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Filmbildung und politische Bildung | Kulturelle Bildung | bpb.de

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Filmbildung und politische Bildung

Burkhard Jellonnek

/ 8 Minuten zu lesen

Filmbildung ist ein wichtiger Ansatz für die politische Bildungsarbeit. Kritischer Umgang mit Film ist ein wichtiger Teil von Medienkompetenz, der in Deutschland noch mehr gefördert werden müsste - die SchulKinoWochen sind ein positiver Anfang. Filme sind auch fruchtbare Quellen und Diskussionsanlässe für politisch-historische Bildungsarbeit.

Filmbildung als Teil kultureller Bildung

Kulturelle Bildung ist inzwischen ein Schlüssel-Begriff im Vokabularium vieler bildungspolitisch Interessierter geworden. Kaum ein Kultusminister, der sich vor seinen Wählerinnen und Wählern nicht mit Projekten der kulturellen Bildung mit großer Strahlkraft schmückt. Star-Dirigent Simon Rattles "Rhythm is it", der vornehmlich bildungsferne Jugendliche an der Seite des kaum minder bekannten Choreographen Royston Maldoon auf den Tanzboden zu einer spürbaren Meisterschaft führte und dabei Zuverlässigkeit und Präzision von den Jugendlichen einforderte, hat inzwischen Maßstäbe gesetzt und das Eis gebrochen. Allerdings ist kritisch anzumerken, dass derlei hochtourige und nicht minder kostspielige Vorzeige-Projekte häufig für den flächendeckenden Einsatz im Alltag beispielsweise in möglichst vielen Erweiterten Realschulen kaum reproduzierbar sind.

Derlei Finanzierungsprobleme, die natürlich dann entstehen, wenn Künstlerinnen und Künstler mit hohen Gagenerwartungen auf kaum mit Projektmitteln ausgestattete Schulen treffen, erreichen selten solch schwindelnde Höhen, wenn mit dem Medium Film gearbeitet wird. Der Film ist jederzeit als ein authentisches Dokument einzusetzen, die Aura der Filmstars und der erzählten Geschichten ist selbst im kleinsten Dorfkino noch spürbar und die Rechteinhaber sind in der Regel mit bezahlbaren Eintrittspreisen zufriedenzustellen. Zumal inzwischen auch die Kinobetreiber in der harten Realität der durch den Siegeszug des Internets veränderten Welt aufgeschlagen sind. Hatten Kinos früher zumindest in der Alterskohorte der unter 30-Jährigen ihre vor Einbrüchen sichere Besuchergeneration, so haben hausgemachte Probleme wie die zunehmend frühere Verwertung der Filme über DVD die Besucherzahlen der sogenannten Lichtspieltheater einbrechen lassen. Auch das Raubkopieren von brandneuen Filmen, die immer häufiger noch vor dem eigentlichen Kino-Start im Internet zu sehen und bei (illegalen) kostenlosen Kinoportalen herunterzuladen sind, sorgt für einen spürbaren Einnahmerückgang. Freute sich die Kinolandschaft 2004 noch über 157 Millionen Lichtspieltheater–Besucherinnen und -Besucher in Deutschland - 7,8 Millionen mehr als im Vorjahr – so kauften sich 2010 nur noch 127 Millionen Besucher eine Eintrittskarte an der Kinokasse.

Defizite und Chancen in der Medienbildung

Trotz aller beschriebenen Einbußen wundert es, dass sich in Deutschland eine kontinuierliche Film- und Medienerziehung bisher nicht wirklich durchsetzen konnte. Die in den 1970er-Jahren an den Universitäten massenhaft aus dem Boden geschossenen Lehrstühle für Mediendidaktik, Medienerziehung etc. verkümmerten, als der durch Videotechnik, Sprachlabore, Bildplatten (wer kann sich daran noch erinnern?) und erste Datenbanken ausgelöste Hype abgeebbt und man an den Schulen wieder zur Tagesordnung übergegangen war. Ein ähnliches Fieber hat in jüngster Zeit lediglich die Internet-Euphorie an den Schulen ausgelöst – mit dem Effekt, dass die Bildungsinstitution trotz aller Anstrengungen um "Schulen ans Netz" bislang nicht für sich in Anspruch nehmen kann, zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit dem "Werkzeug des 21. Jahrhunderts" gefunden zu haben. Und dabei muss man nicht einmal gewaltverherrlichende Computerspiele wie "Counter-Strike" ins Feld führen, um einen insgesamt zu sorglosen Gesellschaft im Umgang mit dem Internet und seinen schillernden Spielformen zu konstatieren.

Dabei könnten wir von unseren Nachbarn lernen: In Frankreich, Schweden und England ist Film- und Medienerziehung längst etabliertes Schulfach. Dort weiß (fast) jedes Kind um die emotionale Macht des Films und kann sich kritisch damit auseinandersetzen, wie das Medium es schafft, die Zuschauer im Kinosessel binnen der gewöhnlich 90 Minuten auf die Seite des Hauptdarstellers bei seinem Kampf gegen das vermeintlich Böse zu ziehen. Bei uns hat es sich hingegen eingebürgert, dass Jugendliche Filme meist aus der Hollywood-Schmiede nebst Popcorn und Alco-Pops konsumieren und anschließend allenfalls über die "Körperwelten" der Hauptdarstellerin diskutieren. Kein Wort darüber, wie "Armageddon" mit Bruce Willis und ein Ben Affleck den Weltmachtsanspruch der USA unterfüttert oder "Nicht ohne meine Tochter" eine anti-islamistische Stimmung schürt. Kein Wort darüber, wie der Film es schafft, dass der Zuschauer Mitleid empfindet, welche Gefühle und Gedanken ein Film auslöst, wie er Wirklichkeit abbildet und – öfter noch – wie er sie verfälscht. Auch die Frage, mit welchen Mitteln er das erreicht – Kameraführung, Ton, Effekte –werden bei uns im Unterricht nicht aufgeworfen, - wohl auch deshalb, weil der Film selbst unter den kulturbegeisterten Lehrkräften, die in die Theater und Museen strömen, immer noch einen anrüchigen Beigeschmack hat.

Der erste Schritt wäre in diesem Fall freilich der wichtigste: ein eigenes Fach Medienerziehung zu installieren, trotz aller Konkurrenz zu Umwelt-, Verkehrs- Friedens-, Sexual- und Gesundheitserziehung im Kampf um knappe Unterrichtszeiten an Schulen. Denn die Hoffnung, Medienerziehung werde von den jeweiligen Fachlehrern etwa im Deutsch-, im Religions-, oder im Sozialkunde-Unterricht en passant mit erledigt, hat sich nicht erfüllt – eine ältere Studie der Bertelsmann-Stiftung fördert 1992 lediglich bei 8 Prozent aller befragten Schulen eine kontinuierliche medienpädagogische Arbeit zu Tage, auch bei einer späteren Studie über die Grundschulen Nordrhein-Westfalens fiel das Ergebnis mit 19 Prozent keineswegs beruhigender aus. Zumal sich eindrucksvoll nachweisen lässt, dass medienpädagogische Kompetenz zu einem selektiven Umgang mit dem Medium führt und dies mit einem größeren Zeitbudget bei den Kindern und Jugendlichen nachhaltig belohnt wird.

SchulKinoWochen

Immerhin, es gibt hoffnungsvolle Ansätze! Landauf, landab finden seit dem Schuljahr 2008 / 2009 in allen Bundesländern unter der Aegide der dafür eigens 2006 gegründeten Initiative VISION KINO so genannte SchulKinoWochen statt, die die Schülerinnen und Schüler aus den Klassenzimmern in die Kino-Sessel locken. In der "prime time" der Schüler, sprich in den Vormittagsstunden, sehen Erstklässler wie Gymnasiastinnen, Berufs- wie Förderschüler, statt Mathematik zu büffeln, nunmehr Filmklassiker wie "Metropolis" und in der Mehrzahl aktuelle Spielfilme von "Almanya" über "The green Wave" bis hin zu "vincent will meer" oder "Goethe!". Rund 640.000 Schülerinnen und Schüler haben in diesem Jahr in der gesamten Bundesrepublik an der Aktion teilgenommen.

Die "SchulKinoWochen" machen bundesweit Pädagogen zu "Bundesgenossen": Mittels aktueller Filmhefte zu dem jeweiligen Spiel- oder Dokumentarfilm erhalten die Lehrerinnen und Lehrer das Handwerkszeug, um ästhetisch wie inhaltlich die Vor- und Nachbereitung des Kinostreifens durchzuführen und das Gesehene sinnvoll in den Lehrplan zu integrieren. Sie verlieren ihre natürliche Hemmung, mit ihren Schülerinnen und Schülern mit bislang unbekannten, weil neuen, Filmen zu arbeiten, statt ausschließlich nur auf bekannte, aber vielfach in die Jahre gekommene, Filmklassiker zu setzen. Das Angebot komplettiert sich fortwährend: längst begleiten hochkarätige Lehrerfortbildungen die jährlich stattfindenden SchulKinoWochen, längst ist es Routine geworden, dass prominente Regisseure, Schauspieler und andere Filmschaffende ihre Filme im Rahmen der SchulKinoWochen vorstellen.

Inzwischen bemühen sich die SchulKinoWochen auch um thematische Schwerpunkte. Reminiszenzen an hochkarätige DEFA-Filme wie "Ich war neunzehn", "Paul und Paula", "Spur der Steine" oder die Erinnerung an den Filmkanon der wichtigsten Filme des 20. Jahrhunderts, angefangen bei der rekonstruierten Fassung von "Metropolis", sind beliebte Übungen, das aktuelle Repertoire zu ergänzen. Die Zusammenarbeit mit dem bundesweit ausgerufenen Wissenschaftsjahr befruchtete zusätzlich die diesjährigen SchulKinoWochen. Renommierte Fachwissenschaftler nahmen sich eine Auszeit vom Job, um profilierte Filme etwa zu Themen wie Autismus mit den Filmleuten, aber besonders mit Schülerinnen und Schülern zu diskutieren. Eine Win-Win-Situation, da nicht wenige Schüler über das Medium Film einen neuen, ungewohnten Zugang zu den Naturwissenschaften gefunden haben.

Zudem erweist es sich als förderlich für die SchulKinoWochen, dass nicht eben wenige mit den Filmfestivals der Republik zusammenarbeiten. Nicht immer springt dabei noch ein Preis wie der Filmkulturpreis Mannheim-Heidelberg heraus, den Vision Kino für seine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg einheimste. Auch die Zusammenarbeit mit dem führenden deutschen Nachwuchsfestival, dem Saarbrücker Film-Festival Max Ophüls Preis , brachte die SchulKinoWochen in Kontakt zu vielen aufstrebenden jungen deutschsprachigen Filmemachern und ihren ambitionierten Projekten. Saarbrücken war Ausgangspunkt des Durchbruchs für Filme wie "Kombat 16", der tief in die rechtsextreme Szene eintaucht, oder "Tausend Ozeane", der das Thema Koma-Patienten in den Mittelpunkt stellt. Diese Zusammenarbeit hat auch dazu geführt, das mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung kleine Kinowochen in Zusammenarbeit mit dem Filmfestival Max Ophüls Preis durchgeführt werden, bei denen brandaktuelle, jugendaffine Filme vorgestellt und mit den Schülern diskutiert werden. In Saarbrücken vergibt sogar eine deutsch-französische Schülerjury ihren eigenen Preis: Anhand der Jurybegründungen und der von den jungen Leuten getroffenen Entscheidungen kann man sehen, auf welch hohem Niveau Film von der Zielgruppe rezipiert werden können.

Filmbildung und politische Bildung

Am Beispiel der saarländischen Landeszentrale für politische Bildung kann man ersehen, wie über die nunmehr seit zehn Jahren durchgeführten SchulKinoWochen mit Sonderveranstaltungen die Filmbildung im Land kontinuierlich ausgebaut worden ist. In Zusammenarbeit mit dem dafür zuständigen Landesinstitut für Pädagogik und Medien werden mehrmals im Jahr Lehrerfortbildungen zu einzelnen Spielfilmen, zur SchulKinoWoche oder zur Medienerziehung im Allgemeinen angeboten. Seit Jahren hat man mit dem Einsatz nationalsozialistischer Propagandafilme aus dem Fundus der Friedrich-Murnau-Stiftung wie "Jud Süss", "Hitlerjunge Quex" oder "Triumph des Willens", vor- und nachbereitet durch Historiker und Medienpädagogen, über zehntausend Jugendliche erreicht. Gerade vor dem Hintergrund der langsam aber sicher rar werdenden Zeitzeugen-Generation von Holocaust-Überlebenden bieten die Filme ein authentisches Zeitzeugnis, das beeindruckend zeigt, welch horrible Wirkung Filme haben können. Immer wieder gelingt es etwa, anhand des nur mit pädagogischer Vor- und Nachbereitung zu zeigenden Filmes "Jud Süss" (Regie: Veit Harlan, 1940) Jugendlichen zu demonstrieren, wie ein Film seine Botschaften vermittelt und wie der Betrachter auch heute noch in den Bann eines solchen Filmes gezogen werden kann. Sich anschließende, immer wieder sehr lebhafte, wie lebendige Diskussionen zeigen, dass Schülerinnen und Schüler die Mechanismen entlarven können und gegen derartiges Gedankengut immunisiert werden können. Der Film macht auch heute noch deutlich, warum so viele Menschen damals die antisemitischen Botschaften gehört und übernommen haben. Gerade der Filmeinsatz von "Jud Süss" oder auch "Hitlerjunge Quex" (Regie Hans Steinhoff, 1940) zeigt, dass Filmbildung sehr anschaulich sein und in ganz andere Dimensionen vorstoßen kann als jeder wohlmeinende Frontalunterricht, sei er noch so wissenschaftlich unterfüttert.

Was am Beispiel der nationalsozialistischen Vorbehaltsfilmefilme als Negativfolie gilt, lässt sich für aktuelle ambitionierte Spiel- und Dokumentarfilmregisseure aber auch im Positiven formulieren. Viele von ihnen arbeiten buchstäblich am Puls der Zeit, decken in zum Teil jahrelanger Vorbereitungszeit gesellschaftliche Zu- und Missstände auf und legen buchstäblich den Finger in die Wunde. Die Notwendigkeit, ihr Publikum mit ihrem Anliegen zu erreichen, führt nicht selten dazu, dass sie es selbst bei komplexen Themen schaffen, die Konflikte auf den Punkt zu bringen und sehr anschaulich zu gestalten. Davon kann politische Bildung mit Blick auf die Zielgruppe junger Menschen profitieren, die hier politische Stoffe einprägsam, oft heruntergebrochen auf Einzelschicksale, aufbereitet bekommen. Als kleines Beispiel mag der Dokumentarfilm "Plastic Planet" des Österreichers Werner Boote (2011) angeführt werden, der in zwei Stunden das gravierende Problem der Umweltzerstörung durch die Verklappung von Plastikmüll in den Weltmeeren als Dokumentarfilm herausarbeitet. Der Regisseur ist dafür rund um den Erdball gereist, hat mit Fachwissenschaftlern Interviews geführt und zeigt, wie die Verursacher versuchen, über Lobbyarbeit das gravierende Problem unter den Tisch zu kehren. Der Film ist aktueller als jedes Curriculum aus der Schublade und kann als Diskussionsgrundlage für die Beschäftigung mit Umwelt- und Naturzerstörung gelten. Aktueller und griffiger kann Unterricht nicht sein.

Dr. Burkhard Jellonnek ist als Leiter der Landeszentrale für politische Bildung seit zehn Jahren zuständig für die SchulKinoWoche Saarland. Der promovierte Historiker arbeitete zuvor viele Jahre als Dramaturg an Stadt- und Staatstheatern und als Theaterkritiker und kümmert sich intensiv um weitere Projekte der kulturellen Bildung an Schulen. (Foto: © Wolfgang Klauke)