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Interkulturelle Öffnung der kulturellen Bildung | Kulturelle Bildung | bpb.de

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Interkulturelle Öffnung der kulturellen Bildung

Tina Jerman Meral Cerci Meral Cerci Tina Jerman

/ 11 Minuten zu lesen

Was können Kulturinstitutionen tun, um sich zunehmend für Migranten zu öffnen? Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass es weniger von der Herkunftskultur als vielmehr vom Bildungsstand, vom Einkommen und den Wertorientierungen abhängt, ob Migranten Angebote der kulturellen Bildung nutzen und welche sie bevorzugen.

Ausgangslage

Kulturelle Bildung hat Konjunktur. Vielfach wurde beschrieben, welche Wunder zu bewirken sie im Stande ist. An sie werden von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund hohe Erwartungen gestellt, hatte man doch lange Zeit die Bildungsschwerpunkte im weitesten Sinne an der ökonomischen Verwertbarkeit orientiert, insbesondere im Hinblick auf berufliche Chancen. Gestützt auf die wissenschaftliche Erkenntnis, die musisch aktiven Kindern und Jugendlichen bessere Leistungen auch in anderen Gebieten attestiert, wurden entsprechende Programme in verschiedenen künstleri-schen Feldern entwickelt und in die Tat umgesetzt, verbunden mit der Hoffnung, hier einen Ausgleich zu schaffen.

Vielen dieser Beschreibungen liegt jedoch eine Engführung zu Grunde, da sie kulturelle Bildung in erster Linie mit der Ausübung einer künstlerischen Betätigung in Beziehung setzt und das fokussiert auf Kinder und Jugendliche. Kultur – und darauf aufbauend auch kulturelle Bildung – stützt sich jedoch, wenn man etwa die Definition der UNESCO zugrunde legt, auf ein viel breiteres Konzept. "Die Kultur kann in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen."

Vor diesem Hintergrund könnte man auch die Integrationskurse als einen interkulturellen Baustein im Bereich der kulturellen Bildung ansehen, verfolgen sie doch gerade den Anspruch, Notwendiges und Wissenswertes über die Kultur des (neuen) Lebensmittelpunktes zu vermitteln.

Als Einwanderungsland ist Deutschland heute durch kulturelle Vielfalt geprägt. Mehr als 20 Prozent der Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund und die Prognosen zum demografischen Wandel zeigen, dass der Anteil zukünftig noch steigen wird. Vor diesem Hintergrund kommt der interkulturellen Ausrichtung der kulturellen Bildung eine sehr viel höhere Bedeutung zu als bislang. Sie wird zu einer umfassenden Aufgabe, die sich nicht nur an Kinder und Jugendliche richtet, sondern auch für gesellschaftliche Organisationen und im Sinne des Lebenslangen Lernens gilt.

Ziel

Ziel der interkulturellen Ausrichtung der kulturellen Bildung ist es, die mittlerweile vielfältige Realität im Alltag der Stadtgesellschaft und im ländlichen Raum verstehbar und mit allen ihren Potenzialen lebbar zu machen. Der transkulturelle Alltag, der das individuelle Leben vieler Menschen bestimmt, muss sich in einem gemeinsamen gesellschaftlichen Miteinander widerspiegeln. Dazu gehört die Sensibilisierung für die Chancen und Potenziale, Empowerment, der Abbau von Vorurteilen und die Fähigkeit zu Empathie und Perspektivwechsel. Die interkulturelle Ausrichtung der kulturellen Bildung sollte darauf aufbauend definiert werden "als Bildung, Ausbildung und Information, die dazu beitragen soll, durch Wissensaustausch, die Weitergabe von Kenntnissen und die Ausformung von Verhaltensweisen" ein universales Verständnis für kulturelle Vielfalt und allgemeine Voraussetzungen für kulturelle Teilhabe herzustellen. Hier kommt nun in der Tat den Künsten eine herausragende Stellung zu, sind sie doch in besonderer Weise in der Lage, gemeinsame und interkulturelle Interaktionen in einem "Dritten Raum" zu ermöglichen ("Third Space" – nach Homi Bhabha ) – einem Raum, der offen und zugänglich für Begegnungen von Migrantinnen und Migranten sowie und Nicht-Migrantinnen und Nicht-Migranten ist.

In diesem Prozess schaffen Partizipation, Kenntnistransfer und ein damit verbundener Austausch multiple Perspektiven. Diese Methoden haben sich sowohl bezüglich der interkulturellen Ausrichtung der in die kulturelle Bildung involvierten Organisationen als auch bei den zu vermittelnden (künstlerischen) Inhalten als besonders wirkungsvoll erwiesen. Auch die Angebotsplanung sollte eine differenzierende, zielgruppenspezifische Kenntnis der Interessen und Bedarfe und eine entsprechende Orientierung beinhalten.

Menschen mit Migrationshintergrund als Zielgruppe – ausgewählte empirische Ergebnisse

Zur Unterstützung der Interkultur-Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen führte das Kulturministerium des Landes im Jahr 2007 eine Pilot-Untersuchung zum Thema "Kulturelle Vielfalt" in Dortmund durch , Im Rahmen dieser repräsentativen Studie wurden 1.023 Dortmunderinnen und Dortmunder mit und ohne Migrationshintergrund zu ihren kulturellen Präferenzen und Gewohnheiten befragt. Darüber hinaus wurden auch die kulturellen Aktivitäten der Kinder im Haushalt erfasst. Die Kernergebnisse der Studie sind folgende:

  • Das Interesse für Kulturveranstaltungen liegt bei Menschen mit Migrationshintergrund bei vielen Genres auf vergleichbarem Niveau wie das der Menschen ohne Migrationshintergrund; allerdings besuchen Menschen mit Migrationshintergrund Kulturveranstaltungen weniger häufig (obwohl Interesse besteht). Hier liegt Potenzial, um die Besucherzahl der Einrichtungen zu steigern.

  • Wichtigste Informationsquelle für Kulturveranstaltungen sind Empfehlungen von Freunden/ Bekannten.

  • Insgesamt sind die Ausgaben für Kulturveranstaltungen bei Menschen mit Migrationshintergrund erheblich niedriger als bei der Gesamtbevölkerung.

  • Die Mehrheit der Dortmunderinnen und Dortmunder ohne Migrationshintergrund ist mit dem Kulturangebot der Stadt sehr zufrieden bzw. zufrieden (70%). Die Zufriedenheit bei den Zuwandererinnen und Zuwanderern ist deutlich niedriger (50%).

Kernergebnisse der Studie zum Thema Kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen:

  • Die soziale Lage (Einkommen, Bildung) von Familien mit Migrationshintergrund ist deutlich niedriger als die von Nicht-Migranten. So erstaunt es nicht, dass die Schule für Kinder und Jugendliche aus Migranten-Familien ein wichtiger Ort der kulturellen Bildung (für Musikunterricht, Tanz etc.) ist. Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund haben häufiger die Möglichkeit, kostenpflichtige Angebote außerhalb der Schule wahrzunehmen, z. B. in der Musikschule oder im privaten Tanz-, Ballettstudio.

  • 23% der Kinder ohne Migrationshintergrund nehmen an frühkindlicher Musikerziehung teil. Bei den Kindern mit Migrationshintergrund liegt der Anteil mit 17% deutlich niedriger.

  • Platz 1 der künstlerischen Hobbys der Kinder und Jugendlichen belegt "ein Musikinstrument spielen". 42% der 7- bis 15-jährigen ohne Migrationshintergrund spielen regelmäßig ein Instrument. Bei den Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund beträgt der Anteil nur 18%.

  • Im Ranking der künstlerischen Hobbys liegt Tanzen bei den Kinder und Jugendlichen eher im Mittelfeld, allerdings zeigen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund leicht überdurchschnittliche Aktivitäten im Vergleich zu der jungen Zielgruppe ohne Migrationshintergrund.

  • Auch die Stadtbibliothek ist für die Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein zentraler Ort der kulturellen Bildung und wird von 35% regelmäßig genutzt (im Vergleich: 14% bei den Nicht-Migranten).

Ergänzend zur Pilotstudie in Dortmund beteiligte sich das Kulturministerium des Landes Nordrhein-Westfalen im Zeitraum 2006-2008 an der Grundlagenstudie "Lebenswelten und Milieus von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland" der Sinus Sociovision GmbH. Zum ersten Mal wurden die Lebenswelten und Lebensstile von Menschen mit unterschiedlichem Migrationshintergrund, so wie sie sich durch das Leben in Deutschland entwickelt haben, mit dem Ansatz der Sinus-Milieus repräsentativ untersucht. Ziel war ein unverfälschtes Kennenlernen und Verstehen der Alltagswelt von Migranten, ihrer Wertorientierungen, Lebensziele, Wünsche und Zukunftserwartungen. Insgesamt wurden 2.072 Migranten befragt.

Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken. © Sinus Sociovision 2008

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen ein facettenreiches Bild: Die Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind keine soziokulturell homogene Gruppe. Vielmehr zeigt sich eine vielfältige und differenzierte Milieulandschaft. Insgesamt acht Migranten-Milieus mit jeweils ganz unterschiedlichen Lebensauffassungen und Lebensweisen konnten identifiziert werden. Die Migranten-Milieus unterscheiden sich weniger nach ethnischer Herkunft und sozialer Lage als nach ihren Wertvorstellungen, Lebensstilen und ästhetischen Vorlieben. Dabei finden sich gemeinsame lebensweltliche Muster bei Migranten aus unterschiedlichen Herkunftskulturen. Faktoren wie ethnische Zugehörigkeit, Religion und Zuwanderungsgeschichte beeinflussen die Alltagskultur, sind letzten Endes aber nicht milieuprägend und identitätsstiftend. Der Einfluss religiöser Traditionen wird oft überschätzt.

Kurzvorstellung Migranten-Milieus

Adaptives Integrationsmilieu (16%)

  • Die pragmatische moderne Mitte der Menschen mit Migrationshintergrund, die nach sozialer Integration und einem harmonischen Leben in gesicherten Verhältnissen strebt.

  • Insgesamt aufgeschlossene Einstellung zu Kunst und Kultur, Vorliebe für harmonische, positiv stimmende Produktionen (Bedürfnis nach Romantik, Escape, "Making Magic").

  • Bei den 3- bis 5-Jährigen unterstützen die Eltern häufig frühkindliche Musikerziehung und Malkurse. Etwa jedes fünfte Kind in diesem Alter nimmt entsprechende Angebote wahr. Etwa ein Viertel der älteren Kinder und Jugendlichen nimmt an kreativen Bastel-, Gestaltungs,-, Mal-, und Skulpturenkursen teil. Instrumenten- und Tanzunterricht werden von knapp 20% der Kinder besucht. Für das Theaterspielen interessieren sich im Vergleich zu den anderen Milieus überdurchschnittlich viele.

Statusorientiertes Milieu (12%)

  • Klassisches Aufsteiger-Milieu, das durch Leistung und Zielstrebigkeit materiellen Wohlstand und soziale Anerkennung erreichen will.

  • Konsumeinstellung gegenüber Kunst und Kultur; Motive für Kulturnutzung: Unterhaltung und Entspannung, Kontakte zur Herkunftskultur.

  • In diesem Milieu wird Bildung als Sprungbrett zum Erfolg erlebt. Die 3- bis 5-jährigen Kinder des Milieus erhalten weit überdurchschnittlich häufig Musikerziehung (35% vs. 18% gesamt). Für die nächsthöhere Altersgruppe geben 33% an, dass ihre Kinder ein Musikinstrument spielen. Doch auch Basteln, Gestalten und Malen gehört für gut ein Viertel der Kinder und Jugendlichen zu den regelmäßigen Freizeitbeschäftigungen. Rund ein Fünftel gibt an, dass die Kinder in einem Chor singen.

Traditionelles Arbeitermilieu (16%)

  • Traditionelles Blue Collar-Milieu der Arbeitsmigranten und Spätaussiedler, das nach materieller Sicherheit für sich und seine Kinder strebt.

  • Kulturkonsum folgt dem Streben nach Harmonie und Geborgenheit; Orientierung an der Kultur des Heimatlandes.

  • Knapp jedes fünfte Kind (18%) besucht Malkurse. An frühkindlicher Musikerziehung beteiligen sich mit 6% deutlich weniger als im Durchschnitt (18%). Dies setzt sich bei den Jugendlichen fort. Sie zeigen jedoch beim Basteln und Gestalten eine höhere Nutzung als der Durchschnitt der Migranten. Fotografieren und Filmen ist bei den Kindern und Jugendlichen im Milieu genauso beliebt wie im Schnitt aller Milieus (16%).

Religiös-verwurzeltes Milieu (7%)

  • Archaisches, bäuerlich geprägtes Milieu, das verhaftet ist in den sozialen und religiösen Traditionen der Herkunftsregion.

  • Motive für Kulturnutzung: kulturelle Identität bewahren und Pflege der Heimatkultur.

  • Die Kinder und Jugendlichen in diesem Milieu nehmen deutlich seltener als die meisten Kinder aus Migranten-Familien an kultureller, vor allem musikalischer und kreativer Bildung teil. Die Bildungsferne der Eltern und die von diesen wahrgenommenen Zugangsbarrieren bei Kunst und Kultur setzen sich bei den Kindern und Jugendlichen nahtlos fort.

Entwurzeltes Milieu (9%)

  • Sozial und kulturell entwurzeltes Milieu, das Problemfreiheit und Heimat bzw. Identität sucht und nach Geld, Ansehen und Konsum strebt.

  • Kulturnutzung: Großes Interesse an Unterhaltung aus dem Bereich der Populärkultur.

  • Nur 13% der jüngeren Kinder bekommt eine musikalische Früherziehung. Die älteren Kinder und Jugendlichen sind deutlich stärker in die kulturellen Aktivitäten eingebunden. Vor allem Malen, Basteln und Musizieren gehört für rund ein Viertel zu den beliebten Freizeitaktivitäten.

Hedonistisch-subkulturelles Milieu (15%)

  • Unangepasstes Jugendmilieu mit hedonistisch-defizitärer Identität und Perspektive, das Spaß haben will und sich den Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft verweigert.

  • Hohes Interesse an Kultur und Kunst – soweit sie sich dem Bildungsanspruch des etablierten Kulturbetriebs entziehen; besonders attraktiv sind kreative Aktivitäten der Pop- und Jugendkultur (z.B. Gangsta-Rap, Graffiti, Breakdance, experimentelles Theater, House- und Hip Hop-Partys).

  • Manche Milieuangehörige sind auch selbst schöpferisch tätig, spielen in Bands, schreiben Rap-Texte, zeichnen und malen – um ihre Empfindungen, Stimmungen und Träume auszudrücken, und nicht zuletzt auch, um sich als Lebenswelt/Subkultur jenseits des Mainstream zu artikulieren und Gehör zu verschaffen.

  • In nur 8% der Haushalte des Milieus leben Kinder der Altersgruppe der 3- bis 5-Jährigen. Die Eltern fördern die musikalische Früherziehung wenig. Malen scheint für viele Kleinkinder der einzige Weg zu sein, ihrem kreativen Drang nachzugehen, denn dieser Wert ist leicht überdurchschnittlich.

Multikulturelles Performermilieu (13%)

  • Junges, leistungsorientiertes Milieu mit bikulturellem Selbstverständnis, das nach Autonomie, beruflichem Erfolg und intensivem Leben strebt.

  • Kulturnutzung ohne intellektuelle Ambitionen; Kulturkonsum nach dem Lustprinzip von Klassik bis Pop; hohe Trendorientierung.

  • Mit 10% unterdurchschnittliche Nutzung frühkindlicher Musikerziehung (Gesamt 18%). Bei den 6- bis 15-Jährigen ergibt sich ein anderes Bild: Ein Viertel spielt in diesem Alter ein Instrument. Die älteren Kinder und Jugendlichen interessieren sich zwar überdurchschnittlich stark für Tanzveranstaltungen, aber beim Singen, bei kreativen Schreibangeboten und beim Theaterspielen liegt dieses Milieu unter dem Durchschnitt.

Intellektuell-kosmopolitisches Milieu (11%)

  • Bildungsmilieu mit einer weltoffenen, multikulturellen Grundhaltung und breitgefächerten intellektuellen Interessen.

  • Die Menschen in diesem Milieu haben vielfältige kulturelle Interessen, Kunst und Kultur sind im Alltagsleben wie im Selbstverständnis wichtig, viele sind ehrenamtlich als Kulturagenten tätig.

  • Die Kinder lernen sehr früh, die Affinität zu Kunst und Kultur der Eltern zu übernehmen. Diese verstehen die kulturelle Bildung als Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und kritisieren, dass die Schulen hier zu wenig Angebote unterbreiten. Musikalische Früherziehung spielt bei den jüngeren Kindern eine zentrale Rolle. Die älteren Kinder und Jugendlichen im Milieu beschäftigen sich vor allem mit dem Spielen eines Instruments, Tanz und Gesang besonders intensiv. Auffallend: überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche dieses Milieus schreiben Geschichten, Artikel, Gedichte etc.

Insgesamt besteht bei den Menschen mit Migrationshintergrund ein hohes Interesse an kultureller Bildung. Insbesondere im statusorientierten Milieu wird dem Zusammenhang von kultureller Kompetenz und beruflichem Aufstieg ein hohes Gewicht beigemessen. Allerdings nutzen Kinder und Jugendliche aus Migranten-Familien im Vergleich zur Gesamtbevölkerung deutlich seltener entsprechende Angebote, vor allem, wenn diese kostenpflichtig sind. Die milieuspezifische Betrachtung zeigt, dass der Zugang zur kulturellen Bildung nicht abhängig ist von der Herkunftskultur, sondern von der sozialen Lage (Bildung, Einkommen) sowie den Wertorientierungen, Einstellungen und Lebensstilen.

Empfehlungen zur interkulturellen Öffnung der kulturellen Bildung

Die im Rahmen der Interkultur-Forschung gewonnenen Erkenntnisse zum Thema kulturelle Bildung von Menschen mit Migrationshintergrund bilden eine erste Grundlage , um auf der (kultur-)politischen Ebene die Konsequenzen für öffentlich geförderte Angebote kultureller Bildung zu diskutieren. Vor allem auch die Erfahrungen des nordrhein-westfälischen Modellprojektes interkultur.pro zur Professionalisierung des interkulturellen Kunst- und Kulturmanagements (2008 – 2011) sind eine hilfreiche Basis für die Entwicklung von übertragbaren Empfehlungen. Hier standen Forschung, Fortbildung, Netzwerkarbeit und der Wissenstransfer für die interkulturelle Neuausrichtung für Kultureinrichtungen und Kulturmanagement im Mittelpunkt.

Die interkulturelle Öffnung der kulturellen Bildung beinhaltet, Konzepte und Strategien zu entwickeln, die die beteiligten Akteure und Organisationen in die Lage versetzen, diese neuen Ziele, Zielgruppen, Angebote und Programme zu definieren, in die Praxis umzusetzen und ihre Überprüfbarkeit zu gewährleisten.

Der Erfolg der interkulturellen Öffnung der kulturellen Bildung im Sinne einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung wird bestimmt durch die systematische Umsetzung. Die Wirkungskraft eines einzelnen Angebotes zur kulturellen Bildung, etwa eines Theaters, einer Jugendkunstschule oder eines soziokulturellen Zentrums, entfaltet sich erst, wenn auch alle weiteren Ebenen stimmig sind, die Aufenthaltsqualität stimmt und ein Zugehörigkeitsgefühl geschaffen wird. Dazu gehören die Zugangsmöglichkeiten, z.B. Eintrittspreise und Erreichbarkeit ebenso, wie die interkulturelle Aufgeschlossenheit der Öffentlichkeitsarbeit, des Personals oder der Kantine. Um die Berücksichtigung der unterschiedlichen Facetten im Prozess dieser (Neu-)Ausrichtung zu gewährleisten, sollte die Einrichtung/Organisation breit und partizipativ angelegt ein gemeinsames Leitbild ("Mission Statement") entwickeln. Damit verbunden sind eine dementsprechende Aufgabenverteilung und Instrumente und Methoden zur Evaluierung. Gerade diese Anerkennung, dass Evaluation und eine systematische Analyse der Besucherstruktur im Sinne des Audience Development (der strategischen Publikumsgewinnung) unbedingt notwendig sind, kommt einem Paradigmenwechsel gleich. Bislang "gefühlte" Einschätzungen über die Nutzerinnen und Nutzer können so deutlich belegt werden. Diese Ergebnisse sind Ausgangspunkt und Grundlage für einen personell, organisatorisch, zeitlich verbindlich in den Kultureinrichtungen verankerten interkulturellen Veränderungs-Managementprozess.

Grundsätzlich jedoch ist festzuhalten, dass hier noch erheblicher Bedarf an Neuorientierung besteht, zu dem die Professionalisierung und Weiterbildung von Lehrpersonal und Kulturvermittlern ebenso gehört wie die Ausrichtung der Aus- und Hochschulbildung für die Bereiche der interkulturellen Kompetenz und der komparativen Kulturvermittlung. Diese Neuausrichtung sollte auch Eingang in die Gestaltung der Programme finden (mehr Bezug zu kulturellen Angeboten außerhalb des westeuropäischen Raums). Optimierte Marketingaktivitäten und der Aufbau interkultureller Netzwerke können dabei helfen, Menschen mit Migrationshintergrund gezielt anzusprechen; hier liegt offensichtlich ein großes Potenzial, denn das Interesse übersteigt die tatsächliche Nutzung. Mehr Kooperationen mit Schulen und die Einbeziehung aktueller Jugendkunstformate könnten einen breiten und unkomplizierten Zugang bei Angeboten für Kinder und Jugendliche erhöhen.

Tina Jerman ist Landesfachkoordinatorin für Kultur und Entwicklung, Gründungs- und Vorstandsmitglied im Eine-Welt-Netz NRW und seit 1982 Geschäftsführerin der EXILE-Kulturkoordination und Lehrbeauftragte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Meral Cerci ist bei Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) verantwortlich für die Beratung von NRW-Ressorts, leitet das Forschungsprojekt Interkultur und ist Lehrbeauftragte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.