmte Themen, die der Lehrplan mit sich bringt, manchmal auch nur um die Stärkung des Klassengefühls. Unerlässlich ist aber auch, dass die Schüler/-innen mit den Grundtechniken von Rhythmus und Reim vertraut gemacht werden und die Chance bekommen, ausreichend zu üben. Man sollte solche Vorhaben auf mindestens vier bis sechs Doppelstunden anlegen und eine Möglichkeit organisieren, den Song in einem Tonstudio aufzunehmen. Darüber hinaus sollten Rapworkshops immer auf einen Live-Event hin geplant werden. (Präsentation auf einem Schulfest, Tag der Offenen Tür usw.).
Lassen Sie auch hin und wieder die Schüler Lieblingsmusik mitbringen?
Im Rahmen des Fachunterrichts mache ich das nicht. Denn hier fehlen die Voraussetzungen für eine angemessene Würdigung der Lieblingssongs und es besteht immer die Möglichkeit, dass man durch die Inhalte auf Exkursodyssee geschickt wird. Rassistische, homophobe oder sexistische Songs kann man kaum unkommentiert stehen lassen. Dann aber gelangt man in eine unschöne Rolle: Der coole Lehrer, der eben noch dazu ermutigte, die Lieblingslieder vorzustellen, mutiert plötzlich zum Moralapostel. Besser eignen sich für solche Vorhaben für kleinere, freiwillige Gruppen in selbst bestimmten Lernkontexten.
Lassen Sie die Stücke auch auf der Bildebene analysieren, z.B. Videoclips?
Dafür bietet sich Popkultur grundsätzlich an. Rapvideos lohnen sich z.B. wenn es um Sexismus oder Homophobie geht. Ich schaue mir mit meinen Schüler/-innen in der Mittelstufe gerne "Fuffies im Club“ von Sido an. Im ersten Moment finden die Schüler/-innen diesen Videoclip sehr amüsant. Wenn wir dann in ein Gespräch über die präsentierten Frauen- und Männerbilder einsteigen, zeigt sich meistens, dass die Jugendlichen sich Partnerschaft viel differenzierter vorstellen. Auch können Jungen und Mädchen oft ziemlich klar sagen, was sie an solchen Clips attraktiv finden und wo sie eine Grenze für sich ziehen. Wenn ich frage, wie das Leben in einer Gesellschaft aussehen würde, in der Gangstarapper das Sagen hätten, wird schnell klar: Das wäre den meisten Schülern/-innen zu starr und zu langweilig.
Wie reagieren ihre Kollegen auf Ihre Methoden? Gilt Popkultur in Schule und Uni noch immer als trivial?
An unserer Schule, am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim, bringen die Kolleg/-innen schon seit Jahren Popkultur in Form von Texten, Songs, Clips und Filmen mit in den Unterricht. Neulich hat ein Kollege zum Beispiel im Philosophieunterricht “Haus am See“ von Peter Fox analysiert. Eine andere Kollegin arbeitet regelmäßig mit Missy Elliot-Clips zum Thema Gender. Es gibt sicher auch Schulen, wo das anders ist. Aber allgemein hat sich die Situation doch sehr verändert im Vergleich zu der Zeit, als ich noch zur Schule gegangen bin. Popkultur gilt nicht mehr als trivial. Oder anders gesagt: Es ist völlig in Ordnung, auch "triviale“ Kultur in den Unterricht einzubringen. Es kommt darauf an, was man im Unterricht damit macht.
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