Jugendkulturarbeit ist eine spezifische Ausprägung der offenen Jugendarbeit, die in den 1980er-Jahren ihren Ausgang nahm und seit den 1990ern insbesondere in urbanen Regionen starke Verbreitung findet. Ziel war es, die Angebote der Jugendarbeit durch profilierte künstlerisch-gestalterische Angebote attraktiver zu machen und jugendkulturellen Szenen angemessenen Raum sowie gezielte Förderung zu bieten. Aufschlussreich ist es, die Leitlinien und Hintergründe dieser vergleichsweise jungen Variante der Jugendarbeit zu betrachten.
Leitlinien
Jugendkulturarbeit orientiert sich an den Leitlinien von Jugendarbeit, die sich an alle jungen Menschen im Alter von 6 bis 27 Jahren wendet. Sie ist durch freiwillige Teilnahme gekennzeichnet und zielt auf die Entwicklung von Lebenskompetenzen, die Übernahme von Prinzipien sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung, die Förderung von Eigenverantwortung und Partizipation und auf den Ausgleich und die Vermeidung von Benachteiligungen. Kulturelle Bildung ist als Schwerpunkt von Jugendarbeit gesetzlich im SGB VIII, §11, Abs. 3 verankert: "Zu den Schwerpunkten der Jugendarbeit gehören: 1. Außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung"
Jugendkulturarbeit folgt einem Verständnis von kultureller Bildung, das selbstorganisiertes ästhetisch-gestalterisches Handeln und Lernen in Gleichaltrigengruppen mit einem starken lebensweltlichen Bezug in den Mittelpunkt rückt. Jugendkulturarbeit ist grundsätzlich zieloffen. Es gibt keine Curricula, im Gegensatz zur Schule entscheiden die Jugendlichen selbst, welche Musik sie spielen lernen und welche Ziele sie damit verfolgen, ob sie an einem kunstpädagogischen Workshop teilnehmen oder welche Themen sie in einem Theaterprojekt erarbeiten und darstellen wollen. Es gilt, im Sinne des Empowerments an die vorhandenen Ressourcen Jugendlicher, an ihre Interessen und Fähigkeiten, anzuknüpfen und diese zu stärken. Jugendkulturarbeit bedeutet Bildung zur kulturellen Teilhabe insbesondere mit Bezug auf jugendliche Lebenswelten und die jeweils aktuellen jugendkulturellen Szenen. Im Kontext szeneorientierter Jugendkulturarbeit übernehmen junge Szeneakteure selbst maßgeblich die Vermittlung künstlerisch-gestalterischer Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Geschichtliche Hintergründe: Krise der offenen Jugendarbeit
In den frühen 1980er-Jahren geriet die offene Jugendarbeit in der alten Bundesrepublik in eine Krise. Zunehmende ökonomische und soziale Probleme führten dazu, dass innerstädtische Jugendfreizeitstätten zu Sammelbecken (meist männlicher) Jugendlicher in schwierigen Lebenslagen wurden. Diese Jugendlichen reagierten auf offene Freizeitangebote der Jugendarbeit eher mit Desinteresse und nutzten die Jugendclubs als Treffpunkte ihrer Cliquen, hauptsächlich zum "Abhängen", um sich von ihren Problemen mit Familie, Schule und mangelnden Perspektiven im Erwerbsleben abzulenken. Das, was die Jugendarbeiter gelernt und zu bieten hatten, erwies sich nicht mehr als zeitgemäß und zielgruppengerecht, so mancher fühlte sich überfordert und hilflos. Und diejenigen Jugendlichen, die offene Jugendtreffs frequentierten, repräsentierten längst nicht mehr den Querschnitt der Jugendlichen, die eigentlich erreicht werden sollten.
Jugendarbeit reagierte in unterschiedlicher Weise auf diese Herausforderungen. So wurden insbesondere für Jugendliche in schwierigen Lebenslagen zielgruppengerechte, teils mobile Projekte entwickelt. Im Freizeitbereich fanden jugendkulturelle Interessen und Szenen verstärkt Beachtung, so wurden beispielsweise junge Rockmusiker gefördert und zunehmend Projekte im kreativen und künstlerischen Bereich sowie in der Berufsorientierung initiiert.
Soziokultur
Was in einzelnen Jugendclubs jeweils Pionierarbeit engagierter Mitarbeiter/-innen war, entsprach insgesamt der sich abzeichnenden Wende zu kultureller Kinder- und Jugendbildung. Diese beschränkte sich nicht auf ein auf die vermeintliche "Hochkultur" bezogenes Kulturverständnis, wie es oft in Kulturprojekten in der Tradition der musisch-ästhetischen Bildung der 1960er- und 1970er-Jahre der Fall war. In den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren kam es sowohl in der Jugendarbeit als auch in der Kulturpädagogik zu Suchbewegungen, die vor allem durch ein Umdenken in Richtung "Kultur für alle"
Soziokultur entspricht einem erweiterten Kulturbegriff. Sie umfasst die Vielfalt der Lebenswelten und Kulturpraktiken und sieht den Menschen als aktives, gestaltendes Wesen, als Subjekt seiner Verhältnisse. Mit Blick auf die Zielgruppe der Jugendlichen bedeutete dies, den Blick von ihren angeblichen Defiziten abzuwenden und stattdessen im Sinne eines Empowerments ihre Ressourcen zu stärken. Dabei auch und gerade bildungsbenachteiligte Zielgruppen zu fördern, gehört zum "kulturellen Mandat", wie es Treptow (
Jugendkulturforschung
Fachlich begründet wurde diese Zielsetzung der Jugendkulturarbeit auch von Seiten der Jugendkulturforschung. Vor allem englische Kulturforscher aus dem Umfeld des "Centre for Contemporary Cultural Studies" (
Wende
Eine Besonderheit prägte die Jugendkulturarbeit der 1990er-Jahre insbesondere in den neuen Bundesländern: Nach der Wende trafen unterschiedliche Traditionen von Jugend- und Kulturarbeit aufeinander. Staatlich kontrollierte Träger der sozialistischen Jugend- und Kulturarbeit hatten bislang die Arbeit der Freizeit- und Kulturstätten, vor allem die Angebote der Jungen Pioniere und FDJ-Jugend, dominiert. Die meisten brachen völlig weg. Für andere, ehemals oppositionelle Jugendliche, die ihre Nischen zumeist in Einrichtungen der offenen Jugendarbeit der evangelischen Kirche gefunden hatten, war die Wiedervereinigung die Zeit des Aufbruchs. Sowohl in urbanen wie auch ländlichen Regionen entstanden neue autonome und szeneorientierte Jugendprojekte. Sie hatten ihre Blütezeit in den späten 1990er-Jahren, waren allerdings stark auf Mittel des zweiten Arbeitsmarkts angewiesen und damit nicht langfristig abgesichert. Engagierten Initiatoren und Mitarbeitern fehlten berufliche Perspektiven (kaum gesicherte Stellen und oft auch fehlende Anerkennung der beruflichen Qualifizierung aus DDR-Zeiten). Vor allem kleine Projekte mit starkem Lokalbezug und eigenwilligen Profilen fielen in den letzten Jahren den Sparzwängen zum Opfer.
Träger und Profile der Jugendkulturarbeit
Seit den 1980er- und 1990er-Jahren entwickelte sich in Deutschland eine Vielzahl von Projekten der Jugendkulturarbeit, initiiert sowohl von sozialraumorientierten kleinen, freien und kommunalen Trägern als auch von großen Jugendkultureinrichtungen sowie mobilen Projekten. Die qualitative Ausprägung, die Zielgruppen und die Angebote von Jugendkulturarbeit im Einzelnen weisen eine große Bandbreite auf. Im Musiksektor reicht sie von der bloßen Bereitstellung von Bandprobenräumen und dem Angebot von Auftrittsmöglichkeiten für jugendliche Nachwuchsbands bis hin zu einer profilierten musikpädagogischen Arbeit, die sowohl niedrigschwellige Musikförderangebote in Kooperation mit Schulen als auch gezieltes Bandcoaching und Projektarbeiten wie die Erarbeitung eines eigenen Musicals beinhalten kann. Als Kernaktivitäten der Jugendkulturarbeit sind offene Aktivitäten (Freiräume für selbstbestimmtes kreatives Erproben und Gestalten), Gruppenaktivitäten, Workshops, kurz- und längerfristige Projektarbeiten, Kooperationsprojekte (derzeit vor allem mit Schulen), internationale Begegnungen sowie die Bildung von Netzwerken zu sehen. Außerdem engagieren sich Projekte der Jugendkulturarbeit in berufsorientierenden und teilweise sogar berufsqualifizierenden Maßnahmen.
Insbesondere in urbanen Regionen haben sich einige Jugendeinrichtungen als jugendkulturelle Zentren profiliert. Sie bieten unter einem Dach Angebote in verschiedenen Bereichen der kulturellen Jugendbildung wie Tanz, Theater, bildende Kunst, Musik und neue Medien und sind in ihrer lokalen Region mit Partnern wie Schulen und Trägern kulturpädagogischer Projekte vernetzt. Darüber hinaus kooperieren sie mit überregionalen bzw. internationalen Partnern. Die pädagogischen Fachkräfte werden bei der Durchführung künstlerisch-gestalterischer Angebote der Jugendarbeit unterstützt durch Partner aus der kulturpädagogischen Arbeit, seien es freischaffende Künstler/-innen und Musiker/-innen, Angebote der Jugendkunstschulen, Musikschulen und Volkshochschulen oder Weiterbildungsangebote. Überregionale Kooperations- und Trägerverbände der kulturellen Bildung wie die jeweiligen Landesvereinigungen Kulturelle Jugendbildung (LKJ) sichern den interdisziplinären fachlichen Dialog.
Szeneorientierte Jugendkulturarbeit
Szeneorientierte Jugendkulturarbeit ist in der Regel musikorientierte Arbeit. Denn Jugendkulturen orientieren sich an bestimmten Musikstilen, darüber hinaus sind "Crossover"-Varianten verbreitet. Damit verbunden sind neben musikalischen auch andere kreative Ausdrucksweisen wie spezifische Formen des Tanzes (z.B. Streetdance und Breakdance), der bildnerischen Gestaltung (z.B. Graffiti und Airbrush), des Sports (z.B. Skaten) oder der szenetypischen medialen Präsentation (z.B. Flyer). Mobile szeneorientierte Jugendkulturprojekte – Rock- und Hip-Hop-Mobile – und größere Zentren der Jugendkulturarbeit bieten sowohl in den urbanen als auch ländlichen Regionen schon seit vielen Jahren Workshops und Projekte an Jugendfreizeit-Treffpunkten, in sozialen Projekten sowie an Schulen und in berufsorientierenden und -qualifizierenden Projekten an, die sich starker Beliebtheit erfreuen.
Szeneorientierte jugendkulturelle Projekte können nur mit Unterstützung junger Szeneakteure realisiert werden, die als authentische künstlerische Anleiter unersetzlich sind. Sie gehören den lokalen Jugendszenen an und sind in ihrem jeweiligen künstlerisch-musikalischen Genre anerkannte Akteure. Oftmals haben sie sich bereits jahrelang freiwillig in der Jugendkulturarbeit engagiert. Sie werden dann als Honorarkräfte oder über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanziert, einige von ihnen jahrelang, und einige von ihnen erhalten auch eine Festanstellung. Jugendliche erleben Anleiter mit eigenem Szenehintergrund als authentische Vorbilder und alternative Modelle des Erwachsen-Seins – neben Eltern und Lehrern, die eine andere Lebenswelt präsentieren. Die jungen Szenekünstler/-innen müssen, wenn sie zugleich Anleiter und authentische Vorbilder sein wollen, solche Rollen in der ihnen eigenen Art ausprägen können – so warnt ein junger MC: "Werden Jugendkulturen erst funktionalisiert, macht sie das tot" (
Die Anwerbung und fachliche Begleitung junger Szenekünstler/-innen ist eine verantwortungsvolle und (kultur-)sensible Aufgabe, die den hauptamtlich tätigen, zumeist pädagogischen Mitarbeitern zufällt. Sie übernehmen die Rolle des Moderators, Vermittlers und Unterstützers.
Eigensinn der Jugendkulturen
Unabdingbar für die Sicherung der Nachhaltigkeit von Jugendkulturarbeit ist die Rolle des Netzwerkers, der die Anwaltschaft (
Herausforderung und Perspektive: Inter- und Transkulturalität
Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft, in der Schüler/-innen mit Migrationshintergrund immer noch geringere Bildungschancen haben (
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