Zum Verhältnis von Mode, Ideologie und Nachfrage in kommunistischen Diktaturen
Anna Pelka
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Der Beitrag thematisiert die Entwicklung der Jugendmode in der DDR und in der Volksrepublik Polen und erläutert ihre Ausprägung unter den ideologischen und wirtschaftlichen Bedingungen des "real existierenden Sozialismus". Welche Funktion hatte Mode für die Regime, welche für die Gesellschaft?
Modeforscher und Soziologen sind sich einig: Ein Kleidungsverhalten kann als Mode bezeichnet werden, wenn es von sehr vielen oder mindestens von mehreren zur gleichen Zeit getragen wird. Ein Individuum kann zwar als Innovator eine modische Neuerung einführen, diese wird jedoch erst zur Mode, wenn sie von einer relativ großen Zahl an Individuen übernommen wird. Neben diesen sozialen und zeitlichen Aspekten charakterisiert sich Mode zusätzlich durch eine Kurzlebigkeit der einzelnen Modeausprägung beziehungsweise durch eine Schnelligkeit des Modewandels: Von Mode kann nur gesprochen werden, wenn nicht nur etwas Neues kommt, sondern wenn dieses Neue dann relativ schnell wieder verschwindet. Diese Aspekte der Mode sind am stärksten im Bereich der Jugendmode vertreten, weil Jugendlichen unseres Kulturkreises Kleidung ausschließlich in Form von Mode begegnet.
Um diese Bedingungen erfüllen zu können, braucht die Ausbildung von Mode zum einen die "Freiheit des Machens und Tragens", zum anderen die wirtschaftlichen Kapazitäten, um dem schnellen Wechsel gerecht zu werden. Darüber hinaus wird das Phänomen der Mode als ein zentraler Bestandteil demokratischer Gesellschaften angesehen und durch den ökonomischen Zusammenhang mit dem Kapitalismus verbunden. Ein so verstandener Modebegriff provoziert eine Reihe von Fragen nach dem Verhältnis von Mode und Diktatur, insbesondere in kommunistischen Diktaturen, in denen der Alltag vom politischen und wirtschaftlichen System des "real existierenden Sozialismus" geprägt wurde. Wie konnte sich Mode in einem zentral gesteuerten Staat entwickeln? Welche Funktion hatte sie für das Regime, welche für die Gesellschaft? Welche Vorbilder wurden propagiert und welche alternative Praxis im Modeverhalten war möglich? Diese Fragen werde ich im Folgenden am Beispiel der Jugendmode in der DDR und in Polen thematisieren.
Uniformierung kontra Individualismus – Bekleidungsstil kontra Mode
In beiden kommunistischen Ländern war die Jugendpolitik von Anfang an darauf ausgerichtet, die junge Generation im Sinne des Marxismus-Leninismus zu formen. Das Ziel war, einen "neuen Menschen" zu gestalten, die Jugendlichen gezielt zu ideologisieren und Parteimitglieder zu rekrutieren. Die Uniformierung der Jugend, die der Vielfalt der Mode – aus westlicher Sicht ihre natürliche Eigenschaft – widersprach, sollte die gewünschte Identität stiften. Die polnischen Ideologen schrieben der Schuluniform "eine sozial-erzieherische Rolle" zu. Sie sei "ein visuelles Zeichen der Jugend", die, "den guten Weg in Richtung der Eroberung der gesellschaftlichen Position gewählt habe". Die Uniformierung sollte demnach die Jugend verbinden und das Gefühl der Solidarität, der Einheit und der Gleichheit vermitteln. In der DDR schrieben Ideologen einer gezielt entwickelten Jugendkleidung ebenfalls eine identitätsstiftende Rolle zu und erkannten in ihr zugleich einen effektiven Weg, "eine sozialistische Persönlichkeit zu entwickeln, Jugendliche zu einer hohen Leistungsbereitschaft für die Gesellschaft zu stimulieren".
Kollektive Identität sollte demnach nicht über den Weg einer individuell gewählten Mode entwickelt werden, sondern wurde vielmehr staatlicherseits vorgegeben. Dementsprechend sollte auch das Modeschaffen zentral gesteuert werden, indem Voraussetzungen, Mittel und Grundlagen von der Partei bestimmt wurden. Diesem Ziel folgend wurden bereits Anfang der 1950er Jahre in den Hauptstädten beider Länder Modeinstitute gegründet ("Institut für Bekleidungskultur" in Ost-Berlin sowie "Institut für Industrielle Formgestaltung" in Warschau). Sie entwickelten innerhalb von zwei Jahren Musterkollektionen, die in staatlichen Industriebetrieben produziert und später im staatlichen Handel verkauft werden sollten. Dabei ging das Ost-Berliner "Institut für Bekleidungskultur" in seinen theoretischen Überlegungen weiter als sein polnisches Pendant. Die DDR-Ideologen verstanden den traditionellen Modebegriff als ein "Relikt einer bürgerlichen Massenkultur" und ersetzten ihn durch den Terminus "Bekleidungskultur", der nicht nur Modeschaffung, sondern ebenfalls die "Erziehung zu gutem Geschmack" umfasste.
Der Feind kleidet sich amerikanisch
Die polnischen Erziehungsideologen behaupteten, dass "eine extravagante Kleidungsform zur Bildung eines schlechten ästhetischen Geschmacks oder sogar zum Verderben des Charakters der Jugend führen konnte". Im Kontext des Kalten Krieges und des ideologischen Kampfes gegen den Westen verkündete auch Ost-Berlin, dass die sozialistische Mode "frei von Einflüssen der amerikanischen Unkultur" sein sollte.
Nun kollidierten diese Vorstellungen bereits in den 1950er Jahren mit dem Drang der Jugend nach Distinktion. Vorwiegend in den Städten bildeten sich Jugendgruppen, die einen eigenen Lebens- und Kleidungsstil bevorzugten. Die "Halbstarken" in der DDR und die bikiniarze in Polen waren fasziniert von Jazzmusik, die sie illegal über westliche Radiosender hörten, und kleideten sich dementsprechend im – nach ihren Vorstellungen – amerikanischen Stil: Jeans und Lederjacken, Schuhe mit dicken Sohlen, enge Hosen, selbstbemalte, bunte Krawatten wie auch buntgestreifte Socken und charakteristisch geschnittene Entenschwanz-Frisuren gehörten zu diesem Stil. Es bildete sich eine Modestilistik aus einer Mischung von Kleidungstücken, die auf illegalem Weg in den Osten gelangten, sei es in Paketen mit humanitärer Hilfe oder von Westverwandten, sei es auf den Schwarzmärkten oder im Westen des noch nicht geteilten Berlin gekauft oder selbst gebastelt. Von der Obrigkeit wurde diese Begeisterung für die westliche Popkultur als Ausdruck einer Anti-Haltung gegen das System angesehen. So gekleidete Jugendliche wurden als "Rowdies", das heißt "randalierende Jugend", bezeichnet, wobei in den 1950er Jahren unter "Rowdies" meist noch das männliche Geschlecht verstanden wurde. Aus Sicht der Machthaber war das "Rowdytum" Ausdruck von Disziplinlosigkeit, die einerseits die Jugendlichen von den Problemen des sozialistischen Aufbaus fernhielt, andererseits ihre bewusste gesellschaftliche Arbeit stoppte. Die jugendlichen Cliquen, die an den Ecken standen, rauchten, tanzten oder Musik hörten und auffällig angezogen waren, wurden schikaniert und von der Schule oder Arbeit verwiesen.
Dennoch führten gerade in Polen die hysterischen Reaktionen des Regimes auf die Kleidungsweise der Jugendlichen, die dem westlichen, insbesondere amerikanischen Stil folgten, dazu, dass bikiniarze in einigen intellektuellen Kreisen nicht nur als Symbol der Unabhängigkeit und des Nonkonformismus auf der Suche nach einem eigenen Stil, sondern sogar eines offenen ideologischen Kampfes angesehen wurden. Ihre gestreiften Socken wurden von dem Schriftsteller Leopold Tyrmand als "eine Kampflinie" und "ein Grund für die Entstehung des Wutschaums auf den Lippen der kommunistischen Pädagogen" bezeichnet. Er selber verstand sich als Feind jeglichen Kollektivismus, der Uniformierung und administrativer Vorschriften, und trug deshalb bunt gestreifte Socken, die er auf den Schwarzmärkten kaufte. Diese Socken wurden in einigen Kreisen zum Manifest und zum Zeichen der Zugehörigkeit zum westlichen Kulturkreis. Jedes Detail modischer Kleidung, durch das man die Zugehörigkeit Polens zu Europa betonte, diente als eine Waffe gegen die vorgeschriebene Sowjetisierung. Deshalb wurde, so Tyrmand, "die Art und Weise sich zu kleiden zu einer Form des Widerstandes".
Mode als Instrument ideologischen Wettstreits im Kalten Krieg
Die Strategien der Jugendpolitik und – damit verbunden – die Stellung der Partei gegenüber der westlichen Massenkultur veränderten sich, nachdem der Generalsekretär der sowjetischen kommunistischen Partei Nikita Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 mit der "Entstalinisierung" begann und es dadurch zum politischen Tauwetter im gesamtem Ostblock kam. Der neue Parteisekretär in Polen, Władysław Gomułka, versprach eine neue, der Sowjetunion gegenüber selbstständigere und der Bevölkerung gegenüber weniger repressive Politik. Diese sorgte für Freiräume im Bereich der Kunst und Kultur, darunter ebenfalls in der Mode.
Neben einem umfangreichen Unterhaltungsprogramm (Kino, Fernsehen, Kabarett) entwickelte sich schon 1960 die Jugendmode zu einem eigenständigen Teil des Kaufhaussortiments. 1961 begann die Jeansproduktion. Die Jugendmode prägten vor allem Modedesigner, die mit staatlichen Kleidungsbetrieben zusammenarbeiteten, jung waren, deshalb die Wünsche der Jugend besser verstanden und schneller mit neuen Ideen zur Hand waren. Dabei ließen sie sich ungehemmt von westlichen Modephänomenen inspirieren: Die Pariser Haute Couture- und Prêt-à-porter-Schauen galten als modische Vorbilder. Rasch setzte sich infolgedessen die Mini-Mode durch, die von der westlichen Pop-Bewegung inspiriert war.
Die Faszination für die Beatles beeinflusste weltweit die jugendliche Mode, von der Kleidung über Accessoires bis hin zu Frisuren. Auch in Polen ließen sich Jungen die Haare wachsen. Diese "visuelle Feminisierung" sorgte für Konflikte mit der Elterngeneration, Politikern und katholischer Kirche. Frauen und Mädchen, die die seit Mitte der 1960er Jahre modischen Frauenhosen trugen, schlug ebenso Abneigung und Abwehr entgegen. Hosen konnten zwar in Freizeit und Urlaub unbegrenzt getragen werden, waren aber in der Schule und auf der Straße verboten (erst seit den 1970er Jahren durften Mädchen in der Schule Hosen tragen). Beide modischen Phänomene, sehr beliebt unter den Jugendlichen, zerstörten die traditionelle Vorstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit und wurden deshalb weitgehend von den Erwachsenen abgelehnt.
Dennoch eröffnete Mode, gemeinsam mit bildender Kunst und Popkultur, unter Gomułka Freiräume – allerdings spielten hier auch politisch-strategische Überlegungen eine Rolle. Die internationalen Erfolge polnischer Designer im westlichen Ausland sollten die Staatspolitik legitimieren und Polen international als modernes und kulturreiches Land präsentieren. Durch die Jugendmodeproduktion hoffte die Obrigkeit einerseits den Verkauf auf den Schwarzmärkten zu beenden und damit die Staatsökonomie zu fördern, andererseits sich die Loyalität der jungen Generation zu sichern. Dies befreite jedoch die Mode nicht ganz von politischen Parolen: "Alles, was sich gegen den Sozialismus richtet, sowie jede Form der Unterordnung der bürgerlichen Ideologie, widerspricht den polnisch-nationalen Interessen und dem Patriotismus." Diese Rede Gomułkas von 1963 zog eine verstärkte Hinwendung zu polnischer Volkskultur in der Formgestaltung nach sich. Die Idee war, die Modekollektionen nach westlichen Mustern zu konzipieren und mit Elementen der polnischen Folklore zu verknüpfen. Zudem konnten die Jugendlichen der eigenen Mode treu bleiben, solange sie nicht gegen die Interessen der Partei handelten. Die Toleranz gegenüber einigen Modeerscheinungen endete, sobald sich die Jugendlichen politisch nicht mehr loyal verhielten. Nach den März-Ereignissen 1968, die die "kleine Stabilisation" endgültig beendeten, gerieten insbesondere Jeanshosen in Verbindung mit Jacken und Hosen im Uniformstil sowie längere Haare bei Jungen ins Visier der Staatssicherheit. Dieser, von französischen Studenten inspirierte Kleidungsstil wurde Bestandteil der Dissidentenästhetik, die ihren Höhenpunkt in der Solidarność-Bewegung der 1980er Jahre haben würde.
Während die Jugendlichen in Polen einen zwar limitierten, aber dennoch freien Raum für Mode und Kleidung nutzen konnten, verschlechterte sich die Situation in der DDR nach der kurzen Liberalisierungsperiode ab 1953 durch den Mauerbau im August 1961 wesentlich. Die geschlossene Staatsgrenze sollte die negative westliche Beeinflussung einerseits und die Ausreisewellen der DDR-Bürger andererseits stoppen. Dies hatte jedoch zur Folge, dass der Zugang zu modischen Waren aus dem Westen stark begrenzt wurde.
Die SED unter Staats- und Parteichef Walter Ulbricht begann eine neue Politik der Weiterentwicklung des Sozialismus und des Kampfes gegen die "kapitalistische Welt". Der sozialistische Staat sollte die Bedürfnisse seiner Bürger besser befriedigen und, was die Jugend betraf, auch bessere Angebote zur Verfügung stellen. Die Bemühungen der SED-Führung, die Jugendlichen durch "attraktive" Freizeitangebote stärker an den Sozialismus zu binden und mögliche Unzufriedenheit zu vermeiden, umfassten auch jugendgemäße Kleidung. Dennoch sollte die Mode in der DDR (der Begriff "Bekleidungskultur" setzte sich nicht durch, sodass man jetzt auch offiziell von Mode sprach) vor allem langlebig, zweckmäßig und billig sein. Nach Auffassung der DDR wurde die westliche Mode nur zu kommerziellen Zwecken hergestellt. Deswegen sollten westliche Einflüsse wirksam gefiltert werden. Kritisiert wurden vor allem der schnelle Modewechsel im Westen und das ständige Erwecken jugendlicher Wünsche bedingt durch wirtschaftliche Interessen. Die sozialistische Mode durfte zwar die westlichen Inspirationen nutzen, aber nicht unbegrenzt. Keine Akzeptanz fand vor allem die sogenannte Anti-Mode: Kleidung, die gegen gesellschaftlich anerkannte Kleidungskonventionen verstieß und von Teilen der Jugend als Provokation gedacht war.
Erst 1968 entwickelte sich in der DDR die staatliche Jugendmodeproduktion und wurden Kaufhäuser für Jugendliche eingerichtet, unter anderem, um die illegale Einfuhr von Waren aus dem Westen zu stoppen. Ästhetisch gesehen, schien diese erste Modekollektion im Bereich der Frauenmode attraktiver zu werden, sie umfasste auch die erst zögerlich tolerierte Mini-Mode sowie Frauenanzüge, die anders als in Polen eine breite Akzeptanz fanden. Für junge Männer wurden jedoch klassische Anzüge und Jacken empfohlen, die eher als unmodisch und traditionell empfunden wurden. Die Zurückhaltung gegenüber "dem neuen Bild des westlichen Mannes" resultierte daraus, dass die "von Beat und Romantik" beeinflusste Männlichkeit nicht mit der äußerlich betonten Männlichkeit in der Vorstellung der DDR-Ideologie übereinstimmte. In der Kollektion fehlte die bei Jugendlichen sehr beliebte Jeans – das am häufigsten kontrovers diskutierte Kleidungsstück in der DDR. Von den Parteigenossen wurde sie als Teil der "Cowboykultur" des Wilden Westens und damit als Beweis für die westliche Demoralisierung der Gesellschaft angesehen. So wurden noch zu Anfang der 1970er Jahre Schüler, die in der Schule oder zum Tanzen Jeans trugen, nach Hause geschickt. Je heftiger das Regime gegen Jeans kämpfte, desto schneller wuchs der Wert der originalen amerikanischen Hose. 1968 wurden diese von Ulrich Plenzdorf in seinem Theaterstück "Die neuen Leiden des jungen W." verehrt: "Jeans sind eine Einstellung und keine Hose. (…) Es gibt ja überhaupt nur eine Sorte echte Jeans. Wer echter Jeansträger ist, weiß, welche ich meine." Mit diesen Wörtern beeinflusste Plenzdorf eine ganze Generation, für die das Tragen von originalwestlichen Jeans zum Ausdruck ihrer politischen Einstellung wurde.
Mode als Konsumprodukt
Wenn auch die Entwicklungswege in den 1960er Jahren in den beiden Ländern unterschiedlich verliefen, diente die Jugendmode in diesem Jahrzehnt zur politischen Instrumentalisierung sowohl in ökonomischen wie auch innenpolitischen Bereichen: Beide Länder wollten durch die Modeproduktion politische Eigenständigkeit beweisen. Demgegenüber brachten die 1970er Jahre für die Modeentwicklung neue Herausforderungen: Sie sollte ein Teil des Modells der sozialistischen Konsumgesellschaft werden.
Bereits kurz nach der Ernennung von Edward Gierek zum Ersten Parteisekretär 1970 verkündete das Zentralkomitee der Polnischen Vereinigten Arbeitspartei, dass das sozialistische Ideal keine Verbreitung von Askese bedeute und auch nicht zwinge, das Bemühen um materielle Güter aufzugeben. Materielle Güter sollten dementsprechend kein Ziel oder Kriterium der Beurteilung eines Menschen sein, sondern vielmehr ein Mittel, um das Leben zu bereichern. Diese neue, konsumorientierte Politik erlaubte darüber hinaus viele Elemente der westlichen Massenkultur in Polen. Zudem wurde der visafreie Grenzverkehr in die DDR und in die Tschechoslowakei eingeführt und durch den Devisenverkauf auch das Reisen in den Westen möglich.
Durch die Konsumpolitik setzte das Regime Prioritäten im Bau von neuen Betrieben, die mit Hilfe ausländischer Kredite mit modernen westlichen Technologien ausgestattet werden sollten. Im Bereich der Jugendmode entstanden in einigen Großstädten Modezentren, die eine jugendtypische, westlich orientierte und alternative Mode für Jugendliche verkauften. Modedesigner fuhren jetzt regelmäßig ins westliche Ausland, auch zu kommerziellen Zwecken: Sie sollten durch Modeschauen potenzielle Kunden finden. Bereits Mitte der 1970er Jahre verkauften manche Betriebe bis zu 80 Prozent der gesamten Produktion ins Ausland (in die Sowjetunion und in westeuropäische Länder). Diese neue politische Situation befreite die Mode endgültig von politischen Parolen. Getragen werden durfte, was gefiel.
So weit ging die Toleranz in der DDR noch nicht. Allerdings verkündete auch hier der neue Parteichef Erich Honecker 1972, dass die "jungen Menschen nicht so sehr nach Äußerlichkeiten, sondern in erster Linie nach ihrer politischen Grundhaltung und ihren Leistungen" beurteilt werden sollten. Kurz danach wurde in den DDR-Geschäften vorübergehend die originale Jeanshose angeboten. Modernität und Fortschritt in der DDR sollten während der Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 international demonstriert werden. Dies sollte nicht nur durch die Einladung von zahlreichen westlichen Rockmusikern sowie Reisemöglichkeiten (jedoch nur in die sozialistischen Länder), sondern auch durch ein größeres und vor allem liberalisiertes Angebot der Jugendmode erfolgen. In den Geschäften tauchten nicht nur mehr Angebote auf, sondern es wurde erlaubt, viele neue Modelle, Stoffe und Kombinationen zu produzieren, die bis jetzt als "dekadent" abgelehnt wurden. Das FDJ-Blauhemd wurde mit einer blauen Cottino-Hose kombiniert, die einer Jeanshose ähnelte. 1974 begann in den Lößnitzer Bekleidungswerken die Jeansproduktion, und im Sortiment tauchten Jacken auf, die Parkas ähnelten. Dies war ein Zeichen dafür, dass auch Erich Honecker auf die Konsumpolitik setzte. Anders als in Polen blieb hier die Mode allerdings weiterhin politisch: Die Lößnitzer Jeansmodelle beispielsweise zeichneten sich durch Knöpfe mit der Einprägung "Lößnitz 25" aus, die daran erinnern sollten, dass diese Modelle anlässlich des 25. Jahrestages der DDR produziert worden waren. Die Toleranz Honeckers erstreckte sich nur auf Produkte, die zwar westlich orientiert oder stilisiert, aber ausschließlich aus eigener Produktion stammten.
Betrachtet man Mode als ein Teil des Konsums, scheint dies im zentral gesteuerten System des "real existierenden Sozialismus" Modeprinzipien grundsätzlich zu widersprechen. Die Modeforscherin Ingrid Loschek stellt über die internationale Entwicklung der Modebranche fest, dass das Angebot nicht ans Ziel käme, wenn es nicht mit Wünschen, die auch im irrationalen Bereich liegen können, konform gehe. Die Kleidungsbetriebe in den sozialistischen Ländern produzierten aber trotz Marktforschungsanalysen an den Käuferwünschen vorbei. Die Ursachen lagen zum Teil in der Leichtindustrie, die durch den begrenzten Import und durch mangelnde Kooperationsfähigkeit zwischen den Betrieben unter ständigen Ressourcenschwierigkeiten litt, zum Teil in einem fehlenden Verständnis für Mode. So wurden "Ladenhüter" produziert; das Angebot entsprach nicht den Bedürfnissen der Jugendlichen, deren Modegeschmack meist durch westliche Popkultur beeinflusst wurde.
Ab Mitte der 1970er Jahre verschlechterte sich die Versorgungssituation durch die steigende negative Handelsbilanz und die hohe Auslandsverschuldung. Der Anstieg der Rohstoff- und Erdölpreise und weltwirtschaftliche Krisenerscheinungen belasteten die Wirtschaft; Produkten aus beiden Ländern war der Zugang zum Weltmarkt erschwert. In diesem Kontext sahen Jugendliche ihre Wünsche in den staatlichen Kollektionen kaum noch realisiert. Die staatlich produzierten Jeans, das meist getragene Modestück in diesem Jahrzehnt, wurden wegen Farbgebung, Stoff und fehlenden Details kritisiert. Bei den DDR-Jugendlichen, die die Jeans bisher nur als "Originale aus dem Westen" kannten, galten sie als "billige Kopie der echten Jeansbekleidung". Insbesondere Jugendliche aus alternativen, dem Regime gegenüber kritisch eingestellten Gruppen bemängelten die fehlende Authentizität von DDR-Jeans und -Parkas. Viele meinten, dass das Tragen von DDR-Kleidung entweder Treue zum Sozialismus symbolisiere oder ein Hinweis darauf sei, dass keine familiären Beziehungen in den Westen bestanden.
Sich mit modischer Kleidung zu versorgen, das lief im nächsten Jahrzehnt aufgrund der wirtschaftlichen Lage im gesamten Ostblock nur noch auf privatem und inoffiziellem Weg. Polen wurde durch die unsolide Wirtschaftspolitik der Gierek-Ära und die gewaltige Auslandsverschuldung in eine Krise gebracht, die mit der Streikwelle von 1976 begann und 1981 zum Ausnahmezustand führte. Enormer Mangel und Rationalisierung brachten die Modeproduktion zum Erliegen. In der DDR verzichtete das Regime aufgrund der Verbesserung der deutsch-deutschen Beziehungen sowie neuer Regulierungen zum Export auf den antiwestlichen Diskurs und entpolitisierte damit auch die Mode endgültig. Der Informationsfluss über Modetrends verlief fast vollständig über westdeutsche Zeitschriften und das Westfernsehen, das 1984 laut Umfragen beinahe alle Jugendlichen einschalteten. Die modische Kleidung der DDR-Jugendlichen stammte größtenteils aus der Bundesrepublik. Während das Modeinstitut in Ost-Berlin zum ersten Mal Mode als "extrem schnell wechselndes Kleidungsverhalten" charakterisierte, verlief dieser Modewechsel in der DDR je nach Schnelligkeit der Zustellung von Westpaketen.
Mode als "augenblicklicher Zeitgeschmack der Gesellschaft" unterlag im Sozialismus schwierigen Verhältnissen, weil sowohl Kleidungsindustrie als auch Handel dem Zeitgeist nicht folgen konnten. Daher bildete sich eine Mode aus, die sich durch eine Mischung von mehrheitlich westlichen, aber auch staatsproduzierten, aus verschiedenen Ländern mitgebrachten und auf den Schwarzmärkten verkauften sowie von Künstlern oder von handwerklich geschickten Menschen gefertigten Kleidern definierte.
Dr. phil., geb. 1975; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilian-Universität München, Geschwister-Scholl-Platz 1, 80539 München. E-Mail Link: anna.pelka@lrz.uni-muenchen.de
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