Dieter Birnbacher stellte das sokratische Gespräch als praktische Methode zum Philosophieren mit Kindern vor. Dieser ‚Klassiker‘ der Philosophie fördere das eigenständige Nachdenken und Reflektieren. Als Mittel diene ihm die Provokation. Des Weiteren überprüfe das Gespräch Selbstverständlichkeiten, die aus dem Zeitgeist und den persönlichen Überzeugungen entstammen. Sokrates betont insbesondere den moralischen Aspekt der Philosophie: Seine Ethik ist bestimmt durch das Streben nach der Eudaimonia (Glückseligkeit). Diese ließe sich nur durch das ‚gute Leben‘ erreichen, welches durch Selbsterforschung und das Hinterfragen des eigenen Selbst geprägt sei.
Offensichtlich steht diese Methodik in einer alten Tradition. Allerding wurde sie, im Verlauf der Zeit, von verschiedensten Pädagog/innen und Autor/innen weiterentwickelt. Doch trotz der dadurch entstandenen Diversität an Theorien, seien drei Gemeinsamkeiten zentral. Als erstes, nennt Birnbacher die Aufforderung des Gegenübers zur selbstständigen Beantwortung bzw. Bearbeitung von philosophischen Fragen, durch die eigene Anschauung.
Zweitens stünden auch die Bemühungen, die zur Klärung von Gedanken und Fragen führen sollen, im Mittelpunkt.
Als drittes führt er die Beschränkung der Aufgabe des Gesprächsleitenden auf die sog. Hebammenkunst an. Der durch Sokrates geprägte Begriff der Hebammenkunst beschreibt eine Tätigkeit, die Gedanken und Einsichten zur Geburt, als vorläufige Wahrheit, verhilft. Die Analogie erschließt sich in Gänze, wenn aufgezeigt wird, dass eine Geburt nicht ganz schmerzfrei, möglicherweise langwierig und mühsam ist, jedoch bei allen Beteiligten erhebliche Befriedigung über das Resultat auslöst.
Die Besonderheit der sokratischen Methode liegt darin, dass sie vom Einzelnen ausgeht und sich nicht in Abstraktionen bewegt. Ziel ist es, das Allgemeine aus dem Einzelnen zu erschließen. Die Kunst daran sei, nicht Philosophie zu lehren, sondern Schüler/innen zu Philosoph/innen zu machen und sie das Philosophieren zu lehren. Vor allem die neo-sokratische Methode lege die Hebammenaufgabe nicht mehr alleine dem Lehrer, oder der Lehrerin, auf. Diese moderne Theorie sucht diese erforderliche Qualität bei jedem Einzelnen und bezieht sie auf alle. Das Gespräch ist also ein Polilog und kein Dialog. Diese Demokratisierung des sokratischen Gesprächs sei gegensätzlich zu Sokrates (wie Platon ihn schildert) zu verorten. Schließlich wird er in den platonischen Dialogen als jemand beschrieben, der Anderen über den Mund fährt und ohnehin alles ‚besser weiß‘. Im modernen sokratischen Gespräch allerdings, sollen alle gleichberechtigt sein und sich partnerschaftlich und kooperativ beteiligen. Der Gesprächsleitende hat dabei die Aufgabe, ein Gleichgewicht zwischen den Teilnehmenden herzustellen, also auch die Langsameren mitzunehmen und nicht zu verschrecken.
Prof. Dr. Dieter Birnbacher
Dieter Birnbacher, Prof. Dr. Dr. h. c., Studium der Philosophie, Anglistik und Allgemeinen Sprachwissenschaft in Düsseldorf, Cambridge und Hamburg; Promotion 1973, Habilitation 1988. Von 1993 bis 1996 Professor für Philosophie an der Universität Dortmund, von 1996 bis 2012 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Arbeitsschwerpunkte Ethik, Angewandte Ethik, Anthropologie. Vorsitzender der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer, Vizepräsident der Schopenhauer-Gesellschaft e. V., Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben e. V., Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina/Nationale Akademie der Wissenschaften.
Buchveröffentlichungen: Die Logik der Kriterien. Analysen zur Spätphilosophie Wittgensteins. Hamburg 1974. Verantwortung für zukünftige Generationen. Stuttgart 1988 (frz. 1994, poln. 1999). Tun und Unterlassen. Stuttgart 1995 (Neuaufl. 2015). Analytische Einführung in die Ethik. Berlin 2003 (3. Aufl. 2013). Bioethik zwischen Natur und Interesse. Frankfurt am Main 2006. Natürlichkeit. Berlin 2006 (engl. 2014). Schopenhauer. Stuttgart 2009 (niederl. 2010). Negative Kausalität (zus. mit David Hommen). Berlin 2012.
Als letztes weist Birnbacher auf drei zentrale Regeln hin:
Erstens die Nichtdirektivität der Gesprächsleitung: Die Leitung soll so wenig wie möglich eigene Impulse/Gedanken einbringen. Denn das Gespräch soll einen passenden (?) Rahmen bilden, sowie eine offene Atmosphäre schaffen, der die Gruppe ermuntern und anreizen soll, sich dem Thema mit der gebotenen Konsequenz zu widmen.
Als zweite Regel nennt er die verbindliche Einführung der Praxis eines Meta-Gespräches: In diesem ‚Gespräch über das Gespräch‘ sollen zum Beispiel Verlauf und Gesprächsführung diskutiert sowie Kritik und Lösungsansätze formuliert werden.
Drittens solle die Themenauswahl in der Gruppe geschehen und nicht vorgegeben werden. Denn dadurch würde eine emotionale/affektive Dynamik gefördert. In der Praxis werden Gespräche allerdings häufig mit Thema angekündigt. Darüber hinaus betonte er, dass für sokratische Gespräche außerhalb der Schule eine Mischung der Altersgruppen durchaus empfehlenswert sei, da so verschiedene Lebenserfahrungen vorliegen und das Gespräch bereichern. Diese Form des Gesprächs zeige auf, dass Philosophie lebendig sein könne und nichts von ‚Begriffsklauberei‘ an sich hätte.
Lina Averhoff