Das Ende der Mode?
Die Modeforscherin Prof. Dr. Gertrud Lehnert (Universität Potsdam) eröffnete die Tagung mit kritischen Betrachtungen des Modesystems. Sie bemerke ein langsames Bröckeln einer hartnäckigen Illusion, dass es immer so weitergehen könne. Grundprinzipien der Mode wie auch des Kapitalismus seien unaufhörliche Produktion und rasche Entsorgung des Überflüssigen. Das System funktioniere längst nur noch auf Kosten von Menschen und der Umwelt. Zugleich werde paradoxerweise stets die grenzenlose Freiheit des Einzelnen und die Demokratie selbst beschworen – gelten würden diese jedoch nur für die Menschen in den westlichen Industrieländern.
Verschiedene Akteure versuchten sich in anderen, ethisch korrekteren Wegen der Modeproduktion. Unter "Slow Fashion" fasste Lehnert verschiedene Bereiche zusammen, die etwa ökologische, soziale, faire oder vegane Aspekte in den Vordergrund stellten. Wenn zentrale Charakteristika von Mode Geschwindigkeit und ständiger Wechsel seien, könne man bei Slow Fashion möglicherweise vom Gegenteil der Mode sprechen.
Lehnert beobachtet eine Tendenz, dass Design und Qualität in der Fast Fashion ersetzt würden durch die Idee der Neuheit und durch Glanz, der über Celebrities vermittelt werde. Der scheinbare Glanz der Mode verschleiere jedoch ihre Herkunft. Im Modesystem würden Suchtstrukturen befördert, so Lehnert. Die Konsumentinnen hätten sich an den ständigen Nachschub gewöhnt und die Industrie bediene die Bedürfnisse. Appelle an Gewissen und Ratio funktionierten bei einer Sucht jedoch nicht. Wenn Slow Fashion mehr Menschen erreichen und nicht nur ein Trend unter vielen bleiben wolle, müsse sie mit den Marketing-Strategien der Fast Fashion arbeiten: erstrebenswerte Lifestyles anbieten, das Design stärker betonen und ebenfalls auf Celebrities setzen. Sie hoffe, dass Slow Fashion kein Trend sei, sondern dem Zeitgeist entspreche, wie Miriam Wolf im Ausstellungskatalog "Fast Fashion" konstatiere, so Lehnert.
(Mode-)Konsum und Moral
Der Konsumforscher Prof. Dr. Kai-Uwe Hellmann (TU Berlin) verdeutlichte, wie Konsum alle Lebensbereiche durchzieht. Er zeichnete eine Geschichte des Konsums nach, die darin mündet, dass der moderne Konsum weitgehend autonom und auf sich selbst bezogen sei. Konsum sei hochbedeutsam für die eigene Identität und eine Art soziales Medium, das die Kommunikation erleichtere durch das Ermöglichen der Einordnung von Fremden. Zentral für den Konsum sei eine Erlebnisorientierung.
Mode ist für Hellmann eine Sonderform von Konsum, die sehr stark mit Zugehörigkeit, Inklusion und Integration zu tun habe. Die Zeitdimension spiele bei Moden eine wichtige Rolle. Mode könne als Makro-Phänomen begriffen werden, das zu einer ständigen Differenzierung der Menschen führe. Mode erfasse Menschen ebenso wie Moral und jede Mode besitze ihre eigene Moral, so Hellmann. Kritisch sieht er die sogenannten Lohas (Life of health and sustainibility), die insgesamt eine verhältnismäßig kleine Gruppe seien, sich aber eine Vorbildfunktion mit Nachahmungseffekt anmaßten. Er sieht hier die Gefahr einer Bevormundung anderer. Man solle Konsumenten/-innen in ihren Möglichkeiten (finanziell, nach Bildungsstand) gerechter werden. Das Problem Fast Fashion ist für Hellmann ein Systemproblem.
Consumer Social Responsibility
Carolin Tewes (Forschungsstelle für allgemeine und textile Marktwirtschaft der Uni Münster) stellte in ihrem Vortrag die soziale Verantwortung der Konsumentinnen und Konsumenten im Textilbereich in den Mittelpunkt. Das Phänomen Fast Fashion beinhalte einen übersättigten Bekleidungsmarkt, Kleidung als Wegwerfware und einen Verlust des Sinns für Qualität. Tewes stellte anhand einiger Folien wirtschaftliche Entwicklungen von Bekleidungshandelskonzernen vor. Sie sprach von einem Teufelskreis. Neue Kollektionen in den Filialen würden von neuen Trends von den Laufstegen überholt, die wiederum schnell nachvollzogen würden, damit die Verbraucher regelmäßig kauften. Große Ketten hätten bis zu 100 neue Styles pro Woche in ihren Filialen, man könne von 52 Micro-Kollektionen jährlich sprechen. Während traditionelle Produktionsabläufe für Bekleidung sich über ein knappes Jahr hinzögen, würde Fast Fashion es in nur 3-4 Monaten vom Entwurf bis in die Filiale schaffen. Die Verbraucher hätten sich an die Realität angepasst und kauften häufig und viel. Dabei stehe nicht die Qualität im Vordergrund, sondern der Preis. Somit verursachten Verbraucher den Prozess der Variation der Mode durch Nachfrage und Lebensstil selbst, so Tewes. Modetrends verbreiteten sich weltweit über Internet und Social Media sehr schnell. Ein populäres Phänomen seien Youtube-Videos, in denen Jugendliche sich und ihre "Billigschätze" nach Einkaufstouren präsentierten. Heute sei viermal mehr Kleidung in Umlauf als noch 1980, so Tewes. In Deutschland allein würden jährlich 100 Mio. Jeans gekauft. Zwar geben die Deutschen heute monatlich weniger Geld für Kleidung aus, kauften aber mehr Kleidungsstücke. Die Gewinne von Fast Fashion Produzenten stiegen, andere Unternehmen müssten bereits Filialen schließen. Als Handlungsalternativen nannte Tewes die Änderung des Kaufverhaltens (bei Slow bzw. Green Fashion Produzenten kaufen, weniger kaufen), Kleidertauschringe, oder Kleidung zu pflegen und zu reparieren. Verantwortungsbewusste Verbraucher könnten treibende Kraft für nachhaltige Entwicklungen im Modebereich sein, so Tewes.
Ursachen und Konsequenzen von Fast Fashion
Im Podiumsgespräch betonte Prof. Lehnert, dass zwar das Modesystem schon früh auf Wechsel gesetzt habe, dass jedoch technologische und soziale Entwicklungen Ende der 1980er-Jahre dazu geführt hätten, dass nun der Konsum selbst im Vordergrund stehe. In den letzten zehn bis 15 Jahren habe sich dies nochmal beschleunigt. Prof. Hellmann bestätigt dies und bemerkt, dass die Takte und Zyklen in der Mode, aber auch bei technischen Erfindungen etc. sich verkürzt hätten.
Auf die Frage, ob es sinnvoll sei, Änderungen im System Mode voranzubringen, oder ob man weiter denken und das System insgesamt in Frage stellen müsse, antwortete Prof. Lehnert, dass Mode sich in vielen Handlungen materialisiere. Änderungen im Modesystem könnten nicht alles ändern, aber ein Anfang und ein entscheidender Faktor sein. Prof. Hellmann sieht Kapitalismus als Ausdruck eines größeren Vorgangs. Er hielte es für müßig, nur bei der Mode einzugreifen, da alle gesellschaftlichen Prozesse miteinander vernetzt seien. Es sei nicht möglich, in die Evolution einzugreifen, so Hellmann. Dem widersprach Prof. Lehnert, die der Ansicht war, dass Menschen widerständig handeln und Veränderungen herbeiführen könnten. Aus dem Publikum kamen mehrere Wortmeldungen, die parallel zum Fast Fashion Phänomen eine Sehnsucht bestimmter Verbrauchergruppen nach Langlebigkeit und Qualität feststellten – der Erfolg der Firma Manufaktum sei dafür ein Zeichen. Allerdings werde hier auch ein Gefühl von Nostalgie mit verkauft. Prof. Lehnert bestätigte dies. Mode funktioniere nicht über handwerklichen Wert, sondern über Zuschreibungen. Mode sei eine Wunschmaschine, so Lehnert.
Slow Fashion. Ethischer Wandel in der Modeindustrie
Am Nachmittag hatten die Tagungsteilnehmenden die Möglichkeit, zwischen drei parallel stattfindenden Angeboten zu wählen: 1. Führungen durch die Ausstellung Fast Fashion und Gespräch mit der Kuratorin [verlinken mit www.dhmd.de/index.php?id=2629], 2. Slow-Fashion-Tour: Begleiteter Rundgang zu Slow-Fashion-Produzenten in Dresden [verlinken mit Bericht], 3. Expertentalk mit der Slow Fashion Designerin und Textilforscherin Annette Schützenmeister.
Der Ethical Turn in der Mode
Die Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Elke Gaugele (Akademie der Bildenden Künste Wien) beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit der Frage, ob die "Ethical Fashion" den Zeitgeist widerspiegelt. Sie konstatierte einen Wettbewerb von Designern/-innen und Labels um ethische Themen. Seit den 1980er-Jahren habe es Kritik an der Modeindustrie wegen der Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit der Produkte und der Produktion gegeben, Öko-Mode sei damals eine Art Anti-Mode gewesen. Seit 1990 sei eine ethische Wende, vor allem bei kleineren Labels, feststellbar unter den Titeln social fashion, eco fashion, oder sweatshop-free fashion. Seit 2000 könne man von Ethical Fashion sprechen, die zumeist ökologische Mode meine, die unter fairen Bedingungen hergestellt werde. Im Rahmen der großen Modewochen in Paris, Berlin oder London gebe es seit einigen Jahren Veranstaltungen mit ethischer Mode. Verschiedene Labels gründeten Stiftungen oder schlössen sich Kampagnen für faire Produktionsbedingungen an, die "ethische Glaubenssätze mit religiösen Untertönen" verbreiteten, so Gaugele.
Es habe zudem eine Wende in der Politik der Vereinten Nationen gegeben. Man habe ethische Textilien, Mode und Luxusgüter als Pazifizierungs- und Entwicklungsstrategie entdeckt. Im Rahmen der Ethical Fashion Initiative (Externer Link: http://ethicalfashioninitiative.org/) bringe man unter dem Motto "Not Charity. Just Work." Kunsthandwerker/-innen aus Entwicklungsländern mit der internationalen Modeindustrie zusammen. Ziel sei es, dass sie unter fairen Bedingungen arbeiten können. Gaugele führte als Beispiel und Gesicht der Kampagne die Designerin Vivienne Westwood an, die sich selbst den Status der Weltverbesserin gegeben habe.
Man könne sagen, dass "die Nähmaschinen das ethische Kapital der Modeindustrie" produzierten, so Gaugele. Die UN hätten mit ihrer Strategie an langjährige Forderungen von NGOs angeknüpft, dabei jedoch eng mit der Wirtschaft kooperiert. Mit der postkolonialen Theoretikerin Gayatri Spivak könne man hier von "kulturellem Relativismus und Absolutismus in Bestform" sprechen. Gaugele stellte die These auf, der Kapitalismus brauche die Globalisierungsgegner. Die Firmen nutzten die Werte der NGOs, um sich durch Kooperationen und Kampagnen ein sozial und ökologisch verantwortungsbewusstes Image zu geben. Zwar seien nicht alle Firmen und Labels über einen Kamm zu scheren, doch recht häufig hätten ethische Kampagnen einen eher illustrativen Charakter, der vor allem darauf abziele, das Image des Unternehmens aufzuwerten.
Chancen und Grenzen Ethischen Konsums
Dana Giesecke (Stiftung FUTURZWEI) zeichnete die Kulturgeschichte der Jeans von einer Arbeitshose für Goldgräber bis hin zum heutigen Modeobjekt minderer Qualität nach. Sie hatte eine alte Jeans mitgebracht, die sie im Berliner Veränderungsatelier "Bis es mir vom Leibe fällt" (Externer Link: www.lisad.com/bisesmirvomleibefaellt) hatte reparieren lassen. In dem Atelier würden Kleidungsstücke repariert, verschönert, umgestaltet und zu etwas Einzigartigem gemacht. Dabei gehe es auch darum, eine Beziehung zu alten oder geerbten Kleidungsstücken aufzubauen, statt einfach etwas Neues zu kaufen. Dieses sei eines von vielen guten Beispielen, wie man konstruktiv und mit guten Ideen dem Fast Fashion-Trend entgegenwirken könne. Die Stiftung FUTURZWEI sammele solche guten Beispiele von Pionieren einer nachhaltigen Lebensweise, von "Projekten, die für die Zukunft taugen könnten". Dana Giesecke plädierte dafür, dass alle Menschen insgesamt weniger konsumieren sollten. Ökologisch korrekt einkaufen reiche nicht aus, man dürfe auch mal die große Systemkritik wagen.
Der Konsumforscher Prof. Dr. Dominik Schrage (TU Dresden) sagte, Verbraucher/-innen machten in Akten des Konsum die größten Freiheitserfahrungen: Man könne etwas auswählen, zahlen und dann gehen und dabei vielleicht auch mal unverantwortlich sein. Er sprach von einer "Demokratisierung des Konsums". Konsum erbringe auch wichtige Leistungen in der Gesellschaft, etwa in der Entwicklung von Individuen. Das Differenzsystem der Mode konfrontiere Menschen mit der Möglichkeit, dass es Unterschiede und verschiedene Lebensweisen gebe. Schrage riet davon ab, die Menschen als Konsumenten anzusprechen, wenn man an ihr Verantwortungsbewusstsein appellieren wolle. Man müsse sie dann eher in ihrer Rolle als Eltern, Staatsbürger/-in, Wissenschaftler/-in o.ä. ansprechen.
Prof. Dr. Jörn Lamla (Universität Kassel) erläuterte sein Konzept der "Verbraucherdemokratie". Es ginge dabei nicht darum, dass die Verbraucher/-innen ihr Portemonnaie zur Abstimmung nutzen und dem Markt Regeln diktieren könnten. Es sei eher ein analytisches Konzept. Lamla fragt, wie eine Demokratie aussehen müsste, die die Folgeprobleme der Konsumgesellschaft revidiere. Er war der Ansicht, dass Änderungen im Konsumverhalten durchaus Veränderungspotenzial besäßen. Slow-Fashion-Produzenten könnten so etwas wie Labore sein, in denen erforscht werde, wie Produktion und Konsum anders aussehen könnten. Demokratie entwickle sich weiter durch einen kollektiven Forschungsprozess, bei dem die Konsumierenden eine wichtige Rolle spielten. Man müsse jedoch mit moralischen Appellen vorsichtig sein.
Lamla fragte nach Möglichkeiten rechtlicher Regulierungen des Marktes. Er meinte, die Politik müsse bei den Wertschöpfungsketten ansetzen, bei den verschiedenen Akteuren seien Veränderungen möglich. Er bedauerte, dass Konsumverzicht immer mit Knappheit assoziiert werde und schlug eine positivere Betrachtungsweise vor. Man könne etwa von einem Zugewinn an Zeit, Gerechtigkeit, Solidarität und Freude am gemeinsamen Produzieren sprechen. Dana Giesecke merkte in der abschließenden Diskussion an, dass Politik nicht restriktiv sein müsse. Sie könne auch Anreize schaffen und etwa mit Steuerbegünstigungen Unternehmen belohnen, die gerechtere und transparente Preise schüfen, die auch die sozialen und ökologischen Kosten einrechneten. Sie sagte, dass gesellschaftlicher Wandel nicht von heute auf morgen passiere, dass es auch anstrengend und zäh sein könne, doch sie ermunterte alle Anwesenden, "heiter weiter" zu machen. Prof. Lamla betonte, wie wichtig es sei, Probleme zu erkennen und zu analysieren, um dann gemeinsam nach neuen Regulierungsformen, Strukturen und Routinen zu suchen. Prof. Gaugele wünschte sich, dass mehr Menschen "Zeit verschwenden, um Routinen zu verändern – und auch das selbst Produzieren nicht verlernen". Prof. Schrage warnte davor, den Schwarzen Peter ausschließlich den Konsumenten zuzuschieben und riet, sehr vorsichtig mit dem Moral-Begriff umzugehen.
Abschluss der Tagung mit Theater und Modenschau
Am Abend waren die Teilnehmenden eingeladen, das Theaterstück "Songs of the T-Shirt" der freien Theatergruppe Flinntheater (Kassel/Berlin) anzusehen. In dem auf eigenen Recherchen in der Textilindustrie in Bangladesch basierten Stück geht es um "das dunkle Herz" der Modewelt. Näherinnen, Fabrikbesitzer und Fashion Victims kamen zu Wort und beleuchteten Licht- und Schattenseiten der globalisierten Modeindustrie.
Im Anschluss daran fand im Museumsfoyer eine Modenschau in Kooperation mit dem Fachbereich Modedesign der Fachhochschule Dresden statt. Studierende präsentierten ihre Ideen und Entwürfe zum Thema Mode für "die Welt von morgen".