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Kaum mehr als nichts | Kulturelle Bildung | bpb.de

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Kaum mehr als nichts Eine Videoprojektreihe zum Thema Armut

Andreas von Hören

/ 6 Minuten zu lesen

Jugendliche machen Filme über Armut – und lernen dabei viel über sich selbst und andere Menschen in ihrem Umfeld.

Kaum mehr als nichts - Teil 1

Eine Filmreihe über Armut

Kaum mehr als nichts - Teil 1

Die Filmreihe porträtiert unterschiedliche Menschen, die mit wenig Geld leben. Die wenigsten von ihnen würden sich als "arm" bezeichnen: zu stigmatisierend ist diese Bezeichnung.

Kaum mehr als nichts - Teil 2

Kaum mehr als nichts - Teil 2

Eine Filmreihe über Armut

Kaum mehr als nichts - Teil 2

"Kaum mehr als nichts" reflektiert offen die schwierige Lebenssituation der Protagonist/innen in Abhängigkeit von persönlichen und gesellschaftlichen Umständen. Im Mittelpunkt steht die Lebenssituationen junger Menschen.

Die Idee der Videoprojektreihe war es, eine große Anzahl von Jugendlichen mit unterschiedlichem Background das Thema "Armut" filmisch dokumentieren zu lassen. An dem Projekt haben als Filmemacherinnen und -macher Jungen und Mädchen verschiedenster sozialer, kultureller und bildungsmäßiger Hintergründe teilgenommen. Die Protagonisten der Videos stammen alle aus armen Familien. In den Portraits haben die von Armut betroffenen Jugendlichen bzw. die Familien ihre Lebenssituation in Abhängigkeit von gesellschaftlichen und persönlichen Umständen reflektiert. Die einzelnen Projekte wurden in Gruppenarbeit innerhalb weniger Wochen umgesetzt.

Projektverlauf


Die Projektreihe wurde in zwei Abschnitten realisiert. Im Rahmen der Videoaktion NoClip zum Thema "arm" wurden einige thematische Kurzfilme mit Jugendlichen produziert. Das Konzept der Videoaktion NoClip ist, dass in einem Zeitraum von zwei Wochen ca. 40 Gruppen parallel zu einem gemeinsamen Thema (in diesem Fall "arm") an jeweils zwei Tagen Kurzfilme produzieren. Diese Filme werden anschließend in einem großen Kino präsentiert. Die Gruppen haben in der Regel keine Vorkenntnisse: Es ist ein einfacher und kurzer Einstieg, die Möglichkeiten des Films aktiv kennen und lieben zu lernen. Eine hohe Motivation entsteht aus der großen Kinopräsentation vor ca. 500 Zuschauerinnen und Zuschauern am Ende der Aktion.

Mit denselben Gruppen und mit weiteren Gruppen wurden in einem zweiten Projektabschnitt weitere 15- bis 30minütige Dokumentationen zum Thema produziert. Diese längeren Produktionen wurden dann bei zwei weiteren Filmpremieren vor großem Publikum im Kino präsentiert. Die Filme werden seither auf DVD unter dem Titel "Kaum mehr als nichts" nichtgewerblich für die Bildungsarbeit in Jugend- und Bildungseinrichtungen vertrieben.

Zielgruppen


Das Filmprojekt hatte zwei Zielgruppen: Die Filmarbeiten und der fertige Film ermöglichen den aktiv beteiligten Jugendlichen eine ausführliche Reflexion ihrer Lebenssituation. Die sozial, kulturell und geschlechtlich heterogen zusammengesetzte Produktionsgruppe ermöglicht ihnen eine solidarischere, gesellschaftsbezogene Sichtweise auf ihre persönlich wahrgenommene erschwerte Lebenssituation. Durch die Artikulation ihrer problembehaftet wahrgenommenen Geschichten gibt der Film den Jugendlichen die Möglichkeit, sich und andere zu bilden und gesellschaftlich wahrgenommen zu werden.

Für die rezipierenden Jugendlichen – ob selbst vom Thema betroffen oder nicht – stellt der Film durch authentisch aus ihrem Lebensumfeld erzählte Geschichten Armut als nicht individuell verschuldetes Problem dar. Auf diese Weise wird bei ihnen Verständnis, Solidarität und politisches Bewusstsein gefördert.

Ziel und Umsetzung


Kern des Projektes ist, dass Jugendliche selbst – mit professioneller medienpädagogischer Unterstützung – ein authentisches und zielgruppennahes politisches Bildungsprodukt schaffen, welches sie selbst und andere Jugendliche aufklärt (Peerinvolvement / Peereducation). Die Gruppe wird angeleitet von Medienpädagoginnen und -pädagogen, die die Jugendlichen bei der inhaltlichen, künstlerischen und technischen Filmarbeit unterstützen.

Formal bestehen immer verschiedene Möglichkeiten der inhaltlichen Umsetzung des Themas, welche mit den aktiv beteiligten Jugendlichen gemeinsam entworfen und umgesetzt werden: ausführliche biografische Interviews und dokumentarische Portraits der betroffenen Jugendlichen und ihrer Lebenssituation; Dokumentation des Lebensumfeldes (Quartier, Familien, Peergroup, Bildungs- und Arbeitssituation u.a.); szenische Umsetzungen zum Thema z.B. als Dokudrama oder Persiflage; Videotagebücher der Betroffenen; Experteninterviews.

Themen


Inhaltlich ging es in den Filmarbeiten und in den Filmen vor allem um die folgenden Aspekte:

  • Wie ist die Lebenssituation armer Jugendlicher, welche Ursachen nehmen sie wahr, welche Perspektiven sehen sie für sich? Welchen Einfluss hat Armut auf das Leben dieser Jugendlichen?

  • Hierbei ist ihre Familiensituation ("geerbte Armut") und ihre Bildungssituation ("gegenseitige Abhängigkeit von Bildung und Armut") von besonderem Interesse.

  • Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten gibt es in Bezug auf die soziale und kulturelle Herkunft und das Geschlecht der Jugendlichen?

  • Welche individuellen und kollektiven Auswege sehen die Jugendlichen aus der Armut?

Produktionsablauf


Eine Videoproduktion besteht nach der Akquisition der Teilnehmergruppen aus folgenden Teilen:

  • Themenrecherche und themenspezifische Selbstreflexion der Gruppe

  • Drehbuch bzw. Drehkonzept schreiben

  • Dreh

  • Schnitt, Reflexion

  • Uraufführung

  • Vertrieb.

Die Jugendlichen werden bei ihrer Videoproduktion in allen Teilen nach Bedarf von Medienpädagoginnen und -pädagogen angeleitet.

Wirkungen


Die Projekte geben den Jugendlichen eine Möglichkeit zur reflexiven, medialen Artikulation mittels selbstproduzierter Videos gegenüber anderen Jugendlichen. Die Filme haben folgende Wirkungsebenen:

  • Biografische Reflexion, Auseinandersetzung und Artikulationsmöglichkeit für die Jugendlichen als Subjekt und Objekt der Filme zugleich;

  • Politische Meinungsbildung und Aktivierung durch informelle thematische Auseinandersetzung bei jugendlichen Peers als Zuschauerinnen und Zuschauer;

  • Politische, gesellschaftliche und persönliche Interessenvertretung gegenüber Erwachsenen und insbesondere Politikerinnen und Politikern (vor allem lokal).

Die jungen Filmemacherinnen und -macher nutzen die ihnen vermittelte Medienkompetenz und Publikationsmöglichkeit dafür, ihr inhaltliches Interesse an gesellschaftlicher Partizipation auszudrücken. Die Videoproduktion ist eine gelungene Form politischer Meinungsbildung und Aktivierung.

Das Konzept des Videoprojektes folgt dabei der Erkenntnis, dass Jugendliche in ihrer Peergroup die stärkste Auseinandersetzungs- und Lernebene finden. Jugendliche klären sich in den Videoprojekten durch die Aufarbeitung ihrer Erfahrungen, Wünsche und Ängste gegenseitig auf. Sie schaffen in den von ihnen produzierten Videos, die eben dies thematisieren, eine Informations- und Auseinandersetzungsebene für andere Jugendliche und können diese dadurch zu einer Reflexion über ihre eigene Identität anregen.

Jugendliche werden insbesondere durch das zeitgemäße, realitätsnahe Medium Video und durch die eigene Autorschaft (Jugendliche produzieren für Jugendliche) erreicht, da die Inhalte und die Ästhetiken der von ihnen produzierten Videos den Sehgewohnheiten und Wirklichkeiten ihrer Altersgruppe entsprechen und somit authentische Übertragungsmöglichkeiten bieten. Das Interesse an der Rezeption und eigenen Produktion von Videos ist weder geschlechts-, alters- noch bildungsabhängig. Das Medium Video, welches kognitive mit emotionalen Inhalten verbindet, dient so als kommunikatives Transportmittel von der individuellen zur kollektiven Ebene. So sind die Jugendlichen Filmemacher, Autorinnen, Interviewer und Interviewte zugleich und hierbei immer authentische Botschafterinnen und Botschafter ihrer Überzeugungen.

Nachhaltige Erfolge


Das Projekt war damit nachhaltig erfolgreich sowohl für die jungen Teilnehmenden als auch für die vielen Zuschauerinnen und Nutzer des Films. Es unterstützte einerseits soziale, Handlungs- und Medienkompetenz der Teilnehmenden und verschafft ihnen Partizipation durch die selbst produzierten Filme. Auf der anderen Seite wurde ein wichtiges jugendrelevantes gesellschaftliches Thema in den Fokus der Teilnehmerinnen, Zuschauer und Nutzerinnen der Filme gerückt, um bei diesen Prozesse von Auseinandersetzung, Solidarität, Empathie und politische Teilhabe auszulösen.

Die Filme


In der Filmreihe werden unterschiedliche Menschen portraitiert, die mit wenig Geld leben. Auch wenn die meisten von ihnen im Vergleich zur Mehrheit der Bevölkerung arm sind, würden sich die wenigsten von ihnen als "arm" bezeichnen: Zu stigmatisierend ist für sie diese Bezeichnung. In den Filmen geht es um Menschen, die in relativer oder in absoluter Armut leben, in Afrika (Kongo, Ghana) oder der Türkei und vor allem in Wuppertal, einer liebenswerten aber aussterbenden Großstadt mit hohem Armutspotential am Rande des Ruhrgebietes. Die Dokumentarfilme reflektieren offen die schwierige Lebenssituation der Protagonistinnen und Protagonisten in Abhängigkeit von persönlichen und gesellschaftlichen Umständen. Im Mittelpunkt stehen hierbei vor allem die Lebenssituationen junger Menschen.

Einige der Filme wurden auf Grund ihrer besonderen inhaltlichen und künstlerischen Qualität auf Filmfestivals gezeigt und ausgezeichnet. Ayla ist das jüngste Mitglied einer türkischstämmigen Einwandererfamilie. Für ihren Film "Allein die Luft ist umsonst – Meine Familie auf der Suche nach dem Glück" geht sie mit der Kamera ihren Wurzeln nach und besucht ihre Oma in dem von Armut geprägten Dorf Karaözü, aus dem ihre Familie stammt. Der Film vergleicht die Lebensqualität der Familie in Deutschland und in der Türkei. Marcel und Mona produzierten die Reportage "Philosophie der Straße". Der Film handelt von Jörg, einem Obdachlosen und Alkoholiker. Im Mittelpunkt steht Jörgs Alltag und wie es zu seiner Situation gekommen ist. Darüber hinaus erzählt Jörg von seinen Wünschen und dem Ziel, mit dem Trinken aufzuhören, damit sein Sohn, der ihn eines Tages besuchen wird, sich nicht für ihn schämen muss. In ihrem Film "Nicht viel fürs Glück" portraitierten Aileen und Julia in einem Wuppertaler Hochhaus lebende Familien unterschiedlichster Herkunft, von denen die meisten Hartz IV bekommen. Die Mütter und ihre jugendlichen Töchter einer deutschen und einer türkischstämmigen Familie zeigen und erzählen wie es ist, mit wenig Geld zu leben und wie wichtig ihnen Bildung als Ausweg aus dem Armutskreislauf ist. Der Film "Gerecht? Unterwegs mit der Wuppertaler Tafel" zeigt Menschen in den Einrichtungen der Wuppertaler Tafel: in der Essensausgabe der Kantine und auf der Straße, im Kleider- und Möbelladen, im Medimobil und in den Tafelläden. Wieso sind sie auf die Tafel angewiesen, was ist das für ein Gefühl, zur Tafel zum kommen und wie lebt es sich als Arme/r in Wuppertal?

Mehr Infos und Kontakt: Externer Link: www.medienprojekt-wuppertal.de

Andreas von Hören ist Geschäftsführer des Medienprojektes Wuppertal, der größten medienpädagogischen Einrichtung für Jugendvideoarbeit in Deutschland, die er selbst 1992 gegründet hat. Nebenberuflich arbeitet er als Filmemacher, Referent, Publizist, Lehrbeauftragter und Prüfer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).