"Deutschland und Amerika sind durch Werte verbunden: Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung. Auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an", mit diesem Zitat der Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Jahre 2017 stieg Sommer in seinen Vortrag ein. Im Zuge der Debatte, ob es sich hierbei um ein gutes Angebot handle, werde selten diskutiert, warum überhaupt von Werten gesprochen werde. Die Rede von Werten sei allgegenwärtig, was sich etwa bei Frau Merkel oder im allgemeinen politischen Diskurs zeige.
Für die Begrifflichkeit 'Werte' nennt Sommer zwei Verwendungsarten. Entweder man nutze sie inklusorisch (z.B. bei 'Europa der Werte') oder exklusorisch (z.B. beim Rekurs auf unsere Werte als Mittel der Abgrenzung zu 'den Anderen'). Betrachte man die von der Kanzlerin genannten Werte etwas genauer, stelle sich heraus, dass das, was Werte in ihrer Substanz ausmacht, nur schwer zu konkretisieren sei. Demokratie müsse doch viel eher als Staatsform bezeichnet werden, deren Wertigkeit von Staat zu Staat divergiere. Respekt scheine eher eine Haltung zu sein, sowie Freiheit ein Zustand.
Eine "säkulare Wertereligion"
Nichtsdestotweniger liege unserer Gesellschaft eine "säkulare Wertereligion" zugrunde. Es werde suggeriert, dass Werte als letztes Bollwerk gegen den Untergang der Gesellschaft fungieren. Es grassiere die Vorstellung, dass es "Werte irgendwie geben muss", deren Konkretisierung allerdings nicht möglich ist. Die besagte Wertereligion fuße in erster Linie auf Sprechhandlungen, was jedoch kein Beweis für die Existenz der Selbigen sei. Offenkundig hätten Werte einen anderen Status als physische Gegenstände, wie Schuhe etc.. Aber auch mentale Gegenstände scheinen von anderer Qualität zu sein: so sind Zahlen klar, eindeutig und distinkt; Werte scheinen diese Eigenschaften nicht zu haben. Die Werterede fuße schließlich auf einer pluralen und nicht totalitären Vorstellung. Der exklusive Anspruch des 'Gut-Seins' in den verschiedenen Ideologien habe für eine Neutralisierung oder auch "Werternüchterung" gesorgt. Werte seien eine Frage des Konsenses. Gesellschaft könne sich die Werte geben, die sie haben möchte. Er stellte fest, dass es Werte nur als "kommunikative Realität" gebe.
Allgemein sei eine "Wertversteinerung" in Form von fest stehenden, unverrückbaren Werten, wie sie vielfach gefordert werden, nicht einmal wünschenswert, da sich Wertvorstellungen je nach Kontext oder Zeitalter ändern. Als Beispiel könne man die christlichen Werte anführen, die eigentlich den Verzicht auf ein sicheres 'Dach über dem Kopf' beinhalten müssten.
Trotzdem empfinden viele Menschen das unklare Verhältnis der Werte als beängstigend, was etwa durch die Rufe nach einer Leitkultur deutlich werde. Die Vielfalt des menschlichen Daseins bzw. die Ausdifferenzierung der Lebensbereiche führe zwangsläufig zur Vervielfältigung der Wertorientierung. Es gelte dies als Chance zu verstehen, da dies die Zentrifugalkraft der Diversifikation sei. So liege etwa dem Populismus, der zurück ins 'Kleine' wolle, eine Begrenzung der Werte zugrunde.
Relativismus
Werte relativieren sich also durch Kontext oder Perspektive. Im Rahmen der Tagung stehe etwa der Wert der Redefreiheit im Vordergrund, während auf dem abendlichen Heimweg möglicherweise die Sicherheit eine größere Rolle spiele. In dieser Hinsicht werden die präferierten Werte auch bei Schüler/innen und Lehrer/innen divergieren. Es solle versucht werden, dies in einen fruchtbaren Konflikt zu wenden. Sommer endete mit dem Plädoyer, es mit der Relativität und Pluralität der Werte zu probieren. Im Interview mit der Redaktion sagte er, dass wir nicht die Verfügungsmacht über Werte hätten. Der hier vertretene Relativismus verstehe sich weiterhin nicht als eine Haltung der Gleichgültigkeit, sondern beschäftige sich damit wie die Beziehungen zwischen den Werten zu gewichten sind. Schließlich sei "alles, was ist, in Beziehungen insofern, dass es ist" und müsse immer im Hinblick auf die Perspektive betrachtet werden.
von Simon Clemens