Was ist überhaupt verletzende, verstörende Rede und wie erkenne ich sie? Ist es möglich ethische Richtlinien für das demokratische Streiten zu formulieren, ohne mit dem hohen Gut der Meinungsfreiheit in Konflikt zu geraten?
Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Vortrags von Marie-Luisa Frick, Professorin für politische Philosophie und Ethik an der Universität Innsbruck. Zu Beginn ihres Vortrags erklärte Frick, dass man diese Problematik aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachten könne:
Zum einen können wir uns selbst als Privatperson befragen, ob eine bestimmte Sprache für uns persönlich verletzend sei. Zum anderen können wir als politisches Gemeinwesen darüber reflektieren, wie wir mit verletzender Rede umgehen wollen, die vielleicht nicht alle aber manche Mitglieder einer Gesellschaft betreffe.
Die zweite Perspektive auf verstörende Sprache sei Frick zufolge eine genuin politische und habe sowohl eine ethische als auch juristische Dimension. Bemerkenswert sei, dass die öffentliche Bewertung von verletzender Sprache in Europa, besonders in Deutschland, anders interpretiert werde als beispielsweise in den USA, wo die Meinungsfreiheit deutlich breiter verstanden werde und sogar die Leugnung der Shoa nicht zwangsläufig strafrechtliche Konsequenzen habe.
Zwischen Reflex und Reflexion
Frick bezog diesen Unterschied auf die Political Correctness-Debatte, die sowohl in Europa als auch in den USA derzeit kontrovers geführt werde. Political Correctness könne nur in Kontexten entstehen, in denen rechtlich viel erlaubt sei. Frick erklärte: "Wenn ich rechtlich alles sagen darf, muss ich vielleicht um so eher darüber nachdenken, warum ich nicht alles sagen sollte." Damit wurde deutlich, dass neben der öffentlichen Bewertung von verletzender Sprache in liberalen Gesellschaften auch ein Ausdruck von individueller Souveränität mitschwinge; also die Frage, wie ich persönlich mit Sprache umgehe.
Frick pointierte: "Ich bestimme selbst wie ich mit verletzender, verstörender, irritierender Rede umgehe. Ich bin mir meiner selbst auch sicher, warum mich etwas stört und warum ich wie darauf reagiere." Dieser Akt der Selbstbestimmung werde Frick zufolge dadurch erschwert, dass wir auf verletzende Sprache meist mit Reflexen – also mit emotionaler Empörung – reagieren. Warum ist das problematisch?
Frick verwies auf das Werk "Hatespeech"
Frick erklärte: "Wir drehen Begriffe dann nicht mehr um." Für die Reflexion über Sprache und das Verständnis ihrer politischen und sozialen Implikationen, sei es nötig Abstand – in diesem Fall von verletzender Rede – zu gewinnen. Für den souveränen Umgang mit verstörender Sprache sei Distanz ganz essentiell. Als Strategie nannte Frick die Frage: "Warum verwendet diese Person diesen Begriff?" Bevor ich mich also fragen könne, warum mich ein bestimmter Begriff verletzt, sei Frick zufolge zentral sich zu fragen aus welcher Position mein Gegenüber einen bestimmten Begriff verwende und was er damit bezwecken wolle. Während sprachliche Reflexe der rhetorischen Schlagfertigkeit dienen, erfolge die Reflexion über Sprache meist erst später.
Reflexion als philosophische Grundkompetenz
Am Beispiel Battle-Rap zeigte Frick, dass zur Reflexion über Sprache auch die Frage nach der argumentativen Begründung einer Äußerung gehöre. Wichtig sei es, den Schritt zurück zu gehen.
Frick zufolge werde dies in der Auseinandersetzung mit Gangsta-Rap deutlich, in der die Reflexion auch soziale Milieufragen und das Eingebettetsein in historische Kontexte miteinbeziehen müsse: So sei Rap in seinen US-amerikanischen Anfängen, aber auch als Teil der migrantischen Jugendkultur in Deutschland, ein Mittel für junge Männer, sich Gehör zu verschaffen sowie eine Möglichkeit in einer abgehängten Gesellschaftsschicht Status zu erlangen.
All diese Faktoren ließen sich Frick zufolge jedoch nur begreifen, wenn verletzende oder irritierende Rede distanziert betrachtet und nicht nur mit emotionalen Reflexen begegnet werde. Reflexion sei eine philosophische Grundkompetenz, die man trainieren müsse.
Agonaler Umgang mit Sprache
Zum Abschluss ihres Vortrags resümierte Frick gemeinsam mit den Teilnehmenden wesentliche Grundkompetenzen für den souveränen Umgang mit Sprache anhand verschiedener Beispiele aus dem Kreis der Teilnehmenden.
Frick betonte, dass es für eine souveräne Reflexion über verletzende Sprache essentiell sei, emotionale Triggermomente
Frick kritisierte in diesem Zusammenhang ein deliberatives Demokratieverständnis, wie es unter anderem Jürgen Habermas formuliert, weil gesellschaftliche Teilhabe maßgeblich durch das reflektierte Austragen von Konflikten bestimmt sei.
von Niko Gäb