Alle lieben kulturelle Bildung, aber kaum einer will richtig Geld dafür lockermachen. So einfach ist die Bilanz nach 40 Jahren Geschichte der kulturellen Bildung in Deutschland. Der Begriff ist heute in aller Munde: Jeder weiß, dass sich kulturell gebildete Menschen freier, kompetenter, empathischer und glücksbegabter entfalten, entwickeln und verhalten als all diejenigen, denen der Zugang zu den inneren und äußeren Werten von Kunst und Kultur verschlossen bleibt. Gleichwohl hat die kulturelle Bildung immer noch weithin ein "Umsetzungsproblem", so die Enquête-Kommission des Deutschen Bundestags "Kultur in Deutschland" 2007. Das heißt, schlicht gesagt, das Verhältnis zwischen Regel (kulturelle Bildung für alle) und Ausnahme (kulturelle Bildung für einige) stimmt nicht: Die Ausnahmen müssten die Regel sein. Der Weg dahin ist weit, gewunden und steinig.
Status quo 1 – Das weite Feld der kulturellen Bildung
Von der bedeutsamen Ausnahme des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG, 1990) abgesehen, ist kulturelle Bildung kein definierter Rechtsbegriff und auch in der pädagogischen Forschung beunruhigend unkonturiert. Stattdessen macht sich die vielfältige und heterogene Praxis – zumeist mit lobbyistischer Unterstützung – geltend und formt eine Einrichtungs- und Angebotslandschaft aus, die in jedem der 16 Bundesländer anders konturiert, profiliert und reglementiert ist.
Prinzipiell bedeutsam ist die (politische) Frage, ob kulturelle Bildung für alle, für viele, für einige oder für wenige da sein soll. Wer sich am Leitbild einer kulturellen Grundversorgung orientiert (leicht zu begründen, jedoch schwer umzusetzen), wird letztlich dazu tendieren, kulturelle Bildung als Element der (durch die allgemeine Schulpflicht geregelten) Allgemeinbildung zu fordern. Ein systematischer Ausbau kultureller Bildung in den Schulen ist jedoch nicht beobachtbar, eher das Gegenteil, zumindest was die Abwanderung qualifizierter Angebote aus den Stellenplänen und Stundentafeln angeht. Die PISA-Studien mit ihrer Privilegierung der "MINT"-Fächer haben hier nicht eben segensreich gewirkt. Historisch gewachsen ist eine breite Landschaft an außerschulischen Trägern, Einrichtungen und Angeboten kultureller Bildung. Deren Strukturen und Selbstverständnis unterliegen mit der Ausweitung zur Ganztagsbildung einem Paradigmenwechsel, denn projektmäßige Angebote kultureller Bildung erhalten mehr und mehr Einzug in den verlängerten Schulalltag. Generell geht es um den Wandel von der Angebots- zur Kooperationsorientierung, strukturell um die Ausweitung vom einrichtungsbezogenen zum vernetzten Bildungsangebot.
Status quo 2 – Förderzuständigkeiten
Die Finanzierung vielfältiger kultureller Bildung ist komplex, kompliziert und unübersichtlich. Wer ist überhaupt zuständig? Alle und keiner zugleich. Die programmatische Verortung von kultureller Bildung als "Querschnittsaufgabe" versucht aus der Verantwortungsnot eine Gestaltungstugend zu machen. Historisch hat sich dieser Spagat bewährt. Grundsätzlich kann ausgegangen werden von einem Koordinatensystem horizontaler und vertikaler Vernetzung, das Förderzuständigkeiten der öffentlichen Hand (Stadt, Land, Bund, EU) und inhaltlich-fachliche Ausdifferenzierung (Jugend, Bildung, Kultur sowie angrenzende Ressorts wie etwa Stadtentwicklung) zueinander in Beziehung setzt. Innerhalb dieser Koordinaten hat sich eine politisch und fachlich profilierte Landschaft freier Träger herausgebildet, die als Partnerin der öffentlichen Hand und als Moderatorin der Feldentwicklung zur Qualifizierung und Verbreiterung des Praxisfelds beiträgt.
Erste Adresse für Anfragen zur Förderzuständigkeit auf Landes- oder Bundesebene ist immer diese Trägerlandschaft, da hier viel Know-how über öffentliche Fördermittel konzentriert ist: Der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (bkj) als Bundesdachverband korrespondiert ein Netz entsprechender Landesvereinigungen (lkj), die sich in fast allen Bundesländern zum Teil seit Jahrzehnten etabliert haben. Fokus ist hier (wie der Name sagt) die (kulturelle) Kinder- und Jugendarbeit, jedoch sind alle Landesvereinigungen vernetzt mit den Dachorganisationen der Kulturarbeit (zumeist Kulturräte) und den vergleichbaren (außerschulischen) Bildungsnetzwerken auf Länderebene. Geld gibt es hier in der Regel nicht, aber zuverlässige Orientierung darüber, wo es Geld gibt.
Jugendarbeit, Kulturarbeit, Bildungsarbeit sind förderrechtlich unterschiedlich stark reglementiert. Den durchgreifendsten Gestaltungsanspruch zur Entwicklung kultureller Bildungsangebote und -einrichtungen formuliert das Kinder- und Jugendhilfegesetz des Bundes (1990, SGB VIII), dessen § 11 "kulturelle Bildung" zu den Aufgaben der Jugendarbeit rechnet und dessen § 82 den Ländern generell auferlegt, auf den angemessenen Auf- und Ausbau von "Einrichtungen und Angeboten" (der Jugendarbeit) hinzuwirken. Der Gestaltungsanspruch zielt bis in die Praxis vor Ort, also direkt in die kommunale Jugendförderplanung (Ansprechpartner ist das Jugendamt). Alle Länder sind gehalten, ihn durch Landesausführungsgesetze zum KJHG landesrechtlich zu operationalisieren, jedoch haben nur wenige (wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen 2005) zumindest Teilbereiche der kulturellen Bildung auch förderrechtlich in den Rang einer Pflichtaufgabe erhoben. Dies ist eine der Kernforderungen der Kultur-Enquête-Kommission.
Anknüpfungspunkt für Fördermöglichkeiten kultureller Bildung im Rahmen der Bildungsförderung sind zum einen die Weiterbildungsgesetze der Länder (für den Bereich der außerschulischen Erwachsenenbildung), zum anderen die (landesspezifisch höchst unterschiedlichen) Programme zur Entwicklung der Ganztagsschulen. Auf der Skala vom echten Förderprogramm (wie beispielsweise dem NRW-Landesprogramm "Kultur und Schule" oder dem regionalen Musikförderprogramm "Jedem Kind ein Instrument", beide bezeichnenderweise im Kulturressort verortet) bis hin zur sekundären Mobilisierung des Ehrenamtes gibt es hier buchstäblich nichts, was es nicht gibt.
Kulturförderung ist (fast immer) Projektförderung, nirgends ist der Rechtsanspruch so unsicher reguliert wie hier. Erste Anlaufadresse sind die kommunalen Kulturämter, die nicht nur am meisten wissen, sondern nach wie vor auf Ortsebene mit über 40% der Kulturausgaben auch am besten fördern. Regional sind die Bezirksregierungen zuständig, landesseitig die Kulturministerien, die in jüngster Zeit verstärkt Gesamtkonzepte zur kulturellen Bildung auflegen bzw. entwickeln (Beispiele: Neue Kunstkonzeption des Landes Baden-Württemberg, Rahmenkonzept Kulturelle Bildung des Landes Berlin, Kinder- und Jugendkulturland Nordrhein-Westfalen). Ob und inwieweit dieser Trend anhalten kann und wird, hängt maßgeblich ab von ordnungsrechtlichen Entscheidungen (Kommunalaufsicht) zur Aufrechterhaltung der finanziellen Handlungsfähigkeit der Kommunen.
Jugend, Bildung und Kultur sind auch die drei "Player" auf Bundesebene, die in der Regel Strukturen und Aktivitäten von bundesweiter Bedeutung fördern. Im Bereich der Jugendarbeit ist dies das Bundesjugendministerium mit dem Kinder- und Jugendförderplan des Bundes (KJP), im Bereich der Kulturförderung der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, im Bereich der Bildungsförderung das Bundesbildungsministerium. Neben den staatlichen Förderern gibt es eine Reihe halbstaatlicher oder freier Förderzugänge, von denen der Fonds Soziokultur, die Stiftung Deutsche Jugendmarke, die Aktion Mensch und das Deutsche Kinderhilfswerk besondere Aufmerksamkeit verdienen.
Förderrecht – Antragstellung
Voraussetzung für eine Förderung ist ein entscheidungsreifer Antrag. Dieser umfasst eine knappe und möglichst prägnante Projektbeschreibung (mit präzisem Bezug auf das angefragte Förderprogramm) und einen Kosten- und Finanzierungsplan. In der Regel wird ein Eigenanteil erwartet, der 30% der förderfähigen Ausgaben selten unterschreitet, mitunter jedoch durch Sachleistungen oder andere unbare Mittel (wie etwa Einsatz ehrenamtlichen Engagements) nachgewiesen werden kann. Hilfen bei der Antragstellung leisten die o.g. fachlichen Netzwerke, die Antragsadressaten (z.B. Bezirksregierungen, Landesjugendämter, Geschäftssstellen von Fonds usw.). In jedem Fall lohnt sich ein Besuch der Homepage des jeweiligen Förderers, da man dessen Ziele verstanden haben sollte, ehe man – flankierend zur Antragstellung – zum Telefonhörer greift.
Aktuelle Probleme und Herausforderungen
Der Anerkennungserfolg kultureller Bildung in Deutschland fällt zusammen mit drei bedeutsamen Zäsuren im Gesellschaftsgefüge, deren Folgen noch gar nicht absehbar sind: 1. dem demographischen Wandel mit grundlegender Umschichtung der Bevölkerungspyramide; 2. der flächendeckenden Einführung der Ganztagsbildung; 3. den Auswirkungen der Finanzkrise auf die Handlungsfähigkeit des Sozialstaats. Diese drei Veränderungen fordern Politik und Gesellschaft zu enormen Anstrengungen heraus, wenn die Infrastrukturen kultureller Bildung als Garanten qualifizierter Bildungsangebote für alle nicht bedroht werden sollen. Drei Handlungsfelder sind derzeit identifizierbar:
Die Politik (von Bund, Ländern und Gemeinden) muss darauf hinwirken, dass Kinder und Jugendliche nicht zu den Bildungsverlierern des demographischen Wandels gehören. In den PISA-Debatten wurde Bildung oft unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet – dieser Ansicht sollte etwas entgegengesetzt werden. Kulturelle Bildung ist unverzichtbar als Dimension der Persönlichkeitsentwicklung und als Zukunftsressource gesamtgesellschaftlicher Phantasie und Kreativität. Die Bildungssysteme als solche (Schule und Vorschule) sollten den demographischen Wandel und die Einführung der Ganztagsschule zum Anlass nehmen, aus inhaltlichen Gründen neue Professionen-Mischungen (Künstler/-innen, Sozialpädagogen/ -innen, Psychologen/ -innen, Lehrer/ -innen, Erzieher/ -innen usw.) und neue Wege der Teambildung anzustreben. Dies bedarf auch des Ringens um wertorientierte und bildungsichernde Vergütungsmodelle (Stichwort "Augenhöhe").
Im Zusammenhang mit der "Schuldenbremse" im Grundgesetz könnte die Finanzkrise desaströse Folgen für die Kulturfinanzierung und die Finanzierung kultureller Bildung haben. Zahllose Kommunen haben derzeit erhebliche Schwierigkeiten, dem selbstgesteckten Ziel kultureller Daseinsvorsorge nachzukommen. Eine privilegierende Schutzklausel kultureller Bildung gegenüber anderen Bereichen der kommunalen Selbstverwaltung ist vor Ort politisch schwer durchzuhalten. Um so dringlicher ist es, auf Seiten von Bund und Ländern dafür Sorge zu tragen, dass Städte und Gemeinden die weithin freiwilligen Förderverpflichtungen im Bereich kultureller Bildung den pflichtigen Aufgaben vergleichbar ausgestalten können. Hierzu gehört auch die förderrechtliche Absicherung von Infrastrukturen kultureller Bildung im Dialog mit den kommunalen Spitzenverbänden.
Von herausragender Bedeutung ist die Verortung kultureller Bildung im Ensemble öffentlicher Daseinsvorsorge. Wer darauf verzichtet, kulturelle Bildung als öffentliche Aufgabe zu definieren und zu reglementieren, gibt den (grund-)gesetzlichen Anspruch auf Chancengleichheit, Bildungsgerechtigkeit und Zugang zu gleichwertigen Lebensverhältnissen auf. Jede private Initiative im Bereich kultureller Bildung, so wünschenswert sie sein mag, kann nur ergänzende, nicht jedoch struktursichernde Funktion haben. Dies ist der Hintergrund, vor dem auch das zunehmende Stiftungsengagement in Einzelfeldern kultureller Bildung zu werten ist. Wenn private Stiftungen Projekte kultureller Bildung fördern (wie beispielsweise die Robert-Bosch-Stiftung, die Bertelsmann-Stiftung, die Deutsche Bank-Stiftung, die PwC-Stiftung oder neuerdings massiv die Stiftung Mercator), dann ist das zweifellos erfreulich. Es kann und darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Projektinitiative stets am Mangel an Strukturentwicklung partizipiert und ihrem Wesen nach befristet ist. Überdies ist Stiftungsengagement stets interessegeleitet und eigentlich nie gesamtgesellschaftlich legitimiert. Dies gilt in erhöhtem Maß – aufgrund des grundlegenden Imagetransfers – für alle Formen des Kultursponsorings (also des privaten, projektbezogenen finanziellen Engagements). Dessen Chancen liegen – bei immer noch marginaler Gesamtbedeutung im Vergleich zur öffentlichen Hand – in befristeten, meist regionalen, viel öfter lokal angesiedelten kommunikationsstrategischen Allianzen zur Komplementärfinanzierung. Je nach Dimension des Projekts liegen Risiken vor allem in (mitunter äußerst) langen Suchwegen, bis eine Zusammenarbeit zustande kommt, sowie vereinzelt auch in halbherzigen Allianzen, wenn die Schnittmengen der Interessen von Sponsor und Projekt gering sind: Kulturelle Bildung ist der Zweck, Sponsoring das Mittel dazu. Wo diese Balance kippt oder zu kippen droht, sollte man die Kosten-Nutzen-Rechnung nochmals überschlagen.
Ausblick
Kulturelle Bildung muss darauf achten, dass sie nicht zum Opfer ihres eigenen Erfolgs wird. Heute ist der Begriff in aller Munde und auch breit ressortiert. Das macht ihn attraktiv für vielerlei Begehrlichkeiten. Die Spreu vom Weizen zu trennen heißt daher, zu fokussieren auf Aktivitäten, Initiativen und Konzepte, die wirklich beim Einzelnen (vor allem Kindern und Jugendlichen) ankommen und mit und in diesen nachhaltig wirken können. Jedes Projekt möchte die gute Ausnahme von der schlechten Regel sein. Kulturelle Bildung muss für alle da sein und bleiben.
Links, die Informationen zur Finanzierung kultureller Bildung bieten, gibt es hier.