Am Mittag des 5. Juni stand das Spannungsverhältnis von Markt und Moral im Mittelpunkt einer KLASSE DENKEN Veranstaltung. Jürgen Wiebicke eröffnete die Veranstaltung indem er die Schülerinnen und Schüler nach ihrer Einschätzung der Wichtigkeit von Geld befragte. Eine Schülerin äußerte, dass Geld zwar wichtig sei, jedoch weniger wichtig als z.B. Freunde und Familie. Daran anknüpfend konnten die Schüler/innen äußern, ob sie gerne reich wären. Ihre Antworten variierten zwischen der Ansicht, dass Reichtum wünschenswert sei und der Überlegung, dass das Leben durch Reichtum "fake“ werde. Etwas allgemeiner schien für viele klar zu sein, dass die Sphäre der Freundschaft von monetären Einflüssen bereinigt gehöre.
Die Philosophin Susanne Boshammer nahm dies als Impuls um in die Diskussion einzusteigen: Lottogewinner/innen werde empfohlen, nur wenige Menschen über ihren Gewinn zu informieren, da ansonsten die Gefahr bestehe, dass er oder sie nur noch als Mittel zum Zweck wahrgenommen werde. Bezüglich des Geldes überwiege in der Öffentlichkeit die Auffassung, dass "mehr“ davon immer besser sei. dieser Überlegung nahm sie als Impuls für ein Gedankenexperiment: In dem von dem US-amerikanischen Philosophen Thomas Nagel erdachten Fall soll die Erde aus Blickwinkel eines Außerirdischen betrachtet werden, der keinerlei Kenntnisse über menschliche Begebenheiten hat. Wie würde er die Bedeutung des Geldes für die Erdbewohner/innen einschätzen? Die Schülerinnen und Schüler erdachten sehr unterschiedliche Reaktionen. Ihre Antworten reichten von der Einschätzung, dass Geld als Grundlage oder Freiheitsgarant gesehen werden könnte, bis hin zu Ekel gegenüber dem Geldsystem. Eine Abstimmung zeigte, dass beide Meinungen recht ausgeglichen verteilt waren. Boshammer referierte, Nagel sei der Ansicht, dass es nach außen nicht so wirke, als diene Geld lediglich der Grundsicherung. Auch verdeutliche sich der in Gesprächen meist vermittelte Eindruck einer sehr hohen Wichtigkeit von Freunden und Familie nicht durch Blick von außen. Schließlich würden die meisten Menschen mehr Zeit für den Gelderwerb aufbringen, als es für die Befriedigung der Grundbedürfnisse nötig ist. Der Kontakt zu Freunden und Familie stehe dahinter ebenfalls zurück.
Eingeführt als neutrales Tauschmittel werde Geld benötigt, da der reine Warentausch schnell an Mobilitätsgrenzen stoße. Gleichzeitig werde dadurch natürlich auch die Potenzierung von Reichtum durch Besitz möglich (wie es sich beispielsweise in Zinsen oder Erbschaften niederschlägt). In modernen Gesellschaften bedeute Geld jedoch auch Freiheit, weshalb mit einer finanziellen Ungleichverteilung auch eine Ungleichverteilung von Freiheit(en) einhergehe. Um die Frage wie viel Ungleichheit zumutbar ist, entspann sich eine Diskussion der Schülerinnen und Schüler. Dabei sahen sie das Problem einerseits im mangelnden Arbeitswillen mancher Menschen, während sie andererseits hervorhoben, dass es ein Maximum gebe, wie viel jemand gerechter Weise verdienen kann. Entgegen des Versprechens der Leistungsgesellschaft sei Entlohnung nicht wirklich relational zu Leistung.
Daran anknüpfend führte Boshammer die rawls'sche 'Lotterie der Natur' ein, die auf die unterschiedlichen Begabungen und Fähigkeiten abhebt, die den einzelnen Akteuren in eine Gesellschaft zur Verfügung stehen (sei es in intellektueller wie auch körperlicher Hinsicht). Geld könnte nun diesbezüglich als Mittel des Ausgleichs dienen. Die Schüler/innen postulierte in Bezug auf diese Überlegungen allerdings eine relative Gleichheit. Alle Menschen würden gleich starten, jedoch durch externe Faktoren (z.B. durch gute oder schlechte Bildung) unterstützt oder behindert. Eine Gesellschaft müsse die Leistungen der Menschen entsprechend ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten entsprechend unterstützen und gerecht entlohnen. Wobei auch argumentiert wurde, dass Akteure mit der richtigen Motivation alle Ungleichheit aus sich heraus ausgleichen könnten.
Motiviert durch die Meldung einer Schülerin stellt Boshammer die Überlegungen des US-amerikanischen und kommunitaristisch orientierten Philosophen Michael Sandel vor. Dieser fordere, dass es eine geschützte Sphäre in der Gesellschaft geben müsse, die dem Geld entzogen sei (als Beispiele wären die Verfügung über Wasser, Wählerstimmen, Kinder oder Lebenszeit zu nennen). Jürgen Wiebicke konstatierte daran anschließend, dass sich der Einflussbereich des Geldes jedoch tendenziell ausweite. Daraufhin diskutierten die Teilnehmer/innen, ob mit der Käuflichkeit auch eine Minderung des Wertes von Gesten, Lebensformen und Phänomenen einhergehe. Darüber reflektierend wurde ausgeführt, dass Geld auch 'normale' soziale Situationen verändere. Offensichtlich sei jedoch unser Umgang damit entscheidend und weniger das Geld an-sich. Obwohl Geld für uns zentral sei, bliebe das Sprechen darüber schwierig. Geld scheint schon länger kein reines neutrales Tauschmittel mehr zu sein, sondern ist emotional stark aufgeladen. Intuitiv schien es dem Publikum klar zu sein, dass es Dinge gebe, die nicht in der Verfügungsgewalt des Geldes stehen sollten. Beispielhaft wurde auf die Sphäre der Gefühle verwiesen.
von Simon Clemens