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Prof. Dr. Sabine Döring, Universität Tübingen, Emotion und Argument

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In ihrem Impulsvortrag untersuchte die Philosophin Sabine Döring die Rolle von Emotionen in politischen Auseinandersetzungen.

Sabine Döring im intensiven Gespräch mit Teilnehmenden nach ihrem Vortrag zu Emotion und Argument. (© Ast/Juergens)

In ihrem Impulsvortrag untersuchte Sabine Döring, Professorin für Praktische Philosophie an der Eberhard Karls Universität in Tübingen, die Rolle von Emotionen in politischen Auseinandersetzungen. Zu Beginn wies sie das aus ihrer Sicht bestehende Vorurteil zurück, der gegenwärtige politische Diskurs werde in einem gefährlichen Maße von Emotionen dominiert.

Dagegen formulierte sie drei Einwände: Zunächst bekräftigte Döring, dass Emotionen nicht erst im gegenwärtigen politischen Diskurs, sondern bereits in der Antike starke Implikationen auf politische Auseinandersetzungen gehabt haben. Darüber hinaus erwarteten Individuen in Diskussionen mit ihrem politischen Widersacher jene Emotionen sogar und setzten sie voraus. Döring pointierte: "Was wäre Politik ohne beherztes Engagement für die Sache?" Ein Individuum, das bei einem Angriff auf seine Person und seine Nächsten nicht emotional reagiere, sei Aristoteles zufolge "moralisch defizitär". In einem dritten Einwand behauptete Döring, Emotionen seien nicht nur eine Begleiterscheinung, sondern eine wichtige Prämisse für die Formulierung und Durchsetzung politischer Ideen und Handlungen, was sich beispielsweise in dem Streben nach individuellem Glück und sozialer Anerkennung äußere.

Emotionale Diskurse sind nicht per se irrational

Döring vertrat die These, dass Emotionen für den politischen Diskurs unverzichtbar seien. Diese Emotionalisierung impliziere allerdings nicht, dass der Diskurse dadurch per se irrational werde. Im Gegenteil: Emotionen bildeten eine strukturelle Implikation für moralische Kategorien, da eine Emotion immer eine bestimmte Wertvorstellung äußere. Emotionen bewerten einen Gegenstand vor dem Hintergrund eigener Erwartungen, Interessen und Wünsche. In diesem Sinne seien sie konstitutiv für moralische Überlegungen.

Als Beispiel verwies Döring auf tierethische Überlegungen, in denen jemand, der sich für die Rechte von Nutztieren einsetze, deren Leid und Situation als emotional grausam und würdelos erlebe. Bereits die Klassifizierung der Situation von Nutztieren als Leid setze dabei eine emotionale Bewertung voraus. Der Ausdruck von Emotionen sei demzufolge auch nicht irrational, weil er sich auf konkrete Gegenstände der Wirklichkeit beziehe, die sich auf ihre Korrektheit überprüfen ließen. Ob beispielsweise der als existenzbedrohend wahrgenommene Klimawandel tatsächlich existenzbedrohend sei, ließe sich rational befragen.

Döring erklärte, Emotionen seien immer ein bestimmter Ausdruck von Bewertungen und Urteilen, die mit rein rationalen, sogenannten kalten Urteilen oftmals konfligieren. Dieser Konflikt zwischen emotionalen und rationalen Urteilen sei essentiell für das Aushandeln moralischer Positionen, weil er manchmal auch dazu führen könne, dass die emotionalen gegenüber den rein rationalen Urteilen überwiegen.

Wertbegriffe als thick concepts

Im Folgenden bezeichnete Döring die durch Emotionen zugeschriebenen Wertbegriffe als sogenannte thick concepts. Charakteristisch für solche dichten Begriffe sei, dass sie eine deskriptive und eine evaluative Komponente hätten, die unauflöslich miteinander verwoben seien. Die Schwierigkeit bei der Dekodierung solcher starken Wertbegriffe bestehe darin, dass Individuen mit ihnen moralische Überlegungen zum Ausdruck bringen, die stark auf die eigene Lebenswelt und das eigene Wertesysteme referieren. Daraus folge, dass das, was Individuen mit Emotionen beschreiben und bewerten, nicht mehr nur vom Gegenstand ab-hänge, sondern auch von der impliziten subjektiven Erwartungshaltung wie beispielsweise eigenen Prinzipien und Wünschen.

Was folgt daraus für den politischen Streit?

Ziel des politischen Diskurses müsse es Döring zufolge sein, die impliziten und durch Emotionen adressierten Wertesysteme und Hintergrundannahmen von Akteur/-innen transparent zu machen. Der politische Diskurs besitze nämlich die Eigenheit, dass er nicht nur ein Wahrheits- und Sachdiskurs, sondern zugleich auch eine Gegenüberstellung von konträren Interessen sei, in der eine Seite versucht, die jeweils andere zu überzeugen. Gestritten werde im Politischen schließlich primär nicht um Fakten, sondern um Werte und Interessen.Im politischen Streit gehöre es deshalb wesentlich dazu, auch die eigene emotionale Haltung vor dem Hintergrund eines Eingebettetseins in ein bestimmtes Wertesystem zu überprüfen.

Für einen konstruktiven Streit sei es wichtig, das eigene Wertesystem zu relativieren, indem man sich die eigene Filterblase bewusst mache. Dazu gehöre auch das Bewusstsein, dass diverse politische Akteur/-innen Emotionen strategisch evozieren, um für ihr Wertesystem und ihre Interessen zu werben. Als Beispiel nannte Döring das Schüren impliziter Angst vor Migration, das eines der Kernelemente rechtspopulistischer Argumentationsmuster bilde. Ein weiteres Beispiel sei das viral gegangene Rezo-Video, das hochprofessionell gescriptet sei und einen politischen Appell in der Form eines zielgruppenorientierten Social-Media-Marketings präsentiere. Auch hier diene das Evozieren von Emotionen nicht einem Wahrheitsdiskurs, sondern wesentlich der Artikulation von bestimmten Werten und Interessen. Zwar gebe Rezo vor, Fakten deskriptiv aufzuzählen, allerdings impliziere bereits die Form seines Videos starke moralische Wertungen.

Döring kritisierte solche politischen Argumentationen, weil sie sich als Sachdiskurse titulieren, aber in Wahrheit Wertediskurse seien. Diskursstrategisch müsse es deshalb nicht darum gehen, politische Auseinandersetzungen zu beschneiden, sondern die darin oftmals implizit artikulierten Interessen und Werte transparent zu machen, indem man die Emotionen bestimmter Akteur/-innen auf ihre Angemessen-heit und Funktion befrage.

von Niko Gäb