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Expertenworkshop 1: "Moralische Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen und die Rolle der Philosophie" | Fachtagung "Philosophie für Kinder und Jugendliche als Zukunftsaufgabe für die demokratische Gesellschaft" | bpb.de

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Expertenworkshop 1: "Moralische Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen und die Rolle der Philosophie" Prof. Dr. Detlef Horster

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Prof. Dr. Detlef Horster (© Rainer Surrey)

Der Vortrag von Detlef Horster beschäftigte sich zunächst mit der Frage, ob bei Kindern - vor dem Spracherwerb - von Morallernen gesprochen werden könne. Die Entwicklungspsychologie postuliert dies schon länger. Da sich das Gedächtnis allerdings erst später entwickelt, konnte bisher keine Überprüfung vollzogen werden. Nun ließe sich dies allerdings im Rahmen von Experimenten überprüfen. Z.B. maß man den Rhythmus des Saugens von Kleinkindern an Schnullern. Bei einem bestimmten Rhythmus ließ man Tonbandaufnahmen der Mutter abspielen, bei einem Anderen, die einer anderen Person. Es zeigte sich, dass das Kind seinen Rhythmus immer auf den mit der Mutter verbundenen abstimmte.

Welche Ergebnisse wurden für die moralische Entwicklung erzielt? In früheren Zeiten wurde ein Kind, das seine Genitalien explorierte, unter Zwang daran gehindert. Neuere Befunde zeigen, dass ein Kind die Unerwünschtheit seines Verhaltens bereits an den Gesichtszügen seiner Eltern erkennen kann. Die moralischen Regeln werden also in dieser Form bereits früh vermittelt, das Kind orientiert sich hierbei an der Moralauffassung der Bezugsperson. Horsters Befunde haben ergeben, dass Kleinkinder zwischen dem fünften und siebten Monat auf Stimmungen zu reagieren beginnen. Ab dem neunten Monat kann man von einem wirklichen Affektverständnis sprechen. Der Psychoanalytiker Daniel Stern spricht ab dem zweiten bis dritten Monat von der Entwicklung eines Kernselbst. Dies beinhalte die Entdeckung des ‚Anderen‘, das Baby kann nun Absichten/Affekte in Erinnerung halten, es entsteht eine neue Qualität von Intersubjektivität. Das subjektive Selbst bilde sich zwischen dem siebten und neunten Monat aus. Ab diesem Punkt könne das Kind Gefühlszustände erkennen und auch, ob es mit ihnen übereinstimme. Abschließend entstehe zwischen dem 15. und 18. Monat das verbale Selbst.

Prof. Dr. Detlef Horster

Prof. Dr. Detlef Horster, 1942 in Krefeld geboren und in Kempen am Niederrhein aufgewachsen; nach Drogisten- und Photographenlehre Chemielaborant; 1966 Abitur am Erzbischöflichen Friedrich-Spee-Kolleg in Neuß; Studium an der Albertus Magnus-Universität in Köln und an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/M.; 1973 erstes Juristisches Staatsexamen am OLG in Düsseldorf; 1976 Promotion zum Dr. phil. im Fach Soziologie; 1979 Habilitation mit der venia legendi für "Sozialphilosophie"; mit Unterbrechungen durch Gastprofessuren u. a. in der Schweiz und in Südafrika von 1984 bis 2007 Professor für Sozialphilosophie an der Leibniz Universität in Hannover.

Das moralische Lernen ist spätestens, so Horster, zwischen dem siebten und neunten Monat zu verorten. Das Baby nimmt "haargenau" wahr, welche Zustände für die Mutter bedeutend waren – es hat die Kompetenz die ‚wahre‘ Botschaft zu entschlüsseln. Somit kann es genau erkennen welche subjektiven Erlebnisse als erlaubt und nicht erlaubt gelten.

Doch wie wird aus diesem Empfinden eine allgemeine Regel? Berger und Luckmann konstatieren, dass ein Kind dieses Gefühl des Unerlaubten von verschiedenen Bezugspersonen erfahren müsse, damit einzelne Normen den Charakter allgemeiner Regeln bekämen.

Es lässt sich sehr eindeutig zeigen, dass Kinder sehr klar zwischen Normen, die zu allen Zeiten und in allen Kulturen eine unbedingte Gültigkeit besitzen und z.B. Regeln der Klugheit unterscheiden können. Allerdings befolgen sie sie oft nicht.
Scheinbar erlangen Kinder erst durch Gewöhnung eine moralische Haltung. Es scheint als würde im Lebensverlauf das hedonistische Interesse der Kinder abnehmen. Dies lässt sich gut an dem folgenden Beispiel verdeutlichen: Kindern wurde dieser Konflikt dargelegt: "Florian und Thomas sind im Garderobenraum des Kindergartens, ziehen ihre Anoraks aus. Thomas zieht eine kleine Tüte gebrannter Mandeln aus der Anoraktasche, hält sie hoch und sagt: Schau mal, die hat mir meine Tante mitgebracht. Florian isst gebrannte Mandeln furchtbar gern. Später kommt er allein wieder durch den Garderobenraum. Florian geht zu Thomas Kleiderhaken, holt die Tüte aus dem Anorak heraus und isst den Inhalt ganz auf. Dann geht er wieder in den Gruppenraum. Niemand hat ihn gesehen. Gleich darauf gehen die Kinder zum Spielen nach draußen. Thomas zieht seinen Anorak an und bemerkt, dass die Mandeln weg sind. Da ist Thomas traurig." Die Kinder wurden nun gefragt, ob Florian die Mandeln nehmen dürfe. In der Längsschnittstudie verneinen 96% dies. Die Vierjährigen sagen in der Querschnittsstudie mehrheitlich (75%): "Ja, der fühlt sich klasse. Weißt Du, die Mandeln schmecken so toll." Diese Einstellung verändert sich im Laufe der Entwicklung. Mit fünf Jahren sagen das nur noch 55%. Mit sechs Jahren sind es 40% und mit acht Jahren ist es nur noch eine Minderheit (10%), die so ungebrochen sagt "Der fühlt sich klasse"."
Die Ergebnisse zeigen, dass das Lernen von moralischen Regeln ein Prozess ist, ein Prozess, der sich in der Sozialisation unmerklich vollzieht.

Simon Clemens

Fussnoten