Zum Auftakt der Tagung verhandelten Hannes Loh, der sich seit 30 Jahren mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Deutschrap beschäftigt und heute als Lehrer arbeitet, und Stephan Versin, der als Philosophie- und Geschichtslehrer tätig ist, den Zusammengang von pädagogischen Streitformen und dem subkulturellen Phänomen Gangsta-Rap.
In ihrer Diskussion, die performativ als Streitgespräch konzipiert war, machten Loh und Versin anhand verschiedener Beispiele rassistische, sexistische und verletzende Rede im Rap sichtbar, um sie gemeinsam mit den Teilnehmenden zu reflektieren. Am Beispiel eines provokanten Videos des Frankfurter Rap-Künstlers Haftbefehl
Gemeinsam mit den Teilnehmenden diskutieren Loh und Versin, bis zu welchem Punkt Gangsta-Rap sich noch im Feld der künstlerischen Freiheit bewege und ab wann Rap-Musik als gewaltverherrlichende Handlungsanweisung agiere. Die Teilnehmenden waren sich dabei weitegehend einig, dass in dem Moment in dem Jugendliche ohnehin mit dem subkulturellen Phänomen Rap konfrontiert seien, die pädagogische Reflexion darüber auch im Unterricht stattfinden müsse.
"Wir müssen darüber reden, wie Berliner Mädels sich die Kunst erobern."
Anhand eines weiteren Videos des weiblichen Berliner Rap-Duos SXTN
Gefahr der Reproduktion diskriminierender Narrative
Anhand weiterer Videos aus dem sogenannten Battle-Rap-Genre, in denen Rapper/-innen sich teilweise mit offen rassistischen und antisemitischen Äußerungen verbal angreifen, grif-fen die Referenten das Tagungsthema auf. Loh verdeutlichte, dass rassistische und antisemi-tische Äußerungen im Rap nur funktionieren, weil Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft bereits offen zutage treten. Ziel der pädagogischen Arbeit sei es deshalb, Schüler/-innen für die Gefahr der Reproduktion von menschenverachtenden Narrative zu sensibilisieren. Loh und Versin zufolge gebe es durchaus Tabubrüche in Rap-Texten; insbesondere, wenn diese mit dem demokratischen Grundkonsens grundsätzlich konfligieren. Diese roten Linien gelte es transparent zu machen, indem man nicht über, sondern mit den Jugendlichen spreche.
Den Referenten zufolge sei dabei jedoch zu beachten, dass im Rap die Form über dem Inhalt stehe. Versin brachte diese Herausforderung für Pädagog/-innen und Lehrkräfte auf den Punkt: "Was ist aber, wenn der mit den menschenverachtenden Texten der bessere Rapper ist?" Nach Meinungen der Teilnehmenden stoße die Reflexion im Unterricht über das Format Battle-Rap hier auf einen kritischen Punkt.
Kontroversität statt Konsens
Zum Abschluss der gemeinsamen Diskussion einigten sich die Referenten und Teilnehmenden auf Potenziale, die die Reflexion über Rap im Unterricht haben könne:
Aus einem philosophischen Blickwinkel sei klar, dass Sprache Bewusstsein forme und die Diskussion über Rap eine Möglichkeit sein könne, Schüler/-innen dafür zu sensibilisieren. Die Reflexion über Jugendkultur diene hier der Begriffsschärfung und Kennzeichnung von verletzender, rassistischer und antisemitischer Rede. Außerdem produziere die Auseinandersetzung mit Rap-Texten Kontroversität und Widerspruch statt Konsens, was – wie der weitere Verlauf der Tagung deutlich machte – für eine Demokratie prinzipiell erstrebenswert ist. Darüber hinaus bekräftigte Loh, dass die pädagogische Bearbeitung von Jugendkultur im Unterricht das Potenzial bürge, Bezugspunkte zur historischen und kulturellen Bildung zu finden. Als Beispiel nannte er eine Diskussion mit seinem Geschichtsleistungskurs, in der er gemeinsam mit den Schüler/-innen antisemitische Videos des Rap-Künstlers Kollegah diskutierte, um Beziehungen zur NS-Symbolik sichtbar zu machen und in das Unterrichtsthema Nationalsozialismus und Shoa einzuführen.
In diesem Zusammenhang wiesen die Referenten darauf hin, dass es für die kritische Bearbeitung und Reflexion von Phänomenen der Rap-Kultur im Unterricht kein Patentrezept gebe: Als Prüfstein zur Verwendung eines Rap-Videos im Unterricht müsse die didaktische Frage gestellt werden, ob das gezeigte Video antisemitische und rassistische Äußerungen aufgreife, mit denen die Schüler/-innen ohnehin bereits konfrontiert seien oder ob durch die Thematisierung solcher exkludierender Narrative antisemitische und rassistische Sprache unter den Schüler/-innen erst gefestigt und normalisiert werde.
Loh erklärte zudem, dass es für eine gelungene pädagogische Reflexion unabdingbar sei, mit einem Schüler oder einer Schülerin, der/die aufgrund phänotypischer Merkmale von Diskriminierung betroffen (markiert) sein könnte, vorher abzusprechen, ob die Thematisierung eines brisanten Rap-Videos in Ordnung sei.
Als Schlussplädoyer insistierten Loh und Versin, mit Gangsta-Rap müsse sich beschäftigt werden, weil er Teil einer milieuübergreifenden Jugendkultur sei. Dazu gehöre aber auch eine selbstkritische Perspektive: Nicht nur Pädagog/-innen, sondern die gesamte ältere Generation müsse sich die Frage stellen: "Was haben wir [Jugendlichen] für eine Gesellschaft gegeben, dass sie sich da ihren Kick holen?"
von Niko Gäb