Lagés Zeitdiagnose folgt der These des „Überwachungskapitalismus“. Große globale Konzerne hätten die Möglichkeit, gläserne Konsumenten zu schaffen. Es ginge ihnen darum, personenbezogen wahrscheinliche Vorhersagen darüber treffen zu können, was diese Kundin oder dieser Kunde gerne als nächstes haben möchte. Die Frage der Konzerne sei: Was will der Konsument, von dem er selbst vielleicht noch nicht weiß?
Das Glückshormon Dopamin spiele dabei eine wichtige Rolle, so Lagé von der Designagentur anschlaege.de. Dieses werde zum Beispiel bei Belohnung ausgeschüttet. Soziale Netzwerke und Unternehmen wie Google, Facebook, YouTube oder Instagram gäben den Userinnen und Usern permanent kleine Belohnung – und damit Glücksimpulse – durch Tools wie Likes, Teilen, Kommentare etc. Ihr Firmenziel bestehe darin, uns süchtig nach Dopamin zu machen, so Lagé. Unser Glück werde davon abhängig gemacht, dass fremde Menschen unser Foto schön finden; wir kämen davon nicht mehr weg. Ziel sei es, uns so lange wie möglich im Netz zu halten, um dabei so viele Daten wie möglich zu sammeln, zu nutzen, zu verkaufen und den Userinnen und Usern passgenaue Vorschläge zu machen.
Ein Effekt der extensiven Nutzung Sozialer Medien sei, dass die Aufmerksamkeitsspanne von Menschen nur noch bei 8 Sekunden liege, so Lagé. Informationen und Wissen müsse für Soziale Netzwerke in kleine Häppchen aufbereitet werden, leicht verständlich und verdaulich.
Das Wissen habe sich dadurch verändert: Die Bevölkerung, also das potenzielle Publikum von Kultureinrichtungen und Bildungsanbietern, habe insgesamt ein sehr breites Wissen, das aber nicht in die Tiefe gehe.
Ein Museum hingegen verfüge über punktuelles Wissen, das enorm in die Tiefe gehe – ein bestimmter Wissens-Ausschnitt werde sehr genau betrachtet.
Was können Museen angesichts dieser Ausgangslage tun?
Christian Lagé stellte vier mögliche Reaktionen zur Debatte:
Auch flacher und breiter werden? Diese Option würde er nicht empfehlen, da Museen somit ihre Kernkompetenz verlören.
Arbeit in kleine Dopamin-Häppchen zerlegen? Dies würde bedeuten, sich der Darstellungsweise in Sozialen Netzwerken anzupassen. Es hieße, komplett anders zu arbeiten als bisher. Beim Ausstellungsdesign sei die Arbeitsweise aktuell so, dass es am Anfang große Mengen von Material gebe, das komprimiert werden müsse und aus dem Weniges ausgewählt werde. Am Ende des Prozesses gebe es die Vermittlung, die den Besucherinnen und Besuchern Zugänge zur Ausstellung biete, Zusammenhänge herstelle und Dinge erkläre. Die neue Herangehensweise würde bedeuten, dass die Vermittlung vorneweg gehen müsste, gemeinsam mit der Gestaltung, die Wissenschaft müsste mitgehen und kleine Häppchen von Inhalten bereitstellen.
Ignorieren/Detox? Eine Option für Museen könne sein, gar nichts tun oder zu verändern, Digitalisierung nicht mitzumachen und weiterhin auf analoge Ausstellung von Original-Objekten zu setzen. Aus Sicht von Lagé sei dies vielleicht gar nicht schlecht, denn es gebe ein Bedürfnis nach Authentizität und nach „Digital Detox“, also der Abstinenz („Entgiftung“) von digitalen Medien, dem Smartphone etc.
Die Diskussion verlagern? Eine weitere Möglichkeit sei, im Museum einen Ort zu schaffen, der eine Agora ist. Dort könne persönlicher, direkter Austausch zwischen den Menschen stattfinden und sie können ihre Expertise einbringen. Museen könnten in dieser Vision ein Hort der humanistischen Gesellschaft werden, so Lagé.