Wie ist die Idee für das Kindermuseum entstanden? Helen Bonzel hat in den Siebzigerjahren mit ihrer Familie in den USA gelebt. Mit ihren drei Kindern entdeckte sie in Boston das "Children's Museum". Ein Ort, an dem Kinder an die Themen Kunst und Kultur auf spielerische und innovative Art herangeführt werden. Daraus ist dann nach ihrer Rückkehr nach Deutschland der Wunsch entstanden: Wir wollen in Deutschland ebenfalls ein Kindermuseum gründen
War es schwierig, dieses ehrgeizige Vorhaben zu finanzieren?
Das Glück bestand darin, dass Helen Bonzel in ihrem Mann einen Mitstreiter hatte, der das Vorhaben nicht nur ideell unterstützte, sondern auch finanziell mittrug und mitträgt. Prof. Tassilo Bonzel, international anerkannter Kardiologe, hat im Rahmen seiner medizinischen Forschung 1985 einen speziellen Katheter zur Aufweitung von Koronarverengungen entwickelt, aus denen er Tantiemen erhielt. Gemeinsam beschloss das Ehepaar die Anschubfinanzierung der Kinder-Akademie Fulda aus privaten Mittel zu bestreiten, u.a. wurde aus diesen Mitteln auch das Gebäude erworben. Die Gründung erfolgte im Jahr 1991. Um weitere engagierte Menschen für dieses Projekt zu gewinnen, wurde im November desselben Jahres der Verein zur Förderung der Kinder-Akademie Fulda gegründet. Es dauerte, bis die Akademie Einnahmen erzielen konnte. Dies jedoch ist Grundlage, um überhaupt Fördermittel beantragen zu können.
Welche weiteren Hürden mussten Sie nehmen, um die Idee für eine Kinder-Akademie zu etablieren?
Als ich 1995 gefragt wurde, ob ich als Geschäftsführerin zur Kinder-Akademie nach Fulda wechseln möchte, war für mich die Idee eines Museums speziell für Kinder zunächst noch neu. Ich hatte zuvor als Kuratorin für das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden gearbeitet. Das Heranführen von Kindern an kulturelle Aspekte unseres Lebens hatte in den Siebziger- und Achtzigerjahren in der Museumspädagogik wenig Bedeutung. Nur im Historischen Museum in Frankfurt und im ethnologischen Museum in Berlin gab es explizite Kindermuseen. Bis in die Neunzigerjahre wurde die Thematik teilweise noch stiefmütterlich behandelt. Es hieß dann immer: Sobald es um Kinder und Museen geht, reicht es ja, wenn es hübsch aussieht. Die Ernsthaftigkeit, an dieses Thema mit einem gut durchdachten Konzept heranzutreten, blieb da immer auf der Strecke. Meine Kollegen aus den traditionellen Museen verstanden meinen Wechsel ins Kindermuseum anfangs nicht und sahen darin eher einem Abstieg.
Wann hat das Umdenken in der Museumspädagogik dann eingesetzt?
Die ersten Impulse in den traditionellen Museen, sich mit Kinderkultur zu beschäftigen, resultierten aus einer dramatischen Entwicklung. Die Museen litten zunehmend unter Besucherschwund. Immer weniger Menschen fühlten sich von den Ausstellungsthemen und den Präsentationsformen angesprochen. Ähnliche Erfahrungen mussten übrigens auch die Veranstalter von klassischen Konzerten und anderen Kultur-Veranstaltungen machen. Es dauerte, bis sich die Meinung durchsetzte, dass wenn Kinder die Besucher von morgen sein sollen, wir sie heute ernst nehmen müssen. Das bedeutet, dass sie frühzeitig mit kulturellen Orten wie Museen erst vertraut gemacht werden müssen. So etwas kostet natürlich Geld, aber erst nach diesem Umdenken wurde es auch in diesen neu entdeckten Bereich investiert.
Sie bieten sowohl ein Kinder-Museum als auch eine Kinder-Akademie in Fulda an. Wo liegen die Unterschiede?
Wir sind ein sogenanntes Zwei-Sparten-Haus, der Akademiebereich mit Workshops und der Museumsbereich mit Ausstellungen. Im Museum, das jährlich bis zu 50.000 Besucher zählt, finden Ausstellungen statt. In diesem Herbst ist das zum Beispiel die Kunstausstellung "Zu Besuch bei Miró" über den katalanischen Künstler Joan Miró. Schulklassen und Gruppen, aber natürlich auch Eltern können mit ihren Jungen und Mädchen diese Ausstellung besuchen. Der wichtigste Unterschied zu "normalen" Museen besteht darin, dass Ausstellungsbesuche bei uns immer eine Interaktivität beinhalten. Denn vor allem dadurch werden die sonst abstrakten kulturellen Themen im Bewusstsein der jungen Menschen verstanden und verankert.
Können Sie ein Beispiel für diese Interaktivität geben?
Nehmen Sie unser "Begehbares Herz". Auf spielerische Art lernen die Kinder damit die Anatomie des Herzens kennen. Unser "Herzstück" des Museums hat eine 36 Quadratmeter große Grundfläche und ist fünf Meter hoch. Die Besucherinnen und Besucher folgen als "rotes Blutkörperchen" dem Blutstrom durch die Herzkammern und erforschen so den Blutkreislauf. Zusätzlich hören sie ihren eigenen Herzschlag mit echten Stethoskopen ab. Sie sollen dadurch dafür sensibilisiert werden, welche Auswirkungen eine falsche Ernährung auf die Herzkranzgefäße hat. Mit älteren Kindern kann man zusätzlich das Thema Gesundheitsvorsorge behandeln. Wir wissen viel darüber, wie wir uns richtig ernähren sollen. Dennoch machen es nur die wenigsten und wenn doch, dann eher halbherzig. Hier Veränderungen zu bewirken ist eines unserer Anliegen.
Also geht damit auch eine Stärkung der Sozialkompetenz einher?
Ganz genau. Wenn die Jungen und Mädchen bereits in frühen Jahren auf spielerische Art und Weise diesen Themenkomplex kennenlernen, verstehen sie ihn besser. Vor allem kommen sie mit dieser Flut an Informationen, die ihnen später im Erwachsenenleben dazu begegnen wird, viel besser zurecht. Das ist auch für die politische Bildung von erheblichem Vorteil. Mit dieser Bandbreite und emotional-interaktiven Ansprache wollen wir das Interesse von Kindern und Jugendlichen wecken. Da die geführten Ausstellungen bereits ab der ersten Schulklasse veranstaltet werden können, ermöglichen wir so eine erfolgreiche kulturelle Bildung in jungen Jahren.
Und wie sieht es mit dem Akademiebereich aus?
Der Akademiebereich funktioniert so ähnlich wie eine Volkshochschule – nur eben für Kinder. Wir bieten verschiedene Workshops und Kurse an. Kinder und Jugendliche erhalten durch ihre Teilnahme wichtige Impulse zum Konzept des lebenslangen Lernens. In allen hessischen Ferien bieten wir als unseren Beitrag zur verbesserten Vereinbarung von Familie und Beruf einwöchige, ganztägige Workshops an, die von Experten geleitet werden. Besonders stolz sind wir auf unseren Erfinderclub, der während der Schulzeit läuft und wegen großer Nachfrage inzwischen an drei Nachmittagen der Woche stattfindet.
Um was handelt es sich dabei genau?
Die physikalisch-technischen Workshops sind ein wichtiger Bestandteil der Kinder-Akademie Fulda. Den ersten fest installierten Erfinderclub gibt es seit Herbst 1997. Die Kurse richten sich an Kinder ab acht Jahren. Die jungen "Tüftler" lernen auf spielerische Art physikalische Gesetzmäßigkeiten kennen, die sie sogleich ausprobieren können. Gefördert wird dieser Bereich übrigens durch ein Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Einen breiteren Raum nehmen bei Ihnen auch die Kunstschulen ein.
Das ist richtig. Wir sind davon überzeugt, dass kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen zählt. Mit unserem Angebot der Kunstschule laden wir Jungen und Mädchen dazu ein, ihre Fantasie und Kreativität im künstlerischen Schaffen auszuprobieren. Diese Kurse finden wie der Erfinderclub während der Schulzeit statt. Das Besondere ist, dass jährlich ein übergreifendes Thema gewählt wird, an dem alle Kurse arbeiten. In diesem Jahr beschäftigen sie sich mit dem Zusammenhang von Kunst und Literatur. Dies geschieht natürlich auch unter fachlicher Anleitung. Wir arbeiten mit Künstlern unterschiedlicher Gattungen zusammen und setzen auf deren Authentizität.
Warum legen Sie so großen Wert auf den Einsatz der Experten?
Grundsätzlich ist es ein Unterschied, ob jemand Vertreter einer Fachrichtung ist oder sich in ein Thema "nur" eingearbeitet hat. Es geht uns darum, durch die Kooperation mit Experten Horizonte zu öffnen, Kindern und Jugendlichen Einblicke in Themenbereiche zu ermöglichen die ihnen normalerweise eher verschlossen bleiben. Die Kinder und Jugendlichen sollen dadurch ein Gefühl für diese Wissensgebiete entwickeln und sich mit deren Hauptfragen beschäftigen. Dann passiert nämlich etwas in den Köpfen und Herzen der Menschen. Dadurch steigt auch der Respekt und die Ehrfurcht vor dem Vollbrachten. Man erhält so einen anderen, besseren Zugang zu dieser speziellen Welt. Nehmen Sie als Beispiel unsere Ausstellung im vergangenen Jahr mit Werken der Pop-Art. Auf den ersten Blick wirkt diese Kunst schrill und plakativ. Erst auf den zweiten Blick stellt sie sich als ein tiefgründiges und vielschichtiges Kunstwerk dar. Dies im Ansatz zu erkennen, ist eine Aufgabe, die wir im Rahmen der Workshops, der Kunstschule und der Ausstellungen erfüllen möchten.
Sie sind in erster Linie eine außerschulische Einrichtung. Wie sieht es bei der Kooperation mit Schulen aus?
Es gibt zahlreiche Schulen, die ihren Biologieunterricht beim Thema Herz an unser "Begehbares Herz", von dem ich bereits gesprochen habe, verlegen. Außerdem nutzen viele Schulen im Rahmen ihres Kunstunterrichts die Möglichkeit, unsere Kunstausstellungen zu besuchen. Das gilt verstärkt im Grundschulbereich, weil in den weiterführenden Schulen vielfach die Strukturen fehlen, wie dort eigenständig über die Schulzeiten entschieden werden kann, ohne die Lehrpläne durcheinanderzubringen. Deshalb wäre es sehr wünschenswert, wenn an weiterführenden Schulen ein Nachmittag für das "Studium Generale" eingeführt würde, der solche Freiräume ermöglicht.
Im kommenden Jahr feiert die Kinder-Akademie Fulda ihr 20-jähriges Bestehen. Was möchten Sie bis dahin noch erreicht haben?
Unsere Mäzene möchten die Kinder-Akademie Fulda in eine Stiftung umwandeln, um den langfristigen Erhalt zu sichern. Dazu sind wir im Gespräch mit potenziellen Zustiftern. Wenn wir zum 20. Geburtstag hier ein gutes Stück weitergekommen sind, wäre dies das größte Geburtstagsgeschenk.
Das Gespräch führte Online-Redakteur Marcus Pawelczyk.
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