Warum Filme machen?
Warum machen Jugendliche Filme? Sie wollen sich artikulieren, sie wollen kommunizieren, sie wollen sich produzieren, sie wollen sich mitteilen, sie wollen präsent sein. Warum wollen (Medien-) Pädagoginnen und Pädagogen, dass Jugendliche Filme machen? Sie wollen pädagogisch auf die Entwicklung Jugendlicher einwirken, sie wollen verhindern und fördern. Selten ist der Film das Ziel, meistens die Methode. Natürlich wirkt Film(en) pädagogisch-präventiv gegen Gewalt, Drogen, Rechtsextremismus, Diskriminierung und andere gesellschaftliche Übel, die Jugendliche symptomatisch spiegeln, weil eine kooperative Produktion gemeinsame Identität und eine produktive Artikulationsmöglichkeit schafft – genauso wie andere, nicht so junge Kulturtechniken, wie z.B. Musik, Theater, bildende Kunst. Das Besondere des Filmes aber ist, auch wenn er digital abstrahiert: er wirkt so echt, er schafft Illusionen, die Traum und Wirklichkeit verwechseln lassen, die, wenn auch nur kurzfristig, uns in ferne oder auch ganz nahe Welten eintauchen lassen.
Wenn Jugendliche filmen, artikulieren sie sich (mit ihren Körpern, ihrer Sprache, ihrer Kultur) vor und hinter der Kamera bzw. durch die Kamera. Sie artikulieren sich inhaltlich und künstlerisch. Mit der dem Film inne liegenden Verbindung von emotionaler und kognitiver Kraft schaffen sie eine tiefgehende und nachhaltige Auseinandersetzung mit ihren sinnigen oder unsinnigen Ideen und Geschichten.
Jugendliche als Experten
Jugendliche klären am besten Jugendliche auf, Jugendliche werden am besten durch andere Jugendliche aufgeklärt (Peereducation). Bildung vollzieht sich hier nicht von oben nach unten, von wissenden Erwachsenen zu unwissenden Jugendlichen, sondern demokratisch-linear (Peerinvolvement). In Bezug auf die Lebensthemen wissen Jugendliche schon alles, müssen sich "nur" reflektieren und austauschen lernen. Film bietet ihnen eine mediale Kommunikation mittels selbst produzierter Filme, in denen sie die eigenen Welten reflektieren. Sie positionieren sich durch die visuellen und auditiven Reflektionen ihrer Innen- und Außenwelten, ihrer Ängste, Visionen und Träume. Das Besondere, das Schöne an diesen Artikulationen ist ihre Parteilichkeit, ihre subjektiv pointierte, unausgewogene Zuspitzung, ihre - im erfolgreichen Fall - parallele inhaltliche und bildliche Verdichtung in differenzierter Subjektivität.
Der Vorsprung von vielen Jugendlichen (nicht nur) beim Filmen ist, dass sie noch näher an ihren Gefühlen sind, dass in ihren Herzen und Köpfen noch nicht so viel verschüttet, angepasst, homogenisiert wurde wie bei vielen Erwachsenen. Sie fühlen und denken existentieller – mit allen Vor- und Nachteilen. Die Filme werden so echter und authentischer, zeigen weniger Rationalisierungen, weniger Kompromisse, sind weniger kontrolliert. Sie sind moralisch existentialistischer und zeigen damit zum Beispiel auch ein klareres Gespür für (Un-)Gerechtigkeit. Jugendliche überdenken nicht immer alle Folgen ihrer Handlungen bis zum Ende. Dadurch sind sie offener, experimentierfreudiger und mutiger im Ausdehnen ihrer Grenzen. Sie werden von unterstützenden (Medien-)Pädagoginnen und Pädagogen motiviert, nicht die von Erwachsenen definierten und tradierten Grenzen und Moralitäten zu übernehmen, sondern eigene Grenzen zu erweitern, indem man sie tangiert, und dann (vorerst im Film) experimentell erweitert.
Pädagogische Zensuren vermeiden
(Medien-)Pädagoginnen und Pädagogen müssen als Publizisten auch solche Artikulationen zulassen, die ihren eigenen Meinungen und Moralitäten widersprechen, weil der medienpädagogische Sinn und der Wert der filmischen Publikation nicht in ihrem Inhalt, sondern in der Artikulation selbst steckt. Jugendliche sollten als kompetent genug eingeschätzt werden, sich eigene Meinungen aus dem Gesehenen zu bilden. Das Gefährdungspotential liegt danach nicht in dem vermittelten Filminhalt der Jugendlichen, sondern in seiner Manipulation oder Zensur durch Erwachsene.
Eine offene Rezeption wird dadurch ermöglicht, dass die Filme - für das Publikum deutlich erkennbar - keine scheinbar objektiven und pluralistischen Ansprüche haben, weil gar nicht so getan wird, als ob generelle Handlungsanweisungen gegeben oder allgemeingültige Moralitäten beschrieben werden sollten. Die differenziert subjektiven Filme von Jugendlichen zeigen reflexiv ihre persönliche(n) Geschichte(n), die in der Metaebene natürlich oft nicht nur die Geschichten einer Person sind. Zuschauerinnen und Zuschauer finden sich wieder, sehen sich gespiegelt oder lehnen diese so ab. Die persönliche sowie die lokale Fokussierung schafft eine intensivere Auseinandersetzung.
Gegen Diskriminierung
Jugendvideoarbeit ist (auch) Arbeit gegen Diskriminierung. Sie hat und gibt die Möglichkeit, auf der Seite der Opfer zu stehen, den Opfern und auch dem Leiden eine Stimme zu geben und nicht den Tätern, die provozieren, dass man sich um sie strafend oder aufbauend kümmert. Für die Opfer z.B. von Gewalt besteht so die nach vorne gerichtete Verarbeitung von negativen Ohnmachtserfahrungen; Zuschauerinnen und Zuschauer lernen solidarisch von ihnen. Junge Filme sind Artikulationen gegen Ignoranz.
Präsentation der Filme
Eine filmische Artikulation macht nur Sinn mit ihrer Publikation. Homogene Gruppen schaffen sich durch mediale Reflexion eine gemeinsame Identität und informieren sich gegenseitig. Die Veröffentlichung ihrer Artikulation erst schafft Jugendlichen gesellschaftliche Partizipation und politische Einmischungsmöglichkeiten. In Live-Präsentationen der Filme gehen die jugendlichen Filmemacherinnen und Filmemacher in eine direkte emotionale Auseinandersetzung mit dem Publikum. Ein guter Film inspiriert, stößt eigene Auseinandersetzungen an und schafft so informelle Diskussionen Jugendlicher untereinander.
Der gegenüber diesen informellen und höchstwirksamen Prozessen misstrauische Pädagoge macht danach noch geleitete Diskussionen, fragt sich, die Filmemacherinnen und –macher und die Zuschauerinnen und Zuschauer, was der Film aussagen wollte, und nimmt so die filmische Aussagekraft und die jugendlichen Rezeptionsmöglichkeiten nicht ernst.
Werden Kurzfilme von Gruppen mit verschiedenen Hintergründen zugleich präsentiert, entsteht so für das Publikum eine vielfältige, differenziertere Abbildung (für sie auch fremder) junger Erlebniswelten. Je weniger sich die persönlichen Geschichten ähnlich sind, desto dynamischere und kreativere Auseinandersetzungsprozesse provozieren sie (Diversity). Neue, demokratischere, weil für Privatpersonen direkte, einfache und kostenlose Möglichkeiten der Filmpublikation als Ergänzung zu etablierten Medien tun sich für Jugendliche auf, wenn sie Handys oder das Internet nutzen (z.B. youtube oder myspace).
Reaktion von Erwachsenen
Viele Erwachsene nehmen die jugendliche Filmproduktion zugleich nicht erst und zu ernst. Denn wenn der Film bei einer hohen publizistischen Wirkung, d.h. vielen Zuschauerinnen und Zuschauern, piekst, was für eine jugendliche visuelle Reflexion normal ist, reagieren sie häufig mit Zensur. Das bewerten Jugendliche dann natürlich als Erfolg ihres Filmes. Sie werden gespürt, wenn auch durch negative Reflexe. Erwachsene gehen hierbei jedoch der filmischen Illusionskraft auf den Leim, verwechseln Realität und Fiktion. Ein Film bleibt ein Film. Sie setzen sich dadurch nicht mit dem im Film aufgezeigten Problem auseinander, sondern sehen den Film als Problem, bzw. den Filmemacher oder den unterstützenden Medienpädagogen. Die destruktiven infantilen Reflexe der Erwachsenenwelt sind dann Verbieten und Zensieren nach dem Motto: Was ich nicht sehe, existiert nicht.
Stilmittel und Themen der Filme
Jugendliche polarisieren in ihren Filmen, malen in Schwarz-Weiß-Tönen, filmen pointiert böse – oft ohne Happyend, auch wenn, oder gerade weil sie eigentlich eine grenzenlose Sehnsucht nach Harmonie und Moral haben. Neben sich selbst reflektieren (und reproduzieren) sie in ihren Filmen inhaltlich Erwachsenenwelten, und formal die von ihnen rezipierten Medienformate. Dies waren vor 20 Jahren zum Beispiel Playback-Shows für Mädchen und Werbesketche, vor 10 Jahren Sitcoms, Talkshows, Musikvideos, Horror, Hongkong-Krimis und heute Reality-Trash, Dauerwerbesendungen, Animationen und coole Serienformate.
Die dominierenden Themen ihres Lebens und ihrer Filme sind bei vielen Gewalt und Sex, die beide für sie lustvolle und problematische Seiten haben und kreativ unerschöpflich sind. Wenn Jugendliche Filme machen, wollen sie in der Regel keine jungen Filmemacherinnen und -macher sein – auch wenn sie dies de facto natürlich sind. Vielmehr machen sie oftmals ihr eines, singuläres Video, thematisieren eine ihnen wichtige Geschichte, und – auch wenn der Film klasse und erfolgreich gewesen ist – gehen dann ihren Weg woanders weiter. Der Film hält diesen Moment jedoch fest und bleibt eine einzigartige Erinnerung eines Lebensausschnittes.
Vielfalt der Artikulationen
Jugendliche Filmgeschichten zeigen ihren Alltag, sie versuchen im Normalen das Besondere zu suchen. In ihren Filmen zeigen Jugendliche ihre Lebenshintergründe. So sind diese Artikulationen unterschiedlich nach Geschlecht, nach dem sozialen, kulturellen, subkulturellen und altersmäßigen Umfeld der Macherinnen und Macher in ihren Geschichten und Themen, in ihrem Visualisierungsstil und der Musikuntermalung. Das Interesse am Film und am Filmen ist natürlich nicht geschlechts-, bildungs-, alters- oder kulturabhängig, aber unterschiedliche Jugendliche filmen unterschiedlich. So nutzen zum Beispiel viele Mädchen ihre i.d.R. höheren kommunikativen und empathischen Fähigkeiten mehr im Dokumentarfilm, Jungen haben tendenziell ein größeres Interesse an der Selbstpräsentation und an technischer Bild- und Tonbearbeitung in der Postproduktion. Und auch inhaltlich gibt es bei vielen Filmen den männlichen und den weiblichen Blick.
Sprache
Film zeigt als internationales Medium seine Diversität. Filmsprache ist Bildsprache. Film ist damit zugleich sprachunabhängig (in seinen Bildern) wie sprachabhängig (im Ton). Jugendliche kommunizieren nicht nur durch ihre Filme. Kommunikation und Reflektion sind die Voraussetzung einer kooperativen, arbeitsteiligen Filmproduktion für ein möglichst gutes Produkt. Die Qualität des filmischen Produktes spiegelt (auch) die Qualität des Prozesses. Das heißt, für den Film muss mehr kommuniziert werden als im Film. Zur besseren Ausdrucksfähigkeit sollte die Filmsprache die am besten beherrschte Sprache der Protagonistinnen und Protagonisten sein, was i.d.R. die Muttersprache ist. Zur gemischt-kulturellen Rezeption wird der Film dann deutsch untertitelt. Zur Kommunikation während der Produktion außerhalb des Filmes benötigen die Beteiligten eine gemeinsame Sprache, was wahrscheinlich bei einer gemischt-kulturellen Gruppe deutsch sein wird. So unterstützt die Filmarbeit die sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten der Macherinnen und Macher. Die filmimmanente Verbindung von Emotion und Kognition fördert ein verbessertes Lernen. Jugendvideoarbeit bedeutet eine Verkopplung von direkter und medialer Kommunikation zur inhaltlichen und künstlerischen Artikulation von Jugendlichen.
Mehr Infos und Kontakt: Externer Link: www.medienprojekt-wuppertal.de
Unter der Anleitung von erwachsenen Jurymitgliedern (sowie Lehrern oder entsprechenden Projektleitern) gelangen sie in der Diskussion gemeinsam an einen Punkt der Medienrezeption, den sie sonst nicht oder nur selten erreichen. Sie nehmen bewusster wahr, "was" im Film passiert und "wie" es filmisch umgesetzt ist.
Obwohl die jungen Jurorinnen und Juroren häufig über ein breiteres Medienspektrum und darin über größere praktische Kompetenz verfügen als ihre erwachsenen Kolleginnen und Kollegen, fehlt ihnen in der Regel das nötige reflexive Wissen, um sich über Inhalte und deren Vermittlung im Klaren zu sein. Das Ziel der Jurymethode liegt deshalb besonders darin, die Jurykinder zu unterstützen, eine eigene, ganz bewusste, begründbare Position einnehmen zu können. Diese Fertigkeit lässt sich auch auf die Rezeption anderer Medien übertragen.
Aufgabe der Kinderjury ist es, Filme oder andere Wettbewerbsbeiträge kritisch zu betrachten und durch die Abgabe einer Bewertung Preisträger oder Gewinner zu ermitteln. Während der Juryarbeit alle relevanten Aspekte des Mediums zu beachten und gleichzeitig intuitiv und authentisch über die Beiträge abzustimmen, scheint fast unmöglich. Die Herausforderung liegt darin, die Begeisterung der Kinder am Medium Film nicht mit Medienanalyse zu überfahren, sondern auch intuitive Beurteilungen zuzulassen und diese gemeinsam zu hinterfragen.
Viele Filmfestivals, wie das LUCAS Kinderfilmfestival, schreiben die Teilnahme an Kinderjurys regelmäßig aus. Besonderes Interesse sowie Vorkenntnisse der Bewerber spielen dabei oft eine Rolle. Bei LUCAS stand vor allem die Bewertung von Inhalten für Kinder von Kindern im Vordergrund. Um zum Beispiel einen Platz in der LUCAS-Jury zu erhalten, mussten sich die Kinder zunächst mit einer von ihnen verfassten Filmbeschreibung bewerben und ein Vorstellungsgespräch absolvieren. Der Zweck einer Kinderjury sollte nicht sein, dass sich Veranstalter bloß pressewirksam mit ihnen inszenieren und die Jugendlichen weder juryintern betreuen, noch eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Zielpublikum stattfindet. Im Gegensatz zu einer repräsentativen Jury, die jugendliche Interessen innerhalb einer Erwachsenenjury vertritt, soll es bei der Jury-Methode in der Bildungsarbeit weniger um die Ergebnisse, sondern um den Weg dorthin gehen.
Beim methodischen Ansatz der Kinderjury als Werkzeug zur Filmbildung, ist es zudem besonders reizvoll, ihn gerade nicht auf eine kleine filminteressierte Gruppe von Jugendlichen zu beschränken. Denn vor allem bildungsfernen Kindern und Jugendlichen kann die Jurymethode ermöglichen, fundierte Film- und Medienkompetenz zu entwickeln. Deshalb bietet es sich für die Projektarbeit in Schulklassen oder Jugendgruppen an, gleich mehrere Jurys zu unterschiedlichen Schwerpunkten zu bilden.
Methode mit Partizipationscharakter
Die spielerische Methode der "Kinderjury" hat einen Mehrwert gegenüber der obligatorischen schulischen Filmbildung. Die Jurykinder agieren dabei in einem Projekt nicht nur in dem ihnen bekannten Klassenverband, sondern vielmehr als verantwortlicher Teil eines Fachgremiums, das eigene Entscheidungen treffen darf, diese aber auch vertreten muss. Das motiviert zur gemeinsamen Auseinandersetzung und führt schließlich dazu, die eigene Meinung fundiert zu begründen. Besonders der Reiz, in der exklusiven Rolle als Jurymitglied seine eigene Bewertung abgeben zu können, ist nicht zu unterschätzen. Die Arbeit in einem verantwortlichen Gremium und die Auseinandersetzung mit kontroversen und jugendspezifischen Filmen, fördert zudem das Partizipationsvermögen der Schülerinnen und Schüler: Während der Vorstellung der Ergebnisse einer Schwerpunktjury, haben die anderen Jurygruppen dann in der Rolle der Zuschauer die Möglichkeit, die jeweilige Jury zu ihrer Entscheidung zu befragen. Reihum sind alle Schüler mal in der Rolle eines Jurymitglieds, mal als Zuschauer an der Auseinandersetzung beteiligt.