1. Ist Ihr Publikum multikulturell zusammengesetzt? Warum/Warum nicht?
Das Kulturzentrum Schlachthof e.V. ist in Kassel als soziokulturelles Zentrum seit 1978 in den historischen Verwaltungsgebäuden des ehemaligen Schlachthofs aktiv. Vereine und Einzelpersonen mit Migrationshintergrund beteiligten sich bereits in der Gründungs- und Aufbauzeit des Kulturzentrum Schlachthofs aktiv und waren wichtige Mitgestalterinnen und Mitgestalter. Heute noch treffen sich bei uns über 20 Gruppen, Initiativen, kulturelle und politische Vereinigungen und vor allem Migrantinnen- und Flüchtlingsgruppen. Sie sind wichtige Treffpunkte für ihre Communities und Netzwerke für den Austausch von sozialen, kulturellen und rechtlichen Fragen. Zu den Schlachthof-eigenen Bereichen zählen ein offenes Jugendzentrum, der Veranstaltungsbereich mit einem dichten Kulturprogramm schwerpunktmäßig im Bereich Musik, Beratungsangebote wie Schuldenberatung und rechtliche Betreuung sowie der Bildungsbereich mit zahlreichen Kursen. Die sprachlichen und arbeitsmarktbezogenen Bildungs-Kurse richten sich insbesondere an Migrantinnen und Migranten. Zur Verbesserung der interkulturellen Kommunikation/Verständigung werden Aktivitäten und Projekte in Aspekten wie Interkulturelle Vermittlung, Verbesserung von Bildungschancen für Kinder aus migrantischen Familien und Fortbildungen durchgeführt.
Daher sind Publikum, BesucherInnen, Nutzergruppen, Teilnehmende sowie das Team des Kulturzentrums Schlachthof ganz selbstverständlich und von Anfang an multikulturell zusammengesetzt.
2. Was bedeutet interkulturelle Bildung für Sie, und wie versuchen Sie diese in Ihrer Institution umzusetzen?
Im Bereich der interkulturellen Bildung unterstützen und verbessern wir die Chancen von Zugewanderten in gesellschaftlichen Bereichen wie Bildung, Arbeit und Alltag mit diversen Bildungsformaten. In diesem Zusammenhang vermitteln wir Zugewanderten das notwendige Wissen und Kompetenzen. Ergänzend werden Aktivitäten und Projektansätze umgesetzt, die die institutionellen Zugangsbarrieren abbauen. Dies erfolgt meist in Zusammenarbeit mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verschiedener (Regel-)Einrichtungen wie Schule, Kindergarten, aus dem Gesundheits- und Pflegebereich. Im diesem Feld der interkulturellen Arbeit bildet die Einbindung der Perspektiven und des Wissens von MigrantInnen eine wichtige Grundvoraussetzung für Lern- und Veränderungsprozesse auf allen Seiten.
3. Wie sieht die Verbindung von kultureller und interkultureller Bildung bei Ihrem Projekt Kulturwerkstätten genau aus? Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Im Bereich der (inter-)kulturellen Bildung finden unterschiedliche künstlerisch-kulturelle Formate in den so genannten Kulturwerkstätten statt. Künstler und Jugendliche kommen in Kulturwerkstätten im außerschulischen Bereich zusammen und werden gemeinsam kreativ. Das Kulturzentrum Schlachthof verfolgt seit vielen Jahren einen Arbeitsansatz, bei dem Kunstschaffende und Jugendliche zusammen gesellschaftlich-persönlichen, global-lokalen Fragen künstlerisch nachgehen und ihre Ergebnisse und Perspektiven in verschiedene künstlerische Formate übertragen. Beispielhaft für die Arbeitsweise der (inter-) kulturellen Bildung sind die Kulturwerkstätten, die in 2010 stattfanden:
Themengeleitete Kunstprojekte der Kulturwerkstätten luden Jugendliche aus verschiedenen Stadtteilen, Schulen, Jugendeinrichtungen und Lebenszusammenhängen als Expertinnen und Experten zum Thema Krise und krisenhaftes Leben ein. Gemeinsam mit Kunstschaffenden, die Erfahrungen in der Arbeit mit heterogenen Gruppen haben, gingen Jugendliche in zehn Kulturwerkstätten der Frage auf den Grund, ob und wie persönliche und gesellschaftliche Krisen in Zusammenhang stehen. Gerade Jugendliche sind Expertinnen und Experten für Umbrüche, Wendepunkte und Krisen. Sie verfügen über das Wissen, wie uneindeutige, irritierende, ausschließende, zerstörerische Situationen zu nehmen und zu überwinden sind. In die künstlerischen Arbeiten sollte ihr Wissen einfließen: Welche Bedeutung haben Krisen, was verbinden sie mit der globalen Krise, welche (Bild-) Sprache haben sie dafür und in welcher Verbindung sehen sie globale Krisen mit ihrem eigenen Leben. Die Auseinandersetzung fand in Formaten wie Theater, Trickfilm, Dokumentarfilm, Aktionsformen wie Performances und Audioinstallationen, Installationen und Interventionen im Außen- und Innenraum statt.
Über 150 Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahren nahmen an den zehn Kunstprojekten teil: Straßenkicker von 22 Mannschaften befassten sich mit der Macht von kollektiven Symbolen und Zeichen wie Fahnen und Wappen zur Ein- oder Ausgrenzung von Personengruppen und gestalteten eigene Logos für ihre Mannschaften. Zwei Gruppen von Mädchen nutzten leer stehende Ladenräume für künstlerische Interventionen (Titel: "Mit Alice, Phytia und Heide auf Krisenraumforschung" und "wandeln & warten"). Die Räume wurden mit Zeichnungen, Papier, Pigmenten und Filmen gefüllt. Die Mädchen kreisten den Begriff Krise spielerisch-künstlerisch-ästhetisch ein und betrachteten ihn aus verschiedenen Perspektiven. Des Weiteren setzten sich Kasseler Jugendliche – hier aufgewachsene sowie minderjährige Flüchtlinge – mit dem Thema Krise auseinander, indem sie dazu sich selbst und ältere Personen in Kassel zur Relevanz von Familie befragten. In einem dokumentarischen Film wurden gemeinsame Erfahrungen wie Krieg, Vertreibung, Verlust und Flucht von Jung und Alt sichtbar gemacht.
4. Welche Chancen bietet aus Ihrer Sicht die Arbeit soziokultureller Zentren für die interkulturelle Bildung?
Die Vielfalt der interkulturellen Bereiche Kultur, Jugendarbeit, Beratung und Bildung unter einem Dach ermöglicht, dass das Kulturzentrum Schlachthof ein wichtiger Bezugspunkt für viele Personen ist. Es zeichnet das Kasseler Kulturzentrum Schlachthof aus, dass ein sehr heterogener Personenkreis aus unterschiedlichen sozialen, kulturellen und politischen Kreisen besucht und angenommen wird.
5. (Wo) sehen Sie in Ihrer Institution im Hinblick auf die Ansprache eines kulturell heterogenen Publikums noch Verbesserungsbedarf?
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6. Was möchten Sie in diesem Zusammenhang anderen Kulturinstitutionen mit auf den Weg geben?
Eine aktive Öffnung von Kulturinstitutionen für heterogene und migrantische Personenkreise ist wichtig und notwendig, da durch den Kontakt zu heterogenen Personenkreisen die Institution selbst lernen und sich weiterentwickeln kann. Für den Öffnungsprozess braucht die Kulturinstitution neue Formen der Ansprache, der Kommunikation und der Zusammenarbeit mit dem lokalen Publikum/den Nutzerinnen und Nutzern.
Die Fragen beantwortete Ayse Gülec, als Mitarbeiterin des Kulturzentrum Schlachthof verantwortlich für den Bereich Migration und Interkultur.