Was ist Demokratie? In seiner Zwischenmoderation verwies Jürgen Wiebicke darauf, dass Demokratie mehr sei als eine Regierungstechnik für Politikprofis. Nida-Rümelin näherte sich dieser Frage zunächst in der Form einer Darstellung dreier grundlegender Politikverständnisse.
Als erstes könne Politik als die Artikulation einer kollektiven Identität verstanden werden. Eine Gemeinschaft versichere sich ihrer in Form von Handlungen – z.B. sichtbar in Nationalhymnen. Die verheerende Rolle dieses Verständnisses lasse sich leicht anhand der Geschichte der Nationalstaaten nachzeichnen. Politik verstanden als das Antagonistische, sprich Freund-Feind-Beziehungen, etwa bei Marx oder Karl Schmitt, wurde als zweites Politikverständnis genannt. Hier liege das Problem in der starken Reduktion, die nur noch diesen (unzureichenden bzw. unterkomplexen) Dualismus kenne. Zuletzt nannte er das Verständnis der Politik als Partizipation. Politik könne erst dann als solche identifiziert werden, wenn Menschen an ihr partizipieren – wobei auch die Identifikation mit einem System als Partizipation verstanden wird.
Was ist Demokratie?
Bezüglich der Demokratie seien zwei Auffassungen derzeit vorherrschend: Auf der einen Seite Demokratie als Spiel/Aushandlungsmodus der Interessen (etwa von Lobbygruppen etc.) und auf der anderen Seite ein demokratischer Modus des kollektiven Akteurs – demokratische Entscheidungen als Mehrheitsentscheidungen. Ist die erstere Auffassung dominant, zersetze sich die Basis der Demokratie, wie es z.B. in den USA derzeit zu beobachten ist. Zweitere übersehe, dass es für Demokratie unerlässlich ist "individuelle Autorschaft" zu gewährleisten. Grundfreiheiten bzw. individuelle Rechte müssten staatlich garantiert sein. Es liege demnach also ein Pluralismus von Politik- und Demokratieverständnissen vor.
In einem Durchgang durch die Europäische Geschichte konstatierte Nida-Rümelin, dass insbesondere die idealisierte griechische Demokratie und der dreißigjährige (Glaubens-)Krieg, der die Menschen an den Rand der Selbstvernichtung trieb, die Säulen unseres heutigen Demokratieverständnisses bildeten. Nida-Rümelin führte an dieser Stelle sein Verständnis bzw. Konzept der Lebensform in der Bestimmung des Verhältnisses von Demokratie und Lebensform ein. Zunächst hob er die Privatisierung des Religiösen in den Vordergrund. Die Distanz von Religion und Politik sei eine Frage der Lebensform. Weiter betonte er die Trennung der privaten und öffentlichen Sphäre, da ein Rechtfertigungszwang über jede private Begebenheit zwangsweise zu totalitärer Politik führe. Der Verlust der Privatsphäre sorge dafür, dass diejenigen, die dann noch bereit für eine Karriere im Politikbetrieb sind, ausgehöhlte und weniger vertrauenswürdige Gestalten seien.
Die Demokratie in einem republikanischen Sinne zu leben und wieder mit Substanz zu füllen, ist für Nida-Rümelin die einzige Möglichkeit, die Demokratie zu retten.
Demokratie als Kooperation
Die individuelle Autorenschaft, die für die Demokratie essenziell sei, finde sich in der Vorstellung von Demokratie als Kooperation. Hierfür müssten Interessen ernst- und wahrgenommen werden, um eine kooperative Praxis zu bilden. Er führte aus, dass niemand wirklich der Meinung sei, man könne bei einer Wahl individuelle Interessen durchsetzen. Man erbringe, dadurch dass man sich informiere und mit dem Akt der Wahl an sich, einen Anteil an der Stabilität der Demokratie. Dies sei als kooperativer Akt zu werten. Auch sei Konsens wichtiger als Mehrheit, da die Minderheit sich nicht durch den alleinigen Fakt der Mehrheit deren Position anschließe. Zudem sei dieses Konzept anschlussfähig an den globalen normativen Konsens der Menschenrechte. So könne man weiter sagen, dass Demokratie Menschenrechte gewährleisten müsse und hierin auf die Zivilgesellschaft angewiesen sei. Im Gespräch mit der Redaktion der bpb sagte Nida-Rümelin, dass es zu dem hier skizzierten Demokratieverständnis keine Alternativen gebe. Kooperation sei also die Basis jedweden bürgerlichen Engagements. Er formulierte zwei Forderungen: einerseits die Aktivierung der Demokratie von innen und andererseits die Schaffung eines politischen Rahmens jenseits des Nationalstaats. Für ersteres solle man insbesondere auch die neuen digitalen Möglichkeiten nutzen und mehr Partizipationsmöglichkeiten schaffen, eine Forderungen deren Wert für Demokratie als Lebensform augenscheinlich ist.
Spiegelung
Im Anschluss an Nida-Rümelin machten Mühlenberg und Guntermann mit Hilfe des Publikums die Ergebnisse für den Schulalltag fruchtbar. Wie steht es um die Demokratie in der Schule? Es wurde betont, dass es keine wirklichen demokratischen Strukturen in der Schule gebe. Es solle eruiert werden, wo es Möglichkeiten für die Mitbestimmung in Schulen gibt bzw. wo diese gestärkt werden könnten. Das demokratische Handeln der Schülerinnen und Schüler in der Schule sei ein Probehandeln für die Demokratie. Der Erfolg solcher Partizipation (z.B. in Form von Schulräten) hänge davon ab, wie es mit Leben gefüllt würde. Außerdem wurden die Beschleunigungsprozesse und der fehlende Freiraum problematisiert.
von Simon Clemens