NECE steht für Networking European Citizenship Education, also für das europäische Netzwerken im Bereich politische bzw. bürgerschaftliche Bildung – Was steckt dahinter?
Wir tragen ganz bewusst die Tätigkeitsform "Networking" im Titel, weil wir kein institutionalisiertes Netzwerk sein wollen, das ist uns sehr wichtig. Satzungen, festgelegte Regeln oder Funktionen halten wir für kontraproduktiv, wenn man kleine und große Institutionen, NGOs, CSOs, Regierungsinstitutionen und Einzelpersonen zusammenbringen will.Wir wollen regelmäßig gemeinsam mit weiteren europäischen Partnerinnen und Partnern eine Plattform zum Austausch über aktuelle Problemstellungen, Herausforderungen und Methoden politischer Bildung in Europa bieten. Wir organisieren Konferenzen und weitere Formate des Austauschs.
Wie ist NECE entstanden?
Die Bundeszentrale für politische Bildung hatte seit 1995 regelmäßig europäische Konferenzen angeboten, die gemeinsam mit europäischen Partnern organisiert wurden. Hier wurden Themen behandelt, die auf der politischen Agenda der EU standen, wie z.B. die Währungsreform.
Im Jahr 2004 justierten wir diesen Schwerpunkt neu. Es erschien uns sinnvoll, das Fach "Politische Bildung" und seine Herausforderungen ins Zentrum der Aktivitäten zu stellen. Dies hatte folgenden Hintergrund: In den 1990er-Jahren hatte politische Bildung eine wachsende Bedeutung in den Ländern Europas bekommen, was unter anderem mit den Transformationsprozessen in Mittel- und Osteuropa zusammenhing. Der Europarat startete 1997 sein EDC-Programm (Education for Democratic Citizenship) und auch im EU-Kontext wurde die Bedeutung von "Active Citizenship" zunehmend thematisiert. Wir nahmen so das "European Year of Citizenship through Education" zum Anlass, eine europäische Austauschplattform zur politischen Bildung zu etablieren.
Ein weiterer wichtiger Gedanke war, dass die Problemstellungen bzw. Herausforderungen, mit denen Gesellschaften in Europa konfrontiert werden, auf der Ebene von Nationalstaaten zunehmend nicht zu mehr zu lösen sind, als ein Beispiel nenne ich nur Klimawandel. Citizenship Education kann daher auch nicht mehr allein den Nationalstaat als Referenzrahmen haben. Citizenship muss ergänzt werden durch so etwas wie European Citizenship oder Cosmopolitan Citizenship. Für Diskussionen darüber, was dies beinhaltet und wie dies erreicht werden kann, bieten sich eher internationale Kontexte an, als rein nationalstaatliche Zusammenhänge.
Ging die Initiative zur Gründung von NECE von der bpb aus oder gab es eine Gruppe von Gründungsmitgliedern?
Die Intiative, NECE in der aktuellen Form zu gestalten, ging von der bpb aus. Wir haben dabei jedoch von Anfang an mit zwei Partnern zusammen gearbeitet, die auch schon in den vorherigen Kontexten aktiv waren, das war zum einen die Abteilung Bildung im Österreichischen Bildungsministerium und zum anderen das IPP, das Instituut voor Publiek en Politiek in Amsterdam, das heutzutage übergegangen ist in das Huis voor democratie en rechtsstaat (engl. House for Democracy and the Rule of Law). Und diese beiden Partner sind immer noch dabei, aber es sind viele hinzugekommen.
NECE will eine Plattform für Austausch sein – wer sind die Zielgruppen, die NECE ansprechen will?
In erster Linie sind das Institutionen oder Einzelorganisationen, die politische Bildung betreiben. Das sind Institutionen völlig unterschiedlicher Art. Im Kontext von NECE treffen sich Regierungsorganisationen mit kleinen NGOs oder auch Einzelpersonen, also Aktivistinnen und Aktivisten, die im Bereich politische Bildung unterwegs sind, auch wenn sie es selbst nicht immer so nennen würden. Das ist sozusagen die Kernzielgruppe, uns geht es aber auch darum, dass man nicht immer nur im Kreis der Akteure von Citizenship Education diskutiert und "unter sich" bleibt, sondern darum ,dass man sich öffnet. Wir haben beispielsweise in den letzten Jahren Akteure aus der kulturellen Bildung und Künstler einbezogen. Es sind auch Leute aus Architektur und Stadtentwicklung hinzugekommen, je nach Themenansatz der Konferenz. Außerdem ist es sehr wichtig, auch die Politik und die Bezugswissenschaften (Politikwissenschaften, Geschichte etc.) mit ins Boot zu holen, so dass auf den Veranstaltungen ein disziplinenübergreifender und multiperspektivischer Dialog entstehen kann.
Wie wird die Arbeit von NECE finanziert?
Das ist ganz unterschiedlich. Der Hauptteil der Arbeit wird aus dem Haushalt der Bundeszentrale für politische Bildung finanziert. Für die einzelnen Maßnahmen haben wir aber auch stets Institutionen, die kofinanzieren, etwa das österreichische Bildungsministerium oder das niederländische House of Democracy and the Rule of Law. Relativ aktiv, auch was die finanziellen Beiträge anbelangt, ist in den letzten Jahren auch die Robert Bosch Stiftung. Die Erste Stiftung aus Österreich hat sich auch bereits finanziell beteiligt und wird dies weiter tun. Es gibt erfreulicherweise immer mehr Institutionen, die die finanziellen Möglichkeiten haben, etwas beizutragen und dies auch tun wollen. Außerdem denken wir darüber nach, in Zukunft über NECE auch EU-Gelder zu beantragen.
Die bisherigen sieben großen NECE-Konferenzen seit 2004 hatten sehr verschiedene Schwerpunktthemen – von Europawahlen über Leben in Migrationsgesellschaften bis hin zum Umgang mit Populismus und Nationalismus. Wie entstehen diese Themensetzungen?
Wir orientieren uns bei der Themensetzung immer zum einen am Stand des internationalen Austauschs im Bereich der politischen Bildung und zum anderen an aktuellen Herausforderungen, die sich sehr häufig in verschiedenen Ländern sehr ähnlich stellen. So entstehen die Themensetzungen der Konferenzen, die in den ersten Jahren allgemein danach gefragt haben, wer was macht und welche Themen von Belang sind in der politischen Bildung in Europa. Nach und nach gingen wir dann zu spezialisierteren Themen über.
In den letzten Jahren spielte auch künstlerisch-kulturelle Bildung eine Rolle, etwa bei der Konferenz 2009 in Vilnius zum Thema Sozialer Zusammenhalt und 2010 in Trieste zum Thema Stadtentwicklung und öffentlicher Raum – wie kam es dazu, dass man sich hier auch der kulturell-künstlerischen Sphäre geöffnet hat?
Der kulturellen Bildung haben wir uns aus unterschiedlichen Gründen geöffnet. Der eine Grund ist der, dass wir aus der eigenen Arbeit wissen, dass kulturell-künstlerische Ansätze die Möglichkeit bieten, auch Menschen zu erreichen, die man mit den klassischen Methoden politischer Bildung vielleicht nicht erreichen würde. Die Ansätze eignen sich auch sehr gut, wenn man mit Menschen unterschiedlicher Milieus in einem Projekt zusammenarbeiten will. Das ist sozusagen der eine Zugang.
Der andere Zugang ist der, dass man in den vergangenen Jahren vermehrt feststellen kann, dass neben den klassischen politischen Betätigungsformen und den klassischen Formen des Protests zunehmend künstlerische Formen hinzugekommen sind, die etwa Kampf um Ressourcen abbilden, Bürgerwillen oder auch Bürgerprotest zum Ausdruck bringen. Diese treten vor allem in den Städten auf. Dazu gehören zum Beispiel theatrale Interventionen im öffentlichen Raum, aber auch Aktionen wie Carrotmobs oder Guerilla Gardening.
Wir wollten uns einerseits damit auseinander setzen, wie solche Formen anschlussfähig für politische Bildung sind. Andererseits haben wir festgestellt, dass wenn man Leute aus unterschiedlichen Sphären, also in diesem Fall der politischen Bildung und der Kunst und Kultur zusammenbringt, der Dialog oft zunächst schwierig, im Endeffekt aber sehr kreativ und fruchtbringend ist. Und es zahlt sich aus, die Gruppen zusammenzubringen, weil man in der jeweiligen Klientel die Sensibilität für die jeweilig anderen Bereiche wecken kann. Und es ist stets ein Ziel von NECE, den Diskurs über Citizenship Education auch in andere Disziplinen hineinzutragen.
Können Sie Beispielprojekte nennen, die an der Schnittstelle von Kunst und Citizenship Education arbeiten?
Ja, auf der Konferenz in Vilnius stellte sich etwa ein Projekt der "Neuen Auftraggeber - Europäische Plattform für eine Kunst der Zivilgesellschaft"
Konkret wurde in Vilnius das Projekt "Memory in Progress"
Ein anderes Projekt an der erwähnten Schnittstelle wurde bei unserem Workshop zum Thema Web 2.0, der im April 2011 im tschechischen Brno stattfand, vorgestellt: Web_0
Kann man in Hinblick auf die aktiven Mitglieder und Konferenzteilnehmerinnen und –teilnehmer Schwerpunkte der Herkunftsländer ausmachen? Gibt es noch Länder oder Regionen, aus denen Sie sich mehr Teilnehmende wünschen würden?
Wir haben auf den NECE-Konferenzen immer eine sehr starke Gruppe aus Deutschland, eigentlich egal, wo sie stattfinden. Das hängt zum Teil damit zusammen, dass die Szene in Deutschland größer ist als in anderen Ländern. Ansonsten kommt es darauf an, wo die Konferenzen stattfinden, deshalb wechseln wir auch immer die Veranstaltungsorte und -länder. In Vilnius zum Beispiel war die Zusammensetzung sehr interessant, da hatten wir insgesamt 191 Teilnehmende, davon waren 45 aus Deutschland, 55 aus anderen westeuropäischen Ländern, 85 Teilnehmende aus Osteuropa, sechs aus sonstigen Ländern. Wir haben mittlerweile auch Teilnehmende aus Japan und Korea, die nun schon an mehreren Konferenzen teilgenommen haben. Etwas unterrepräsentiert sind bisher Frankreich, Italien und Spanien. Dies ist eventuell auch unter anderem ein Sprachproblem, im Rahmen von NECE wird ausschließlich auf Englisch kommuniziert.
Bisher haben wir nur über die Konferenzen gesprochen, welcher anderen Formate bedient NECE sich? Es gibt beispielsweise Workshops – Was hat es damit auf sich?
Die Workshops sind in der Regel dafür da, neue Themen und Zielgruppen zu explorieren und zum Teil die Konferenzen vorzubereiten. Die Workshops werden allerdings nicht öffentlich ausgeschrieben, hier werden ausschließlich Expertinnen und Experten eingeladen. Ein weiterer wichtiger Strang der Aktivitäten von NECE, der sich nach und nach herauskristallisierte, sind Kooperationsprojekte. Wir arbeiten nicht nur an Meta-Themen, sondern bieten auch ein Forum, um europäische Kooperationsprojekte anzuregen und unter dem Dach von NECE durchzuführen und in der Zukunft auch hoffentlich mit EU-Mitteln zu finanzieren. Das gab es zum ersten Mal in Vorbereitung der Europawahlen 2009. Damals entstand Vote Match Europe
Dieser Strang wird jetzt weiter fortgeführt. Wir denken beispielsweise darüber nach, Menschen, die an Bürgerhaushalten
Ergänzend zu den Workshops und Konferenzen gibt es noch einen Newsletter, der bis zu viermal im Jahr erscheint und nicht nur über die NECE-Aktivitäten auf dem Laufenden hält, sondern auch Informationen, die für die politische Bildung in Europa relevant sind, aufgreift. Und es gibt eine NECE-Datenbank, in der Experten und Institutionen der politischen Bildung recherchierbar sind. Das ganze wird präsentiert auf einer Unter-Seite von bpb.de, auf
2011 wird es im November wieder eine NECE-Konferenz geben, diesmal in Warschau in Polen, was wird das Thema sein?
Die nächste Konferenz wird sich damit auseinandersetzen, wie politische Bildung gestaltet sein muss, um auch Menschen zu erreichen, die einen formal niedrigen Bildungsabschluss haben. Es geht grundsätzlich um so genannte "bildungsferne", nicht ausschließlich um "politikferne" Zielgruppen.
Wagen wir einen Ausblick - Welche Wünsche, Perspektiven und Herausforderungen gibt es für die weitere Entwicklung von NECE?
Ich denke, eine Perspektive, die wir ausloten müssen, ist beispielsweise, wie wir die Möglichkeit des Networkings zwischen den einzelnen Events noch stärker forcieren können und wie wir das Internet auch in stärkerem Maße als Plattform zum kontinuierlichen Austausch nutzen können. Wir wollen außerdem zusätzlich den bereits erwähnten Strang der Kooperationsprojekte stärken.
Eine weitere Zielsetzung für NECE in den nächsten Jahren ist es, zunehmend Lobbying-Aktivitäten auf der politischen Ebene zu betreiben. Zwar wurden Citizenship und Citizenship Education auf europäischer Ebene in den vergangenen Jahren zunehmend hervorgehoben, vom Europarat und auch auf EU-Ebene. Es gab dazu bereits unterschiedliche Dokumente und Anlässe – etwa den Prozess um die europäische Verfassung bzw. den Vertrag von Lissabon, den Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion
Das Gespräch führte Katharina Reinhold, Redakteurin dieses Online-Dossiers.